Vor 150 Jahren wurde Alexandra Kollontai geboren
Alexandra Kollontai (1872-1952) zählt zu den berühmtesten Frauen der neueren Geschichte. Überaus vielfältig war ihr Wirken: Sie war Schriftstellerin, proletarische Revolutionärin, Volkskommissarin in Lenins erster Regierung, engagierte Vorkämpferin der Frauenbewegung, Diplomatin und Publizistin in einer Person. Ihre Gegner nannten sie „rote Diplomatin“ und „Walküre der Revolution“. Diese Schmährufe wurden für sie jedoch zum Ehrentitel. Denn Kollontai erwarb sich Achtung und Anerkennung durch ihre Fähigkeiten, ihr fundiertes Wissen, ihr Redetalent und ihr diplomatisches Geschick.
von Gundula Hoffmann, Berlin
Ihr Weg von der wohlbehüteten Tochter eines zaristischen Generals zur “Königin der Diplomatie“ war nicht unkompliziert, er schloss Irrtümer und persönliche Schicksalsschläge ein. Sie konnte sich lange nicht zwischen Menschewiki und Bolschewiki (dem gemäßigten und radikalen Flügel der russischen Arbeiter*innenbewegung) entscheiden, aber brannte von aktionistischer Ungeduld; sie war lange eine aufrechte Revolutionärin und reihte sich dennoch später in Stalins Parteiflügel ein.
Wann und wo Kollontai erstmalig mit marxistischen Ideen in Berührung kam ist nicht bekannt. Unumstritten ist aber, dass sie in ihrem ganzen Leben ein ehrliches Mitgefühl mit Armen und Unterdrückten hatte. Menschliches Leid empfand sie als eigene Verletzung. Sie selbst beschrieb häufig den Besuch einer estnischen Textilfabrik 1896 als ein Schlüsselerlebnis. Was sie dort erlebte, hatte sie noch nie aus unmittelbarer Nähe gesehen. Weitere Besuche von Schlafstätten in den z.T. hochmodernen Fabriken zeigten ihr unter welch erbärmlichen Arbeits- und Lebensbedingungen die Arbeiter*nnen dahinvegetierten. Dies war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. brachte. Sie war nicht bereit, diese Situation weiter zu dulden!
1905 soll Kollontai zum ersten Mal Lenin begegnet sein. Sie war durchaus begeistert von Lenins Charisma und seiner Fähigkeit, Probleme tiefgehend zu durchdringen. Dennoch näherte sie sich nur langsam den Positionen der Bolschewiki an. Dass sie im Ersten Weltkrieg von Anfang an Kriegsgegnerin war, war ein wichtiger Schritt dabei.
Die erste Ministerin weltweit
Nach dem Sieg der Oktoberrevolution 1917 holte Lenin Kollontai in die erste Sowjetregierung. Im „Rat der Volkskommissare“ war sie zuständig für soziale Wohlfahrt. Kollontai war damit weltweit die erste Frau auf einem Ministerposten. Damit konnte sie erstmals ihre Ansichten Realität werden lassen. Die Verbesserungen für Frauen im Zuge der Russischen Revolution waren gewaltig.
Es wurden öffentliche Küchen eingerichtet, Kindererziehung sollte eine öffentliche Aufgabe werden. Erstmals wurden in großem Stil reformpädagogische Ansätze erprobt. Ein Schritt, auf den sich die Bildungsministerien der westlichen Welt bis heute nicht einigen konnten. Sie setzte mit Lenins Hilfe die Vereinfachung des Scheidungsrechts durch, quartierte ledige Mütter und Waisenkinder in beschlagnahmte Klöster ein. Als Vorsitzende der Frauenabteilung im Zentralkomitee der Bolschewiki setzte sie gemeinsam mit Lenin ein Gesetz zur Straffreiheit von Abtreibungen durch.
Alexandra Kollontai war ihr ganzes Leben lang eine entschlossene Kämpferin für die Sache der Unterdrückten, für Frauenrechte und für eine entschiedene Verbesserung der Bildung. Ihr oft wiederholter und einprägsamer Merksatz lautete: „Ohne Sozialismus keine Gleichstellung der Frau und ohne Gleichstellung der Frau kein Sozialismus.
Die Ideen Kollontais über das Zusammenleben in der Familie, über die Gleichstellung von Frau und Mann und über Pädagogik werden ein Teil des revolutionären Erbes der Arbeiter*nnenbewegung bleiben. Ihr entschlossenes Eintreten für die Interessen der Arbeiterinnen muss heute wie damals Auftrag für uns alle sein.