Frauenkampftag 2022: Feminismus und Sozialismus

Warum der Kampf gegen Sexismus mit dem Kampf gegen den Kapitalismus verbunden werden muss

Mit der Pandemie zeigte sich, wie weit Gleichberechtigung und Gleichstellung für Frauen von der Realität entfernt sind. Die gesundheitliche und wirtschaftliche Krise verschärfen die zuvor existierenden Probleme, die nun in neuer Qualität zu Tage treten. 

von Aleksandra Setsumei, Aachen

Die Mehrbelastung von Frauen in der Pandemie zeigt sich beispielsweise an einer Umfrage zur Arbeitszeitreduzierung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI). So reduzierten zu Beginn der Pandemie 16 Prozent der Väter und 23 Prozent der Mütter ihre Arbeitszeit mit der Begründung die Kinderbetreuung abzusichern, während es im Januar 2022 nur noch sechs Prozent der Väter aber noch fast zwanzig Prozent der Mütter waren. Mehr als sechzig Prozent der Mütter übernehmen nach eigenen Angaben den Großteil der Betreuung, was deutlich mehr ist als vor der Pandemie.

Dieser frustrierende Roll-Back ist unter anderem der einfachen Tatsache geschuldet, dass Frauen in Deutschland im Schnitt zwanzig Prozent weniger verdienen als Männer und es damit eine materielle Frage ist, wer in der Familie weiter voll arbeitet. Außerdem ist angeblich nie genügend Geld da um Kitas, Schulen, Pflegeheime und vieles mehr auszubauen. Auch in diesen Zeiten wird von den Herrschenden vor allem sichergestellt, dass Konzerne ihre Profite machen und Reiche noch reicher werden. Die Masse der arbeitenden Bevölkerung muss dafür zahlen. Deshalb ist im Kapitalismus keine Reform sicher. Fortschrittliche Maßnahmen und erkämpfte Standards können schon morgen wieder verloren sein, wenn die Spielräume sich verkleinern. 

Daraus lernen wir: Uns wird nichts geschenkt. Jede Errungenschaft und jede Verbesserung muss verteidigt werden. Doch die Geschichte zeigt auch, dass sich der Kampf für diese Errungenschaften lohnt. Wir können die Gegenwart und die Zukunft verändern. Doch innerhalb der Kapitalismus wird es nie eine wirkliche Gleichstellung und Überwindung von Diskriminierung geben. Deshalb ist der Kampf gegen Frauenunterdrückung für die Sol immer verbunden mit dem antikapitalistischen Kampf. 

Check your privilege?

Aktuell sind sozialistische Positionen in den feministischen Bewegungen und Gruppen in der Minderheit. In den letzten Jahren wuchs die Unterstützung für das, was im weitesten Sinne als „Identitätspolitik“ bezeichnet wird. Vor allem junge Menschen und Studierende politisieren sich über die Frage von Diskriminierungen – und das ist begrüßenswert, denn sie erkennen, dass die Welt nicht in Ordnung ist, und sind bereit, für eine Veränderung zu kämpfen. Doch gleichzeitig sind die Ideen der Identitätspolitik nicht geeignet, Unterdrückung wirksam zu bekämpfen. 

Die Identitätspolitik geht davon aus, dass sich Macht in gesellschaftlichen Interaktionen zwischen Individuen manifestiert und nicht auf materiellen Grundlagen basiert. Außerdem ist eine Hauptaussage der Identitätspolitik, dass die nicht von einer Diskriminierungsart betroffenen Menschen von Diskriminierung anderer profitieren. So wird beispielsweise gesagt, dass Männer von der Unterdrückung von Frauen profitieren würden. 

Es ist offensichtlich, dass aus einem solchen Weltbild nur folgen kann, dass Männer keine Verbündete im Kampf gegen Sexismus sein können – denn warum sollten sie ein Interesse daran haben, gegen eigene „Privilegien“, wie Identitätspolitik sie bezeichnet, vorzugehen? Deshalb werden Männer in dieser Theorie als keine Mitkämpfer, sondern Verursacher wahrgenommen und selbst wenn sie gegen Sexismus aktiv werden wollen höchstens mit der ikonischen Phrase abgespeist, die schon zu einem Meme geworden ist, nämlich: „Check your privilege!“

Männer gegen Frauen?

Darin liegt die Schwäche der Identitätspolitik. Denn sie liefert keinen Ansatz, Diskriminierung gesellschaftlich zu bekämpfen. Sie beschränkt sich überwiegend auf Ermahnungen an Individuen, sich zu verändern und ihre Privilegien zu hinterfragen. Wenn sie ihre eigenen Theorien ernst nimmt, so muss die Identitätspolitik davon ausgehen, dass Errungenschaften für diskriminierte Gruppen, zum Beispiel Frauen, nur auf Kosten der nicht diskriminierten Gruppen, zum Beispiel Männern, erkämpft werden. So ruft die Identitätspolitik implizit zu einem Kampf um Privilegien auf, in dem sich Männer mit Frauen, Heterosexuelle mit Homo- und Bisexuellen, Deutsche mit Nicht-Deutschen und so weiter um Vorteile streiten sollen.

Identitätspolitik zeigt keinen Weg auf, wie ein gemeinsamer Kampf gegen Seximus oder auch Rassismus und Homophobie geführt werden kann, sondern führt in eine Sackgasse von mannigfacher Spaltung. Die Identitätspolitik schaut auf die Gesellschaft durch die identitäre Brille und sieht nichts außer den jeweiligen diskriminierten oder nicht diskriminierten Gruppen. Dabei wird Spaltung nicht überwunden, sondern verstärkt. Das aber führt nicht dazu, dass Menschen sich aus ihrer Unterdrückung befreien können. Dabei übersieht sie etwas so Fundamentales, dass sie allein dadurch zum Scheitern verurteilt ist, nämlich dass die kapitalistische Gesellschaft in erster Linie aus Klassen besteht.

Klassenfragen

Die kapitalistische Gesellschaft besteht aus Klassen. Es ist essentiell zu verstehen, dass Diskriminierungsformen wie Sexismus, Rassismus und Ähnliches Klassenfragen sind. Damit ist nicht gemeint, dass nur Frauen aus der Arbeiter*innenklasse als Frauen diskriminiert werden. Im Gegenteil, alle Frauen sind von Frauenunterdrückung betroffen – wobei wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass reiche Frauen zwar auch von Sexismus im allgemeinen betroffen sind, aber zum Beispiel weniger von doppelter Belastung betroffen sind, weil sie es sich leisten können, Haushaltshilfe, Kinderbetreuung zu finanzieren. Nein, mit dem Begriff der Klassenfrage soll verdeutlicht werden, von wem und im wessen Interesse die Diskriminierung ausgeht.

Diskriminierung findet nicht im Vakuum statt, sondern in der sozialen Realität des Kapitalismus, der von Sexismus profitiert. Die herrschende Politik hat kein Interesse an einer Verbesserung der Lage der Frauen, wenn es nicht der Regierung oder Unternehmen selbst nutzt. Zwar behaupten etablierte Politiker*innen, sich für Frauen einzusetzen. Doch es sind die gleichen Politiker*innen – unabhängig von ihrem Geschlecht – die den Hartz-IV-Empfänger*innen das Kindergeld streichen, wohl wissend, dass dies vor allem alleinerziehende Mütter treffen wird.

Ein Werkzeug der Spaltung

Die Entrechtung der Frau hat schon mit der Entstehung des Privateigentums und den daraus entstehenden Klassengesellschaften vor vielen tausend Jahren Einzug gehalten. Der Kapitalismus übernahm die bestehenden unterdrückenden Strukturen und reproduziert sie fortlaufend. Auch wenn durch den Eintritt der Frauen in die Arbeitswelt die Diskriminierung infragegestellt wird, profitiert das System von der Schlechterstellung von Frauen und ist nicht in der Lage, sie zu überwinden. Er ist ein System, in dem eine kleine Minderheit fast den gesamten Reichtum der Welt besitzt, während die große Mehrheit den Rest untereinander aufteilen muss. Doch um diese Macht- und Eigentumsverhältnisse im Kapitalismus aufrechtzuerhalten, ist eine Spaltung und ein gegenseitiges Ausspielen von Männern und Frauen, von Menschen mit und ohne deutschem Pass, von Jung und Alt notwendig. 

Es ist nötig, die gemeinsamen Interessen aufzuzeigen, um genau diese Spaltung innerhalb der Arbeiter*innenklasse zu überwinden. So schaden niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen für Frauen auch den männlichen Beschäftigten, weil sie so selbst unter Druck geraten, Abstriche hinzunehmen. Der einzige, der von niedrigen Löhnen profitiert, ist der Kapitalist. Lohndumping und schlechtere Arbeitsbedingungen sind für Unternehmer*innen hochprofitabel. Kostenlose Pflege von alten Menschen zu Hause, schlechte Versorgung mit Kitaplätzen und Vieles mehr sind Folge dessen, dass der kapitalistische Staat die Milliarden bei den großen Konzernen und Banken belässt. Deshalb gibt es ein objektives Interesse der herrschenden Klassen an einer Reproduktion sexistischer Vorstellungen und der Spaltung der Arbeiter*innenklasse. Wer untereinander um vermeintliche Privilegien kämpft, sieht nicht, wo der eigentliche Feind steht. Wer nicht gemeinsam für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen für alle streitet, kann nicht die Eigentumsverhältnisse und den massiven Reichtum einer Minderheit bekämpfen.

Gemeinsamer Kampf

Deswegen kann der Kapitalismus es sich nicht leisten, ein Ende der Frauendiskriminierung zuzulassen. Befreiung kann nur durch eine revolutionäre Veränderung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen erreicht werden. Doch nicht nur Frauen haben ein Interesse an einer solchen Veränderung. Der Kapitalismus macht das Leben der großen Mehrheit der Menschen zur Hölle auf Erden – unabhängig von ihrem Geschlecht. 

Um den Kapitalismus zu stürzen, ist eine Vereinigung und Organisierung aller Lohnabhängigen, Erwerbslosen, Rentner*innen und Jugendlichen nötig. Deshalb muss eine sozialistische Bewegung gegen jede Art der Diskriminierung und gegen Sexismus vorgehen. Und es besteht die objektive Notwendigkeit, dass Lohnabhängige, Erwerbslose, Rentner*in und Jugendliche gemeinsam kämpfen – für die Abschaffung des Kapitalismus und für eine sozialistische Demokratie. 

Wie die Welt sein könnte

In einer sozialistischen Demokratie gehören die Fabriken und weitere Produktionsmittel nicht einer kleinen, auf Profitmaximierung ausgerichteten Minderheit, sondern der arbeitenden Bevölkerung. Anders, als in den ehemaligen stalinistischen Staaten wird die Produktion demokratisch durch die Beschäftigten geplant und kontrolliert. Die Wirtschaft hat dann nicht mehr das Ziel, möglichst große Profite abzuwerfen, sondern richtet sich nach den Bedürfnissen von Mensch und Umwelt. So werden Grundlagen geschaffen, um Ungleichheit, Diskriminierung und Unterdrückung abzuschaffen.

Das Leben der Frauen in einer solchen Gesellschaft unterscheidet sich diametral von dem im Kapitalismus. Durch die Daseinsvorsorge und Ausbau von Infrastruktur werden Frauen im Sozialismus finanziell unabhängig und können selbstbestimmt leben, ohne Angst vor Armut haben zu müssen, auch unabhängig von einer Partnerschaft. Durch die Vergesellschaftung der Hausarbeit, werden Frauen endlich von der Last der Reproduktionsarbeit befreit. Verbunden mit einer massiven Arbeitszeitverkürzung eröffnen sich viele Möglichkeiten für Frauen, gleichberechtigt am öffentlichen Leben teilzuhaben, unabhängig davon, ob sie sich für Kinder entscheiden. Durch Erforschung sicherer und nicht gesundheitsgefährdender Verhütungsmittel, kostenloser Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs erhalten Frauen endlich die echte Entscheidungsfreiheit über ihren Körper. Die Anzahl der ungewollten Schwangerschaften wird durch Aufklärung, kostenlose Verhütung und soziale Absicherung sinken. 

Die materiellen Grundlagen des Sozialismus, in dem es keine Armut, keinen Mangel und keine gegensätzlichen Interessen gibt, wird dazu führen, dass nicht nur Sexismus, sondern auch andere Diskriminierungen und Vorurteile, wie Rassismus oder Homophobie, an Einfluss verlieren. Doch sie werden nicht automatisch verschwinden – dazu ist eine gezielte Aufarbeitung und Bildungsarbeit notwendig. Da im Sozialismus niemand ein Interesse an solchen Spaltungsmechanismen hat, wird dem nichts im Wege stehen. Wenn diese Aufgabe bewältigt wird, werden die künftigen Generationen „Sexismus“ im Schwarzbuch des Kapitalismus nachschlagen müssen.

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