Sozial- und Erziehungsdienste: Erster Warnstreik in Aachen

Sol-Mitglieder solidarisch

Am Frauenkampftag wird wieder gestreikt! Die Beschäftigten der Sozial- und Erziehungsdienste, das sind etwa 50 Berufsgruppen im sozialen und erzieherischen Bereich, fordern mehr Gehalt und damit auch mehr Anerkennung für ihre Arbeit sowie eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Doch von der Arbeitgeberseite kommt bisher wenig, der oft sehr anstrengende Arbeitsalltag und die unzureichende Entlohnung wird als ziemlich gut dargestellt. Zurecht gibt es Wut darüber. In Aachen hat sich das darin gezeigt, dass sich 650 Kolleginnen und Kollegen am ersten Warnstreik beteiligten.

Von Christian Walter, Aachen

In anderen Städten sah es ähnlich aus. Obwohl die Arbeit mit Menschen, gerade mit Kindern oder Menschen mit besonderem Förderungsbedarf, eine sehr verantwortungsvolle Arbeit ist und Kolleg*innen sich nicht leichtfertig zum Streik entscheiden, zeigt die Beteiligung doch dass Druck im Kessel ist.

Streiks am Frauenkampftag

Das Datum war nicht zufällig gewählt. Bewusst wurde der 8. März als erster Warnstreiktag festgelegt. Denn der 8. März ist der internationale Frauenkampftag, der Tag also, an dem besonders gegen die Benachteiligung von Frauen gekämpft wird. Vor über 100 Jahren wurde er von Sozialist*innen ins Leben gerufen, mit starken Kämpfen, darunter auch riesige Demonstrationen zum Frauenkampftag, wurden Verbesserungen wie das Frauenwahlrecht erkämpft. Doch bis heute gibt es keine Gleichheit zwischen den Geschlechtern – was sich besonders plastisch auch an der Lohnungleichheit zeigt. So bekommen Frauen in Deutschland durchschnittlich 18 Prozent weniger Lohn. Der Tag vor dem Frauenkampftag, der 7.März, machte diese Lücke symbolisch deutlich: Dieser „Equal Pay Day“ ist der Tag, bis zu dem Frauen durchschnittlich arbeiten müssen, um auf das durchschnittliche Vorjahresgehalt von Männern zu kommen.

Diese Lohnungleichheit zeigt sich in der schlechten Bezahlung von frauendominierten Berufen besonders deutlich. Von daher ist es sehr positiv, dass die Kolleg*innen der Sozial- und Erziehungsdienste selbstbewusst antreten und mit Streiks eine Aufwertung durchsetzen wollen. In anderen Bereichen sieht es ähnlich aus: Die Beschäftigten der nordrhein-westfälischen Uniklinika haben der Landesregierung ein Ultimatum bis zum ersten Mai gesetzt, ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern – sonst drohen auch sie mit Streiks.

Starker Protest in Aachen

In Aachen versammelten sich die streikenden Kolleg*innen am ver.di-Haus in der Innenstadt. Von da gab es eine kurze Demo zum zentralen Platz am Elisenbrunnen. Dort fand die eigentliche Kundgebung statt. In einem ersten Redebeitrag wurde auf einen ähnlichen Arbeitskampf 2015 zurückgeblickt, wo sich die Arbeitgeberseite selbst nach mehrfachen Warnstreiks nicht zu wirklichen Zugeständnissen bereiterklärte und die Kolleg*innen letztlich in den Erzwingungsstreik gehen mussten. Die folgende Rednerin ging auf den Frauenkampftag ein und machte deutlich, dass es – ganz in der Tradition des Frauenkampftags – um „Emanzipation und Weltfrieden“ gehen müsse. Insgesamt war der Krieg in der Ukraine sehr präsent: Die Gewerkschaft hatte zu beginn Ukraine-Fähnchen verteilt, es gab eine kurze Schweigeminute für die Betroffenen.

Ein Kollege berichtete von Konflikten mit Eltern, die bei Streiks in Kindergärten nicht ausblieben. Es waren aber auch solidarisch Eltern vor Ort, die explizit begrüßt wurden. Ein anderer Redner stellte sehr plastisch die Probleme dar: Wegen der permanenten Überlastung sei es oft nicht möglich, die einzelnen Kinder gut zu fördern, selbst Anzeichen, die auf eine Kindeswohlgefährdung hinweisen könnten, würden oftmals nicht erkannt, weil die Zeit fehle sich mit den einzelnen Kindern ausreichend zu beschäftigen. Dabei sei das besonders in Corona-Zeiten sehr wichtig. In der Folge stünden er und seine Kolleg*innen immer „mit einem Bein im Knast“. Gleichzeitig würde die Arbeitgeberseite die Situation schönreden und selbst vor Lügen, was die Gehälter anginge, nicht zurückschrecken.

Ausweitung der Streiks nötig

Zum Schluss wurden die Streikenden darauf eingestimmt, dass es – wie 2015 – möglicherweise kein leichter Arbeitskampf würde. Um damit erfolgreich zu sein müssen aber auch noch mehr Kolleg*innen zum Streiken motiviert werden.

Gleichzeitig ist der direkte wirtschaftliche Schaden von Streiks in den Sozial- und Erziehungsdiensten recht gering, weswegen die Arbeitgeberseite versuchen könnte, den Kampf auszusitzen. Von daher ist, noch stärker als bei Kämpfen in anderen Bereichen, die Schaffung aktiver Solidarität essentiell. Leider hat die Gewerkschaft bisher keine ernsthaften Anstrengungen in die Richtung unternommen, im Gegenteil: Wir durften unsere Fahnen nicht zeigen, nach außen sollte das Bild einer reinen Gewerkschaftsaktion gezeigt werden. Doch wenn sichtbar wäre, dass neben der Gewerkschaft auch andere Organisationen anwesend sind, würde deutlich dass es solidarische Menschen gibt, die mitmarschieren.

Auch gibt es die Gefahr, dass die Verhandler*innen der Gewerkschaftsspitze sich mit kleinen Zugeständnissen zufrieden geben, weil sie kein Vertrauen in die Mobilisierungsfähigkeit ihrer Mitglieder haben oder den großen Konflikt mit der Arbeitgeberseite scheuen. Um so wichtiger wäre die aktive Einbeziehung der Basismitglieder in strategische Diskussionen und Entscheidungen. Doch die Gewerkschaftsspitze hat vor dem Tarifkonflikt die Streikdemokratie eingeschränkt, indem sie die Streikdelegiertenkonferenz abgeschafft hat. Damit liegen die wesentlichen Entscheidungen bei der hauptamtlichen Gewerkschaftsspitze und nicht bei den Kolleg*innen, die sie eigentlich betreffen.

Natürlich sollte man sich von solchen Maßnahmen nicht demotivieren lassen. Aber man darf das auch nicht einfach hinnehmen. Es ist wichtig, dass sich kämpferische Kolleg*innen zusammenschließen, für eine entschlossene Haltung im Tarifkonflikt einstehen und sich und andere Kolleg*innen auf einen Erzwingungsstreik vorbereiten. Außerdem sollte eine breite öffentliche Solidarität ermöglicht werden. Hilfreich dabei wäre eine Vernetzung der Kolleg*innen in den Sozial- und Erziehungsdiensten mit Kolleg*innen in anderen Bereichen, die sich im Konflikt mit den Arbeitgebern befinden, wie beispielsweise im Krankenhausbereich. Gleichzeitig ist es wichtig, das Fundament für künftige Auseinandersetzungen zu bereiten und für kämpferische und demokratische Gewerkschaften streiten.

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