Den Ukraine-Krieg verstehen

In einem brandaktuellen Buch analysiert der Manifest-Verlag den Ukraine-Krieg

Als die russische Armee am 24. Februar 2022 mit einer groß angelegten Offensive die Ukraine angriff, trat ein Ereignis ein, das von vielen Beobachter*innen im Vorfeld als unwahrscheinlich eingeschätzt worden war. Mit einem neuen Buch versucht der Manifest-Verlag die Ursachen des massenweisen Sterbens in der Ukraine zu verstehen und Wege aus der Sackgasse von Kapitalismus, Nationalismus und Krieg anzubieten.

von René Arnsburg

„Der Kapitalismus“, hatte der französische Sozialist Jean Jaurès vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges gesagt, trage „den Krieg in sich wie die Wolke den Regen“. In der Tradition dieser grundlegenden Feststellung steht auch das Buch des Manifest-Verlags und schlägt damit andere Pfade ein als große Teile der bürgerlichen Konfliktforschung und Presse. Dort wird der russische Überfall nicht selten als Laune eines unberechenbaren Putins dargestellt und die NATO wird zum Friedensengel. Genau hier begnügt sich das Buch eben nicht mit einfachen und einseitigen Antworten, was sein größtes Plus ist.

Zankapfel der Großmächte

Der Ukraine-Krieg fiel nicht vom Himmel. Seit jeher ist dieses Land, neben anderen Ländern Osteuropas, ein Feld internationaler Auseinandersetzungen. Nachdem 2014 die pro-russische Regierung unter Janukowytsch durch die Maidan-Bewegung gestürzt wurde, entbrannte der Kampf um den Einfluss in der Ukraine zwischen Russland auf der einen und der EU und NATO auf der anderen Seite. Dies verschärfte die Konkurrenz zwischen den Großmächten um ihren Einfluss auf der Welt, die auch in der Osterweiterung von EU und NATO in den Jahren zuvor zum Ausdruck kam. Selbst der Krieg in der Ukraine wurde nicht erst im Februar 2022 begonnen. Nach dem Anschluss der Halbinsel Krim an Russland und der Unabhängigkeitserklärung der sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk im Osten des Landes begann ein Bürgerkrieg, der bereits vielen tausend Menschen das Leben kostete. 

Vielfältiges Herangehen

Der Sammelband will den Konflikt politisch erschließen. Dabei liegt der Fokus auf den Auswirkungen von Krieg, Imperialismus und Kapitalismus auf die arme und arbeitende, sowie bäuerliche Bevölkerung in der Ukraine, Russland, Europa und weltweit. Damit entgeht er dem Fehler sich auf die Seite eines der großen imperialistischen Machtblöcke – entweder NATO und EU oder Putin, Russland und China – zu stellen. Und so tappt das Buch nicht in die Falle, in die so manche linke Gruppe droht zu tappen oder in die sie bereits hineingeraten ist. Mit Wolfram Klein liefert ein profunder Kenner linker Strömungen in einem Kapitel einen Überblick über die Politik linker Organisationen im Ukrainekrieg.

Die Antwort auf die Frage, wie man denn den Krieg beenden wolle, liefert Sascha Staničić in seiner glänzenden Analyse des Konflikts. Seine Darlegungen zur proletarischen Verteidigungspolitik gehören sicherlich zu den bedeutenden Teilen dieses Buches.

Besonders macht dieses auch sein Bekenntnis zum Selbstbestimmungsrecht der Nationen, ein alter sozialistischer Grundsatz, der leider von Linken heute viel zu oft vergessen wird. Manche Herrschenden nutzen dieses Grundsatz für sich, freilich nur dann und nur in der Art, wie er ihnen nutzt. Und so muss er auch als Rechtfertigung für Putins Invasion herhalten. Doch genau diese Darstellungsweise widerlegt das Buch durch seine Erklärungen glänzend. Augenmerk wird auch auf eine marxistische Position zu den Sanktionen gelegt.

Zudem ist das Buch ein unverzichtbares Zeitdokument, stellt es doch wichtige sozialistische Texte zu den Maidan-Protesten und zur Annektierung der Krim 2014 zusammen und liefert damit einen Überblick über die Vorgeschichte des Krieges. Dabei wird auch Deutschlands Rolle beleuchtet. 

Auch der Abschluss des Buches, in dem historische, sozialistische Texte zur Ukraine und zum Krieg geliefert werden, ist wie der Sammelband als solcher, ein Muss für alle, die den Krieg in der Ukraine verstehen und das Leid der Menschen beenden wollen. Absolute Kaufempfehlung.