Geschichte und Klassenkampf

Barrikaden während der Pariser Kommune 1871 Foto: bibliothèque historique de la Ville de Paris/Wikimedia Commons

“Was ist Marxismus?” Teil 2: Historischer Materialismus (erster Teil)

In unserer Reihe “Was ist Marxismus?” veröffentlichen wir hier einen ersten Artikel zum Thema Historischer Materialismus, der sich schwerpunktmäßig mit der Rolle von Klassenkämpfen in der Menschheitsgeschichte beschäftigt. Artikel zu weiteren Aspekten des marxistischen Geschichtsverständnisses folgen.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse aus den Werken von Karl Marx und Friedrich Engels  ist in der Aussage, dass „die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft die Geschichte von Klassenkämpfen“ ist, enthalten. Doch was ist damit gemeint? 

von Jasper Proske, Mainz

Alle uns aus der Geschichte schriftlich überlieferten Gesellschaften bestanden aus verschiedenen Klassen mit konkurrierenden Interessen (neben den Urgesellschaften, wovon wir keine schriftlichen Überlieferungen haben). In jedem Fall gehörten dazu eine (oder mehrere) ausbeutende, herrschende Klasse und eine produzierende, ausgebeutete Klasse, zum Beispiel Sklavenhaltende und Sklaven, Feudalherren und Bäuer*innen, oder Bourgeois und Proletarier. 

Die Konflikte zwischen, aber auch innerhalb, dieser Klassen sind das bestimmende Element in der menschlichen Geschichte. Historische Persönlichkeiten handeln nicht als freie, rein selbstbezogene Akteur*innen, sondern sind meistens Vertreter*innen ihrer Klasse (meistens Vertreter*innen der ausbeutenden Klasse) und handeln vor allem zugunsten zumindest eines relevanten Teil derselben. Persönliche Eigenschaften sind zwar nicht irrelevant, spielen aber eine untergeordnete, und nicht die entscheidende Rolle.

Martin Luther und die Bauernkriege

So war zum Beispiel die Reformation nicht einfach ein theologischer Konflikt, sondern es ging dabei um ganz klare Machtinteressen. Indem die weltlichen Fürsten sich von der katholischen Kirche abwandten, konnten sie die Bischöfe entmachten und sich dabei die enormen weltlichen Besitztümer der Kirche aneignen. 

Echte theologische Rebellen wie Müntzer oder Huß, die zu Inspiratoren oder Anführern von Bauernaufständen wurden, teilten hingegen das Schicksal zehntausender Bauern und Bäuerinnen, die im Laufe der Deutschen Bauernkriege brutal niedergemetzelt wurden.

Klassenkampf

Die herrschende, ausbeutende Klasse kämpft ständig untereinander, aber auch gegen die Herrschenden anderer Länder. Ihr wichtigstes Anliegen ist aber immer die Aufrechterhaltung ihrer Machtstellung, das heißt ihrer Kontrolle über die ökonomischen Kräfte der Gesellschaft (früher bedeutete dies einst Sklaven oder Grundbesitz, heute Fabriken und Infrastruktur). 

In der Tat bringt nichts die Herrschenden so schnell an einen Tisch, wie wenn die Untertanen plötzlich aufmüpfig werden.

Revolution

Nicht nur im Deutschen Bauernkrieg, ganz besonders in den Aufständen der französischen und russischen Arbeiter*innen 1871 und 1917, hat man das sehr trefflich gesehen: hier führte die Machtergreifung der faktischen Mehrheit jedesmal dazu, dass sich alle bis dato Mächtigen auf der Stelle vereinigten, um die Arbeiter*innen mit den brutalsten Racheakten zu überziehen. Zu diesem Zweck vereinigten sich auch ehemalige Kriegsgegner*innen, die sich nur Wochen vorher bis aufs Blut bekämpft hatten. In dieser Situation fallen alle Masken, es gibt keine Neutralität und keine Rufe nach Gewaltfreiheit mehr: die herkömmlichen Machtverhältnisse müssen mit aller Gewalt wiederhergestellt werden.

Bergarbeiterstreik 1984-85

Ein uns sehr viel näheres, und auch sehr anschauliches Beispiel ist der große Streik der britischen Bergarbeiter*innen im Jahr 1984 bis 1985. Offiziell ging es um einen internen, rein wirtschaftlichen Konflikt zwischen der Kohlebehörde und deren Angestellt*innen.

Als die Bergarbeiter*innen nun aber in den Streik traten, mobilisierte die Regierung den gesamten Staatsapparat zu dessen Niederschlagung. Sie griff dabei zu allen verfügbaren Mitteln, inklusive der Abriegelung ganzer Regionen, des Einsatzes berittener Polizei gegen unbewaffnete Demonstrant*innen und der Beschlagnahmung von Gewerkschaftsvermögen. 

Schlussfolgerungen

Darin liegt eine wichtige Lektion: gerade das scheinbar selbstverständliche Recht auf gewerkschaftliche Organisation und Streiks stellt für die Herrschenden eine erhebliche Gefahr dar und wird sehr schnell eingeschränkt oder ganz kassiert, wenn es „zu weit“ ausgenutzt wird. Dann entscheidet nicht das Gesetz, sondern allein die relative Stärke der beiden Klassen. 

Aber: Dieses Wissen kann uns auch helfen, uns zu befreien, denn in der Geschichte war der Staat eben nicht grundsätzlich stärker. Alle unsere wichtigsten Rechte wurden uns nicht geschenkt, sondern mussten und konnten erkämpft werden. Das Wissen um diese Tatsache kann uns, die Klasse der Lohnabhängigen, enorm stärken. 

Nur wenn wir lernen, die Geschichte als ständigen Machtkampf zwischen und innerhalb der gesellschaftlichen Klassen zu betrachten, und uns als geschichtliche Akteur*innen, die den Ausgang dieses Kampfes beeinflussen können, sind wir in der Lage, uns von Armut, Unterdrückung und Ungerechtigkeit zu befreien. 

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