Kämpferische und sozialistische Neuausrichtung dringend nötig
Die Partei DIE LINKE stolpert von einem Desaster ins nächste. Die tiefer liegende Ursache liegt darin, dass die Partei sich in Zeiten der immer tiefer und dramatischer werdenden Krise des kapitalistischen Systems nicht in eine klarer antikapitalistische Richtung entwickelt hat, sondern politisch und ideologisch vor den bürgerlichen Verhältnissen kapituliert. Der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit wird so jeden Tag größer.
Von Sascha Staničić, Sol-Bundessprecher
Wer dem jetzt mit weiteren Formelkompromissen begegnen will, bereitet nur das nächste Desaster vor. Nötig wäre ein sozialistischer Kurswechsel – weg von Regierungsbeteiligungen mit SPD und Grünen und Infragestellung linker Prinzipien und hin zu Klassenkampf und Antikapitalismus. Leider sieht nichts danach aus, dass es einen solchen auch nur Ansatzweise geben wird. Das wirft die Frage auf, ob diese Partei ihren Gebrauchswert für die Arbeiter*innenklasse und die Linke gänzlich verlieren wird.
Was nötig wäre
Eine linke, sozialistische Partei ist dringend nötig. Eine Partei, die die Interessen der Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten, der Unterdrückten und Diskriminierten konsequent vertritt. Eine Partei, die kein Ort für Politiker*innenkarrieren ist, sondern ein Ort des Widerstands gegen die herrschenden Verhältnisse. Eine Partei, die keine Angst hat sich mit den Reichen und Mächtigen anzulegen und nicht das Ziel hat von diesen anerkannt zu werden.
Als DIE LINKE vor fünfzehn Jahren durch eine Vereinigung der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) und der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) entstand, haben heutige Sol-Mitglieder gewarnt, dass der hoffnungsvolle Ansatz für eine Arbeiter*innenpartei, den die WASG darstellte, durch den Einfluss des PDS-Apparats und der Akzeptanz der PDS-Strategie von Regierungsbeteiligungen mit pro-kapitalistischen Parteien zerstört werden könnte. Leider scheinen sich diese Warnungen nun endgültig zu bestätigen.
15 Jahre DIE LINKE
DIE LINKE hat in diesen fünfzehn Jahren die Quadratur des Kreises versucht. Sie hat versucht inkompatible Politikansätze zu versöhnen. Daraus wurden über viele Jahre zwei Parteien in einer, die irgendwie miteinander auskamen. Die Reformer*innen konnten, da wo sie dominierten und die Möglichkeit dazu hatten in Landesregierungen den Kapitalismus mitverwalten statt ihn zu bekämpfen und auf Bundesebene und in vielen Kreisverbänden beteiligten sich die antikapitalistisch orientierten Kräfte an Bewegungen und Protesten, unterstützten Streiks und verabschiedeten mal mehr mal weniger kluge, antikapitalistisch klingende Texte.
Heute ist das Strömungswirrwarr in der Partei kaum mehr zu durchschauen und haben sich Allianzen gebildet, die keinerlei politische Grundlage mehr haben, sondern nur noch vom Erhalt von Machtpositionen motiviert sind. Sahra Wagenknechts erst migrationsfeindliche und nationalistische, dann corona-schwurblerische und explizit gegen die eigene Partei gerichteten Positionen haben die Parteilinke (und die ganze Partei) schwer getroffen. Die in diesem Prozess entstandene Bewegungslinke konnte vor einem Jahr mit viel Schwung eine starke Position im Parteivorstand erringen. Der derzeitige Zustand der Partei ist auch in besonderem Maße ein Versagen der Bewegungslinken, die versuchte den wichtigen inhaltlichen Fragen durch einen Bewegungs- und Parteiaufbaufetischismus aus dem Weg zu gehen. Sie positionierte sich nicht eindeutig gegen Regierungskoalitionen mit pro-kapitalistischen Parteien und führende Protagonist*innen der Strömung gehören in Bremen zu den Architekt*innen der ersten rot-grün-roten Landesregierung in einem westlichen Bundesland.
Corona
Mit der Corona-Pandemie hat sich eine neue Qualität von systemischer Krise entwickelt. DIE LINKE reagierte darauf nicht mit mehr Systemkritik, sondern zeigte sich unfähig, der bürgerlichen Corona-Politik ein eigenes Konzept entgegenzustellen. Dass ein LINKE-Ministerpräsident an den Bund-Länder-Entscheidungsrunden teilnahm bekam man nur mit, als bekannt wurde, dass dieser bei den Sitzungen gerne Candycrush spielte. Die Straße wurde gleichzeitig den Querdenker*innen überlassen. In zwei Jahren Pandemie war DIE LINKE nicht sichtbar, biederte sich im Wahlkampf SPD und Grünen an und erhielt dafür bei der Bundestagswahl die Quittung, rutschte unter die Fünf-Prozent-Hürde und kam nur durch die Erringung von drei Direktmandaten in Fraktionsstärke in den Bundestag.
Krieg und Frieden
Die Parteilinke nahm das nicht zum Anlass in die Offensive zu gehen, die Parteirechte formulierte ihre Positionen umso selbstbewusster und konnte mit den Regierungseintritten in die Landesregierungen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern Erfolge feiern. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine dient dem rechten Flügel nun dazu, offensiv antimilitaristische Grundpositionen in Frage zu stellen. Susanne Hennig-Wellsow, die nun als Kovorsitzende zurück getreten ist, hatte noch vor wenigen Wochen angekündigt, dass der Parteitag im Juni eine außenpolitische Klärung herbeiführen müsse und diejenigen, die andere Positionen vertreten, sich dann fragen müssten, ob sie in der richtigen Partei sind. Eine Aussage, die als Kampfansage an den linken Flügel verstanden werden musste. Dass Hennig-Wellsow nun zurück getreten ist, mag vordergründig eine Schwächung des rechten Parteiflügels sein, kann aber auch den gegenteiligen Effekt haben. Die Kriegsfrage macht Kompromisse ohnehin schwerer und diejenigen, die schon lange mit NATO und Auslandseinsätzen der Bundeswehr leben können, spüren gerade einen gesellschaftlichen Rückenwind wie nie zuvor, wissen aber auch, dass dieser vorübergehend ist und das derzeit bestehende Zeitfenster aus ihrer Sicht genutzt werden muss. Die als #LinkeMeToo geführte Debatte um den Umgang mit Sexismus in der Partei versuchen so manche Kräfte inner- und außerhalb der LINKEN gegen die, trotz ihrer weitgehenden inhaltlichen Anpassung, dem linken Flügel zuzuordnende nunmehr alleinige Vorsitzende Janine Wissler zu wenden. Gleichzeitig ist das mutmaßliche Ausmaß sexistischen Fehlverhaltens einerseits und der oftmals undifferenzierte und pauschalisierende Umgang damit eine enorme Zerreißprobe für eine Partei, die gerade durch kaum etwas zusammen gehalten wird. Unterstützer*innen Sahra Wagenknechts bringen mehr oder weniger offen zum Ausdruck, dass sie über einen Bruch und eine Parteineugründung nachdenken.
Kurswechsel nötig
Auf Twitter schrieb jemand: „#dielinke ist wie so ein abbruchreifes Haus unter Denkmalschutz das einer Erbgemeinschaft gehört die sich nicht einigen kann.
Sanieren kostet und abreißen und neubauen geht nicht so richtig, also guckt man einfach weiter beim Verfall zu und hofft auf ein Wunder…“ Ein Wunder wird es nicht geben. Sollte sich die Parteirechte mit einer offen pro-imperialistischen außenpolitischen Neuausrichtung durchsetzen und/oder das Wagenknecht-Lager die Krise zum Absprung nutzen, kann das schon im Sommer zum Auseinanderbrechen der Partei führen. Die absehbaren schlechten Ergebnisse bei den anstehenden Landtagswahlen, werden die Krise weiter verschärfen und können ein Faktor für eine solche Entwicklung sein.
Sollte dies ausbleiben, reicht das nicht, um aus der Krise rauszukommen. Möglicherweise kann die Partei dann überleben und angesichts der Tatsache, dass sie die einzige linke Wahlalternative zur Ampel-Koalition ist, auch im Falle zukünftiger Klassenkämpfe und sozialer Bewegungen bei Wahlen wieder zulegen. Ohne einen sozialistischen und kämpferischen Kurswechsel, wird sie aber kaum als dynamische politische Kraft aufgebaut werden können. Sozialist*innen und Parteilinke werden dann eine Debatte darüber führen müssen, auf welchem Weg eine neue Arbeiter*innenpartei aufgebaut werden kann.