Stellungnahme der Revolutionäre Linken (Gauche Révolutionnaire)
Emmanuel Macron hat die Präsidentschaftswahlen gegen Marine Le Pen gewonnen. Die Pläne der Kapitalist*innen sind aufgegangen und haben eine Neuauflage der zweiten Runde von 2017 erzwungen. Unglaublicherweise konnte Macron trotz der grausamen Politik, die er gegen die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung betrieb und trotz der aufgestauten Wut, erneut gewinnen. Wieder war es die Präsenz von Le Pen im zweiten Wahlgang, die Macron den Sieg ermöglichte.
Macron erhielt 58,54 Prozent der abgegebenen Stimmen gegenüber 41,46 Prozent für Le Pen. Der prozentuale Anteil der von Macron gewonnenen Stimmen im Verhältnis zur Gesamtzahl der registrierten Wähler:innen betrug nur 38,52 Prozent. Bei dieser Zahl sind die für diese Wahl besonders hohe Zahl der Wahlenthaltung (28,01 Prozent) sowie die leeren (4,57 Prozent) und die ungültigen Stimmzettel (1,62 Prozent) berücksichtigt. Dies ist das niedrigste Ergebnis seit der Wahl von Georges Pompidou im Jahr 1969, ein Jahr nach dem großen Generalstreik im Mai/Juni 1968.
Es ist also kein großer Sieg. Und schon jetzt sieht es so aus, als würden die Parlamentswahlen Mitte Juni ziemlich umkämpft sein – wie eine dritte Runde. Macron wird jedoch seine Politik fortsetzen und scheint schnell Nägel mit Köpfen machen zu wollen, vor allem bei der Rentenreform, mit der das Rentenalter von 62 auf 64 oder 65 Jahre angehoben werden soll.
Die Wut ist groß
Le Pen gewann 2,6 Millionen Stimmen und Macron verlor 1,9 Millionen Stimmen im Vergleich zu 2017. In Abwesenheit des linksgerichteten Jean-Luc Mélenchon in der zweiten Runde wurde einmal mehr eine Proteststimme gegen Macron vergeblich durch eine Stimme für Marine Le Pen zum Ausdruck gebracht. Aber sie und ihr Rassemblement National (RN) werden zum Beispiel nicht zu Streiks gegen Macrons Politik aufrufen. Ihr Ergebnis ist ein Ausdruck der immensen Wut, die sich in den letzten fünf Jahren gegen Macrons Politik angestaut hat. Macron verlor mehr als 300.000 Stimmen in der Île-de-France, 100.000 in der Hauts-de-France und 120.000 im Grand Est.
Darüber hinaus wurden die meisten Stimmen für Le Pen in den am meisten benachteiligten Regionen abgegeben, die unter den Angriffen der neoliberalen Politik und der Schließung von Fabriken zu leiden haben. Es gibt kein besseres Beispiel als Guadeloupe, wo mehrheitlich für Le Pen gestimmt wurde (nachdem dort im ersten Wahlgang Mélenchon die Mehrheit hatte), obwohl sie dort seit langem nicht mehr Fuß gefasst hat.
Es gab jedoch keinen politischen Erdrutsch zugunsten der RN. Viele Jugendliche und linke Wähler:innen weigerten sich, die Stimme für Le Pen als die Anti-Macron-Stimme zu betrachten, für die sie sich ausgab. Le Pen zu wählen, bedeutete eine noch autoritärere, gewalttätigere, rassistischere und arbeiter*innenfeindlichere Politik zu wählen. Einige dieser Wähler*innen haben sich für Macron und gegen Le Pen entschieden, mit dem Gedanken sich auszusuchen, welchen Gegner sie eher bekämpfen wollen. Daneben weigerten sich jedoch viele zu wählen. Neben den “leeren Stimmen” sind die ungültigen Stimmen und die Stimmenthaltungen besonders wichtig.
Macron und seine Politik besiegen
Macron hat also eine kleine Basis, von der aus er regieren kann. Er wird versuchen, die traditionelle Rechte und einen Teil der EELV [Teil der Europäischen Grünen Partei; A.d.Ü] für sich zu gewinnen. Alle Oppositionskräfte richten ihren Blick auf die Parlamentswahlen, die in nur sechs Wochen stattfinden. Mélenchon war der erste, der darauf hinwies, dass eine Revanche in der “dritten Runde” möglich sei, indem man für die Volksunion (UP) [original: Union Populaire; A.d.Ü] stimmt. Die UP (Mélenchons Wahlplattform) befindet sich in Gesprächen mit der EELV, der PCF (Kommunistische Partei Frankreichs) und der NPA (Neue Antikapitalistische Partei), um eine Einigung über ein Regierungsprogramm zu erzielen – eine Koalition, die einen klaren Bruch mit der Parti Socialiste (PS) [Sozialdemokratie; Anm.d.Ü] und ihrer Politik zugunsten der Kapitalist*innen darstellt.
Die PCF beging einen törichten strategischen Fehler, als sie bei den Präsidentschaftswahlen ihren eigenen Kandidaten, Fabien Roussel, aufstellte und glaubte, besser abschneiden zu können, wenn sie Mélenchon angreifen. Roussel erzielte ein sehr bescheidenes Ergebnis, aber seine 800.000 Stimmen hätten sicherlich ausgereicht, um Mélenchon in die zweite Runde zu bringen, da er Le Pen nur um 400.000 Stimmen unterlag. Das Ziel der PCF war es, ihre alten Allianzen mit der aktuellen Parti Socialiste aufrechtzuerhalten, obwohl diese keine andere Politik verfolgt als Macron (der unter Hollande-Valls Minister der PS war). Die Macron-kompatible Politik war das Wichtigste, das es zu bekämpfen galt, und eine Einigung aller linken Kräfte in der ersten Runde, die Macron und den Kapitalismus bekämpfen wollten, hätte das Ergebnis verändert.
Jetzt ist es für die Union Populaiere sehr schwierig, eine Mehrheit der 577 Parlamentssitze zu gewinnen, selbst wenn sie dazu gewinnt. Ein wirksames Vorgehen gegen Macron und seine Politik wird nur in Verbindung mit einem hohen Maß an Kämpfen der Arbeiter*innenklasse und der Organisierung derjenigen, die kämpfen wollen, in einer Massen-Arbeiter*innenpartei möglich sein.
Angesichts von Macron und Le Pen-Zemmour müssen wir die 7,7 Millionen Stimmen für Mélenchon in eine kämpfende Kraft verwandeln!
Die UP/France Insoumise genießt bei einem Teil der Jugendlichen und der Arbeiter*innen große Aufmerksamkeit. Das Programm der UP hat es ermöglicht, wichtige Forderungen wie das Einfrieren und die Senkung der Preise, die Rente mit maximal 60 Jahren, die Erhöhung der Löhne (mit einem Mindestlohn von 1400 Euro), die Erhöhung der Sozialleistungen, echte öffentliche Dienstleistungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Verkehr, Energie und medizinische Versorgung vorzubringen. Wir dürfen all die, die an den Wahlen teilgenommen haben, nicht im Stich lassen, zumal Macron seine Angriffe nicht einstellen wird und die Medien der Bosse erneut Mélenchon und die France Insoumise angreifen werden. Auch Le Pen und Zemmour werden ihre rassistische Propaganda fortsetzen. Le Pen wird weiterhin vorgeben, das Volk zu verteidigen, während sie in Wirklichkeit gegen eine Erhöhung des Mindestlohns ist.
Die Kampagne um das Parlament wird ein wichtiges Vehikel, wenn es darum geht, die Wut der Arbeiter*innen und jungen Menschen politisch zum Ausdruck zu bringen. Die kommenden Monate können sehr bedeutend werden. Diese Zeit wird für die Konfrontation mit den Kapitalist*innen entscheidend sein, wenn gleichzeitig in den Betrieben, in den Schulen und in den Stadtvierteln Kämpfe gegen Macron und seine Politik organisiert werden.
Der 1. Mai muss der Startschuss für diese Orientierung sein, mit massiven Demonstrationen der Gewerkschaften, der UP und der Organisationen und Verbände, die gegen rassistische und sexistische Diskriminierung kämpfen, in allen Städten Frankreichs… Und die Gewerkschaften sollten diesen 1. Mai zum Auftakt eines organisierten Kampfes machen und bereits jetzt zu einem großen Tag im Mai mit vereinten Warnstreiks gegen Macron und insbesondere gegen die Erhöhung des Rentenalters auf 64 oder 65 Jahre aufrufen.
Die UP kann, wenn sie um ein klareres antikapitalistisches und kämpferisches Programm erweitert wird, eine wesentliche Rolle spielen und ein Instrument sein, um alle, die Widerstand leisten wollen, in den Kampf einzubeziehen. Es sollten Strukturen entwickelt werden – lokale Komitees, Koordinierungsgremien in den Departements und Regionen, nationale Treffen, Diskussionen über Programm und Aktivitäten, mit regelmäßigen Treffen, die Jugendliche und Arbeiter*innen einladen, sich zu organisieren.
Wir müssen auch über die Notwendigkeit einer neuen demokratischen Massenpartei und neue Kämpfe der Jugend und der Arbeiter*innen diskutieren, um Macron und den Kapitalismus zu bekämpfen. Dies ist von grundlegender Bedeutung, um zu gewinnen – ein Schritt in Richtung einer kämpferischen Partei von Arbeiter*innen und Jugendlichen, die für den Sozialismus kämpfen. Das ist die Bedeutung der Arbeit von Gauche Révolutionnaire [Schwesterorganisation der Sol in Frankreich; A.d.Ü] in den kommenden Wochen. Schließt euch uns an!