Über den Umgang mit sexistischen Übergriffen in der Linken und der Arbeiter*innenbewegung
Vorbemerkung: In der Partei DIE LINKE sind in den vergangenen Tagen mehrere Vorwürfe von sexuellen Belästigungen und Übergriffen bekannt geworden. Nach Berichterstattung des SPIEGELs soll es in den letzten Jahren insbesondere in der hessischen und Wiesbadener LINKEN zu Belästigungen und Übergriffen gekommen und sollen führende Mitglieder der Partei wider besseren Wissens untätig geblieben sein. Die Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe. Seit der Veröffentlichung haben sich weitere Mitglieder mit Vorwürfen bei Partei und Jugendverband gemeldet – unter anderem auch unter dem Hashtag #LinkeMeToo.
Die Sol kämpft gegen Sexismus und die Unterdrückung von Frauen. Das gilt auch in den Reihen der Linken und Arbeiter*innenbewegung. Der Kapitalismus reproduziert tagtäglich Ungleichbehandlung und Diskriminierung von Frauen bis hin zu sexistischer Gewalt. Die Spaltung der Arbeiter*innenklasse entlang der Geschlechter dient den Herrschenden dazu, ihre Herrschaft aufrechtzuerhalten. Die Arbeiter*innenbewegung und die Linke existieren nicht in einem Vakuum und in ihnen finden sich deshalb auch Phänomene der bürgerlichen Gesellschaft. Jeder Vorwurf von sexistischem Verhalten und von Übergriffen muss ernst genommen und durch demokratisch gewählte Kommissionen untersucht werden und, sollte er sich bestätigen, Konsequenzen für den oder die Schuldigen haben.
Die Auseinandersetzung mit solchen Vorfällen sollte aber nicht von pro-kapitalistischen Medien diktiert werden, die ihre eigene Agenda hinsichtlich der LINKEN verfolgen.
Anlässlich der aktuellen Debatte in der LINKEN veröffentlichen wir erneut einen Artikel von Angelika Teweleit von der Sol-Bundesleitung. In diesem Artikel stellen wir dar, was die gesellschaftlichen Wurzeln von Sexismus sind, wie und mit welchem Programm wir den Kampf gegen Sexismus in der Gesellschaft und in der Arbeiter*innenbewegung führen, welche praktischen Maßnahmen wir zur Integration und zum Schutz von Frauen in der Linken und Arbeiter*innenbewegung vorschlagen und wie wir und die demokratischen (Kontroll-)Strukturen unserer Organisation mit Vorwürfen von Fehlverhalten umgehen.
In den letzten Jahren gab es in vielen Ländern große Proteste und Bewegungen, die sich gegen Sexismus und Frauenunterdrückung wendeten. Ende 2020 und Anfang 2021 erst hat es erneute Massendemonstrationen in Polen gegen das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs und gegen die Regierung gegeben.
von Angelika Teweleit
In vielen Ländern, wie in Argentinien, Brasilien, Chile, Indien, Pakistan, Spanien, Südafrika, Türkei – um nur einige zu nennen – gab es in den letzten Jahren Proteste von tausenden bis hunderttausenden gegen Vergewaltigungen, häusliche Gewalt und dagegen, dass von staatlicher Seite nicht dagegen vorgegangen wird. Auch für Lohngleichheit gingen allein in der Schweiz 2018 20.000 Menschen auf die Straße. In Arbeitsbereichen, in denen besonders viele Frauen arbeiten, wie in der Krankenpflege, im Einzelhandel oder im Sozial- und Erziehungsdienst, hat es gerade auch in Deutschland in den letzten Jahren eine Zunahme von gewerkschaftlichen Kämpfen gegeben – für bessere Bezahlung, gegen unerträgliche Arbeitsbelastung und mehr Personal.
Doppelte Unterdrückung
Frauen sind noch immer doppelt unterdrückt. Da das jahrhundertealte Rollenbild noch immer nicht verschwunden ist, sind auch die meisten Frauen diejenigen, die sich im Vergleich zu Männern hauptsächlich um die Kindererziehung, den Haushalt und die Pflege der älteren Familienmitglieder kümmern. Nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung verwenden Frauen im Alter von 18 bis 64 Jahren 2,4-mal so viel Zeit für unbezahlte Fürsorgearbeit (Kindererziehung und Pflege älterer oder kranker Familienmitglieder) und auch 1,6-mal so viel Zeit für die Hausarbeit. Noch größer ist der Unterschied, wenn Kleinkinder im Haushalt leben. (Quelle: https://www.boeckler.de/cps/rde/xchg/hbs/hs.xsl/106575_108373.htm)
Doch neben der traditionellen Rollenverteilung gibt es auch andere Faktoren. Frauen verdienen in Deutschland im Schnitt 21 Prozent weniger als Männer. Anstatt dass die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in einer Vollzeitstelle wegen wachsender Produktivität in der Gesellschaft deutlich verringert wird, steigt sie in der Tendenz wieder an. Das führt dazu, dass in vielen Familien-Haushalten entschieden wird, dass eine Person die Arbeitszeit zugunsten der Erziehungsarbeit kleiner Kinder oder auch der Pflege von Älteren reduziert. Es ist klar, dass das dann eher die Person mit dem geringeren Einkommen trifft – in den meisten Fällen die Frau.
Diese Situation bedeutet in Zeiten von Pandemie und Lockdown häufig eine besonders erschwerte Situation für Frauen der Arbeiter*innenklasse. Viele leiden unter der Doppelbelastung von Home-Schooling, Haushalt und Arbeit (zu Hause oder im Betrieb), oder auch unter der Schließung der Kitas. Natürlich macht es einen großen Unterschied, ob man in einer Villa oder in einer zu kleinen und dennoch überteuerten Wohnung lebt. Beengte Wohnverhältnisse führen zu einer Zunahme von Konflikten und Stress, und leider in vielen Familien auch zu einer Zunahme von Gewalt. Opfer der häuslichen Gewalt sind in der Mehrzahl der Fälle Kinder und Frauen. Wenn dann noch das Einkommen durch Arbeitsplatzverlust oder Kurzarbeit schwindet, wird es umso schwieriger, einen Ausweg aus der Lage zu finden. Auch Alleinerziehende haben viele zusätzliche Probleme durch den Lockdown, insbesondere durch die doppelte Belastung von Arbeit und Kinderbetreuung, die vielfach nur schwer zu lösen ist. Mehr als ein Drittel alleinerziehender Frauen mit ihren Kindern sind ohnehin armutsgefährdet.
All diese Faktoren erklären, warum viele Frauen die Nase voll haben und für eine Verbesserung ihrer Lebenssituation kämpfen wollen.
Rollenbilder im Kapitalismus
Dazu ist auch nötig, sich über die besonderen Belastungen von Frauen bewusst zu werden. Sexismus ist eine alltägliche Erscheinung, die fast alle Lebensbereiche in der heutigen Gesellschaft durchdringt. Allerdings ist das Bewusstsein darüber nur bei einer Minderheit vorhanden – sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Dass sogar Frauen manchmal die Lohnungleichheit immer noch ganz “normal” finden, fällt nicht nur in Alltagsgesprächen auf, sondern wurde auch einer Studie eines Professors für Empirische Sozialforschung festgestellt. https://www.lizzynet.de/wws/gewohnt-unfair.php
Sexistisches und erniedrigendes Verhalten von Männern gegenüber Frauen wird offiziell verpönt, doch im Alltag sieht es meistens anders aus. Auch die traditionelle Rollenverteilung wird in der Realität kaum hinterfragt. Diese Rollenverteilung ist keine natürliche, wie es noch immer viele meinen. Diese tradierten Rollenvorstellungen existieren auch nach wie vor in vielen Köpfen der Erwachsenen. Die Frage, ob mit dem Jungen “was nicht stimmt”, weil er mit Puppen spielt anstatt mit Autos, kommt sicher noch viel zu häufig vor. Genauso die Vorstellung, dass Mädchen von Natur aus lieber mit Puppen spielen. Diese alten, eigentlich völlig überholten Vorstellungen werden in der Kindespielzeug- und Kinderfilmindustrie häufig wiederholt. Sogar die Überraschungseier gibt es in pink und blau und mit entsprechend unterschiedlichem Inhalt.
In der Erwachsenenwelt sieht es nicht besser aus. Hier geht es vor allem darum, mit der Vermarktung des weiblichen Körpers und der Schaffung eines Schönheitsbildes Profite zu machen. Die BILD ist daher voll mit Fotos von nackten Frauenkörpern. Entsprechend “normal” wird diese Darstellung von Frauenkörpern empfunden. Wenn Frauen dies kritisieren, werden sie häufig als verklemmt oder humorlos hingestellt.
Hier hat es – im Vergleich zu den 70/80iger Jahren einen teilweisen Rollback gegeben. Damals hatten soziale Bewegungen und stärkeren Klassenkämpfe die Wirkung, alte Rollenbilder in Frage zu stellen und eher zurückzudrängen. Die letzte Phase der Politik des Neoliberalismus und weniger starker Kämpfe hat in vielerlei Hinsicht auch eine Rückkehr von sexistischen Vorurteilen begünstigt, wobei das teilweise in neuen Gewändern versteckt wird.
Bilder aus Werbung, Videoclips, Filmen oder Boulevardblättern haben einen Effekt. Es wird als völlig normal suggeriert, Frauenkörper ständig einer Bewertung zu unterziehen. Das trägt dazu bei, dass Frauen letztlich doch – zumindest teilweise – als Objekt gesehen werden.
Waren es in den 60/70iger Jahren vor allem willige Sexobjekte eines James Bond oder kreischende hilflose Opfer in Western, so findet man bei einigen Rappern heute eine krasse Form brutaler und gewaltverherrlichender Macho-Kultur. So heißt es bei “Trailerpark” zum Beispiel “Wann im Leben chillst du mal mit echten Stars? 9 von 10 haben an ‘nem Gangrape Spaß”.
Dazu kommt – aufgrund der ökonomischen Schlechterstellung, dass Frauen leichter in eine materielle Abhängigkeit von ihren Partnern geraten. Wenn Frauen als Objekte gesehen werden und dann auch noch weniger Chancen haben, allein ihren Lebensunterhalt und den ihrer Kinder zu bestreiten, ist auch logisch, dass sie schneller in die Opferposition gelangen.
Gewalt im eigenen Zuhause
Häusliche Gewalt ist kein Kavaliersdelikt und ist ein weit verbreitetes Phänomen im Kapitalismus. Jede vierte Frau in Deutschland ist in ihrem Leben davon betroffen. Gewalt gegen Frauen entspringt der tief verwurzelten Idee, dass Frauen Männern „gehören“, und dass Männer das Recht hätten (oder von Natur aus dazu veranlagt wären), Gewalt und Zwang zu nutzen, um das durchzusetzen. Diese Einstellung hat sich über einen langen Zeitraum entwickelt und begann schon lange vor dem Kapitalismus.
Marxistische Analyse der Frauenunterdrückung
Friedrich Engels hat als einer der Ersten die Herkunft dieses Machtverhältnisses beschrieben. Im Buch „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“ schreibt er: „Der Umsturz des Mutterrechts war die weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts. Der Mann ergriff das Steuer auch im Hause, die Frau wurde entwürdigt, geknechtet, Sklavin seiner Lust und bloßes Werkzeug der Kinderzeugung. Diese erniedrigte Stellung der Frau, wie sie namentlich bei den Griechen der heroischen und noch mehr der klassischen Zeit offen hervortritt, ist allmählich beschönigt und verheuchelt, auch stellenweise in mildere Form gekleidet worden; beseitigt ist sie keineswegs.“ Der Kapitalismus hebt diese Machtverhältnisse nicht auf, sondern er reproduziert diese auf vielfältige Weise.
Kampf gegen Sexismus in der Arbeiter*innenbewegung
Da Sexismus in der Gesellschaft tief verwurzelt ist, reicht das Phänomen in alle Organisationen hinein, in Gewerkschaften, linke Parteien und sogar sozialistische Organisationen. Es ist wichtig, gegen Sexismus in der Arbeiter*innenbewegung und sozialistischen Organisationen konsequent vorzugehen.
In Arbeitskämpfen und Tarifauseinandersetzungen – als Beschäftigte in Krankenhäusern, Kitas und anderen – spielen Kolleginnen oft eine aktive und mutige Rolle. In der “Alltagsarbeit” von Betriebsräten und Gewerkschaften spiegelt sich das nicht immer wieder, und ist der Anteil von Frauen oft im Verhältnis geringer. AktivistInnen in den Arbeiter*innenorganisationen sollten sich nicht damit abfinden, sondern einen bewussten Kampf darum führen, dass Frauen Bedingungen vorfinden, in denen sie eine aktive Rolle spielen können.
Der Umgang mit Sexismus in allen Facetten darf nicht den Frauen individuell als Problem überlassen werden. Die Arbeiter*innenorganisationen müssen dieses Phänomen bekämpfen und eine kollektive Antwort darauf geben. Zentral ist die Erkenntnis, dass nur der gemeinsame Kampf die Verbesserung der Lage der Arbeiter*innenklasse erreichen kann und jegliche Spaltung, auch entlang der Geschlechter, zur Schwächung führt. Auch die männlichen Kollegen sollen erkennen, dass ihre Löhne und Arbeitsbedingungen sich nicht verbessern, sondern im Gegenteil die Spirale sich nach unten dreht, wenn ihre Kolleginnen weniger verdienen oder härter arbeiten sollen.
Die Gewerkschaften könnten – viel mehr, als das momentan der Fall ist – eine zentrale Rolle bei der Zurückdrängung von sexistischen Vorstellungen und Verhaltensweisen spielen, indem sie diese Frage bewusst in die Betriebe und Gremien hineintragen und positive Beispiele setzen. 2019 gab es einen beeindruckenden Sieg für weibliche Beschäftigte in Glasgow. Die 8000 städtischen Angestellten mit Niedriglöhnen, die zum großen Teil Frauen waren, hatten im Oktober 2018 für gleiche Bezahlung gestreikt. Es gab enorme Solidarität in der gesamten Stadt für ihren Streik und als das Management gegen sie vorgehen wollten traten 600 Arbeiter*innen der Müllabfuhr, die zum größten Teil Männer waren, in einen Solidaritätsstreik. 2019 gab es dann eine Einigung: die Stadt Glasgow musste den Arbeiter*innen nicht nur höhere Löhne zahlen, sondern auch noch Millionen Pfund für rückwirkende Ausgleichszahlungen zugestehen. Ein solches Beispiel macht praktisch deutlich, was für einen Unterschied es macht, wenn Beschäftigte gemeinsam kämpfen und sich gegenseitig unterstützen. Zudem war dies eine wichtige Erfahrung für alle Beteiligten, die zur Verdrängung von sexistischen Haltungen in der Arbeiter*innenklasse beitragen kann. Mitglieder der Socialist Party in Schottland (Schwesterorganisation der Sol im CWI) haben hier als Gewerkschaftsaktive eine führende Rolle gespielt.
Ein anderes, etwas weiter zurückliegendes, Beispiel aus Großbritannien macht ebenfalls deutlich, was die Rolle von Gewerkschaften im Kampf gegen Sexismus und für Einheit der Arbeiter*innenklasse sein könnte. In den 1990ern Jahren haben Mitglieder von Militant Labour (Vorgängerorganisation der Socialist Party, der englisch-walisischen Sektion des CWI) in den Gewerkschaften gemeinsam mit anderen die “Campaign against domestic violence” (CADV – Kampagne gegen häusliche Gewalt) auf den Weg gebracht. Einige Gewerkschaften und Gewerkschaftsuntergliederungen traten der Kampagne bei, die sich zum Ziel setzte, das weit verbreitete Problem häuslicher Gewalt auf die Tagesordnung zu setzen, in den Betrieben und Gewerkschaften darüber zu diskutieren, es zu skandalisieren, und somit zu bekämpfen.
Rolle der Gewerkschaften
Von großem Wert ist dabei noch heute, wie die Rolle der Gewerkschaften im Kampf gegen Sexismus erklärt wird. Im Material der CADV heißt es:
“Gewerkschaften repräsentieren einen großen Teil der Bevölkerung. Wenn sie dieses Thema [der häuslichen Gewalt gegen Frauen] ernst nehmen, können sie eine große Wirkung auf die öffentliche Meinung haben, Einfluss auf die Politik ausüben, sowie auch auf das Verhalten ihrer eigenen Mitglieder.” Es wurden Poster und Flugblätter produziert und Diskussionen in Gewerkschafts- und Betriebsversammlungen organisiert. Weiter heißt es “Diskussionen können auch ausgeweitet werden, um zu erreichen, dass der Arbeitsplatz kein Ort ist, an dem Frauen eingeschüchtert werden. Zum Beispiel, indem man eine Diskussion über “Pinups”, sexistisches Verhalten und Gewalt initiiert, und es in Verbindung mit der allgemeinen Position der Frau in der Gesellschaft bringt. Vertrauensleute müssen geschult werden. Sie müssen wissen, warum Gewalt gegen Frauen ein Thema für Gewerkschaften ist und sie befähigen, Fälle aufzugreifen (…).”
Diese Punkte geben eine Idee davon, welche Rolle die Gewerkschaften auch hier und heute spielen könnten, um die öffentliche Debatte zu beeinflussen. Eine solche breite Kampagne könnte auch helfen, Gewalt gegen Frauen insgesamt zu bekämpfen sowie das Bewusstsein über sexistisches Verhalten zu stärken.
Umgang mit Sexismus in sozialistischen Organisationen
SozialistInnen sind gefordert, auch in ihrer eigenen Organisation sicherzustellen, dass sexistisches Verhalten konsequent bekämpft wird. Frauen sollen sich ermutigt fühlen, sich zu beteiligen und eine führende Rolle zu spielen. Sexistische Vorurteile und Verhalten sind so tief verankert in der Gesellschaft und in der Psychologie der Menschen, dass auch Mitglieder einer sozialistischen Organisation nicht frei davon sind. Daher ist ein bewusster Umgang mit dem Thema nötig. Das CWI hat auf seinem weltweiten Kongress Anfang 2016 in einer Resolution zum Thema Frauen bekräftigt:
“Es ist wesentlich, besondere Anstrengungen für die politische Entwicklung und insbesondere das politische Selbstvertrauen unserer Genossinnen zu unternehmen. CWI-Sektionen sollten regelmäßig über mögliche Maßnahmen nachdenken und diskutieren, die geeignet erscheinen, mehr Frauen im Leben der Sektion und in Führungsrollen zu beteiligen.”
Bewusstseinsbildung
Auch die Sol, die deutsche Mitgliedsorganisation des CWI, unternimmt besondere Anstrengungen. Erste Voraussetzung ist eine bewusste fortlaufende Diskussion und Bewusstseinsbildung zu den wichtige frauenpolitischen Fragen auf allen Ebenen. Wir haben in den letzten Jahren viele Artikel zu unterschiedlichen Aspekten verfasst und herausgegeben. Unter anderem eine Broschüre zu Prostitution, das Buch „Es muss nicht bleiben, wie es ist“ und eine Broschüre mit Texten Leo Trotzkis zum Thema „Frau, Familie, Revolution”, sowie unterschiedliche Texte zur Geschichte der Frauenbewegung im Manifest-Verlag. Neben der Auseinandersetzung mit Artikeln und Texten ist es nötig, Diskussionen in den Ortsgruppen wie auf bundesweiten Treffen zu führen. Solche organisierten Diskussionen helfen nicht nur, das Bewusstsein in der Organisation zu frauenpolitischen Fragen zu stärken. Es dient auch als politische Vorbereitung und Hilfestellung, um in den Bewegungen und Kämpfen von Frauen eine aktivere Rolle spielen zu können.
Unsere Mitglieder haben sich auch an vielen Aktivitäten und Protesten beteiligt, unter anderem an erfolgreichen Protesten gegen die reaktionäre und gewalttätige Männergruppe “Return of the kings” , oder auch – nach den Vorfällen der Silvesternacht 2016 in Köln – mit anderen gemeinsam Proteste gegen Rassismus und Sexismus organisiert. Beim internationalen Frauentag 2017 haben wir in einigen Orten geholfen, Proteste zu organisieren. Und nicht zuletzt haben unsere Mitglieder einen wichtigen Beitrag zum Streik an der Berliner Charité für mehr Personal, einem Bereich, wo vor allem Frauen arbeiten, geleistet.
Die Sol ist eine kämpfende Organisation, die Interesse daran hat, dass sich alle Mitglieder einbringen können. Eine wichtiges Ziel ist, dass die Mitglieder ein wachsendes Verständnis des Marxismus entwickeln, um die marxistische Theorie und Methode als Grundlage für das Handeln anwenden zu können. Damit die Mitglieder – unabhängig von ihrem Geschlecht, aber auch von ihrer sozialen Herkunft, ihrem Alter und anderen Faktoren – sich am Leben der Organisation beteiligen können, sind verschiedene Maßnahmen von Bedeutung.
Die gewählte (und jederzeit abwählbare) Leitung der Organisation achtet beispielsweise auf eine ausgewogene Geschlechterverteilung bei Artikeln für die Zeitung und das Magazin, sowie für Reden bei Veranstaltungen und Treffen, soweit dies möglich ist.
Praktische Maßnahmen
Da Frauen immer noch häufiger eine Hauptrolle in der Kindererziehung übernehmen, ist es wichtig, eine Kinderbetreuung anzubieten, um eine Teilnahme an Treffen zu ermöglichen. (In kleineren Ortsgruppen kann dies schwieriger sein, trotzdem sollten auch hier die Möglichkeiten geprüft und Ziele gesetzt werden.) Natürlich sollte auch Vätern dieses Angebot gemacht werden. Es ist wichtig, dass die örtlichen Führungsgremien den Bedarf abfragen und nicht darauf warten, dass die Betroffenen sich bemerkbar machen. Auch wenn ein Mitglied gern an einer Aktivität teilnehmen würde, aber aufgrund fehlender Kinderbetreuung nicht in der Lage ist, sollte der Ortsgruppenvorstand versuchen, gemeinsam mit dem betroffenen Elternteil eine Lösung zu finden. Nicht immer kann ein Kind in eine Kinderbetreuung gegeben werden. Das heißt nicht, dass das betroffene Elternteil mangelndes Interesse an der Teilnahme hat. Gerade gegenüber Frauen (und Männern), die kleine Kinder haben, ist deshalb wichtig, dass die Organisation ihre Situation versteht und trotzdem alles tut, um sie einzubeziehen und mit ihnen diskutiert, wie sie sich trotz Einschränkungen beteiligen und ausbilden können. Unter den Bedingungen des Lockdowns, die neue Herausforderungen stellen, sollte der Ortsgruppenvorstand sich nach den besonderen Problemlagen der Mitglieder erkundigen, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen.
Auch andere praktische Fragen müssen diskutiert werden. Gerade für junge Frauen kann (wenn Treffen wieder physisch stattfinden und nicht online) auch der sichere Heimweg nach den Treffen der Ortsgruppe ein Thema sein, welches der Ortsgruppenvorstand zu diskutieren und zu lösen hat.
Teilnahme aller
In der Sol sind politische Diskussionen auf allen Ebenen zentraler Bestandteil für das gemeinsame Agieren. Eine wichtige Grundlage sind funktionierende Ortsgruppen mit funktionierenden OG-Vorständen. Wenn ein Treffen nicht gut organisiert und vorbereitet ist, besteht ein höheres Risiko, dass es von Teilnehmer*innen mit höherem Selbstbewusstsein dominiert wird. Frauen werden davon in der Tendenz am stärksten getroffen.
Die Stärkung des Selbstvertrauens aller sollte als kollektive Aufgabe verstanden werden. Grundsätzlich sind alle Beiträge – vom neusten Mitglied bis hin zum erfahrensten – wichtig und wertvoll. Langjährige Mitglieder verfügen oftmals über mehr Wissen und Erfahrung. Es ist wichtig, dass sie dies auch an andere Mitglieder weitergeben und dieser Erfahrungsschatz optimal für den politischen Kampf genutzt werden kann. Gleichzeitig ist wichtig, dass auf den Treffen eine Atmosphäre herrscht, in der sich alle Mitglieder ermutigt fühlen, Beiträge zu machen, auch wenn sie nur kurz sind oder wenn es “nur” Fragen sind.
Bei Treffen gibt es in der Regel eine Diskussionsleitung, deren Aufgabe darin besteht, die Diskussion politisch zu leiten. Ohne starre Regeln der Quotierung sollte die Diskussionsleitung darauf achten, dass sich Frauen oder auch neuere oder stillere Mitglieder ermutigt fühlen, an der Diskussion teilzunehmen, als auch dass langjährige Mitglieder ihre Punkte ausführen können.
Wenn ein Mitglied sich vom Auftreten oder Verhalten eines anderen Mitglieds eingeschüchtert fühlt, sollte sie oder er sich ermutigt fühlen, das mit einem Mitglied ihres/seines Vertrauens anzusprechen. Dieses Mitglied sollte das dann mit dem Ortsgruppenvorstand oder einem anderen führenden Mitglied der Organisation (aus Stadt- oder Bundesvorstand) ansprechen, so dass das Problem angegangen werden kann. In der Regel wird ein Hinweis an die- oder denjenigen helfen, dass sein oder ihr Verhalten als einschüchternd empfunden wurde. In einem gemeinsamen und solidarischen Diskussionsprozess – am besten unter den betreffenden Mitgliedern – sollte gemeinsam nach Lösungen gesucht werden.
Sexistisches Verhalten
Manchmal kann es aber auch zu sexistischen Vorfällen kommen. Die Sol duldet ein solches Verhalten nicht. Schon beim Eintrittsgespräch sollte deutlich gemacht werden, dass die Sol eine Organisation ist, die einen Kampf gegen Rassismus, Sexismus, Homophobie und andere Arten der Diskriminierung in der Gesellschaft führt, und solche Einstellungen in der Organisation keinen Platz haben. Es ist wichtig, dass führende Mitglieder darauf achten und ein solches Verhalten mit der betreffenden Person ansprechen. Wenn sich ein Mitglied über sexistisches Verhalten beschwert, muss dies unbedingt ernst genommen und sollte in Rücksprache mit der Betroffenen geklärt werden. Wenn der (möglicherweise auch die) Beschuldigte noch nicht lange Mitglied in der Organisation ist, wird zunächst wichtig sein, eine ausführliche klärende Diskussion mit ihm/ihr zu führen und somit eine Änderung des Verhaltens herbeizuführen. Von langjährigen Mitgliedern mit Erfahrung wird erwartet, dass sie ein Bewusstsein in diesen Fragen entwickelt haben. Dennoch sind – aufgrund des alltäglichen Einprasselns sexistischer Stereotype – sowohl männliche als auch weibliche Mitglieder natürlich nicht völlig dagegen immun, und es kann zu unbeabsichtigter Reproduktion von Stereotypen kommen. Es kommt vor allem auf die Reaktion und Bereitschaft an, das Verhalten zu erkennen und zu ändern.
Methode im Umgang mit sexistischen Übergriffen
Die Sol duldet keine sexistischen Übergriffe und Gewalt, weder verbal noch physisch, sei es in den eigenen vier Wänden oder bei politischen oder sozialen Aktivitäten der Organisation.
Die Organisation kann keine Verantwortung für das Handeln von Individuen übernehmen, aber sie hat eine Verantwortung zu handeln. Ein Mitglied, das eine andere Person belästigt oder einen sexistischen Übergriff begeht, sollte von der Organisation zur Verantwortung gezogen werden.
Wenn ein Mitglied der Sol der Anwendung von Gewalt, Drohungen oder sexuellen Übergriffen gegen eine andere Person (egal ob Mitglied der Organisation oder nicht) beschuldigt wird, wird die Organisation in der Regel eine eigenständige Untersuchung durchführen.
Aus dem Leitfaden für Vertrauensleute aus dem Material der CADV (siehe oben) für den Umgang mit Fällen von Gewalt gegen Frauen sind viele wichtige Anhaltspunkte, die auch heute von Nutzen sind – sowohl für den Umgang mit häuslicher Gewalt als auch mit sonstigen sexistischen Übergriffen und Vergewaltigungen.
Hier wird zum Beispiel festgehalten, dass eine unterstützende und sensible Haltung gegenüber der betroffenen Frau an erster Stelle stehen muss, sowie für ihre Sicherheit zu sorgen. Dies gilt nicht nur, wenn ein Übergriff stattgefunden hat, sondern auch, wenn damit gedroht wurde. Es darf keine die Frauen verurteilende oder abwertende Haltung eingenommen werden. Beispielsweise ist es wichtig zu wissen, dass es erfahrungsgemäß ein langer Prozess sein kann, bis eine Frau sich aus einer Beziehung mit einem gewalttätigen Partner löst und zunächst oft versucht, die Beziehung zu retten, und darauf hofft, dass sich etwas ändert. Ein wichtiger Bestandteil des Leitfadens ist zudem der vertrauliche Umgang mit Informationen.
Vorgehen bei sexistischem Übergriff
Alle Vorwürfe müssen ernst genommen werden. Zunächst ist es die Aufgabe der gewählten Führungsgremien in der Sol, im Fall eines sexistischen Übergriffs zu agieren, sofortige Maßnahmen zum Schutz der Betroffenen zu ergreifen und – in Rücksprache mit der Betroffenen – eine Untersuchung des Falls in die Wege zu leiten.
Unmittelbar muss sicher gestellt sein, dass die vom Übergriff betroffene Person betreut wird, und alle Maßnahmen, die aus ihrer Sicht notwendig sind, ergriffen werden, damit sie sich sicher bewegen kann. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass der Beschuldigte nicht an Treffen teilnehmen darf, auch wenn der Fall noch nicht abschließend untersucht worden ist.
Außerdem sollte die Betroffene nicht allein gelassen werden. Wenn nötig, ist eine professionelle psychologische Betreuung sinnvoll, wobei die Organisation Hilfestellung geben sollte, diese zu organisieren. In Fällen von häuslicher Gewalt oder Gewalt in einer Beziehung sind besondere Maßnahmen zu ergreifen, die auch die Hinzuziehung von sozialen Einrichtungen beinhalten kann. Außerdem sollte der Betroffenen angeboten werden, sie zu unterstützen, wenn sie Anzeige erstatten möchte.
Anzeige
Selten bekommen Frauen, die eine Vergewaltigung zur Anzeige bringen, Recht. Selbst nach der Gesetzesänderung, nach der eine sexuelle Handlung gegen den erkennbaren Willen einer Person strafbar ist, gab es weitere skandalöse Fälle von Gerichtsurteilen. Dennoch unterstützt die Sol Betroffene, wenn sie Anzeige erstatten möchten. Die Sol wird Betroffene nicht dazu drängen, Anzeige zu erstatten, hält in der Regel im Falle von Vergewaltigungen und sexistischer Gewalt eine Anzeige jedoch für sinnvoll (wobei es davon sicher Ausnahmen geben kann). Dies, weil in der bürgerlichen Gesellschaft die Zahl der zur Anzeige gebrachten sexistischen Gewalttaten eine wichtige Auswirkung auf die gesellschaftliche Wahrnehmung des Problems hat und weil unter den Bedingungen des kapitalistischen Staates Gewalttäter, von denen eine Gefahr für Frauen ausgeht, nur durch diesen aus dem Verkehr gezogen werden können.
Eigenständige Untersuchung
Auch, wenn in den allermeisten Fällen davon auszugehen ist, dass von sexistischen Übergriffen Betroffene die Wahrheit sagen, ist dies dennoch nicht immer der Fall. Der Kapitalismus verzerrt alle menschlichen Beziehungen und das betrifft beide Geschlechter. Zu der Schlussfolgerung zu kommen, dass wir in einer Gesellschaft leben, wo Frauen und Kinder unterdrückt sind, heißt nicht, dass es nicht auch Fälle falscher Anschuldigungen geben kann. Dazu kommt, gerade für Linke und Menschen, die gegen die herrschenden Verhältnisse aufbegehren, dass den Gegnern – sei es der Arbeitgeber, der Staat oder politische Gegner – jedes Mittel recht ist, um den Kampf gegen die Auswirkungen ihrer Politik und ihres Systems zu schwächen. Dabei kann es auch zu fabrizierten Anschuldigungen kommen.
Die Sol teilt daher nicht die von manchen Organisationen vertretene Position, dass die Definitionsmacht automatisch beim Opfer liegt. Deshalb leitet die Sol eine eigenständige Untersuchung des Falles ein, um danach zu entscheiden, welche Schritte von der Organisation gegenüber dem Beschuldigten eingeleitet werden. Manchmal kann es vorkommen, dass die Betroffene keine disziplinarischen Maßnahmen wünscht. Die Organisation muss in diesem Fall jedoch entscheiden, was nötig ist, auch um andere zu schützen, die möglicherweise in der Zukunft betroffen sein könnten. Dennoch sollte jede Maßnahme in Rücksprache mit der Betroffenen geschehen.
Wichtig für die Untersuchung ist, dass sie von erfahrenen Mitgliedern aus der gewählten Führung der Organisation durchgeführt wird, und diese unabhängig von ihrer persönlichen Beziehung zum Oper oder dem Täter agieren. Dabei kann es auch sinnvoll sein, dass bestimmte Mitglieder aufgrund ihrer persönlichen Betroffenheit nicht selbst an der Untersuchung beteiligt sind. In bestimmten Fällen kann es sinnvoll sein, dass die Leitung eine Untersuchungskommission einsetzt.
In der Untersuchung sollte sich mit Befragungen der Betroffenen und möglichen Zeug*innen ein Bild verschafft werden. Entsprechend der Ergebnisse wird eine Empfehlung für den Umgang damit erarbeitet.
Maßnahmen
Ein Mitglied, das sexualisierte Gewalt ausgeübt oder jemanden belästigt hat, kann auf verschiedene Weise reagieren. Wenn das Mitglied seine Taten eingesteht, besteht die Möglichkeit sich zu verändern. Es kann entschieden werden, dass das Mitglied für eine Weile seine politische Aktivität darauf konzentriert, sein Bewusstsein zu diesen Themen zu verbessern und das Verhalten zu ändern. Die Organisation hat die Verantwortung, die Ergebnisse zu überprüfen und zu entscheiden, ob und auf welcher Ebene die Person in der Organisation aktiv sein darf.
Die Organisation kann nach Untersuchungen entscheiden, Mitglieder auszuschließen, deren Verhalten als inakzeptabel erkannt wurde.
Umgang mit Informationen
Die demokratisch gewählten Gremien der Sol entscheiden in Rücksprache mit der Betroffenen darüber, wer in die Diskussion und Untersuchung einbezogen, wer informiert wird und in welcher Form und zu welchem Zeitpunkt eine Berichterstattung stattfindet. Diese Frage hängt von so vielen unterschiedlichen Faktoren ab, dass dazu keine festen Regeln aufgestellt werden können. Dazu zählt unter anderem die Schwere des Falles, der Wunsch der von einem Übergriff betroffenen Person, die zu erwartenden Folgen für die Betroffene und die Organisation.
Kontrolle durch die Mitgliedschaft
Die demokratisch gewählten Leitungsgremien der Sol sind jederzeit abwählbar und gegenüber der Mitgliedschaft rechenschaftspflichtig. Um ein korrektes Vorgehen und die Kontrolle der gewählten Leitungsorgane sicherzustellen, wird auf der Bundeskonferenz, dem höchsten beschlussfassenden Organ der Sol, eine Kontrollkommission gewählt. Diese muss mindestens zur Hälfte aus weiblichen Mitgliedern bestehen und die Mehrheit ihrer Mitglieder darf nicht gleichzeitig im Bundesvorstand sein.
Diese Kontrollkommission kann jederzeit angerufen werden, zum Beispiel wenn ein Mitglied in einem Fall von sexistischem Verhalten der Meinung sein sollte, dass die Leitungsorgane nicht ausreichend reagiert haben oder dass eine falsche Entscheidung getroffen wurde. (Genaueres ist dem Statut des Sol zu entnehmen.)
Wichtig ist: Ein Mitglied, das einen sexistischen Übergriff melden möchte, sollte sich entweder an ein Mitglied seines Vertrauens wenden oder natürlich direkt an die gewählten Gremien. Jedes Mitglied, das Informationen über einen Übergriff erhält, sollte in Rücksprache mit der Betroffenen das jeweilige gewählte Führungsgremium vor Ort, die Bundesleitung oder auch die Kontrollkommission informieren.
Sensibler Umgang
In einer Situation, in der eine Betroffene oder auch ein Zeuge oder Zeugin nicht möchte, dass andere informiert werden, wird allen Mitgliedern empfohlen – Mitglieder mit gewählten Funktionen in der Organisation sind dazu verpflichtet – sensibel zu erklären, dass die Organisation Sexismus oder andere Formen von Unterdrückung nicht akzeptieren kann und dass es wichtig ist, dieses Verhalten zu stoppen. Es ist wichtig für die Betroffene selbst, um weitere Übergriffe zu verhindern, aber auch, damit andere nicht gefährdet sind. Es sollte auch erklärt werden, dass es Möglichkeiten gibt, eine Untersuchung zu organisieren, an der nur wenige Andere teilnehmen und dass damit diskret umgegangen werden kann.
Insgesamt sollte vermittelt werden, dass es besser ist, sich so frühzeitig wie möglich mit einem aufkommenden Problem zu befassen, als Gefahr zu laufen, dass es irgendwann explodiert und zu einem riesigen Problem für Betroffene und für die Organisation wird beziehungsweise Schlimmeres passiert. Daher ist es auch besser, Verdachtsfälle mit gewählten Leitungsgremien anzusprechen. Wenn ein Verdacht sich nicht bestätigt, werden die Leitungsgremien ebenso sensibel damit umgehen und es ist umso besser, auch für die verdächtigte Person, wenn es geklärt wurde, als wenn der Verdacht unausgesprochen bestehen bleibt.
Demokratische Prinzipien der Arbeiter*innenbewegung
Mit diesen Prinzipien, die sich aus den besten Traditionen der Arbeiterbewegung ergeben, will die Sol eine Organisation aufbauen, in der Frauen leicht ihren Platz finden, um diesem patriarchalen System des Kapitalismus ein nahes Ende zu bereiten. Mehr noch, mit diesen Prinzipien hofft die Sol auch ein Beispiel für andere Organisationen der Arbeiter*innenbewegung zu sein. Mit wachsendem Einfluss wird es auch gelingen, eine noch größere Rolle in Kämpfen für die Gleichstellung der Frau in der Gesellschaft zu spielen.
Die feministische Rapperin Ana Tijoux sagt: “Feminismus und Anti-Patriachat ist ohne Antikapitalismus, ohne Antifaschismus und Antirassismus, ohne Klassenkampf nicht denkbar” und “Feminismus ist Befreiung und deshalb müssen wir uns von der Unterdrückung durch das Kapital befreien.” Damit knüpft sie an die Erkenntnis der ersten MarxistInnen an: Der Kampf gegen Sexismus muss mit dem Kampf für eine neue, sozialistische Gesellschaft verbunden werden. Die bisher größte revolutionäre Umwälzung der Gesellschaft begann am 8. März 1917 (nach dem damaligen julianischen Kalender in Russland am 23.Februar) mit den Streiks der Textilarbeiterinnen in einer Reihe von Fabriken in Sankt Petersburg. Arbeiter schlossen sich an und das öffnete die Schleusen für den Sturz des Zaren und die russische Revolution, die dann im Oktober zum ersten Mal in der Geschichte dazu führte, dass die Arbeiter*innenklasse die Macht übernahm.
Aufbruch durch soziale und revolutionäre Bewegungen
Welche Auswirkung der Kampf für eine sozialistische Gesellschaft auf die Situation der Frauen hat, zeigen die – für die damalige Zeit in einem rückständigen Land – weitreichenden Reformen, die in der jungen Sowjetunion nach 1917 beschlossen wurden. Zum Beispiel wurde die Ehe zu einem einfachen Verwaltungsakt, beide Partner*innen hatten das Recht, sich scheiden zu lassen. Alle Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch brauchten, konnten diesen legal und kostenlos vornehmen lassen. Homosexualität wurde legalisiert. Vergewaltigung in der Ehe wurde strafbar – in Deutschland war das erst 1997 der Fall! Das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit” wurde eingeführt. Neue Arbeitsschutzgesetze verbesserten die Situation der Arbeiterinnen. Sie hatten jetzt Anspruch auf 16 Wochen bezahlten Mutterschutz; stillende Mütter mussten nur noch vier Tage in der Woche arbeiten und hatten ein Recht auf regelmäßige Stillpausen.
Leider konnte sich die junge Sowjetunion – aus verschiedenen Gründen, die hier nicht ausgeführt werden können – nicht zu einem demokratischen Arbeiter*innenstaat entwickeln. Je mehr der Stalinismus die Demokratie in der Gesellschaft beseitigte, desto mehr ging er dazu über, soziale Errungenschaften der Revolution einzuschränken. In der Familienpolitik bedeutete das eine Stärkung der traditionellen Familienform und eine Betonung der Ehe als einziger akzeptierter Form des Zusammenlebens. Der russische Revolutionär Leo Trotzki beschrieb, dass die Revolution 1917 den Frauen sofort politische und gesetzliche Gleichberechtigung geben konnte, aber dass es für echte Gleichheit in den gesellschaftlichen Beziehungen eine viel tiefer gehende Veränderung brauchte – echte wirtschaftliche Gleichheit, die Befreiung von der Hausarbeit und letztlich die Veränderung über Jahrtausende verankerter gesellschaftlicher Einstellungen. Dennoch bleiben die Errungenschaften, die durch den ersten Arbeiter*innenstaat erlangt wurden, Beispiel dafür, was durch eine sozialistische Veränderung erreicht werden kann.
Die Sol verbindet deshalb den Kampf für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitssituation von Frauen und der gesamten Arbeiter*innenklasse mit dem Ziel der Überwindung des Kapitalismus, für eine sozialistische Demokratie. Auf dieser Grundlage wird es endlich möglich sein, dass Menschen sich frei entfalten, dass eingeschränkte Rollenbilder aufgebrochen werden, dass Unterdrückung schließlich nur noch ein Thema für den Geschichtsunterricht sein wird.
Dieser Text ist eine geringfügige Überarbeitung einer Stellungnahme, die die Autorin 2017 für die SAV (Sozialistische Alternative, Organisation aus der die Sol hervor gegangen ist) verfasst hat. Aufgrund der Bedeutung des Themas veröffentlichen wir ihn in dieser Überarbeitung, um die Richtlinien der Sol im Kampf gegen Sexismus in der Arbeiter*innenbewegung transparent zu machen.
Angelika Teweleit ist Mitglied der Sol-Bundesleitung und eine der Sprecher*innen der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG).