Der lange Kampf für eine revolutionäre Internationale

Über die Wurzeln des Komitees für eine Arbeiter*inneninternationale

Am 20. und 21. April 1974 wurde das Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale (Committee for a Workers’ International, CWI) gegründet. Wir können stolz auf unsere 50-jährige Geschichte sein. Aber sie war nur möglich, weil wir auf den Schultern von Gigant*innen wie Karl Marx und Friedrich Engels, von Rosa Luxemburg, Wladimir Iljitsch Lenin und Leo Trotzki stehen, deren Ideen wir fortgesetzt und weiterentwickelt haben.

von Wolfram Klein

Als Karl Marx 1859 seine Geschichtsauffassung zusammenfasste, erklärte er, dass Epochen sozialer Revolution eintreten, wenn sich die materiellen Produktivkräfte, die Produktionsmittel so weit entwickeln, dass die Produktions- und Eigentumsverhältnisse zu Fesseln für ihre Entwicklung werden. Das galt für bürgerliche Revolutionen wie die Große Französische Revolution von 1789, als das feudale Eigentum zu einer Fessel für die kapitalistische Entwicklung geworden war und überwunden wurde. Das wird für sozialistische Revolutionen gelten, die das kapitalistische Eigentum überwinden werden.

Trotzdem gibt es zwischen beiden Arten von Revolutionen auch wichtige Unterschiede. Das Bürger*innentum war im Feudalismus keine ausgebeutete Klasse. Der Adel beutete die Bäuer*innen aus, das Bürger*innentum beutete die Arbeiter*innen aus. Innerhalb des Feudalismus wurde das Bürger*innentum immer mächtiger, Adel und Staat wurden durch Verschuldung immer abhängiger vom Bürger*innentum. Als es schließlich in der Revolution die politische Macht übernahm, hatte es bereits einen beträchtlichen Teil der wirtschaftlichen Macht. Deshalb war diese Revolution verhältnismäßig leicht durchzuführen und gelang mit vergleichsweise schwachen Organisationen. Organisationen wie die Girondisten und Jakobiner in der Französischen Revolution entstanden erst im Verlauf der Revolution und waren im Vergleich zu modernen Parteien sehr wenig organisiert.

Die Arbeiter*innen befinden sich in einer völlig anderen Lage. Sie werden selbst ausgebeutet, sie müssen nicht politische Machtverhältnisse an wirtschaftliche Machtverhältnisse anpassen, sondern sowohl die politische als auch die wirtschaftliche Macht erobern, wenn sie den Kapitalismus überwinden und eine sozialistische Gesellschaft errichten wollen. Dazu benötigen sie eine schlagkräftige Organisation, die es nicht nur mit den kapitalistischen Wirtschaftsverbänden, sondern auch mit dem kapitalistischen Staatsapparat aufnehmen kann. Als ausgebeutete und beherrschte Klasse eine solche Organisation aufzubauen, ist extrem schwierig. Daher ist es kein Wunder, dass es in der Geschichte der letzten rund zweihundert Jahre mehrere Fehlschläge gab und Organisationen ihren ursprünglichen sozialistischen Weg verließen und zu Hindernissen bei der Überwindung des Kapitalismus wurden.

Eine sozialistische Revolution ist also weit schwieriger, als es bürgerliche Revolutionen in der Vergangenheit waren. Auf der anderen Seite ist die „Erfolgsprämie“ viel größer. Gerade weil das Bürger*innentum selbst eine herrschende und ausbeutende Klasse war, hat die bürgerliche Revolution nur eine Klassenherrschaft durch eine andere ersetzt. Weil die Arbeiter*innen selbst eine beherrschte und ausgebeutete Klasse bilden, eröffnet die sozialistische Revolution die Perspektive, jede Ausbeutung und Unterdrückung von Menschen durch Menschen zu überwinden.

Internationalismus

Die sozialistische Revolution wird noch dadurch schwieriger, dass der Kapitalismus eine internationale Arbeitsteilung, einen Weltmarkt geschaffen hat. Diese Arbeitsteilung ist ein wichtiger Teil der Produktivkraftentwicklung des Kapitalismus, die eine Voraussetzung seiner Überwindung und der Schaffung des Sozialismus ist. Die Überwindung des Kapitalismus kann natürlich nicht überall auf der Welt an ein und demselben Tag anfangen, aber sie kann nur gelingen, wenn sie sich international ausbreitet. Deshalb muss eine sozialistische Arbeiter*innenorganisation, wenn sie ihr Ziel erreichen will, auch international sein.

Tatsächlich gab es in der Arbeiter*innenbewegung fast von Anfang an internationale Vernetzung. In Deutschland entstanden die ersten Ansätze von Arbeiter*innenorganisationen aus Handwerksgesellenverbänden. Da diese Gesellen auf ihren Wanderungen auch in die Schweiz, nach Frankreich, Belgien, Großbritannien und in andere Länder kamen, ergaben sich internationale Kontakte fast von selbst. Die Übereinstimmung der Lebensumstände mit den Arbeiter*innen anderer Länder tat ein Übriges, so dass die Sätze aus dem Kommunistischen Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels aus dem Jahre 1848 „Die Arbeiter haben kein Vaterland.“ und „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch“ vielen einleuchteten. Auch gemäßigte englische Gewerkschafter*innen der 1860er Jahre fanden eine internationale Organisation hilfreich, die den Import von Streikbrecher*innen vom europäischen Festland entgegenwirkte, wenn sie Streiks organisierten. Das war ein wichtiger Grund, warum sie sich an der von Marx 1864 mitgegründeten Ersten Internationale (Internationale Arbeiter-Assoziation) beteiligten.

Heute, im Zeitalter von Globalisierung, multinationalen oder „transnationalen“ Konzernen, weltweiten Pandemien wie Corona, weltweiten Auswirkungen selbst regionaler Kriege, den zerstörerischen Auswirkungen des globalen Klimawandels und andererseits sich wie ein Lauffeuer international ausbreitenden Massenprotesten wie Fridays for Future oder Black Lives Matter ist natürlich die Notwendigkeit eines internationalen Zusammenschlusses des Widerstands gegen dieses zerstörerische System noch offensichtlicher, zugleich gibt es technologische Hilfsmittel dafür, von denen man vor 175 Jahren nicht einmal träumen konnte.

Zweite Internationale

Die Erste Internationale umfasste politisch sehr verschiedene Strömungen, Karl Marx konnte sie mit großem Geschick über mehrere Jahre zusammenhalten, aber dann wurden die Differenzen doch zu groß und 1876 wurde sie formell aufgelöst.

Inzwischen entstanden in verschiedenen Ländern Arbeiter*innenparteien, die sich meist „sozialdemokratisch“ oder „sozialistisch“ nannten, sich zunehmend zumindest in Worten zu den revolutionären Ideen von Marx bekannten und in vielen Ländern zu Massenparteien anwuchsen. 1889 fand zum 100. Jahrestag der Großen Französischen Revolution ein internationaler Kongress statt, der als Geburtsstunde der Zweiten Internationale gilt, obwohl keine Gründung einer internationalen Organisation beschlossen wurde. Beschlossen wurde, gemeinsam den Ersten Mai zu feiern (was seit 1890 jährlich stattfindet) und alle paar Jahre weitere Kongresse abzuhalten.

Typisch für die Parteien der Zweiten Internationale war die Trennung von Maximal- und Minimalprogramm. Während das Maximalprogramm eine sozialistische Gesellschaft jenseits des Kapitalismus skizzierte, beschränkte sich das Minimalprogramm auf demokratische und soziale Reformen im Rahmen des Kapitalismus. Ein Teil der Reformen lief darauf hinaus, den Kapitalismus von feudalen Überbleibseln zu säubern und ein Minimum an sozialer Sicherheit zu schaffen, damit die Arbeiter*innen als Ausbeutungsobjekte dauerhaft zur Verfügung standen. Zu solchen Reformen waren auch weitsichtige Teile des Bürger*innentums bereit.

Aber je mehr Reformen erreicht waren, desto größer wurde der Widerstand des Bürger*innentums gegen weitere Reformen. Ein Teil der Sozialdemokrat*innen zog daraus die Schlussfolgerung, das Programm immer weiter zu verwässern, dem Bürger*innentum auf seinem Weg nach rechts zu folgen. Da sie auch Marx’ theoretische Grundlagen für revisionsbedürftig erklärten, sprach man von Revisionismus. Sie ließen das Maximalprogramm immer tiefer in der Versenkung verschwinden. Der Theoretiker des Revisionismus, Eduard Bernstein, formulierte das so: „Das, was man gemeinhin Endziel des Sozialismus nennt, ist mir nichts, die Bewegung alles.““. Es bildeten sich ein rechter, reformistisch oder opportunistisch genannter, Flügel heraus, der sich auf die materiell besser gestellten Schichten der Arbeiter*innen („Arbeiter*innenaristokratie“) und die wachsenden Hauptamtlichenapparate sozialdemokratischer Massenorganisationen (Parteien, Gewerkschaften, Genossenschaften etc.) stützte, die ihre erreichte soziale Stellung durch revolutionäre Erschütterungen bedroht sahen. Auf der anderen Seite entstand ein linker revolutionärer Flügel, der aus dem wachsenden Widerstand gegen Reformen die Schlussfolgerung zog, dass man härtere Methoden anwenden müsse, um noch weitere Forderungen durchzusetzen und zugleich die revolutionäre Überwindung des Kapitalismus vorzubereiten. Eine zentrale Bedeutung nahm für ihn dabei die Idee von politischen Massenstreiks ein. Massenstreiks spielten im Klassenkampf seit Beginn des 20. Jahrhunderts eine wachsende Rolle und wurden in der ersten russischen Revolution 1905 eine zentrale Kampfmethode. Rosa Luxemburg und andere verarbeiteten diese neuen Erfahrungen theoretisch.  Zwischen diesen Flügeln gab es die Strömung des sogenannten „Zentrismus“, die sich an die „alte bewährte Taktik“ klammerte, sich in Worten zur Revolution bekannte, aber in der Praxis eine reformistische Politik betrieb.

Imperialismus

Die Konflikte zwischen den Richtungen wurden durch den Eintritt des Kapitalismus in sein imperialistisches Stadium verschärft. Das Privateigentum an den Produktionsmitteln und der Nationalstaat wurden immer mehr zu Fesseln der weiteren Entwicklung der Produktivkräfte. Aber keine herrschende Klasse tritt deshalb freiwillig ab, um einer höheren Gesellschaftsform Platz zu machen. Statt dessen versuchten die Kapitalist*innen ihren Spielraum zu erweitern, indem sie die traditionellen Familienbetriebe zunehmend durch Aktiengesellschaften und Trusts und ähnliche Organisationsformen ersetzten. Nachdem im späten 19. Jahrhundert der Großteil der Welt unter wenige Kolonialmächte einschließlich Deutschlands aufgeteilt war, blieb für die Herrschenden nur noch der Kampf um die Neuaufteilung. Die internationalen Spannungen nahmen zu, die Staaten rüsteten um die Wette. Die Konsequenz war der Erste Weltkrieg.

Der Beginn des Krieges zeigte drastisch, wie vollständig die Spitzen der allermeisten Arbeiter*innenorganisationen in den kapitalistischen Staat integriert waren. Bis auf wenige Ausnahmen (darunter die russischen Bolschewiki und die serbischen und bulgarischen Parteien) unterstützten sie ihre eigenen Herrschenden im Krieg. Die feierlichen Beschlüsse der internationalen sozialistischen Kongresse (vor allem in Stuttgart 1907 und in Basel 1912) wurden mit Füßen getreten, als der in ihnen vorhergesagte Krieg blutige Wirklichkeit wurde. Die kleine Minderheit, die ihren Prinzipien treu blieb, versuchte, sich international wieder zu vernetzen und die Lehren aus dem Zusammenbruch der Zweiten Internationale zu ziehen.

Russische Revolution und Kommunistische Internationale

Das wichtigste Ergebnis des Ersten Weltkriegs war die Russische Revolution von 1917, das größte Ereignis der bisherigen Menschheitsgeschichte. Zum ersten Mal wurde die kapitalistische Klasse nicht nur in einer Stadt (wie in der Pariser Kommune 1871), sondern in einem Land von kontinentalen Ausmaßen entmachtet und eine revolutionäre Regierung durch die von Lenin geführten Bolschewiki errichtet. Aber die Bolschewiki wussten, dass ein Aufbau des Sozialismus in einem Land nicht möglich ist. Deshalb luden sie für den März 1919 zur Gründung einer neuen, der Dritten oder Kommunistischen Internationale (Komintern) nach Moskau ein.

Diese Internationale setzte die Tradition des revolutionären Flügels der Zweiten Internationale fort. Darüber hinaus zog sie die Lehren von Krieg und Revolution. Karl Marx hatte aus der Pariser Kommune die Lehre gezogen, dass die Arbeiter*innen den kapitalistischen Staatsapparat (auch in Form einer bürgerlichen Demokratie) nicht übernehmen können, sondern ihn durch einen grundlegend anderen Staatsapparat ersetzen müssen. Aber diese Erkenntnis war selbst bei den meisten seiner Anhänger*innen in Vergessenheit geraten. Die in der Revolution in Russland entstandenen Arbeiter*innen-, Soldaten- und Bäuer*innenräte (Sowjets) setzten die Prinzipien der Kommune (Wählbarkeit und jederzeitige Abwählbarkeit von Amtsträger*innen und Beschränkung auf einen Arbeiter*innenlohn) in die Praxis um.

Statt der Trennung von Minimal- und Maximalprogramm hatte Lenin 1917 in der Broschüre „Die drohende Katastrophe und wie man sie bekämpfen soll“ ein System von Übergangsforderungen ausgearbeitet, die eine Brücke zwischen den unmittelbaren Forderungen und der  Machtübernahme durch die Arbeiter*innen bildeten. Das wurde jetzt von der Internationale weiter diskutiert.

Die Spaltung der Arbeiter*innenbewegung in einen reformistischen und revolutionären Flügel stellte die Kommunist*innen vor die Notwendigkeit, trotzdem einen Kampf für die unmittelbaren Tagesforderungen der Arbeiter*innen, für höhere Löhne, gegen die Gefahr eines neuen Krieges, gegen den in verschiedenen Ländern aufkommenden Faschismus zu ermöglichen. Die Kommunistische Internationale entwickelte die Idee der Einheitsfront. Diese beinhaltete das Angebot an die Reformist*innen einen gemeinsamen Kampfes für konkrete Ziele. Das sollte den doppelten Zweck haben, sowohl diese konkreten Ziele, bei denen man übereinstimmte, zu erreichen, als auch weitere Arbeiter*innenschichten für revolutionäre Ideen zu gewinnen und so den Sieg der sozialistischen Revolution in weiteren Ländern vorzubereiten.

Denn der Erste Weltkrieg endete zwar mit einer revolutionären Welle, die in Österreich-Ungarn und Deutschland die Kaiser stürzte. Aber die Sozialdemokratie, die 1914 bis 1918 vier Jahre lang den Weltkrieg unterstützt hatte, rettete jetzt den Kapitalismus, indem sie die Revolution begrenzte. Im rückständigen Russland mit seiner kleinen Arbeiter*innenklasse hatte die Revolution gesiegt, weil an ihrer Spitze die in den Massen verankerte, erfahrene Partei der Bolschewiki stand. Im Westen waren die Arbeiter*innen viel stärker, aber revolutionäre kommunistische Parteien mussten erst aufgebaut werden und Erfahrungen sammeln … und inzwischen verebbte die revolutionäre Welle. Die seitherige Erfahrung hat leider immer wieder gezeigt, dass eine in den Massen verankerte revolutionäre marxistische Organisation Voraussetzung für den Sieg einer sozialistischen Revolution ist.

Der Stalinismus

Da solche Organisationen außerhalb Russlands fehlten beziehungsweise zu spät aufgebaut wurden, blieb die Russische Revolution isoliert. Dem Land wurde von den gestürzten russischen herrschenden Klassen im Bündnis mit den imperialistischen Mächten ein dreijähriger blutiger Bürgerkrieg aufgezwungen, der das schon vorher rückständige Land wirtschaftlich weiter zurückwarf. Viele der Aktivist*innen, die die Revolution zum Sieg gebracht hatten, fielen im Kampf für ihre Verteidigung. Der revolutionäre Enthusiasmus der Massen erlahmte unter dem Druck der Entbehrungen. Unterernährte Menschen, die mit letzter Kraft ihre Arbeit machten, waren kaum noch in der Lage, danach in den örtlichen Sowjets die Verwaltung von Wirtschaft und Staat zu organisieren. Die lebendige Rätedemokratie zu Beginn der Revolution machte zunehmend von oben ernannten Kommissar*innen Platz. Das Prinzip des Arbeiter*innenlohns für Funktionär*innen wurde zunehmend durch verdeckte und offene Privilegien ersetzt. Es bildete sich – nicht zuletzt in der bolschewistischen Partei – eine bürokratische Schicht heraus, die zunehmend mit den Resten des alten vorrevolutionären Staatsapparats verschmolz. Josef Stalin, der in der Revolution nur eine untergeordnete Rolle gespielt hatte, gelangte an die Spitze des bolschewistischen Parteiapparats und des Staatsapparats, indem er die Interessen dieser Schicht (oder Kaste) vertrat.

Der Kampf der Linken Opposition

Einige Monate nach Lenins Tod verkündete Stalin die „Theorie“ vom „Aufbau des Sozialismus in einem Lande“, die der Tradition des Marxismus und des Bolschewismus völlig ins Gesicht schlug. Diese „Theorie“ war tatsächlich der ideologische Ausdruck der Interessen der Bürokratie, die ihre privilegierte Stellung nicht durch die Verwicklung in internationale revolutionäre „Abenteuer“ gefährden wollte. Tatsächlich hatte nach dem Ersten Weltkrieg die Revolution außerhalb Russlands zwar nicht den Kapitalismus gestürzt, aber die internationalen revolutionären Bewegungen waren doch stark genug gewesen, die imperialistischen Länder zu hindern, mit aller Kraft die russische Konterrevolution zu unterstützen. Andernfalls hätte Russland den Bürger*innenkrieg nicht siegreich überstehen können.

Gegen die sich herausbildende bürokratische Diktatur über die Arbeiter*innenklasse bildete sich innerhalb der Bolschewiki eine Linke Opposition heraus, die die materiellen und politischen Interessen der Arbeiter*innen verteidigte. An ihrer Spitze stand Leo Trotzki. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte Trotzki vergeblich versucht, zwischen dem revolutionären und dem gemäßigten Flügel der russischen Sozialdemokratie (Bolschewiki und Menschewiki) eine versöhnlerische Rolle einzunehmen. Im Verlauf des Ersten Weltkriegs musste er sich von der Verfehltheit dieser Bemühungen überzeugen. 1917 schloss er sich den Bolschewiki an und spielte von da an eine führende Rolle bei ihnen. Er wurde Vorsitzender des Sowjets der Hauptstadt (die damals Petrograd hieß, heute wieder St. Petersburg heißt) und war in dieser Funktion der Hauptorganisator der Oktoberrevolution. Im Frühjahr 1918 leitete er den Aufbau der Roten Armee, mit der der Sieg der Revolution im Bürgerkrieg gesichert wurde.

Eine zentrale Herausforderung für das revolutionäre Russland war der Umgang des Arbeiter*innenstaats mit der bäuerlichen Bevölkerungsmehrheit. Lenin hatte die Parole der „Smytschka“, des Bündnisses zwischen Arbeiter*innen und Bäuer*innen ausgegeben. Mitte der 1920er Jahre bestand das reale Problem, dass die Preise für Industrieprodukte in die Höhe schossen, während die Preise für Agrarprodukte, mit deren Verkauf die Bäuer*innen den Kauf der Industrieprodukte finanzieren mussten, in den Keller gingen. Die Linke Opposition forderte eine beschleunigte Entwicklung der Industrie, um diese Preisschere zu schließen, zu deren Finanzierung die reiche Oberschicht der Bäuer*innen zur Kasse gebeten werden sollte. Die Parteiführung unter Stalin setzte stattdessen auf Zugeständnisse an diese Schicht. 

Diese falsche Politik führte 1928 zu einer schweren Landwirtschaftskrise. Die Stalin-Führung reagierte mit einem drastischen Kurswechsel: Zwangsweise Zusammenfassung der Bäuer*innen zu Produktivgenossenschaften (Zwangskollektivierung) und Industrialisierung mit einem halsbrecherischen Tempo durch die Planung der Wirtschaft mit Fünfjahresplänen, die sehr hohe Wachstumsraten vorschrieben. Der neue Kurs war eine groteske Karikatur auf die Forderungen der Linken Opposition. Die Folgen waren verheerend: ein drastischer Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion, Bäuer*innen, die ihr Vieh schlachteten, um es nicht an eine Genossenschaft abgeben zu müssen, Produktionsstörungen durch Ungleichgewichte in der Wirtschaft, zahlreiche Bauruinen, weil die Mittel zum Fertigbauen neuer Fabriken fehlten. 

Auch der Kommunistischen Internationale verordnete die stalinistische Bürokratie eine ultralinke Politik. Die Sozialdemokratie wurde zum „Sozialfaschismus“ und zum Hauptfeind erklärt. Eine Einheitsfront gegen den zum Beispiel in Deutschland aufkommenden Faschismus der Nazis durfte nur „von unten“ erfolgen, den Spitzen von Sozialdemokratie und Gewerkschaften durfte keine Zusammenarbeit angeboten werden. Die Gewerkschaften wurden durch die Schaffung „revolutionärer“ Gewerkschaften gespalten. Diese Politik trug erheblich dazu bei, dass Hitler in Deutschland an die Macht kommen konnte

Kurs auf die Vierte Internationale

Trotzki und die Linke Opposition hatten jahrelang für eine Reform der KPdSU und der Kommunistischen Internationale gekämpft. Nachdem Trotzki 1929 aus der Sowjetunion ausgewiesen worden war, begann er von seinem türkischen Exil aus, Kontakte für eine internationale Linke Opposition zu knüpfen.

Nachdem die Kommunistische Internationale nach der Katastrophe, die Hitlers Machtantritt darstellte, keine Anzeichen einer kritischen Aufarbeitung ihrer desaströsen Politik zeigte, kamen Trotzki und die Internationale Linke Opposition zu der Schlussfolgerung, dass die Kommunistische Internationale als revolutionärer Faktor tot war und man sich den Aufbau einer neuen Vierten Internationale zum Ziel setzen musste. Damit waren die Kräfte für eine revolutionäre Internationale ähnlich wie zu Beginn des Ersten Weltkriegs wieder auf kleine Grüppchen und Gruppen zurückgeworfen.

Bereits im Sommer 1933 versuchte die Internationale Linke Opposition, mit verschiedenen linken Gruppen zusammenzuarbeiten, die sich teils von der Sozialdemokratie abgespalten hatten, unter ihnen die Sozialistische Arbeiterpartei (SAP) in Deutschland. Diese Kräfte waren durch die Erfahrung der Weltwirtschaftskrise seit 1929 und den Sieg des Faschismus in Deutschland radikalisiert und suchten nach revolutionären Auswegen. Aber bald zeigten sich die Grenzen der Radikalisierung. Im Falle der SAP wurde die Organisation durch die Nazis weitgehend zerschlagen. Die isolierten SAP-Exilgruppen waren in einer prekären Lage. Zum Beispiel machte die norwegische Sozialdemokratie einem jungen SAP-Emigranten namens Willy Brandt klar, dass sie ihm den Geldhahn zudreht, wenn er in ihrer Jugendorganisation weiter für eine Vierte Internationale wirbt. Er beugte sich dem Druck, anderen ging es ähnlich.

In verschiedenen Ländern gab es aber auch in den sozialdemokratischen Parteien eine Radikalisierung und die Herausbildung linker Strömungen. Angesichts dessen machte Trotzki seinen Anhänger*innen in verschiedenen Ländern den Vorschlag, in die Sozialdemokratie einzutreten (französisch „entrer“, daher „Entrismus“ genannt), um diesen Radikalisierungsprozess zu beeinflussen. Das war als eine kurzfristige Taktik gedacht in Bezug auf sozialdemokratische Parteien, in denen eine tiefe politische Gärung stattfand.

Die Erfolge dieser Taktik waren begrenzt. Teils wurde durch lange Diskussionen über das Für und Wider der beste Zeitpunkt verpasst. Nach den Kontroversen über den Eintritt folgten Kontroversen, welche Zugeständnisse man machen darf, um bürokratische Ausschlüsse zu vermeiden. Aber vor allem war die Gärung in der Sozialdemokratie zeitlich begrenzt. Nachdem die Kommunistische Internationale sieben Jahre lang eine verheerende sektiererische Politik betrieben hatte, schwenkte sie 1935 zu einer – auf andere Weise ebenso verheerenden – opportunistischen Politik um. Sie trat jetzt für Bündnisse ein, die auch „fortschrittliche“ bürgerliche Parteien umfassen sollten: „Volksfronten“. Das war ein neues Wort für eine alte, immer wieder gescheiterte Politik, die den Kampf für Sozialismus in eine entfernte Zukunft verlegte. Damit positionierte sich die Komintern rechts von der Sozialdemokratie verschiedener Länder und gab damit den rechten Flügeln dieser sozialdemokratischen Parteien Auftrieb, was deren Linksentwicklung entgegenwirkte.

In der Sowjetunion wurde die Linke Opposition durch die Bürokratie physisch ausgerottet. Auch international setzten der sowjetische Staatsapparat und die Kommunistische Internationale einen beträchtlicher Teil ihrer Ressourcen für ihre Verleumdung (mit nach politischer Lage wechselnden Anschuldigungen – so verwandelten sich nach dem Abschluss des Hitler-Stalin-Pakts 1939 die „Agenten Hitlers“ schwuppdiwupp in „Agenten des britischen Imperialismus“) und teilweise Ermordung (einschließlich Trotzkis selbst 1940).

Diese komplizierten Entwicklungen trugen dazu bei, dass die Bewegung für eine Vierte Internationale bis 1938 keine qualitativen Fortschritte machte. Gruppen wuchsen (zum Beispiel in den USA), andere spalteten sich (zum Beispiel in Frankreich), relativ große Gruppen traten aus (z.B. in Griechenland und den Niederlanden). Zugleich war es deutlich, dass sich die Menschheit auf einen neuen Weltkrieg zu bewegte. Vor diesem Hintergrund drängte Trotzki darauf, die Vierte Internationale zu gründen, ohne abzuwarten, bis die für sie eintretenden Kräfte qualitativ größer würden, weil dies im Krieg kaum möglich sein würde. Im September 1938 fand der Gründungskongress in Frankreich statt.

Workers International League und Revolutionary Communist Party

Die engere Vorgeschichte des CWI beginnt mit mehreren südafrikanischen Trotzkist*innen um Raff Lee und Ted Grant, die Mitte der 1930er Jahre zu dem Schluss kamen, dass sie als weiße Südafrikaner im Land nur begrenzte Wirkungsmöglichkeiten haben und deshalb nach Großbritannien übersiedelten. Dort wurden sie in der Militant Group, einer kleinen trotzkistischen Gruppe, die innerhalb der sozialdemokratischen Labour Party arbeitete, aktiv. Bald danach gab es Konflikte in der Gruppe, weshalb sich ein noch kleinerer Kreis unter dem Namen Internationale Arbeiter*innen-Liga (Workers International League, WIL) selbständig machte.

Im Vorfeld der Gründung der Vierten Internationale kamen Genossen der Sozialistischen Arbeiter*innenpartei (Socialist Workers Party, SWP) aus den USA nach Großbritannien, die die damals vier trotzkistischen Gruppen vereinigen sollten. Drei Gruppen schlossen sich zur Revolutionär-Sozialistischen Liga (Revolutionary Socialist League, RSL) zusammen, die WIL lehnte es ab, sich an einer Fusion ohne klarer politischer Grundlage zu beteiligen. Tatsächlich gab es in der RSL nicht mal Einigkeit, ob die Organisation in der Labour Party oder unabhängig arbeiten sollte.

In den folgenden Jahren schrumpfte die RSL durch Fraktionskämpfe, wechselseitige Ausschlüsse, Frust und Demoralisierung immer mehr zusammen, während die WIL von einer Handvoll auf mehrere Hundert Mitglieder anwuchs, die größte trotzkistische Gruppe, die es bis dahin in Großbritannien gegeben hatte. Nicht zuletzt traten auch ehemalige RSL-Mitglieder in die WIL ein.

Die WIL hatte ursprünglich in der Labour Party gearbeitet. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs kam das politische Leben in der Partei fast vollständig zum Erliegen. Die WIL schwenkte auf unabhängige Arbeit um, Arbeit in den Gewerkschaften, Kampagnenarbeit.

Allmählich musste die Führung der Vierten Internationale erkennen, dass die WIL nicht nur zahlenmäßig viel größer geworden war, als die RSL, die offizielle britische Sektion der Internationale, sondern auch bessere Arbeit machte. Auf dieser Grundlage fand 1944 die Vereinigung der WIL mit den Resten der RSL zur Revolutionären Kommunistischen Partei (Revolutionary Communist Party, RCP) als neuer britischer Sektion der Vierten Internationale statt. Hintergrund der Namensgebung war, dass nach Hitlers Überfall auf die Sowjetunion 1941 das Land zum Kriegsverbündeten Großbritanniens geworden war. Angesichts dessen war die britische Kommunistische Partei der Ansicht, dass die britischen Arbeiter*innen im Interesse der Kriegsanstrengungen ihre in Jahrzehnten erkämpfen Errungenschaften über Bord werfen sollten. Einige Parteimitglieder wollten das nicht mitmachen. Die WIL hatte schon welche von ihnen gewinnen können, der neue Name sollte dabei weiter helfen.

Leider war die Vierte Internationale von 1944 nicht mehr die von 1938. Nach der Besetzung Nordfrankreichs durch die Nazis war die Führung der Internationale von Paris nach New York übergesiedelt, wo sie unter dem starken Einfluss der US-amerikanischen SWP stand (auch wenn die SWP aufgrund eines reaktionären Gesetzes offiziell nicht mehr der Internationale angehörte). Tatsächlich hatte die Internationale auf Basis der von Trotzki vor und zu Beginn des Zweiten Weltkriegs ausgearbeiteten programmatischen Dokumente verschiedene Erfolge. Nicht nur in Großbritannien, auch in Frankreich konnten fast alle trotzkistischen Gruppen vereinigt werden. In den Niederlanden kehrte ein Teil der Gruppe, die sich in den 1930er Jahren abgespalten hatte (die jetzt unter der Nazi-Besatzung Untergrundarbeit machte, ebenso wie die französische Gruppe), zurück.

Aber die Führung der Internationale wollte nicht zugeben, dass die WIL Recht gehabt hatte, sich nicht an der Fusion 1938 zu beteiligen. Man gewinnt den Eindruck, dass sie sich in ihrem Prestige verletzt fühlte. Auf jeden Fall behandelte sie die ehemalige WIL-Führung, die jetzt den Kern der RCP-Führung bildete, mit Misstrauen und unterstützte innerparteiliche Oppositionsgruppen.

Nach dem 2. Weltkrieg

Die Konflikte nahmen massiv zu, als sich zeigte, dass Trotzkis Voraussagen für die Nachkriegszeit weniger genau eintrafen als die für den Krieg. Trotzki hatte erwartet, dass der Zweite Weltkrieg mit einer entscheidenden Schwächung des Stalinismus enden würde. Entweder würde der Krieg mit einer Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion enden oder die sowjetischen Arbeiter*innen würden in einer politischen Revolution die Bürokratie stürzen und zu den revolutionären Traditionen der Oktoberrevolution zurückkehren. Statt dessen verteidigten sie sich nach kurzer Verwirrung mit einem beispiellosen Heroismus gegen den Überfall der Nazi-Wehrmacht. Dabei kam ihnen zugute, dass der Stalinismus zwar auf der politischen Ebene die Sowjetdemokratie der Zeit nach der Oktoberrevolution durch eine bürokratische Diktatur ersetzt hatte, die zentralen wirtschaftlichen Errungenschaften aber bestehen geblieben waren: Staatseigentum an den Produktionsmitteln und geplante Wirtschaft. Das waren herausragende Hilfsmittel für die Organisierung der Verteidigung. Der Sieg gegen die Nazis war also nicht Stalins Bürokratie zu verdanken, sondern (neben dem Heroismus und den Opfern der Massen) dem, was trotz Stalinismus vom Oktober noch lebendig war. Ohne die Bürokrat*innenenherrschaft wäre der Sieg mit viel weniger Opfern möglich gewesen. Trotzdem wurde der Sieg in den Augen großer Teile der sowjetischen und Weltbevölkerung Stalins Regime gutgeschrieben und steigerte dessen Prestige enorm.

Trotzki hatte vorausgesehen, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg wie nach dem Ersten Weltkrieg eine revolutionäre Welle geben würde. Das trat auch ein, aber der Stalinismus nutzte sein Prestige, um diese Welle von einer sozialistischen Entwicklung abzulenken. In Ländern wie Frankreich und Italien retteten die „kommunistischen“ Massenparteien den Kapitalismus. In Osteuropa wurden zwar auch Koalitionsregierungen aus stalinistischen, sozialdemokratischen und bürgerlichen Parteien gebildet, aber hier wurden der Kapitalismus abgeschafft und stalinistische Regime nach dem Vorbild der Sowjetunion errichtet.

Der Krieg hatte eine massive Verelendung der Arbeiter*innen zur Folge gehabt. Nachdem die Zerrüttung der Produktion durch den Krieg beseitigt war, war auf der Grundlage verschärfter Ausbeutung (bei gleichzeitiger durch die reformistischen und stalinistischen Massenparteien gesicherter politischer Stabilität) in dem Vierteljahrhundert von etwa 1948 bis 1973 ein Wirtschaftsaufschwung möglich, wie ihn die Geschichte bisher nicht gesehen hatte. Das hatte massive Auswirkungen auf das Bewusstsein der Arbeiter*innen und verbreitete in Westeuropa reformistische Illusionen.

Die Führung der Vierten Internationale wurde von all diesen Entwicklungen eiskalt erwischt. Sie verstand nicht, wie in Osteuropa der Kapitalismus ohne Arbeiter*innenrevolutionen von unten und ohne bolschewistische Partei gestürzt werden konnte. Sie erkannte nicht, dass in Westeuropa der Kampf um demokratische Forderungen (zum Beispiel für die Abschaffung der Monarchie in Ländern wie Italien und Belgien) ein Thema für die Massen werden konnte. Sie leugnete zunächst, dass im Kapitalismus ein Wirtschaftsaufschwung überhaupt möglich sei … bestenfalls eine Wirtschaftserholung, aber das Produktionsniveau von 1938 könne auf keinen Fall überschritten werden.

Dagegen kamen die Einschätzungen der RCP-Führung um Jock Haston und Ted Grant (Lee war aus gesundheitlichen Gründen bereits 1940 nach Südafrika zurückgekehrt) der Realität wesentlich näher, natürlich nicht in jedem Detail … das Ausmaß des Nachkriegsaufschwungs hat Ende der 1940er Jahre niemand vorhergesehen. Statt die inhaltliche Kritik der RCP anzunehmen, versuchte die Führung der Internationale, die RCP-Führung zu untergraben, indem sie die innerparteiliche Opposition um Gerry Healy unterstützte.

Dazu kam, dass die Lage für Revolutionär*innen im Nachkriegsbritannien schwierig war. Die Arbeiter*innen waren durch die Entbehrungen des Kriegs erschöpft. 1945 hatte die Labour Party einen Erdrutsch-Wahlsieg erzielt. Die meisten Arbeiter*innen warteten ab, was die Regierung von ihrem Reformprogramm umsetzen würde. Und es gab tatsächlich zunächst beachtliche Verbesserungen, wie die Verstaatlichung von Wirtschaftszweigen wie dem Kohlenbergbau oder die Einführung des staatlichen Gesundheitswesens. In dieser Lage brauchte man einiges politisches Verständnis, um gegen die Illusion immun zu sein, dass sich der Kapitalismus durch Reformen schrittweise in den Sozialismus überführen lasse.

Die Opposition in der RCP nutzte die schwierige Lage, um für eine Wiederaufnahme des Entrismus in der Labour Party zu werben, wobei sie übertriebene Vorstellungen über die sich dort bietenden Möglichkeiten verbreitete. Die Internationale beschloss die Teilung der Sektion. Der Teil um Healy trat in die Labour Party ein. Da dort der erhoffte Anklang für revolutionäre Ideen nicht bestand, passten sie sich politisch zunehmend an reformistische Ideen an. Etwas später kam auch die verbliebene RCP zu dem Schluss, es mit Arbeit in der Labour Party zu versuchen, nicht, weil sie da große revolutionäre Möglichkeiten sah, sondern um in Kontakt mit den Arbeiter*innen-Aktivist*innen dort zu kommen.

Die Internationale forderte jetzt die Mehrheit auf, Healys Organisation beizutreten. Nach einer Weile sollte dann eine neue Führung demokratisch gewählt werden … aber bis dahin waren die Anhänger*innen der alten RCP-Führung bereits reihenweise unter den haarsträubendsten Vorwänden ausgeschlossen worden.

Viele der Ausgeschlossenen wurden inaktiv, frustriert über schwierige politische Lage und das undemokratische Vorgehen der Führung. Eine Gruppe von Ausgeschlossenen um Tony Cliff bildete eine Organisation, aus der die heutige britische Socialist Workers Party entstand. Eine andere ausgeschlossene Gruppe, rund dreißig Aktivist*innen um Ted Grant und Jimmy Deane, vor allem in Liverpool und London, setzte die Tradition der WIL- und RCP-Führung unter schwierigen Bedingungen fort. Aus dieser Tradition entstand das CWI.

Die neue Revolutionary Socialist League und die Internationale

Die RCP-Führung hatte nach dem Zweiten Weltkrieg schnell erkannt, dass in den von der Sowjetunion besetzten Gebieten stalinistische Staaten nach dem Vorbild der Sowjetunion errichtet wurden. Bald erkannte sie auch, dass ähnliches für die siegreichen Partisanenkämpfe unter Tito in Jugoslawien oder Mao in China galt. Sie unterstrich dabei aber, dass das Ergebnis kein Sozialismus und keine Arbeiter*innendemokratie war und die entstandenen Regime auch nicht langsam durch Reformen in den Sozialismus hineinwachsen würden. Notwendig war vielmehr der Sturz der Bürokratie durch eine politische Revolution. Im Unterschied dazu wehrte sich die Führung der Internationale mit Händen und Füßen gegen die Idee, dass der Sturz des Kapitalismus ohne eine Arbeiter*innenrevolution unter Führung einer bolschewistischen Partei möglich sei. Wozu brauchte man dann noch eine Vierte Internationale? (Auf die naheliegende Antwort: „für die politische Revolution“ kamen sie nicht.) Als sie schließlich einsahen, dass in Jugoslawien und China der Kapitalismus beseitigt war, fielen sie in das andere Extrem, Leute wie Tito oder Mao für „unbewusste Trotzkisten“ zu halten. Zwischenzeitlich vertrat der einflussreichste Führer der Internationale, Michel Pablo, die Idee, zwischen Kapitalismus und Sozialismus gebe es eine mehrere Jahrhunderte dauernde Übergangsperiode von „deformierten Arbeiterstaaten“ (das heißt: von stalinistischen Staaten). 

Die Zickzacks der Internationale in der Frage des Stalinismus führten dazu, dass sich 1952 ihre französische Sektion und 1953 die ganze Internationale spalteten, letztere in ein Internationales Sekretariat und ein Internationales Komitee.

Die britische Sektion der Internationale schloss sich dem Internationalen Komitee an, so dass das Internationale Sekretariat ohne britische Sektion dastand. Vor diesem Hintergrund nahm die Führung der Internationale wieder Kontakt zu der Gruppe um Grant und Deane auf, die von der Healy-Gruppe mit Billigung der Führung aus der Internationale ausgeschlossen worden waren. Nach einigen Diskussionen ließ sich die Gruppe darauf ein, sich dem Internationalen Sekretariat anzuschließen. 1957 wurde eine Organisation unter dem Namen Revolutionary Socialist League (RSL) gegründet, die eine Zeitung namens Socialist Fight (Sozialistischer Kampf) herausgab.

Es bestanden aber weiterhin große Differenzen zur Führung der Internationale, unter anderem zur Einschätzung des Stalinismus. Ted Grant hatte 1949 in einem Artikel nicht nur vorausgesagt, dass Mao nach dem Sieg im Bürgerkrieg in China ein stalinistisches Regime errichten werde, sondern auch, dass dieser chinesische Stalinismus mit dem sowjetischen in Konflikt geraten werde. Beides trat ein. In der Internationale führte das zu Kontroversen. Ist der sowjetische Stalinismus besser (immerhin hat Chruschtschow teilweise Stalins Verbrechen kritisiert, während Mao Stalin weiter feierte) oder der chinesische (immerhin redete Mao revolutionärer gegen den Imperialismus)? Im Unterschied dazu erklärte die RSL, dass zwischen beiden kein qualitativer Unterschied bestand und in China ebenso wie in der Sowjetunion eine politische Revolution notwendig war.

Nachdem die Führung der Internationale nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst einen Wirtschaftsaufschwung für unmöglich erklärt hatte, glaubten sie in den folgenden Jahren zunehmend an die Möglichkeiten keynesianischer Wirtschaftspolitik, durch staatliche Kreditaufnahme Wirtschaftskrisen zu vermeiden, während die RSL vor solchen Illusionen warnte.

Ein weiterer Streitpunkt waren Bemühungen, die Internationale wieder zu vereinigen. Das Ergebnis war, dass sich ein Großteil des Internationalen Komitees und des Internationalen Sekretariats 1963 zum Vereinigten Sekretariat (VS) zusammenschlossen, aber sich von ersteren eine Gruppe um Healy in Großbritannien und Lambert in Frankreich abspaltete und von letzteren eine Gruppe um Michel Pablo. Erstere hatten in ihren Ländern relativ große Gruppen. Die Gruppe um Healy kollabierte in den 1980er Jahren, wobei es gegen Healy massive Vorwürfe wegen sexueller Ausbeutung weiblicher Mitglieder über viele Jahre hinweg gab. Die Internationale um Pablo blieb bedeutungslos. In Großbritannien hatte sie auch mal eine kleine Gruppe, von der nur erwähnenswert ist, dass es ihr führender Kopf Mitte der 1980er Jahre, Keir Starmer, seitdem bis zum Labour-Vorsitzenden gebracht hat.

Die Gruppe um Pablo war nach der Vereinigung 1963 zunächst in der gemeinsamen Organisation geblieben. Die Auseinandersetzung mit ihr sollte auf einem Weltkongress 1965 abgeschlossen werden. Pablo war aber kurz davor doch ausgetreten. So mussten sich das VS statt dessen mit der Kritik der RSL auseinandersetzen, die durch Ted Grant und Peter Taaffe auf dem Weltkongress vertreten war. Im Protokoll ist vermerkt, dass George Edwards aka Ted Grant ein Co-Referat zum chinesisch-sowjetischen Konflikt hielt, dass Tom Peters aka Peter Taaffe vergeblich beantragte, ein Korreferat zu den britischen Änderungsanträgen zur Europa-Resolution zu halten, und dass die beiden sich sehr häufig in den Diskussionen zu Wort meldeten. Ihre inhaltlichen Aussagen sind nicht vermerkt, aber natürlich haben sie die Kritik vorgebracht, die auch schriftlich überliefert ist und oben wiedergegeben wurde. Ein Ergebnis des Kongresses war, dass die RSL aus der Internationale faktisch ausgeschlossen (formell zu einer Gruppe mit allen Pflichten einer Sektion, aber ohne deren Rechte herabgestuft) wurde. Souveräner Umgang mit Kritik sieht anders aus, von Demokratie ganz zu schweigen.

Auf dem Weg zur Gründung des CWI

Nach dieser Erfahrung zog die britische Organisation die Schlussfolgerung, der Internationale endgültig den Rücken zuzukehren. In Großbritannien hatte es langsam organisatorische Fortschritte gegeben. Zum Beispiel hatte es 1960 und 1964 größere Auszubildendenstreiks gegeben, bei denen Aktivist*innen gewonnen wurden. 1963-64 kam eine Gruppe von Studierenden der Universität Sussex dazu. 1964 wurde eine Zeitung namens „Militant“ gegründet. In den folgenden Jahrzehnten war die Organisation dann unter dem Namen Militant-Tendenz bekannt.

Zugleich betrafen die Differenzen mit dem Vereinigten Sekretariat immer mehr Felder. Nach dem Erfolg der kubanischen Revolution unter Castro 1959 (deren Erklärung relativ einfach war für Menschen, die Tito und Mao marxistisch eingeordnet hatten) entwickelte das VS massive Illusionen in den Guerillakampf. Andererseits gab es übertriebene Hoffnungen in die Studierendenbewegungen der 1960er Jahre, während die Arbeiter*innen leichtfertig als verbürgerlicht abgetan wurden … im Mai 1968 gab es dann in Frankreich einen Generalstreik mit zehn Millionen Beteiligten, Fabrikbesetzungen, eine Bewegung, die der französische Kapitalismus nur dank der Hilfe der „kommunistischen“ Partei überlebte.

Wie oben erwähnt, hatte Trotzki den Entrismus in den 1930er Jahren als kurzfristige Taktik empfohlen in Zeiten, in denen es in sozialdemokratischen Parteien eine Gärung gab. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten verschiedene trotzkistische Gruppen eine wesentlich andere Form von Entrismus entwickelt, man sprach von “tiefem Entrismus” oder “Entrismus sui generis” (Entrismus eigener Art). Man versuchte, linksreformistische Strömungen zu beeinflussen, indem man sich ihnen anpasste. Wenn es keine gab, versuchte man mit derartigem Mimikry sie selbst zu initiieren. Das Ergebnis war oft, dass die eigenen Leute immer reformistischer wurden. Die Militant-Tendenz praktizierte über viele Jahre hinweg eine andere Form von Entrismus. Er war zwar auch anders als in den 1930er Jahren langfristig angelegt. Man versuchte auch, eine Terminologie zu vermeiden, die für einfache Basismitglieder der Partei unverständlich war, aber inhaltlich hielt man am eigenen Programm fest und publizierte eine eigene zeitung. Auf diesem Wege gelang es, in örtlichen Gliederungen der Labour Party an Einfluss zu gewinnen und vor allem die Führung der Jugendorganisation von Labour zu gewinnen.

Das wiederum ermöglichte Kontakte in sozialdemokratische Jugendorganisation anderer Länder, in denen es in den Jahren nach 1968 oft eine große Linksentwicklung gab. Das war eine wesentliche Quelle für internationale Kontakte, die dann 1974 zur Gründung des CWI führten. Der Name Komitee sollte zum Ausdruck bringen, dass die Organisation noch nicht „die“ revolutionäre Masseninternationale ist, sondern erst ein Schritt auf dem Weg zu ihr. Der Begriff Arbeiter*inneninternationale machte die Orientierung auf die Arbeiter*innenklasse im Unterschied zur Orientierung auf ländliche Guerillabewegungen oder Studierende, wie sie das Vereinigte Sekretariat damals praktizierte, deutlich.

Allerdings muss man sagen, dass diese Kontakte, die zur Gründung des CWI führten, in manchen Ländern erst zustande kamen, als die 1968 begonnene Radikalisierungswelle schon wieder am Abflauen war. Dadurch sind viele Möglichkeiten verpasst worden. Das zeigt, wie wichtig es ist, schon zu Beginn „großer Ereignisse“ den Kern eine revolutionären Organisation zu haben.

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