AfD-Parteitag: Sieger nach Punkten: Björn Höcke

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Nach Riesa ist der rechtsextreme Flügel um Björn Höcke gestärkt

Der Bundesparteitag der AfD im sächsischen Riesa war in seinem Ergebnis vor allem eine Inszenierung des völkischen „Flügels“ um Björn Höcke. Der endete chaotisch und für die neue Doppelspitze als Fiasko.

Von Steve Hollasky, Dresden

Man könnte versucht sein, nach dem Ende der Delegiertenkonferenz der Rechtspopulist*innen dem wiedergewählten Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla und der neu ins Amt gekommenen Bundesvorsitzenden Alice Weidel zu den Sieger*innen zu küren: Immerhin haben sie es an die Spitze der Partei geschafft bzw. sich an derselben halten können.

„Tiny Tino“

Gerade im Falle von Tino Chrupalla war das alles andere als ausgemacht. In den Monaten vor dem Parteitag hatte der sich einer Welle von Kritik gegenüber gesehen, die es im Auge so mancher Beobachter*innen als wahrscheinlich erscheinen ließ, dass er den Weg aller Bundesvorsitzenden der AfD gehen könnte. Nämlich jenen in die politische Bedeutungslosigkeit.

Bei zehn Wahlen infolge hatte die AfD teilweise einschneidende Verluste eingefahren, in Schleswig-Holstein verfehlte sie gar den zweiten Einzug ins Landesparlament und verlor alle Mandate.

AfD-interne Chatgruppen gossen bald schon eimerweise Beleidigungen über Chrupalla aus. Als „Tiny Tino“ wurde er dort verunglimpft und seine fehlenden rednerischen und politischen Kompetenzen rauf und runter diskutiert. Chrupalla reagierte darauf wenig geschickt und in einer Art und Weise wie innerhalb seiner Partei häufig mit Streitereien umgegangen wird. Als er eine weitere Niederlage seiner Partei bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen Mitte Mai kommentieren musste, und auch zur Kritik an seiner Person befragt wurde, prägte der aus Bautzen stammende Politiker den seither häufig zitierten Satz, es sei wie in seiner Jugend beim Zelten: „Da haben sich immer diejenigen beschwert, dass es nass im Zelt ist, und es waren diejenigen, die auch ins Zelt hineingepinkelt haben.“

Dass er es dennoch schaffte, sich an der Spitze der AfD zu halten, verdankt der strauchelnde Bundessprecher gleich drei Umständen: Nach wie vor verfügt auch Chrupalla über ein nicht zu unterschätzendes Netzwerk innerhalb der AfD, welches ihn stützt. Dabei dürfte ein großer Teil seiner Anhänger*innen Chrupalla eher als kleineres Übel verglichen mit allen anderen parteiinternen Alternativen begreifen.

Zum Zweiten gelang es den marktfundamentalistischen Kräften der AfD um Joana Cotar nach Wochen der ätzenden Angriffe auf Chrupalla nicht einen ebenbürtigen Kandidaten zu präsentieren. Und zuguterletzt suchte Höcke – trotz der der Presse lancierten Überlegungen seinerseits – nicht die direkte Auseinandersetzung. Was noch von Bedeutung sein wird.

Der Chef des völkische „Flügels“, den man kaum mehr ernsthaft als aufgelöst bezeichnen kann, verzichtete auf das direkte Duell. Er begnügte sich einem Antrag zur Mehrheit zu verhelfen, der es möglich macht, in Zukunft statt einer Zweier- auch eine Einerspitze zu wählen. Man darf getrost annehmen, dass dies die Ankündigung einer Kandidatur Höckes innerhalb der nächsten zwei Jahre sein dürfte. Höcke will an die Spitze der Partei.

Dass Chrupalla sich mit nur 54 Prozent der Delegiertenstimmen zufrieden geben musste, ist nicht der einzige Umstand, der ihn zu einem außerordentlich schwachen Bundesvorsitzenden macht.

Formalien zählen nicht

Immerhin gelang es Alice Weidel 67 Prozent der Delegiertenstimmen auf sich zu vereinigen. Verglichen mit anderen Parteien mag das wenig sein, zugleich ist sie deutlich stärker als Chrupalla. Dass dieses Ergebnis auch Weidels häufigen Flirts mit dem „Flügel“ zu verdanken ist, kann man als sicher annehmen. Erst kurz vor dem Parteitag wurde bekannt, dass mit Mario B. ein Schwiegersohn von Götz Kubitschek als Grundsatzreferent für die AfD-Bundestagsfraktion arbeitet. Angestellt ist er im Ressort von Alice Weidel.

Kubitschek ist nicht nur Herausgeber der rechtsextremen Zeitschrift „Sezession“, sondern auch Gründer des „Instituts für Staatspolitik“, einem rechten Thinktank, und zudem äußerst eng vertraut mit Höcke, als dessen Ideengeber er vielfach fungieren dürfte.

Chrupalla und Weidel sind damit nicht einfach nur die neuen Chefs der Partei, sondern auch der Bundestagsfraktion. Formal laufen die Fäden der Macht in der Partei also in die Hände der neuen Doppelspitze. Formalien jedoch zählen nicht viel.

Die wirkliche Machtstruktur der AfD stützt sich offenkundig auf Thüringen, auf Björn Höcke. Der führte die beiden Bundesvorsitzenden denn auch sogleich vor. Nicht nur, dass innerhalb des neu gewählten Bundesvorstands etliche Sitze an das völkische Lager gingen, auch politisch düpierte Höcke Weidel und Chrupalla, indem er der Öffentlichkeit gleich mehrfach vorführte, dass es nun nicht mehr an ihm und den Seinen vorbeigehen wird. Wie nebenbei verschob er die AfD damit weiter nach rechts.

So in der Debatte und Abstimmung um den Antrag, die angebliche Gewerkschaft „Zentrum Automobil“ von der Unvereinbarkeitsliste der AfD zu streichen.

Die Sache mit dem “Zentrum”

Diese angebliche Gewerkschaft „Zentrum Automobil“ wird von Andreas Hilburger geleitet, der lange Zeit Mitglied der Rechtsrockband „Noie Werte“ war. Er ist gern gesehener Redner auf Tagungen rechter Zeitschriften wie „Compact“. Auf einer der Tagungen der rechten Zeitschrift traten auch Höcke und Hilburger auf. Im Daimler-Werk Untertürkheim werfen Gewerkschaftsaktivist*innen Zentrum nicht nur vor, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund gegeneinander auszuspielen und damit letzten Endes die Beschäftigten zu schwächen, sondern auch politische Gegner*innen massiv zu bedrohen.

Nun versucht Zentrum auch einen Ableger im Bereich Gesundheit zu eröffnen. Im Mittelpunkt steht dort nicht etwa der Kampf gegen Privatisierungen und für mehr Personal. Nicht der Kampf gegen Profitstreben oder Marktmechanismen und nicht eine angemessene Versorgung für alle Menschen, sondern die Kritik an der Impfpflicht im Gesundheitswesen. Dass Zentrum sich ausgerechnet damit profilieren kann ist dem Umstand geschuldet, dass es die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) versäumt hat, die berufsbezogene Impfpflicht als falsch darzustellen, obwohl es Position von ver.di ist. Es wäre möglich gewesen, sowohl die Notwendigkeit einer Impfkampagne zu erklären, als auch gegen eine berufsbezogene und allgemeine Impfpflicht aufzutreten. Stattdessen nahm ver.di Rücksicht auf die SPD in der Bundesregierung, die für die Impfpflicht eintritt.

Als Höcke den Antrag unterstützte, Zentrum von der Unvereinbarkeitsliste der AfD zu streichen, argumentierte er nicht damit, dass es sich bei Zentrum angeblich um eine Gewerkschaft handelt, auch nicht mit dem Eintreten für die Rechte von Arbeiter*innen. Das wäre auch in der Tat grotesk. Bei näherer Betrachtung, all die Rhetorik beiseite geschoben, tritt Zentrum für all das eben nicht ein. Höcke argumentierte viel mehr damit, dass ein Verbleiben von Zentrum auf der Unvereinbarkeitsliste dem Verfassungsschutz helfe. Stattdessen müsse man „qua eigener Kraft“ bestimmen, wer „extremistisch“ sei, ließ Höcke das Parteitagsplenum wissen.

Ausgerechnet mit dieser nicht an den Interessen der Beschäftigten und in AfD-Kreisen gern bemühten „kleinen Leute“ orientierten Rede versammelte Höcke 60 Prozent der Delegierten hinter dem Antrag. Nächstens können also AfD und Zentrum ganz offen zusammenarbeiten.

Ende im Chaos

Doch das war noch nicht der Höhepunkt von Höckes Auftritt. Weitaus häufiger als sonst meldete er sich direkt zu Wort und wurde stets mit langem Applaus bedacht. Einen am Sonntag eingebrachten Antrag mit dem Titel „Europa neu denken“ hatte Höcke direkt mitgeprägt. Selbstverständlich wird auch in diesem Antrag die EU nicht als das benannt, was sie ist: ein Bündnis der herrschenden Kapitalist*innenklassen und ihrer Regierungen zur Durchsetzung ihrer Interessen; ein Mittel der Herrschenden in Deutschland, ihre Macht in Europa auszubauen; ein kapitalistischer Apparat, der Migrant*innen im Mittelmeer ersaufen lässt und den Herrschenden Europas und nicht den Beschäftigten hilft.

Stattdessen wird die EU als „dysfunktional“ bezeichnet und eine „einvernehmliche Auflösung“ angestrebt. Zudem fordert der Antrag eine Annäherung an Russland unter Putin. Dabei scheint der Überfall der Herrschenden Russlands auf die Ukraine Höcke und Co nicht weiter nervös zu machen. Der Krieg wird im ganzen Antrag nicht als Krieg, dafür aber als „Konflikt“ bezeichnet.

Für all diejenigen, die alsbald die AfD – trotz des verschärften Rechtskurses – in Regierungsverantwortung sehen wollen, ist dieser Antrag ein Schock. Und so boten Weidel und Chrupalla Einiges auf, um die Debatte über den Antrag zu verhindern. Weidel erklärte, der Antrag gehe in die richtige Richtung, müsse aber überarbeitet werden. Chrupalla versuchte einen Antrag auf Nichtbefassung durchzubekommen, der mit 208 gegen 210 Stimmen abgelehnt wurde.

Statt Befriedung der Partei erlebte man am Sonntag eine chaotische Debatte, die erst durch einen „Aufmarsch der AfD-Spitzen“, wie es der Bayerische Rundfunk nannte, beendet wurde. Fünf Landeschefs der AfD standen auf der Bühne hinter Chrupalla und beantragten die Übertragung des Antrags an den Bundesvorstand und den früheren Abbruch des Parteitages. Etwa 56 Prozent der Delegierten stimmten dem Antrag zu.

Wofür steht der völkische „Flügel“?

Auch wenn sich Chrupalla in öffentlichen Statements bemühte es anders darzustellen, der Sieger des Parteitages heißt Höcke, heißt der „Flügel“. Der Landeschef aus Thüringen ist wahrscheinlich endgültig der starke Mann der AfD. Nicht zuletzt auch deshalb, weil er der Programmkommission nun vorsteht, dürfte Höcke nach Riesa der heimliche Vorsitzende der AfD sein.

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Chrupalla und Weidel an der Spitze der Partei in den nächsten zwei Jahren – oder innerhalb einer kürzeren Frist – abnutzen werden, ist immens. Insofern lohnt es sich, einen kurzen Blick auf den „Flügel“ zu werfen.

Das Gründungsdokument hatte der erwähnte Kubitschek einst entworfen. Die ostdeutschen Landesverbände sind weitgehend unter der Kontrolle des „Flügels“.

Die Verbitterung in Ostdeutschland über die Ergebnisse von 30 Jahren Kapitalismus, die in eklatantem Widerspruch zu den Versprechungen von 1990 stehen, machen es nötig, dass Höcke und sein Netzwerk sich mitunter vorgespielt antikapitalistisch äußern. So wettert Höcke auch schon mal gegen den internationalen Kapitalismus und gibt vor die Ergebnisse von 150 Jahren Arbeiter*innenbewegung schützen zu wollen.

Die Hüllen lässt der „Flügel“ dennoch mitunter fallen. So vor ein paar Jahren im sächsischen Olbernhau. Dort forderte ein von der AfD eingeladener Redner allen Ernstes, die Aberkennung des Wahlrechts für die Empfänger*innen von staatlichen Transferleistungen. Dazu zählen unter anderem Kinder- und Wohngeld. Entweder man wolle wählen oder man wolle die Leistungen beziehen, so eine zentrale Aussage des Vortrags, der der sächsische Landesvorsitzende Jörg Urban auch noch seine Zustimmung erteilte. So hält es der völkische „Flügel“ um Höcke mit den oft angeführten „kleinen Leuten“.

Wird die AfD sich abschaffen?

Der Streit innerhalb der AfD, der nun auch den Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland umtreibt und ihn zu der Aufforderung veranlasste, denselben zu beenden, brachte so einige Kommentator*innen zu der Einschätzung, die AfD stecke in einer Krise. Das mag stimmen, doch diese Krise ist gleichzeitig eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse innerhalb der Partei und gibt keinen Anlass zur Entwarnung – im Gegenteil.

Preissteigerungen und zu erwartende Wirtschaftskrisen werden die Arbeiter*innenklasse und die Mittelschichten hart treffen und Verteilungskämpfe und -debatten auslösen. Wenn von Gewerkschaften und Linkspartei hier keine klaren Antworten gegeben und Kämpfe gegen das Abwalzen der Krisenkosten auf die Masse der Bevölkerung organisiert werden, vergrößert sich der politische Raum für die AfD wieder – auch und gerade wenn sich der völkisch-rechtsextreme Flügel durchsetzt.

Sollte es der AfD gelingen, diese Themen von rechts zu besetzen, hätte das in zweierlei Hinsicht große Auswirkungen. Zum Ersten würde die AfD den Kapitalismus als Ursache bestenfalls propagandistisch benennen, aber ihn nicht in Frage stellen. Das würde die wirklichen Nutznießer dieser Entwicklungen vor wirklichen Protesten schützen. Zudem würde die AfD die Menschen entlang ethnischer und kultureller Linien spalten und damit den gemeinsamen Kampf schwächen.

Zum Zweiten könnte die AfD so wieder an Boden gut machen. Möglicherweise wird das zu einer Ost-West-Spaltung bei der Unterstützung für die AfD führen, eventuell sogar zu einer Parteispaltung. Ergebnis kann aber eine rechtsextrem-völkisch geführte Partei mit einer starken Basis vor allem in Ostdeutschland und einer Vertretung im Bundestag und vielen Landesparlamenten sein. Wie lange die Brandmauer in der CDU gegen eine Zusammenarbeit bis hin zu Regierungskoalitionen hält, muss sich dann zeigen.

Andererseits ist diese Entwicklung selbst bei einer zu erwartenden Ausweitung der gesellschaftlichen Krise nicht vorgezeichnet. Wie sehr es einer noch weiter nach rechts ausgerichteten AfD gelingen kann sich als Anwältin von Beschäftigten, Arbeitslosen und Rentner*innen aufzuspielen, hängt nicht zuletzt von der Linken und der Arbeiter*innenbewegung ab. Sollte sie es schaffen, Alternativen zum Kapitalismus aufzuzeigen und eine wirkliche Bewegung gegen den kapitalistischen Wahnsinn anzubieten, dürfte die AfD es schwer haben. Eine linke Partei aber, die lieber mit prokapitalistischen Grünen und SPD flirtet ist da keine Hilfe. Stattdessen ist eine Arbeiter*innenpartei nötig, die soziale Kämpfe organisiert, innerhalb der Gewerkschaften für einen Bruch mit der SPD argumentiert und für eine sozialistische und demokratische Gesellschaft eintritt.

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