Kolumbien: Linke gewinnt Präsidentschaftswahl

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Wahlsieg Gustavo Petros markiert eine neue Ära des Massenkampfes

In einem schweren Schlag gegen die reichen Oligarch*innen und die herrschende Klasse in Kolumbien hat der linke Kandidat Gustavo Petro die Präsidentschaftswahlen mit 50,5 Prozent der Stimmen gewonnen, gegenüber 47,3 Prozent für den Außenseiter und Rechtspopulisten Rodolfo Hernández. Petros Sieg stellt einen historischen Wendepunkt für Kolumbien dar, welches in den 212 Jahren seines Bestehens noch nie eine linke Regierung hatte.

Von Tony Saunois, Sekretär des CWI (Dieser Artikel erschien zuerst am 24. Juni 2022 auf der englischsprachigen Webseite socialistworld.net)

Sein Sieg ist auch ein Schlag gegen die Interessen des US-Imperialismus in der Region. Kolumbien war bisher einer der engsten Verbündeten des US-Imperialismus in der Region, mit einer Reihe von reaktionären, rechtsgerichteten Regimen, die das Land regierten. In Fragen des Handels, des Drogenkriegs und regionaler Bündnisse stellt sich Petro gegen die Politik des US-Imperialismus. Dieses jüngste politische Erdbeben ist Teil einer neuen Ära von Umwälzungen und Kämpfen, die Lateinamerika erschüttern.

Die herrschende Klasse Kolumbiens ist angesichts dieses historischen Wahlergebnisses in Panik verfallen, während die Arbeiter*innenklasse, die Armen und die Unterdrücktesten der Gesellschaft mit Begeisterung erfüllt sind. Die Begeisterung wurde zum Teil ausgelöst vom radikalen reformistischen Programm Petros sowie der Wahl von Francia Márquez zur Vizepräsidentin, der ersten schwarzen Frau in diesem Amt.

Dieser Sieg bedeutet einen wichtigen Schritt nach vorn und wird Auswirkungen auf den gesamten amerikanischen Kontinent haben. Alle pro-kapitalistischen Mitte-Rechts-Parteien, die herrschende Klasse und die Grundbesitzer*innen hatten sich hinter den Außenseiter Rodolfo Hernández gestellt, der in der Vergangenheit unter anderem Adolf Hitler als „großen deutschen Denker“ bezeichnet hatte.

Petro hat einen „wahren Wandel, einen echten Wandel“ versprochen. „Wir werden diese Wählerschaft nicht verraten, die dem Land zugerufen hat, dass sich Kolumbien von heute an ändern soll“, erklärte er. Sein radikales Programm sieht eine Vermögenssteuer für die reichsten 400.000 vor, eine Erhöhung des Mindestlohns, die Einführung eines Arbeitslosengeldes, ein öffentliches Gesundheitssystem, eine radikale Landreform und eine Abkehr von der „alten, auf Öl und Kohle basierenden Wirtschaft“, um sich auf andere Industrien und andere Reformmaßnahmen zu konzentrieren.

Wie sein Amtskollege Gabriel Boric in Chile wurde Petro von einer Welle von Forderungen nach einer Umgestaltung der Gesellschaft an die Macht getragen. Sein Sieg ist zum Teil das Ergebnis der Massenbewegungen, die in beiden Ländern ausgebrochen sind – in Chile im Jahr 2019 und in Kolumbien im Jahr 2021. In Kolumbien wurde die Massenbewegung durch eine Steuerreform der rechtsgerichteten Regierung ausgelöst. Sie weitete sich dann zu einer breiteren sozialen Bewegung gegen Ungleichheit, Armut, Arbeitslosigkeit und Korruption aus.

Es entwickelte sich ein gewaltiger Generalstreik, und die Massen kämpften um die Macht. Es kam zu brutalen Repressionen, bei denen Dutzende von Demonstrant*innen ums Leben kamen. Die Bewegung ebbte ab und zog sich zurück, da es der Führung nicht gelang, sie zum Sturz des Regimes und zur Einsetzung einer Regierung der Arbeiter*innen und Armen voranzutreiben. Der Drang nach Veränderung wurde jedoch nicht unterdrückt und die Bewegung wurde nicht demoralisiert. Dies hat sich nun im Wahlsieg von Petro niedergeschlagen. Ein neues Kapitel in der kolumbianischen Geschichte hat begonnen.

Petro, ein ehemaliger Guerillakämpfer der Bewegung M-19, die sich 1990 aufgelöst hat, wurde vom Militär verhaftet und gefoltert. Er kann auf eine lange Geschichte des Kampfes zurückblicken und wurde schließlich zum Bürger*innenmeister von Bogotá gewählt. Aus diesem Amt wurde er eine Zeit lang enthoben, weil er versucht hatte, die Privatisierung der Müllabfuhr in der Stadt zu beenden. Er wird von Rechtsextremen und den Paramilitärs, die immer noch in Kolumbien aktiv sind, gehasst.

Der grausame Bürgerkrieg, der zwischen dem Militär, paramilitärischen Banden und den Guerillaorganisationen FARC, M-19 und ELN tobte, wurde 2016 offiziell beendet, mit 260.000 Toten und sieben Millionen Vertriebenen. Die FARC griffen 1964 zu den Waffen, hauptsächlich, um für eine Landreform zu kämpfen.

Das 2016 unterzeichnete Friedensabkommen wurde jedoch von den seitdem regierenden rechten Regimen nur zögerlich umgesetzt. Heute kämpfen Drogenkartelle und die ELN weiterhin in einigen Regionen des Landes, die nach wie vor von blutigen Konflikten gezeichnet sind. Die brutale Gewalt der Drogenkartelle hat nicht aufgehört, da Gruppen wie der Golf-Clan weiterhin aktiv sind. Dieses paramilitärische Drogenkartell hat einen „Streik“ ausgerufen und die Bevölkerung aufgefordert, zu Hause zu bleiben, aus Protest gegen die Verhaftung und Abschiebung seines Anführers Dairo Antonio Úsuga in die USA im Mai. Dies wurde in 11 der 32 Departements bzw. Bundesstaaten Kolumbiens durchgesetzt. In diesen Gebieten gibt es eine Sehnsucht nach Frieden.

Petros Sieg hat das Vertrauen von Millionen von Menschen geweckt, die nun darauf hoffen, dass seine Regierung einen „echten Wandel“ herbeiführt. Die Frage ist jedoch, ob er sein radikales Reformprogramm umsetzen kann. Er steht vor großen Hindernissen und braucht ein revolutionäres sozialistisches Programm, um diese zu überwinden. Jeder ernsthafte Versuch, eine Landreform und andere Maßnahmen durchzuführen, wird den Zorn der herrschenden Klasse auf sich ziehen. Seine Partei, der Pacto Historico (Historischer Pakt), hat nur 15 Prozent der Sitze im Kongress. Die traditionelle Rechte verfügt dort über eine Mehrheit. Es ist das gleiche Hindernis, mit dem der kürzlich gewählte linke Präsident Castillo in Peru konfrontiert ist.

Um das Reformprogramm durchzusetzen, ist es unerlässlich, über den Kongress hinauszugehen und nicht einen verfassungsmäßigen Weg zu suchen, den die Rechten blockieren werden. Die Gefahr einer wirtschaftlichen Sabotage und einer Kapitalflucht durch die herrschende Klasse ist von Anfang an gegeben. Die Rechtsextremen und die Paramilitärs könnten ein Attentat verüben, sollte Petro Maßnahmen ergreifen, die ihre Interessen bedrohen.

Beschwichtigung des Marktes

Um den Markt zu beschwichtigen, erwägt Petro leider bereits die Ernennung eines Finanzministers der „Mitte“. Solche Versuche, die herrschende Klasse zu beschwichtigen und sein Programm abzumildern, werden die Massen nicht zufrieden stellen. Sie werden auch die herrschende Klasse und die Oligarchen nicht zufrieden stellen. In Chile hat Boric nach nur wenigen Monaten an der Macht einen Einbruch seiner Zustimmungsraten erlebt, da er einen Kompromiss nach dem anderen mit der herrschenden Klasse und den politischen Parteien der „Mitte“ gesucht hat.

Massenaktionskomitees von Arbeiter*innen, städtischen und ländlichen Armen und anderen, die radikale Reformen und Veränderungen wollen, müssen demokratisch gewählt werden. Es ist ein nationaler Kampfplan erforderlich, um das Programm umzusetzen, mit dem Petro gewählt wurde, und um eine Massenpartei der Arbeiter*innenklasse mit einem sozialistischen Programm zum Bruch mit dem Kapitalismus aufzubauen. Eine solche Bewegung kann die Grundlage für die Bildung einer Regierung der Arbeiter*innen und der Armen bilden. Sie bräuchte ein Programm, um mit dem Großgrundbesitz und dem Kapitalismus zu brechen und einen demokratischen sozialistischen Plan einzuführen.

Leider ließ Petro einige seiner radikalsten Forderungen während des Wahlkampfes fallen, um „die Mitte zu gewinnen“. Selbst nach seiner Wahl hat er erklärt, er wolle die nationale Einheit. Dieser Weg wird den Rechten Zeit geben, um sich neu zu gruppieren und zu organisieren. Wenn er sein Reformprogramm zurückschraubt, wird dies zu Enttäuschung und einem Rückgang seiner Unterstützung führen. Sein Sieg kann jedoch das Selbstvertrauen und die Entschlossenheit der Arbeiter*innenklasse und der Armen zum Kampf stärken und eine neue Ära des Kampfes für eine sozialistische Alternative in Kolumbien einleiten.