Welches Programm für den Kampf ist nötig?
Vorbemerkung: Ende der vergangenen Woche ließ der neue Präsident Sri Lankas das Militär massiv gegen die Massenproteste vorgehen, nachdem diese den Präsidenten Gotabaya Rajapaksa vertrieben hatten. Wir veröffentlichen hier eine kurze Stellungnahme der Vereinigten Sozialistischen Partei (Schwesterpartei der Sol in Sri Lanka) und einen vor diesen Ereignissen geschriebenen, längeren programmatischen Artikel, der einen Ausweg aus der Krise Sri Lankas aufzuzeigen versucht.
Am Abend des 21. Juli und Morgen des 22. Juli rückte schweres Militär in die Protestgebiete in Colombo ein und räumte das Gebiet von Demonstrant*innen. Am Vortag waren Haftbefehle gegen die Anführer*innen der Studierendenproteste erlassen worden. Der neue Präsident Ranil Wickremesinghe erteilte dem Militär einen “offiziellen Befehl” zur “Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung” und nannte wichtige Verwaltungsbereiche, die geschützt werden sollten. Damit wird das gesamte Land unter militärische Kontrolle gestellt. Alle 25 Bezirke Sri Lankas wurden in dem Präsidialerlass aufgeführt, die unter die Kontrolle der Streitkräfte gestellt werden sollen. Diese Maßnahme wurde kurz nach der Wiedereinsetzung des Kabinetts aus der Zeit des gestürzten Präsidenten Gotabaya getroffen. Zuvor hatten die Demonstranten den sofortigen Rücktritt des neu ernannten Präsidenten Ranil Wikramasinghe und aller 225 Parlamentsabgeordneten gefordert.
Das militärische Eingreifen könnte die Protestbewegung vorübergehend zurückdrängen. Aber da die Wut und der Hass auf die Elite in den Massen zunehmen, kann das repressive Vorgehen auch zu einer weiteren Eskalation der Proteste führen.
Die Vereinigte Sozialistische Partei ruft auf:
– Die sofortige Freilassung aller Demonstranten, die von den Militärs und staatlichen Kräften verhaftet wurden!
– Volle Opposition aller gegen den militärischen Angriff auf die Demonstranten!
– Fordert alle Gewerkschaften in Sri Lanka auf, sofort einen Generalstreik auszurufen.
– Die Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung sollten sich weigern, mit dem diktatorischen Ranil-Regime zusammenzuarbeiten.
– Die Soldaten müssen sich weigern, mit der kriminellen Offiziersklasse der Armee zusammenzuarbeiten, die enge Verbündete der Familie Rajapaksa bei all ihren abscheulichen Verbrechen waren.
Krise in Sri Lanka: Was ist zu tun?
Von TU Senan, Internationales Sekretariat des Komitees für eine Arbeiter*inneninternationale (CWI), erstmals veröffentlicht auf socialistworld.net am 7. Juli 2022
Sri Lanka kam Anfang des Monats zum Stillstand, als die Regierung bekannt gab, dass sie nicht genügend Treibstoff und kein Geld für Importe zur Verfügung hat. Alle privaten Fahrzeuge sind verboten und die Schulen wurden geschlossen. Die Arbeiter*innen wurden gebeten, von zu Hause aus zu arbeiten. Die Preise für alle lebenswichtigen Nahrungsmittel steigen weiter an. Die Inflation der Lebensmittelpreise liegt bei über 80 % und steigt weiter an. Einigen Berichten zufolge liegt die reale Inflationsrate inzwischen bei weit über 130 % und ist damit die zweithöchste in der Welt. Die Regierung ist bei der Beschaffung von lebensnotwendigen Gütern weiterhin auf Almosen aus den Ländern der Region angewiesen. Es gibt keine eindeutigen Schätzungen zu den Auswirkungen. Aber der Mangel an Nahrungsmitteln, Treibstoff und einer Perspektive für die Zukunft hat fast die gesamte Bevölkerung in Verzweiflung gestürzt. Nach Angaben des Welternährungsprogramms ist fast ein Viertel der Bevölkerung “ernährungsunsicher”.
Die Reaktion der Regierung
Die derzeitige Regierung predigt der Bevölkerung weiterhin, dass das Elend unvermeidlich ist, und fordert sie auf, es zu ertragen. Der Premierminister warnte, dass sich die “Krise verschlimmern wird”. Ein Abgeordneter forderte die Bevölkerung sogar auf, sich auf eine Mahlzeit am Tag einzustellen. Der Oppositionsführer sagt, Sri Lanka müsse “extreme Sparmaßnahmen akzeptieren”.
Die Kapitalist*innen plädieren einhellig für eine weitere Kreditaufnahme als Lösung für die Krise. Allein in diesem Jahr musste die Regierung 7 Milliarden Dollar an Schuldenrückzahlungen und Zinsen leisten. Trotz ihres Bankrotts ist die Regierung wild entschlossen, weitere Kredite aufzunehmen, um die Schulden zu bezahlen. Alle wichtigen bisherigen Kreditgeber*innen haben sich geweigert, sinnvolle Unterstützung zu leisten, und verhandeln stattdessen über eine “Umstrukturierung der Schulden”, d. h. über eine Neuverhandlung der Zahlungsbedingungen und eine Ausweitung der Kontrolle über die Ressourcen. Indische Finanzgeier wie Adani haben nun die volle Kontrolle über riesige Landflächen und so genannte erneuerbare Energieprojekte in Mannar (einer Stadt im Norden). Die indische Regierung hält nach der von beiden Ländern im März dieses Jahres unterzeichneten Absichtserklärung weiterhin eine Kreditlinie und die Lieferung von Nahrungsmitteln für den Notfall bereit. Neben dem Ausbau von Fischereihäfen an der Nordküste erhielt Indien die Erlaubnis, ein Koordinationszentrum für die Seenotrettung zu bauen und maritime Projekte auf den Inseln bei Jaffna zu entwickeln. Keine der kapitalistischen Parteien lehnte dies ab. Die rechtsgerichtete Tamil National Alliance (TNA) begrüßte dies sogar und nahm an den Verhandlungen teil. Im Gegenzug soll die indische Regierung “Qualität, Gerechtigkeit, Frieden und Würde für die Tamilen im Rahmen eines vereinten Sri Lanka” versprochen haben. Auch das umstrittene Colombo West International Container Terminal (CWICT) wurde inzwischen an Modis Verbündete in der Adani-Gruppe vergeben.
Die Regierung ändert auch mehrere Gesetze, um den Finanzgeiern entgegenzukommen. Das geänderte Elektrizitätsgesetz hebt nun Ausschreibungen vollständig auf und ebnet den Weg für die Adani-Gruppe, um zu übernehmen, was sie will. Die derzeitige Regierung und ihre kapitalistischen Verbündeten wollen sicherstellen, dass sie das Maximum aus der aktuellen Krise herausholen. Trotz der Rhetorik, dass “alle für die Krise zahlen müssen”, wird nicht ein einziger Versuch unternommen, den Superreichen ihr Vermögen wegzunehmen oder auch nur die Gewinne zu kontrollieren, die sie weiterhin machen. Stattdessen wird nun der größte Millionär des Landes zum Minister für Investitionsförderung ernannt. Der Tycoon Dhammika Perera, auch bekannt als “Casinokönig”, wurde durch die illegale Einfuhr von Müll aus Großbritannien berüchtigt. Großbritannien macht weiterhin illegale Geschäfte und zahlt enorme Summen an Steuergeldern, um seinen Müll in neokolonialen Ländern abzuladen. Millionär*innen und korrupte Politiker*innen wie die Familie Rajapaksa und Dhammika Perera arbeiten bei diesen korrupten Geschäften zusammen. Dhammika Perera wurde nicht als Abgeordneter gewählt. Er wurde von Präsident Gotabaya Rajapaksa auf der Grundlage der den Parteien zur Verfügung stehenden nationalen Liste ausgewählt und kam nach dem Rücktritt von Gotabayas Bruder Basil ins Parlament. Dieser nicht gewählte Tycoon hat nun die Macht, alle faulen Geschäfte mit verschiedenen Geiern zu machen, die sich auf Sri Lanka stürzen, um die sich ihnen bietende Gelegenheit auszunutzen.
Obwohl China die Kontrolle über einige der umstrittenen Projekte wie den Hafen von Colombo oder die potenziellen Interessen an den nördlichen Inseln verloren hat, behält es auch weiterhin seinen vollen Einfluss auf alle Geschäfte, die es abgeschlossen hatte. China hatte angeboten, Sri Lanka mehr Geld zu leihen, um seine Kredite zurückzuzahlen! China ermutigt Sri Lanka auch, Vereinbarungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zu treffen, um die Kredite zurückzuzahlen. Viele Verhandlungen und Abmachungen, die hinter den Kulissen getroffen wurden, sind der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Die meisten der von der Rajapaksa-Regierung in der Vergangenheit abgeschlossenen Abkommen wurden lange Zeit geheim gehalten.
Die Regierung hat bereits eine Sondervereinbarung mit dem IWF über eine weitere Kreditaufnahme im Rahmen der Erweiterten Fondsfazilität (EFF) getroffen. Obwohl die Einzelheiten der Verhandlungen noch geheim gehalten wurden, gab der IWF eine Erklärung ab, dass er die “erste Überprüfung” zur Bereitstellung der Mittel abgeschlossen habe. Sie fordern von der Regierung, dass sie die Strukturreformen verstärkt. Die EFF-Vereinbarung mit dem IWF basiert in der Regel auf dem “Washington-Konsens”, d. h. auf dem Abbau staatlicher Subventionen, der Erhöhung der Preise, der Privatisierung staatlicher Dienstleistungen, der Änderung des Arbeitsrechts zur Senkung der Löhne und Arbeitsbedingungen, der Förderung eines wirtschaftsfreundlichen Steuersystems und anderer Maßnahmen. Der Staat wird daran gehindert, das geliehene Geld für das Gesundheits- und Bildungswesen auszugeben. Vor allem der Bildungssektor wird massiv unter Druck gesetzt werden. Die Einführung des privaten Bildungswesens ist Teil der Abmachung, die die indische Regierung bereits getroffen hat. Es liegen zahlreiche Untersuchungen vor, die zeigen, wie die IWF-Vereinbarungen dazu beigetragen haben, Bildungsausgaben in der ganzen Welt zu senken. In Pakistan haben die IWF-Geschäfte kürzlich zu massiven Preiserhöhungen im Energiebereich geführt. Schon jetzt fordert die Elektrizitätsbehörde die Regierung auf, die Preise um über 800 % zu erhöhen. Die Regierung wird zusammen mit Finanzgeiern daran arbeiten, die öffentlichen Dienstleistungen in Sri Lanka zu beenden. Das kostenlose Gesundheits- und Bildungswesen in Sri Lanka – ein Erbe des Kampfes in den 1940ern und den folgenden Jahrzehnten – ist bis heute der Stolz der Arbeiter*innenklasse. Die Krise wird genutzt werden, um es zu abzubauen.
Gibt es einen anderen Weg?
Als einziger Ausweg aus der Krise wird einhellig die Aufnahme von mehr Krediten gepredigt. Der Gouverneur der Zentralbank, Nandalal Weerasinghe, ging sogar noch einen Schritt weiter und behauptete, die Krise hätte vermieden werden können, wenn die Regierung früher zum IWF gegangen wäre. Weitere Kreditvereinbarungen, die die Regierung trifft, werden die Krise aber nicht lösen, sondern sie eher verschlimmern. Die indische Regierung ist trotz aller Vereinbarungen nicht bereit, in diesem Jahr auch nur die Hälfte der Schulden Sri Lankas zu finanzieren. Selbst wenn sie alle Kredite zusammenlegen, wird das nicht ausreichen. Nur im Interesse der Kapitalist*innen ist die Regierung immer noch wild entschlossen, die Schulden zurückzuzahlen.
Der Reichtum der Superreichen und der korrupten politischen Elite wird weiterhin geschützt, während jetzt schreckliche Angriffe auf Arbeiter*innen, Bauer*innen, Jugendliche und die Armen verübt werden. Nach dem brutalen, genozidalen Ende des Krieges im Jahr 2009 schürte die Familie Rajapaksa Siegesfreude und nutzte diese als Deckmantel, um die Bedingungen zu verschleiern, die sie für Plünderung und grobe Korruption geschaffen hat. Nach den in den Pandora Papers durchgesickerten Informationen hat allein die Familie Rajapaksa Milliarden verdient und besitzt nun heimlich Luxusimmobilien, Kunstwerke und Bargelddepots im Ausland. Nach verschiedenen Schätzungen liegt ihr Vermögen zwischen 5 und 18 Milliarden Pfund. Seit dem Ende des Krieges sind in Sri Lanka mehr als 300 Dollar-Millionär*innen entstanden. Diese Millionär*innen haben im letzten Jahr während der Pandemie Rekordgewinne erzielt.
Neoliberale Politik und grobe Korruption sind die Hauptgründe für den Bankrott (Näheres unter: Was sind die Ursachen der Wirtschaftskrise in Sri Lanka?). Dennoch werden die Corona-Pandemie und die Entscheidung der Regierung, die Steuern zu senken, von allen kapitalistischen Medien als Gründe dargestellt. Die rechten Medien und Politiker*innen in Sri Lanka und im Ausland wiederholen dies weiterhin als Mantra, um die wahren Gründe zu verbergen und die Sparmaßnahmen fortzusetzen.
Das Argument, die Menschen müssten für die Krise bezahlen, die sie nicht mit verursacht haben, muss zurückgewiesen werden. Was wir stattdessen brauchen, ist die Umsetzung eines wirtschaftlichen Notfallplans zur Verteidigung und Verbesserung des Lebensstandards.
Der Notfallplan sollte den Erlass aller Schulden beinhalten, wobei die Entschädigung nur an die wirklich Bedürftigen gezahlt wird. Während man sich weigert, die Makroschulden zu bezahlen, sollten alle Mikroschulden, die für kleine Unternehmen, Landwirte und Einzelpersonen bestehen, erlassen werden. Dies kann natürlich nur erreicht werden, wenn die Zentralbank und der wichtige Finanzsektor unter die demokratische Kontrolle des Staates gestellt werden. Wichtige Säulen der Wirtschaft wie der Brennstoff- und Nahrungsmittelsektor usw. sollten unter die volle demokratische Kontrolle der Arbeitnehmer*innen gestellt werden, die sie betreiben. Der Reichtum der reichen und korrupten Elite, wie der Rajapaksa-Familie, sollte beschlagnahmt und in die Produktion lebenswichtiger Güter reinvestiert werden. Es sollten zusätzliche Subventionen zur Verfügung gestellt werden, um die Notproduktion von Grundnahrungsmitteln zu beschleunigen. Es sollte eine angemessene, demokratisch kontrollierte Verteilung aller lebenswichtigen Güter organisiert werden. Die Superreichen, die ihren Reichtum ins Ausland verlagern wollen, sollten daran gehindert werden, und es sollten wirksame Kapitalkontrollen eingeführt werden. Für alle lebenswichtigen Güter sollten unverzüglich Preiskontrollen eingeführt werden.
Wer kann alternative Änderungen durchführen?
Diese alternativen Maßnahmen wird die derzeitige Regierung nicht umsetzen. Keine Opposition und keine Partei, die den Kapitalismus unterstützt, wird solche Maßnahmen ergreifen, die ihren Profitinteressen zuwiderlaufen. Selbst die JVP, die behauptet, eine linke Partei zu sein, ist nicht bereit, solche ernsthaften Maßnahmen vorzuschlagen, weil sie keine Alternative zur Arbeit innerhalb des kapitalistischen Systems sieht. Wenn diese Notfallpläne umgesetzt werden sollen, muss die derzeitige Regierung vollständig gestürzt und durch eine Regierung der Arbeiter*innen, Bauer*innen, Jugendlichen und Armen ersetzt werden. Wie diese alternative Macht geschaffen werden kann, ist die Schlüsselfrage, vor der die Protestbewegung in Sri Lanka steht.
Es steht außer Frage, dass eine solche Regierung dauerhafte Veränderungen herbeiführen kann. Es gibt genug Reichtum, um in die Produktion von Rohstoffen zu investieren, die jetzt für den Lebensunterhalt wichtig sind. Dies wird jedoch nicht ausreichen. Sri Lanka verfügt nur über begrenzte Ressourcen, und die jahrelange neoliberale Politik hat die Abhängigkeit von Importen erhöht. Darüber hinaus steht Sri Lanka ständig unter dem Druck Indiens, Chinas und westlicher Mächte, die Sri Lanka aus geopolitischen und anderen Gründen in den Würgegriff nehmen wollen. Jede Regierung, die mit der Umsetzung eines alternativen Wirtschaftsplans beginnt, würde von diesen regionalen und internationalen imperialistischen Mächten massiv unter Druck gesetzt werden.
Diese so genannten Mächte mögen stark erscheinen, aber sie sehen sich inmitten internationaler Krisen mit Opposition und Spannungen im eigenen Land konfrontiert. Modis Regime wurde durch den gewaltigen Kampf der Bauer*innen und einen Generalstreik, an dem sich Millionen von Arbeiter*innen beteiligten, zurückgedrängt. Es ist wichtig, an diese Kräfte zu appellieren, um ein regionales Bündnis aller Kämpfenden zu schaffen. Sri Lanka kann in der Isolation nicht überleben. Es wäre auch falsch anzunehmen, dass eine vollständige “Autarkie” in irgendeiner modernen Nation möglich ist. Die neue Regierung wird gezwungen sein, Geschäfte zu machen und Verträge abzuschließen, um sich mit dem Nötigsten zu versorgen, einschließlich Treibstoff. Dies muss natürlich nicht auf der Grundlage eines vorgetäuschten “antiimperialistischen Bündnisses” geschehen, das am Ende undemokratische und diktatorische Regime unterstützt. Aber es muss auf dem Aufruf beruhen, die Arbeiter*innen in Sri Lanka zu unterstützen und ein Bündnis mit den Arbeiter*innen zu bilden, die überall auf der Welt kämpfen.
Die Bewegung in Sri Lanka hat bisher ein enormes Potenzial gezeigt. Die Aufstandsstimmung, die nach dem geplanten Angriff auf die Demonstrant*innen aufkam, den der ehemalige Premierminister Mahinda nach seinem erzwungenen Rücktritt organisiert hatte, ist ein Hinweis auf die weit verbreitete Wut, die dort herrscht. Sie hat auch die Stärke der Bewegung gezeigt. Diese Stärke stellt eine große Chance dar, einen grundlegenden Wandel herbeizuführen, der den Arbeitnehmer*innen und den Armen in Sri Lanka langfristig zugutekommen wird und zu einem Leuchtturm für den Massenkampf werden kann, der sich in allen südasiatischen Ländern und darüber hinaus entwickelt.
Wenn die Protestbewegung jedoch gewinnen soll, muss Klarheit in Bezug auf Forderungen, Perspektiven, Organisationsmethoden, demokratische Strukturen, Führung usw. geschaffen werden.
Wir verstehen den Wunsch nach Einheit im Kampf, aber diese muss sich entweder auf spezifische Aktionen oder gemeinsame Forderungen stützen. Die Einheit der Bewegung kann jedoch nicht auf einer abstrakten Grundlage aufrechterhalten werden, sondern nur mit Klarheit über ihre Ziele und die Methoden zu deren Erreichung. Die derzeitige Regierung hat zusammen mit allen kapitalistischen Institutionen (einschließlich der Medien) bisher verschiedene Techniken angewandt, um die sich entwickelnde Bewegung zu entgleisen. Angriffe auf und die Kriminalisierung von Demonstrant*innen, die Androhung von Repressionen durch die Verlegung der Armee auf die Straße und der Versuch, alle Parteien zusammenzubringen, um der Öffentlichkeit eine Art “zusammengefasster” nationaler Regierung zu präsentieren, haben alle dazu beigetragen, die Bewegung bis zu einem gewissen Grad zu spalten. Unmittelbar nach seiner Ernennung zum Premierminister erklärte Ranil Wickremesinghe der Bevölkerung den Krieg und sagte: “Es wird noch schlimmer werden”. Die US-Botschaft war die erste, die der Ernennung ihres Verbündeten gratulierte. Innerhalb von Minuten begannen sie, Ranils Ernennung als Lösung darzustellen. Auch Indien kam der Regierung schnell zu Hilfe. Die JVP spielte auch eine kriminelle Rolle bei der Absage von Gewerkschaftsaktionen (durch die von ihr kontrollierten Gewerkschaften), traf sich mit dem US-Botschafter und verlieh dem möglichen Abkommen mit dem IWF eine gewisse Legitimität.
Zu diesem Zeitpunkt lag das Regime von Gota in den letzten Zügen. Gotabaya, der mit allen Mitteln zu überleben versuchte, erklärte sich bereit, seine Brüder loszulassen und seinen Griff um die Macht zu lockern, weigerte sich jedoch, das Amt des geschäftsführenden Präsidenten aufzugeben, das ihm de facto die volle Macht über die Angelegenheiten des Landes verleiht. Der Zusammenbruch der Regierung wurde irgendwie verhindert und indirekt von diesen Kräften und allen kapitalistischen rechten Kräften im Land geschützt. Dies verschaffte Gotabaya eine entscheidende Zeitspanne, in der er Maßnahmen ergreifen konnte, um seine Position weiter zu stärken und die Bewegung zu schwächen.
Massenproteste müssen weitergehen
Der für den 9. Juli organisierte Massenprotest sollte als Ausgangspunkt für eine weitere Eskalation genutzt werden. Die Proteste dürfen auf keinen Fall abgebrochen werden, und es muss genauer diskutiert werden, was der nächste Schritt sein soll. Wann immer die kapitalistische Elite nicht in der Lage war, die Bewegung gewaltsam zu unterdrücken, verschafft sie sich Zeit durch langwierige Verhandlungen – oder durch Vorschläge für eine “neue Regierung”, die in keiner Weise neu ist. Die neue Regierung setzt sich aus in Ungnade gefallenen Politiker*innen der Vergangenheit zusammen, wie z.B. Ranil Wickremesinghe, der nicht einmal die Unterstützung eines einzigen Abgeordneten hat – seine Position im Parlament wird ebenfalls über eine nationale Liste vergeben. Wir sehen diese Entwicklungen überall auf der Welt, wo sich starke Bewegungen entwickelt haben. Die sich entwickelnde Bewegung in Sri Lanka kann viel von den Massenbewegungen in Argentinien, Chile, dem Libanon und vor allem im Sudan lernen.
Die Anführer der Proteste sollten trügerische Angebote, die auf den Machterhalt des alten Regimes abzielen, sofort zurückweisen. Die Ersetzung dieser Führer durch potenziell “neue und saubere” Kapitalist*innen wird keine Lösung sein. Auch wenn die meisten Eliten und rechten Politiker*innen korrupt sind und seit langem das öffentliche Vermögen geplündert haben, ist die Ursache der Krise nicht nur auf Korruption zurückzuführen. Eine einfache “Säuberungsaktion” wird das grundlegende Problem der Wirtschaftskrise nicht lösen. Die Schuldenkrise und andere damit zusammenhängende Krisen sind das Ergebnis einer jahrzehntelangen neoliberalen Politik, für die es keine Lösungen geben wird, wenn diese Politik fortgesetzt wird.
Die Demonstrant*innen sollten sich auf zentrale Forderungen verständigen, die über die Forderung “Gota go home” (Rücktritt des Präsidenten) hinausgehen. Wir müssen fordern, dass die gesamte Regierung zurücktritt. Es darf kein Vertrauen in den IWF, die indische, chinesische und westliche Regierungen geben, dass sie im Namen der kämpfenden Massen handeln werden. Es sollte ein Aufruf zur Bildung von Ausschüssen in den Betrieben erfolgen. Insbesondere die Gewerkschaften sollten Initiativen ergreifen, um Arbeiterausschüsse in allen Betrieben zu bilden. In allen Dörfern und Städten sollten Ausschüsse von Arbeiter*innen, Bauer*innen und Armen gebildet werden. Demokratisch organisierte Ausschüsse können sich auf nationaler Ebene zu einem nationalen Gremium zusammenschließen. Dieser organisatorische Ansatz kann die Macht der Massenbewegung nutzen und sie außerhalb der Mauern des kapitalistischen Parlaments aufrechterhalten. Durch die Aufrechterhaltung einer solchen mächtigen Massenbasis kann der Prozess der demokratischen Neuorganisation der Gesellschaft beginnen. Diese Gremien können eine demokratisch gewählte revolutionäre verfassungsgebende Versammlung organisieren, die alle Teile der Gesellschaft zusammenbringen kann, um den Weg für eine von den Arbeitern geführte Regierung zu ebnen.
Der wichtigste Teil der Stärke der Massenbewegung kommt aus der Arbeiter*innenklasse. Trotz verschiedener Spaltungen und Schwächen in der Gewerkschaftsführung hatte das neu gebildete Kollektiv der Gewerkschaften und Massenorganisationen zu Generalstreiks, einem Hartal und einem unbefristeten Hartal aufgerufen. Der Hartal im Mai brachte das Land zum Stillstand. Der vollständige Stillstand zeigte, wer das Land wirklich regiert: nicht das Parlament der korrupten Reichen, sondern die Arbeiter*innenklasse. Die Massenbewegung sollte an die Gewerkschaften appellieren, mit entschlossenen Aktionen hervorzutreten. Dies ist auch eine Gelegenheit, einen radikalen Wandel in der Art und Weise, wie die Gewerkschaften sind, herbeizuführen. Es sollte keine Verbindungen zu den kapitalistischen Parteien geben. Die Gewerkschaften, die mit der SLPP, der SLFP und der UNP verbunden sind, sollten ihre Verbindungen kappen, und ein nationaler Koordinierungsausschuss aller Gewerkschaften sollte Initiativen ergreifen, um sich mit der Bewegung zu verbinden und eine politische Massenvertretung zu bilden, die wirklich die Interessen der Arbeitnehmer*innen widerspiegelt. Gewerkschaftliche Aktionen wie Generalstreiks bringen die Frage mit sich, wer die Geschicke eines Landes lenkt – mit anderen Worten, wer die Macht hat. Zu welcher Art von Generalstreik rufen wir auf? Diese machtvollen Aktionen sollten mit der Aufrechterhaltung dieser Macht durch die Schaffung einer organisatorischen Vertretung verbunden sein, mit dem Ziel, das derzeitige verrottete System durch die wirkliche Macht in den Händen der arbeitenden Menschen und der Armen zu ersetzen.
Die Stärke der Bewegung ergibt sich auch aus ihrer Fähigkeit, verschiedene Teile der Gesellschaft, die durch ethnische Zugehörigkeit, Sprache, Religion und andere Identitäten getrennt sind, zusammenzubringen. Bauer*innen und Arbeiter*innen in den Bergen protestieren schon seit langem. Ihre Forderungen sollten in die Bewegung aufgenommen werden. Angemessene Subventionen für alle Bauer*innen müssen sichergestellt werden, ebenso wie die Bereitstellung von Land für alle landlosen Bauer*innen zur Bewirtschaftung. Die Lohnforderungen der Bergarbeiter*innen müssen erfüllt und ihre Landrechte gesichert werden.
Was wollen die Tamil*innen?
Obwohl die von Tamil*innen dominierten Regionen nach wie vor die ärmsten des Landes sind, hat sich ihre Beteiligung am Kampf in Grenzen gehalten. Das liegt zum Teil daran, dass die meisten tamilischen Führer die aktuelle Bewegung fürchten und sich weigern, zu mobilisieren. Gleichzeitig gibt es aber auch ein echtes Misstrauen und Unbehagen unter den Tamil*innen, vor allem in der aktiven Schicht. Unter den Tamil*innen ist die Sorge weit verbreitet, dass die Bewegung ihre echten demokratischen Forderungen wie die Freilassung aller politischen Gefangenen, Gerechtigkeit für die gewaltsam Verschwundenen usw. völlig ignoriert. Warum kann selbst in diesem Stadium, in dem das wahre brutale Gesicht der Rajapaksa-Familie enthüllt wurde, nicht zugegeben werden, dass unter ihrer Führung Kriegsverbrechen begangen wurden? Warum werden die Morde, die während des Krieges begangen wurden, und das grobe Unrecht, das die Rajapaksa-Familie begangen hat, nicht zugegeben? Auf der anderen Seite nutzt der rechte Flügel im Süden singhalesisch-buddhistische nationalistische Propaganda, um die tamilische Beteiligung zu verhindern. Die Angst vor tamilischem Separatismus wird benutzt, um die singhalesische Arbeiter*innenklasse zu täuschen. Sie verschleiert die Tatsache, dass die Forderung der Tamil*innen nach Abspaltung selbst auf die anhaltende Missachtung demokratischer Rechte und Unterdrückung zurückzuführen ist. Es sollte sich eine klare Führung herausbilden, die genau weiß, wie die Einheit der Arbeiter*innenklasse geschmiedet werden kann, um ein besseres Leben für alle zu erreichen. Solange die nationalen Bestrebungen der Tamil*innen nicht angesprochen werden, wird die mögliche Spaltung der Bewegung auf dieser Grundlage bestehen bleiben. Es ist keine einfache Frage des Rassismus der einen Seite gegen die andere oder der Sprachparität. Die nationale Frage geht tiefer als eine einfache Forderung nach Gleichheit.
Allerdings haben die Tamil*innen (einschließlich der rechtsgerichteten TNA) nationale Forderungen nicht als Ultimatum oder Vorbedingung für ihre Unterstützung der Massenproteste gestellt. Vielmehr haben sich viele Tamil*innen in ganz Sri Lanka und in der Diaspora den Protesten angeschlossen. Der Teil, der sich der Massenbewegung widersetzt oder die Tamil*innen von den Protesten abhält, tut dies aus Gründen der politischen Klasse und nicht aus nationalistischen Erwägungen heraus. Während der Nationalismus unter den Tamil*innen aufgrund der anhaltenden Unterdrückung und des Mangels an Gerechtigkeit massiv zugenommen hat, haben sich auch die Klassenunterschiede vergrößert. Es gibt eine scharfe Spaltung unter denjenigen, die behaupten, tamilische nationalistische Forderungen zu unterstützen. Ein Teil von ihnen, darunter auch die TNA, unterstützt die Intervention des IWF und Indiens zur Lösung der gegenwärtigen Krise und sieht daher Ranil als ihren Verbündeten und Retter. Diese rechtsgerichtete Position ist der Hauptgrund für die Distanz, die Teile der tamilischen Führer*innen und Aktivist*innen usw. wahren. Dies ist auch in der tamilischen Diaspora der Fall, wo die wohlhabende tamilische Jugend diesen Massenkampf nicht als ihren Aktionsort ansieht. Diese Position sollte in Frage gestellt werden. Dies kann jedoch nur dann geschehen, wenn die Bewegung Maßnahmen ergreift, um der antitamilischen Stimmung entgegenzuwirken, die in einigen Schichten herrscht. Alle demokratischen Forderungen sollten von der Bewegung aufgegriffen werden. Die Führer*innen der Bewegung sollten einen Aufruf an die tamilische Jugend richten, sich zusammenzuschließen, um das gegenwärtige Regime und alles damit verbundene Elend zu stürzen. Die nationalen Bestrebungen der Tamil*innen stehen nicht im Gegensatz zu den Rechten der singhalesischen Arbeiter*innen – sie können vielmehr mit ihnen zusammenfließen. Die Einsetzung einer revolutionären verfassungsgebenden Versammlung kann die Forderungen aller Teile der Gesellschaft einbeziehen. Die Arbeiterregierung wird kein Hindernis für die Rechte der Tamil*innen sein, sondern auf die Bildung einer sozialistischen Konföderation hinarbeiten, die einen einheitlichen demokratischen Plan zur gemeinsamen Nutzung der Ressourcen der Region und darüber hinaus umsetzen kann.
Um Schwierigkeiten und mögliche Spaltungen zu überwinden, muss Klarheit über die Forderungen und Programme der Bewegung geschaffen werden. Die Inter-University Students’ Federation (IUSF) hat in der Vergangenheit einige programmatische Vorschläge gemacht. Natürlich arbeitet die Frontline Socialist Party eng mit der IUSF zusammen, und die United Socialist Party (USP), die die meisten dieser Ansichten teilt, hat sie unterstützt. Insbesondere die USP hat eine Reihe von Kritiken an dem Programm geäußert, um es weiterzuentwickeln. Bei dieser Kritik handelt es sich nicht um eine umfassende Auflistung dessen, was die USP im Gegensatz zur IUSF fordert oder vorbringt; vielmehr soll sie diese ergänzen und weiterentwickeln.
Nach einer langen Kampagne, um der Bewegung eine Richtung zu geben, haben die Führer*innen von Aragalaya (Struggle) schließlich ihren Aktionsplan im Namen der Demonstrant*innen von Galle Face in Colombo veröffentlicht. Dieser Aktionsplan ist die kollektive Arbeit derjenigen, die an den Protesten beteiligt sind, und beinhaltet die besten Forderungen, die die Bewegung bis heute aufgestellt hat. Natürlich sind die USP und das CWI sehr erleichtert, dass einige der Forderungen, die sie schon seit einiger Zeit formuliert haben, aufgenommen wurden. Es ist beruhigend festzustellen, dass sich endlich eine einheitliche Position abzeichnet, z.B. in Bezug auf den Erlass aller Schulden. Die USP und das CWI begrüßen diese Entwicklung, appellieren jedoch an Aragalaya, die derzeitige Position in einer Reihe von Fragen zu verbessern – insbesondere die Unmöglichkeit einer dauerhaften Verbesserung ohne Bruch mit dem Kapitalismus. Wir appellieren an sie, diesen Artikel als einen Beitrag zu dieser Diskussion zu betrachten.
Die Forderung, dass die gesamte Regierung zurücktritt, lässt die Frage offen, was an ihre Stelle treten soll. Welchen Charakter wird die so genannte neue “Übergangsregierung” haben? Wie wird ihr Programm aussehen? Wie wird sie gebildet werden? Die Massenbewegung setzt ihre ganze Kraft und Energie ein, um ein verrottetes Regime loszuwerden, und sollte nicht damit enden, das Alte als Neues zu erfinden. Wir müssen artikulieren, welche Art von Regierung wir wollen. Selbst kleine Aufgaben wie die Abschaffung der exekutiven Präsidentschaft, die Einführung einer neuen demokratischen Verfassung usw. werden nicht von den bestehenden Kräften erledigt werden. Dazu gehören auch Politiker*innen im Ruhestand oder Kapitalist*innen, die oft als “respektable” Mitglieder der Gesellschaft dargestellt werden. Stattdessen plädieren wir dafür, dass die Macht bei denjenigen liegen sollte, die den Kampf anführen – d.h. bei den Arbeiterführer*innen, den Bauer*innen, den Jugendführer*innen von Aragalaya, usw. Der vorgeschlagene Volksrat sollte nicht als Kontrollinstanz für das Parlament fungieren, sondern über genügend Macht verfügen, um das umzusetzen, was wir brauchen. Wir begrüßen weitere Diskussionen und Debatten in der Bewegung darüber, welches nationale Gremium eingerichtet werden soll, welche Organisationsform es haben soll usw. Es sollte auch eine Diskussion und Vereinbarung darüber geben, wie wir die Massenproteste fortsetzen und uns gegen Angriffe wehren können. Die derzeitige Krise hat die Gesellschaft in gewisser Weise zurückgeworfen, was auch enorme Herausforderungen mit sich bringt. Der Mangel an Treibstoff und Lebensmitteln sowie mögliche Stromausfälle usw. werden die Bewegung auf die Probe stellen. In diesem Sinne können wir viel aus den Kämpfen und Methoden der Vergangenheit lernen.