Neun-Euro-Ticket zeigt großen Bedarf

ÖPNV, S-Bahn

Regierende wollen sich mit der Maßnahme Sommerpause erkaufen

Für Millionen von Menschen ist es die deutlichste politische Verbesserung der letzten Jahre: Mit dem Neun-Euro-Ticket haben viele zum ersten mal die Möglichkeit, ihr Recht auf Mobilität wahrzunehmen. Das Ticket zeigt: Eine massenhafte Nutzung des Regional- und öffentlichen Nahverkehrs scheitert nicht an den Fahrwilligen.  Die Gelder für einen massiven Ausbau des öffentlichen Verkehrssystems sind vorhanden und können locker gemacht werden, wenn die regierenden Parteien es wollten.

von Hans Neumann, Gütersloh

Durch die Sparmaßnahmen der Bahn und die Privatisierung des Bahnverkehrs in den letzten Jahrzehnten sind Verspätungen und Zugausfälle die Normalität. Mit der erhöhten Nachfrage vermehren sich die Berichte über volle Züge und sogar Räumungen.

Verkehrswende fällt aus

Angesichts der Verantwortung privater Konzerne am Klimawandel, kommt das Neun-Euro-Ticket vielen Politiker*innen gerade recht, um an individuelle Verantwortung und den dauerhaften Umstieg auf den ÖPNV von autofahrenden Berufspendler*innen zu appellieren. Als ob Autofahrende sich ihr Verkehrsmittel frei aussuchen könnten. Wer nach acht bis zehn Stunden Arbeit die doppelte oder dreifache Zeit für öffentliche Verkehrsmittel aufwenden muss oder in einer Region mit schlechtem Bus- und Bahnnetz lebt, kann nicht auf das Auto verzichten. Hinzu kommt, dass Monatskarten in vielen Gegenden bis zu hundert Euro, auf manchen Pendelstrecken sogar 200 Euro und mehr kosten. 

Nächste Station: Teuer

Führende Politiker*innen prognostizieren bereits, dass nach der neunzigtägigen Laufzeit des Neun-Euro-Tickets die Ticketpreise erneut in die Höhe schießen werden. Wie wäre es stattdessen mal damit, die laut Internationalem Währungsfonds etwa siebzig Milliarden Euro jährlichen schweren Subventionen für fossile Energien stattdessen für kostenfreien Zugang, Ausbau des öffentlichen Verkehrssystems und besseren Arbeits- und Lohnbedingungen des Personals mit dem Ziel massiver Neueinstellungen zu nutzen?

Geschenk oder Kalkül?

Dass es die massive Bezuschussung aus unseren eigenen Steuerzahlungen nun gibt, ist im Grunde eine öffentlichkeitswirksame Version vorheriger Maßnahmen: 2020 bezuschusste der Bund die Länder mit 2,5 Milliarden Euro für sogenannte “pandemiebedingte finanzielle Nachteile” des Nahverkehrs und 2021 um eine weitere Milliarde Euro. In diesem Jahr wurden 1,2 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, die sich Bund und Länder teilen, für das Neun-Euro-Ticket werden zusätzlich 2,5 Milliarden Euro vom Bund getragen.

Auch wenn sich die Bundesregierung nun gerne inszeniert, als würde sie uns einen „Geldsegen“ beschaffen: Es bleibt nichts anderes, als eine Verwendung unserer Steuergelder, um den Ruf der regierenden Parteien kurzfristig zu verbessern und die Kassen von Unternehmen zu füllen, statt den Ausbau des öffentlichen Nah-, Regional- und Fernverkehrs wirklich voranzutreiben. Sobald aber Pendeln genauso viel oder sogar noch mehr kostet als vor Einführung des Entlastungspakets und der Schienenverkehr dann weder ausgebaut sein wird, noch die Preissteigerungen wenigstens gebremst wurden, wird sich der Unmut in der Bevölkerung entladen. Bis dahin erkauft sich die Bundesregierung mit unserem Geld Zeit über den Sommer, in der sie in Ruhe die nächsten Schritte ihres Regierungshandelns planen kann.

Klassenkampf

Wir müssen für einen langfristig kostenfreien Zugang im Nahverkehr für alle Menschen und der dauerhaften Haltung des Neun-Euro-Angebots auf Regionalstrecken, sowie drastisch reduzierten Preisen im Fernverkehr kämpfen. Wenn das alles aus den immensen Profiten der Autoindustrie und anderer Mobilitätsunternehmen sowie einer höheren Besteuerung von Banken, Konzernen und Superreichen finanziert würde, kann auch nicht mehr behauptet werden, dass für solche Maßnahmen kein Geld vorhanden sei oder stattdessen Sozialausgaben gekürzt werden müssten. Eine echte Verkehrswende hieße, die demokratische Kontrolle und Verwaltung über alle Verkehrsbetriebe zu erlangen. Langfristig kann das nur in einer sozialistischen Gesellschaft sichergestellt werden. 

Print Friendly, PDF & Email