Dortmund: Polizei tötet Jugendlichen

Foto von Christoph Scholz, https://www.flickr.com/photos/140988606@N08/31747766292 (CC BY-SA 2.0)

Mehr als Antworten nötig, politische Veränderung erkämpfen!

Nach der Tötung eines 16-Jährigen Geflüchteten in Dortmund durch fünf Schüsse aus der Maschinenpistole eines Polizisten sind viele Fragen offen und die Wut groß. Inzwischen sind mehrmals Hunderte auf die Straße gegangen, um Antworten einzufordern. Gleichzeitig versuchen Polizei, Staatsanwaltschaft und Teile der Medien die Ereignisse runterzuspielen. Sie fordern Vertrauen in die Institution, die innerhalb von sieben Tagen vier Menschen in Deutschland getötet hat. Wir müssen unsere Wut weiter auf die Straße tragen, um für Gerechtigkeit zu kämpfen.

Von Jens Jaschik, Sol Dortmund

Am 8. August erschoss die Dortmunder Polizei den 16-jährigen Jugendlichen Mouhamed Dramé vor der Jugendhilfeeinrichtung, in der er seit kurzem betreut wurde. Mouhamed Dramé war ein unbegleiteter Geflüchteter aus dem Senegal. Auf der Flucht sind seine Eltern und sein Bruder gestorben. Erst vor kurzem wurde er von Rheinland-Pfalz nach Dortmund in eine Jugendhilfeeinrichtung weitergeleitet, die gar nicht dafür geeignet ist, traumatisierte Jugendliche ohne Deutschkenntnisse zu betreuen. Einen Tag zuvor wurde er wegen suizidalem Verhalten für 24-Stunden in der LWL-Klinik betreut. Am Montag wurde die Polizei gerufen, weil Mouhamed mit einem Messer gesehen wurde. Es bestand Suizid-Gefahr. Doch Mouhamed wurde von elf schwerbewaffneten Polizisten umzingelt und nach dem Einsatz von Pfefferspray und Tasern durch den Feuerstoß einer Maschinenpistole durchlöchert. Fünf der sechs Schuss trafen ihn tödlich. Jeweils einer in den Bauch, in den Kiefer, in den Unterarm und zwei Mal in die Schulter. Warnschüsse wurden zuvor keine abgegeben. Die Bodycams aller elf Polizist:innen waren ausgeschaltet. Die Polizei behauptet es handelte sich um Notwehr. Der Bochumer Kriminologe Thomas Feltes erklärte gegenüber der dpa, dass das Vorgehen der Polizei nicht nachvollziehbar sei. Es sei nicht erklärbar wieso eine Anti-Terror-Waffe bei einem suizidalen Jugendlichen zum Einsatz kam. Das martialische Auftreten der Polizei habe zu dem Ausgang der Situation geführt.

Die Ermittlungen zu den Todesschüssen soll aus „Neutralitätsgründen“ die Polizei Recklinghausen übernehmen. Diese trägt selber die Verantwortung für die Tötung eines 48-jährigen in seiner Wohnung in Oer-Erkenschwick einen Tag zuvor. Hier übernimmt die Polizei Dortmund die Ermittlung. Dabei übernimmt immer grundsätzlich die Polizei Recklinghausen die Ermittlungen gegen die Polizei Dortmund – und umgekehrt. Wie hier neutrale Ermittlungen möglich sein sollen, ist schleierhaft. Eine Krähe hackt der andern kein Auge aus.

Polizei als Serientäter

Es ist nicht das erste Mal, dass die Polizei in Dortmund – insbesondere in der Nordstadt, welche durch Armut und Perspektivlosigkeit geprägt ist– rassistisch, sexistisch und gewalttätig auffällt. 2018 wurden zwei junge Männer, die im Anschluss an eine Schlägerei festgenommen wurden, von der Polizei unter anderem als „Scheiß Kanaken“ beschimpft, und geschlagen, als diese schon gefesselt waren. Kurz darauf meldeten sich mehrere Einzelpersonen bei den Lokalmedien Ruhr24 und berichteten von rassistischen Polizeikontrollen und Polizeigewalt. 2020 und 2021 bedrängten Polizisten der Polizeiwache Nord zwei junge Frauen und beleidigten sie als „Fotzen“. Das sind nur ein paar Beispiele für Übergriffe der Polizei in Dortmund. In Dortmund ist es unter Jugendlichen und Migrant:innen ein offenes Geheimnis, dass die Polizei rassistisch und aggressiv ist. Dabei kommt es selten zu Anzeigen. In seinem Aufsatz „Körperverletzung im Amt“ schreibt der Wissenschaftler Tobias Singelstein: „Kommt es zur Anzeige, folgt oft eine Gegenanzeige der Polizisten. Bei Ermittlungen würden Polizisten eine ‚Mauer des Schweigens‘ errichten, Aussagen verweigern und sich gegenseitig decken.“

Die Anzahl der Übergriffe durch die Polizei und die noch höhere Dunkelziffer machen deutlich, dass es sich um ein strukturelles Problem handelt. Die Tötung von Mouhamed Dramé ist kein Einzelfall, sondern der Höhepunkt einer Serie rassistischer Polizeigewalt – in Dortmund und ganz Deutschland. Dabei spielt es keine Rolle, ob es an dem Nachmittag das Ziel der Polizei war einen schwarzen Jugendlichen zu töten oder die Situation eskalierte, weil die Polizei unfähig war, die Situation zu deeskalieren. Die Polizei reagiert auf die Perspektivlosigkeit armer Jugendlicher oder verzweifelter Geflüchteter mit brachialer Gewalt. Die Institution Polizei hat nicht die Aufgabe unser Freund und Helfer zu sein, sondern die herrschenden Verhältnisse sozialer Ungerechtigkeit und Ungleichheit aufrechtzuerhalten. Daher ist sie unfähig die Todesschüsse auf Mouhamed Dramé aufzuklären oder sich selbst zu refomieren. Veränderung können nur wir selbst – Jugendliche, Studierende, Arbeiter*innen, egal ob wir in Deutschland geboren sind oder nicht – erkämpfen.

Wie weiter?

Wir müssen weiter auf Straße gehen. Als Sol machen wir den Menschen in der Nordstadt, die tagtäglich von Polizeigewalt und -willkür betroffen sind, ein Angebot gemeinsam gegen soziale Ungerechtigkeit und Ungleichheit aktiv zu werden. Dafür ist es nötig Wut und Trauer in ein politisches Programm zu übersetzen. Die Sozialistische Organisation Solidarität setzt sich dafür ein die Wurzeln von Rassismus, Unterdrückung, Armut und Ausbeutung zu bekämpfen. Wie fordern unabhängige, öffentliche Ermittlungen durch Anwohner*innen, Migrant*innenvereinen und Gewerkschaften, um die Ereignisse vom Montag aufzuklären. Die Polizei muss zur Rechenschaft gezogen werden! Die Polizei in Dortmund muss grundsätzlich unter die demokratische Kontrolle der Öffentlichkeit, dass heißt durch Anwohner*innenvertretungen, Vertreter*innen des Migrationsrat und Gewerkschaften, gestellt werden, um polizeiliche Übergriffe ahnden und deren Zahl zu reduzieren. Diese Kontrollgremien müssen Einsicht in alle Akten und Dienstpläne bekommen, sowie das Recht haben gegebenenfalls Polizist*innen zu suspendieren. Die Polizei und Versammlungsgesetze der letzten Jahren müssen sofort zurückgenommen werden. Mit der ständigen Aufrüstung der Polizei muss Schluss sein.

Es ist kein Zufall, dass sich Polizeigewalt meistens in den ärmsten Stadtteilen und gegen die ärmsten und am meisten diskriminierten Schichten unserer Gesellschaft richtet. Wir brauchen Investitionen in soziale Projekte und Jugendzentren, wir brauchen kostenlose Bildung, bezahlbaren Wohnraum, Ausbildungs- und Arbeitsplätze und höhere Löhne für alle. Die Inflation, die allgemeinen Verteuerungen und die unverschämt hohen Gas und Strompreise werden die Menschen in der Nordstadt am Härtesten Treffen. Man braucht nicht viel Fantasie, um zu erkennen das Protest auf den Widerstand der Staatsgewalt treffen wird. Man muss sich nur das Vorgehen der Polizei gegen streikende Hafenarbeiter*innen in Hamburg im Juli dieses Jahres ansehen. Umso wichtiger ist es, dass wir uns organisieren und unseren Widerstand gemeinsam auf die Straße, in die Schulen, Universitäten, und Betriebe tragen.

Veranstaltung der Sol Dortmund

23. August: Die Polizei: Kein Freund und Helfer – Sozialistisches Programm zu Staat und Polizei

Im Casa Portugesa Schützenstraße 196, 44147 Dortmund um 18:30 Uhr

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