„Damit das Gesocks hier wegkommt“

Polizeigewalt und Repressionen gegen Jugendliche nehmen zu

Wer mittlerweile am Winterhafen in Mainz (eine beliebte Liegewiese am Rhein) sein Freitagabend noch nach 24 Uhr genießen will, wird recht unsanft von der Polizei verjagt. Der Hintergrund ist eine Beschwerde von Anwohner*innen, die in den neu gebauten Luxuswohnungen wohnen und sich über den angeblichen Lärm beschweren. Als Anwesende kürzlich fragten, was die ganzen Maßnahmen bezwecken sollten, antwortete ein Polizist mit „damit das Gesocks hier wegkommt!“

von Caspar Loettgers, Mainz

Das Beispiel in Mainz ist nur eins von vielen in den letzten Wochen, in denen die Polizei vor allem gegen Jugendliche repressiv vorging, die ihren Feierabend genießen wollten. Im Zuge der Krise sind viele Freizeitmöglichkeiten weggefallen. Kneipen machen früh dicht, viele Festivals und Konzerte wurden abgesagt, Fußballspiele fanden lange nur noch ohne Publikum statt. Diese Maßnahmen können sinnvoll sein zur Pandemiebekämpfung, lassen dafür aber vor allem Jugendliche wenige Möglichkeiten, dem alltäglichen Stress zu entkommen.

Stress für Jugendliche steigt

Dabei ist dieser vor allem durch die Pandemie enorm gestiegen. Viele Prüfungen wurden nicht abgesagt oder verschoben. Gleichzeitig fiel in Schulen, Berufsschulen und auch in einigen Betrieben viel Zeit für die Vorbereitung und das Lernen weg. Gerade in ärmeren Familien werden in Pandemie- und Lockdown-Zeiten beengte Wohnverhältnisse noch mehr zum Gefängnis als ohnehin schon. Häusliche Gewalt nimmt zu. Viele Jugendzentren haben nur noch selten auf, da in vielen Städten auch vor Corona an entsprechenden Personal gespart wurde. Dazu kommt, dass viele Jugendliche im Zuge der Krise jetzt schon ihren Job verloren haben oder keine Lehrstelle finden. Jugendliche treibt es daher verständlicherweise immer öfters am Wochenende in Parks oder auf öffentliche Plätze, wo man sich mit Freund*innen treffen und dem alltäglichen Stress entkommen kann.

Statt auf die Bedürfnisse und Probleme der Jugendlichen einzugehen, verhängten viele Städte in den letzten Wochen strenge Auflagen wie Alkoholverbote oder frühe Ruhezeiten. Diese werden dann von der Polizei oft brutal durchgesetzt. Vielen Jugendlichen wird damit eine der wenigen letzten Möglichkeiten genommen, am Wochenende dem Stress zu entkommen und viele fühlen sich zu recht verarscht. Vor allem, wenn die Auflagen offensichtlich den reicheren Stadtbewohner*innen dienen, wie es in Mainz etwa der Fall war. Schärfere Repression wird zudem Ausschreitungen zwischen Jugendlichen und der Polizei, wie es sie in Stuttgart und anderen Städten gegeben hat, nicht verhindern sondern im Gegenteil provozieren.

Was jetzt nötig wäre, sind keine strengeren Auflagen und Repressionen, sondern eine Entlastung von Jugendlichen und das Aufzeigen von Perspektiven. Es müssen endlich mehr Jugendzentren gebaut und vorhandene ausgebaut werden. Prüfungen müssen ausgesetzt, verschoben oder auf freiwilliger Basis absolviert werden. Es muss endlich mehr Geld in Jugend- und Kulturzentren fließen und Konzepte entwickelt werden, die Freizeitangebote ohne ein weiteres Ausbreiten des Coronavirus ermöglichen (Freiluftkonzerte, Freilufttheater etc.) und allen zugänglich sind. Vor allem braucht es massive Investitionen in bezahlbaren Wohnraum, Bildung und Ausbildung.

Polizeigewalt nimmt zu

Die strengen Auflagen in vielen Städten gehen einher mit einem immer härteren Vorgehen der Polizei und auch einem Anstieg an Fällen von Polizeigewalt. In den sozialen Netzwerken tauchten im August eine Reihe an Videos aus unterschiedlichen Städten auf, in denen Polizisten brutal gegen Jugendliche vorgingen.

In Hamburg wurde ein Polizeieinsatz gefilmt bei dem ein 15-Jähriger von acht Polizist*innen niedergerungen wird, weil er mit einem E-Scooter auf dem Bürgersteig gefahren war. Im Video ist zu hören wie er immer wieder ruft: „Ich kriege keine Luft!“ Im Hintergrund ist ein Graffiti zu sehen mit dem Schriftzug „I can’t breathe!“ (ein Slogan der antirassistischen Bewegung in den USA). Ein ähnlicher Fall wurde in Düsseldorf dokumentiert. Hier kniete ein Polizist auf den Kopf eines 15-Jährigen, ähnlich wie der Polizist es tat, der für den Tod von Georg Floyd verantwortlich ist.

Polizeigewalt ist nicht nur seit den letzten Monaten ein Problem. Beispiele für brutale Vorgehensweisen innerhalb der Polizei gibt es viele, nicht zuletzt wenn Nazi-Aufmärsche gegen antifaschistische Gegenproteste durchgesetzt werden. Die letzten Wochen zeigen aber einen neuen Trend, der auch mit der Pandemie zusammenhängt. Viele Polizist*innen fühlen sich im Zuge der Krise offensichtlich ermutigt „härter durchzugreifen“. In Ingelheim prügelte die Polizei am 15. August auf den Protest gegen einen Naziaufmarsch so brutal ein, dass über 100 Menschen verletzt wurden.

Oft müssen sich Polizeibeamte in Deutschland überhaupt keine Sorgen machen, dass ihr Handeln wirkliche Konsequenzen für sie haben wird. Erst vor kurzem wurden sieben Polizisten aus Frankfurt freigesprochen, die 2017 einen Mann in seiner Wohnung umgebracht haben, nachdem sie gerufen worden sind, um die Wohnung zu räumen. Das ist nur ein Beispiel. Jährlich kommt es in etwa 2000 Fällen zu Ermittlungsverfahren, wovon nur rund zwei Prozent vor Gericht landen und nur weniger als ein Prozent zu einer Verurteilung. Die Dunkelziffer an Fällen, die nicht einmal zu einer Ermittlung führen, ist wahrscheinlich noch deutlich höher. Eine Studie der Universität Bochum schätzte diese auf rund 10 000 Fälle.

Polizei ermittelt gegen Polizei! Für eine wirkliche Kontrolle der Polizei!

Grund für die niedrige Anzahl an Verurteilungen ist nicht, dass es keine Fälle von Polizeigewalt gibt. Vielmehr ermittelt die Polizei in fast allen Fällen gegen sich selbst. Kommt es dann zu einer Anklage, stehen dann die Aussagen vom Polizisten der des Betroffenen gegenüber. Für eine wirklich Aufklärung von Polizeigewalt braucht es daher eine unabhängige Kontrollinstanz. Diese sollte demokratisch gewählt werden und aus Vertreter*innen der Gewerkschaften, Migrantenverbände, Sozialarbeiter*innen und der Bevölkerung bestehen. Außerdem sollte sie das Recht haben, Beamte zu entlassen oder einzustellen, Richtlinien zu erstellen und unabhängige Untersuchungen von Fällen polizeilichen Fehlverhaltens durchzuführen.

Für eine sozialistische Demokratie!


Eine demokratische Kontrolle der Polizei ist im Moment extrem wichtig. Und dennoch verteidigt die Polizei immer nur die bestehende Gesellschaftsordnung. Für eine immer größer werdende Zahl an Jugendlichen bedeutet aber genau diese kapitalistische Ordnung Perspektivlosigkeit, Arbeitslosigkeit, Armut und Unterdrückung. Mit der momentan anrollenden Krise, die noch lange nicht ihren Höhepunkt erreicht hat, werden diese Probleme nur noch drängender. Die herrschenden Politiker*innen werden aber keinen Ausweg finden. Für sie zählen die Profite der großen Konzerne mehr, als die Leben einfacher Jugendlicher und Arbeiter*innen, die die immer größer werdende Profite erst möglich machen. Einen Ausweg kann es nur geben, wenn wir das Übel an der Wurzel packen, das heißt den Kapitalismus als ganzes überwinden. In einer sozialistischen Demokratie wäre es möglich, sowohl wirksam die Pandemie zu bekämpfen, als auch Jugendlichen eine Perspektive zu bieten. Mit einer demokratisch geplanten Wirtschaft, die ausgerichtet ist auf die Bedürfnisse der Menschen und der Natur, könnten gute Arbeitsplätze und freie Kulturangebote für alle geschaffen werden. Dazu ist es aber notwendig, dass ein gemeinsamer Kampf durch die Gewerkschaften, auf der Straße und im Betrieb geführt wird. Als Sol (Sozialistische Organisation – Solidarität) führen wir diesen Kampf und setzen uns in Gewerkschaften und der LINKEN für einen kämpferischen Kurs ein. Wenn du unseren Positionen zu stimmst, dann werde mit uns aktiv und kämpfe gegen Kapitalismus, Ausbeutung und Armut!

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