Sommer der Unzufriedenheit

Streikwelle in Großbritannien

Die Gewerkschaften in Großbritannien kündigen einen „Sommer der Unzufriedenheit“ an. Damit nehmen sie direkt Bezug auf die historischen Streiks 1978/79 in dem zehntausende von britischen Arbeiter*innen im öffentlichen und privaten Sektor in den Streik gingen, um damit gegen das Vorgehen der damaligen Labour-Regierung zu kämpfen, die zur Bekämpfung der Inflation eine Obergrenze bei den Lohnerhöhungen von fünf Prozent durchsetzen wollte. 

Von Rayuela, Mitglied der Sozialistischen Offensive in Österreich (derzeit Mainz)

Diese Streiks gingen als „Winter der Unzufriedenheit“ in die Geschichte ein. Auch heute haben wir wieder eine grassierende Inflation, deren weitere Entwicklung sich aufgrund von Faktoren wie dem Krieg in der Ukraine und dessen Auswirkungen auf den Weltmarkt nicht abschätzen lässt. Und wieder versuchen britische Unternehmen und die Regierung die dringend benötigten Lohnerhöhungen zu verhindern. 

Die gegenwärtigen Streiks nahmen ihren Ausgang im Eisenbahn und Transportsektor. In einer Urabstimmung der RMT (National Union Rail, Maritime and Transport Workers) haben 89 Prozent der 40.000 Mitglieder für einen Streik gestimmt, nachdem 14 der privaten Eisenbahnunternehmen eine Gehaltserhöhung von vier Prozent vorgeschlagen hatten. Bei einer Inflationsrate, die bis zum Jahresende bei geschätzten 13 Prozent liegen soll, liegt dies weiter unterhalb einer Reallohnerhöhung. Weiterhin wurden den Eisenbahngesellschaften massive Einsparungsmaßnahmen von Regierungsseite auferlegt, die auf die Beschäftigten und Kunden abgewälzt werden sollen. Als Grund für die Sparmaßnahmen wird der Rückgang an Fahrgästen während der Pandemie angeführt. Tatsächlich wird eine Erholung bei Eisenbahn, Metro und Bus beobachtet, von der aber vornehmlich die Unternehmer profitieren. Die Wut der Arbeiter*innen ist berechtigt als auch unvermeidlich und verlangt nach Aktionen in Form von Streiks. 

Für die Regierungsseite war der Ausgang der Urabstimmung bei der RMT ein Schock. Mit einem so breiten Zuspruch hatte man nicht gerechnet. Johnsons Reaktion ließ dann auch nicht lange auf sich warten. Er warf der RMT vor, dass sie mit ihrem Streik an dem Ast sägen würde, auf dem sie sitze, da es die Pendler*innen seien, die ihre Jobs sichern und die sie mit dem Streik verärgern würde. Dem Streik schloss sich auch die Lokführergewerkschaft ASLEF an. Deren Generalsekretär Mick Whelan sagte: „Wir wollen nicht streiken – Streiks sind das Ergebnis gescheiterter Verhandlungen- und diese Gewerkschaft hat, seit ich zum Generalsekretär gewählt wurde, bis zu diesem Jahr erst eine Handvoll Tage gestreikt. Wir wollen den Fahrgästen keine Unannehmlichkeiten bereiten – nicht zuletzt, weil auch unsere Freund*innen und Familien öffentliche Verkehrsmittel benutzen …“ Anstatt nach Lösungen zu suchen, die eine wirkliche Verbesserung der Lebenssituationen der Arbeiter*innen bedeuten würden, werden von der Regierung weitere Repressionen auf den Weg gebracht, die einzig und allein dazu dienen die Profite der Unternehmen schützen.  Der Verkehrsminister brachte eine Gesetzesänderung ein, durch die die Eisenbahnunternehmen dazu verpflichtet werden sollen einen Minimalbetrieb aufrecht zu erhalten. Dies solle gewährleistet werden, indem auf Leiharbeitsfirmen zurückgegriffen wurde. Mick Lynch, Vorsitzender der RMT kommentierte den Schritt als: „… Unterdrückung des demokratischen Dissenses, den jeder Gewerkschafter und Demokrat ablehnen muss. Der Einsatz von Leiharbeiterkräften, um Streiks zu brechen, ist nicht nur unethisch und moralisch verwerflich, sondern auch völlig unpraktikabel. Arbeiter*innen von Leiharbeitsfirmen verfügen nicht über die Fähigkeiten, die Ausbildung oder die entsprechenden Kompetenzen, um einen Zug zu fahren, komplexe Wartungsarbeiten an den Gleisen durchzuführen, Zügen Signale zu geben oder eine ganze Reihe von sicherheitskritischen Arbeiten im Netz zu erledigen.“ Konsequenz dieses Vorgehen ist eine völlig unnötige Gefährdung der Fahrgäste, die aber anscheinend in Kauf genommen wird, um das Streikrecht zu unterwandern und das kapitalistische System zu schützen. 

Solidarität und neue Arbeiter*innenpartei

Die breite Zustimmung und Unterstützung, die die Streiks in der Bevölkerung finden, sind überaus ermutigend. Menschen kommen zu den Streikposten, um ihre Solidarität zu bekunden, zu diskutieren oder einfach nur um Kaffee zu verteilen. Inzwischen haben auch weitere Gewerkschaften wie z.B. im Telekommunikationssektor Streiks begonnen, während bei Amazon spontane Proteste von noch unorganisierten Arbeiter*innen stattgefunden haben. Die verzweifelten Versuche der Tory-Regierung, gegen die Streikbewegung vorzugehen, finden dagegen nur beim Kapital Unterstützung.

Die Socialist Party (CWI in England & Wales) unterstützt die Streiks an den Streikposten, in den Betrieben sowie über Netzwerke wie das National Shop Stewards Network (NSSN). Es gilt jetzt durch eine gute Organisation die Streiks zu koordinieren und auszuweiten und die gegenwärtige Schwäche und Zerrissenheit der regierenden Tories auszunutzen. Dass Starmers Labour sich weigert, die Forderung „keine Reallohnverluste“ bzw. die Streiks zu unterstützen, zeigt dass es nötig ist, dass die Arbeiter*innenklasse auch in Britannien ihre eigene Partei bekommt, wie die Socialist Party fordert. Streiks wie jene der Müllfahrer*innen in Coventry zeigen, dass mit einer entschlossenen Strategie und Taktik Kämpfe erfolgreich sein können – es wurden mit sechs Monaten Streik zwölf Prozent Lohnerhöhung (bei neun Prozent Inflation erkämpft). Es braucht jedoch eine sozialistische Veränderung der Gesellschaft, damit diese Erfolge abgesichert werden.

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