Der Wahlsieg der rechten Kräfte ist kein Ausdruck ihrer Stärke, sondern der Schwäche der Linken
Wie vorhergesagt, hat die Rechtskoalition aus den „Brüdern Italiens“ (FdI), Lega und Forza Italia die Parlamentswahlen in Italien mit 44 Prozent der Stimmen gewonnen. Die “postfaschistische” FdI unter der Führung von Giorgia Meloni wurde mit 26 Prozent stärkste Partei, nachdem sie 2018 noch vier Prozent erhalten hatte, und wird nun wahrscheinlich die Ministerpräsidentin stellen.
Von Christine Thomas
Dieser Sieg stellt jedoch keinen neuen “Marsch auf Rom” dar, als der Faschist Mussolini vor fast genau hundert Jahren in Italien an die Macht kam. Es gibt Faschist*innen in der FdI – einer wurde während des Wahlkampfes suspendiert, weil er Adolf Hitler einen “großen Staatsmann” genannt hatte – und die FdI hat ihre Wurzeln in der faschistischen MSI, aber sie ist eine rechtsnationalistische Partei, keine faschistische.
Kein massiver Rechtsruck
Auch in der Wähler*innenschaft hat es keinen massiven Rechtsruck gegeben. Die Rechtskoalition erhielt nur sieben Prozent mehr Stimmen als 2018. Stattdessen wurden die Stühle innerhalb der Koalition neu geordnet. Salvinis rechtspopulistische Lega wurde abgewählt, wobei fast die Hälfte ihrer ehemaligen Wähler*innen zu Meloni überlief – die Lega erhielt dieses Mal nur neun Prozent – auch in ihren früheren Hochburgen im Norden. Nur 63 Prozent der Wähler*innen machten sich die Mühe, ihre Stimme abzugeben – ein deutlicher Rückgang gegenüber fast 73 Prozent im Jahr 2018 – und das in einem Land, das traditionell eine sehr hohe Wahlbeteiligung aufweist, was deutlich macht, dass die Begeisterung für das Angebot gering war. Die FdI profitierte davon, dass sie die einzige Partei war, die außerhalb von Mario Draghis Regierung der nationalen Einheit blieb, und die “letzte Instanz” – die einzige große Partei, die noch nicht getestet wurde und gescheitert ist.
Die Demokratische Partei, die schon vor langer Zeit ihr linkes Erbe aus der Kommunistischen Partei abgelegt hat und sich ganz dem Kapitalismus verschrieben hat, konnte nur 19 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Die populistische Fünf-Sterne-Bewegung, die größte Partei des Jahres 2018, halbierte ihr Ergebnis auf 15 Prozent. Ihre Stimmen hielten sich in Teilen des Südens, da sie versuchte, in wirtschaftlichen und sozialen Fragen ein linkeres Gesicht zu zeigen und insbesondere ihr “Bürger*innengeld” zu verteidigen – eine Arbeitslosenunterstützung, die zwar zu niedrig, aber dennoch wichtig für die ärmsten Schichten der Gesellschaft ist und die Meloni abschaffen will. In Wirklichkeit gab es bei diesen Wahlen keine glaubwürdige linke Opposition. Die kleine Unione Popolare, die großspurig behauptete, sie könne Mélenchons NUPES in Frankreich nacheifern, blieb mit 1,4 Prozent deutlich unter der für eine Vertretung im Parlament erforderlichen Drei-Prozent-Hürde.
Krisenregierung
Angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Lage wird dies von Anfang an eine Krisenregierung sein. In den letzten drei Jahrzehnten hat sich keine Regierung länger als 18 Monate gehalten, und es ist unwahrscheinlich, dass es dieser Regierung besser ergehen wird. Während sich die Koalitionsparteien einig sind, wenn es darum geht, Einwanderer*innen anzugreifen, die “Familienwerte” gegen die “LGBT-Lobby” zu verteidigen und die “globalistische Linke” einzudämmen – zu der nach ihrer Definition auch die Gewerkschaften gehören -, gibt es tiefe Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf die Ukraine, wo Salvini Sanktionen ablehnt und Meloni sie unterstützt, und in Bezug auf den Staatshaushalt. Salvini hat dreißig Milliarden Euro zur Bewältigung der Lebenshaltungskosten- und der Energiekrise gefordert, während Meloni zu “Haushaltsdisziplin” mahnt. Sie beschwerte sich während der Wahl, dass Salvini mehr Zeit damit verbrachte, mit ihr zu streiten als mit der Opposition.
Es besteht kein Zweifel daran, dass eine Regierung Meloni versuchen wird, noch härter gegen die Einwanderung vorzugehen und ein feindliches Klima für die Menschen im Land zu schaffen, was bereits zu Angriffen und Morden auf Einwanderer*innen geführt hat. Meloni hat zwar erklärt, dass sie das Abtreibungsgesetz von 1978 nicht aufheben wird, aber es ist wahrscheinlich, dass weitere Beschränkungen eingeführt werden, um den Zugang zu einer Abtreibung zu erschweren, wie es bereits in der Region Marken geschehen ist, die von der FdI kontrolliert wird. Ähnlich wird sie wahrscheinlich nicht versuchen, die Legalisierung von Lebenspartnerschaften für gleichgeschlechtliche Paare rückgängig zu machen, aber die Angriffe auf die “Gender-Ideologie” in den Schulen – d.h. die nicht diskriminierende Sexual- und Beziehungserziehung – werden zunehmen, wodurch es für LGBT-Jugendliche schwieriger wird, ihre Sexualität oder Identität auszudrücken oder sich selbstbewusst zu fühlen, und auch andere Diskriminierungen werden bestehen bleiben.
Welche Alternative?
Italiener*innen aus der Arbeiter*innenklasse und Teile der Mittelschicht suchen verzweifelt nach einem Ausweg aus dem Alptraum der Lebenshaltungskosten. Aber die werden sie bei einer von Meloni geführten Regierung wohl nicht finden. Sie hat versprochen, sowohl Steuersenkungen als auch höhere Ausgaben für Renten und Familien einzuführen. Doch mit der zweithöchsten Staatsverschuldung der Welt von 150 Prozent des BIP und einer Wirtschaft, die in den letzten zwanzig Jahren kaum gewachsen ist, könnte jeder Versuch, beides zu tun, den Zorn der Finanzmärkte hervorrufen – wie Truss in Großbritannien sehr schnell feststellen musste. Eine Wiederholung der Eurokrise von 2010/11 ist durchaus möglich, wobei diesmal Italien und nicht Griechenland im Mittelpunkt stehen würde.
Damit Italien den Rest der 200 Milliarden Euro aus dem Covid-Rettungspaket erhält, verlangt die EU Deregulierung, Privatisierung und mehr “Wettbewerb” im öffentlichen Sektor. Um in den Genuss des neuen Anleihekaufprogramms der EU zu kommen, würden noch mehr “Bedingungen” gestellt. Jeder Versuch, diese arbeiter*innenfeindlichen Maßnahmen einzuführen, würde den Widerstand der Gewerkschaften hervorrufen, die unter dem Druck der Arbeiter*innen stehen, die bereits unter der Krise der Lebenshaltungskosten leiden. Wird sich Meloni in dieser Situation weigern, die geforderten “Reformen” durchzuführen, was zu einer “Vertrauenskrise” auf den Märkten führen würde, oder wird sie der EU nachgeben und damit einen noch größeren Gegenschlag der Arbeiter*innenbewegung riskieren?
Es ist dringend notwendig, dass die Gewerkschafts- und Arbeiter*innenorganisationen, die Frauen-, LGBT-, Migrant*innen- und andere soziale Bewegungen sich jetzt organisieren, um sich gegen die bevorstehenden Angriffe auf ihre Rechte und Lebensstandards zu wehren. Dazu gehört auch, dass wir uns zusammensetzen und darüber diskutieren, wie wir eine linke politische Alternative aufbauen können, deren Kern die Organisationen der Arbeiter*innenklasse sind und die die Grundlage für eine künftige Arbeiter*innenregierung bilden kann, und zwar – nach den Lehren von Syriza in Griechenland – mit einem kämpferischen sozialistischen Programm, das das krisengeschüttelte kapitalistische System herausfordert.
Auf der Webseite unserer österreichischen Schwesterorganisation ist vor den Wahlen in Italien dieser Hintergrundartikel veröffentlicht worden.