Nach dem Tod von Königin Elisabeth: Die Herrschenden wollen von den sozialen Kämpfen ablenken
Der Tod von Königin Elizabeth hat für einen Moment alle anderen Themen in den nationalen Medien verdrängt. Für die Mehrheit der Bevölkerung können die Probleme, wie die Rechnungen bezahlt werden können, nicht beiseite geschoben werden, unabhängig davon, wie sie über den Tod der Königin denken. Immerhin hat sie 70 Jahre lang regiert, so dass sich nur ältere Menschen an eine Zeit erinnern können, in der sie nicht auf dem Thron saß. Daher hat ihr Tod, obwohl er mit 96 Jahren natürlich keine Überraschung ist, eine gewisse Schockwelle durch die Gesellschaft geschickt, die zu dem weit verbreiteten Gefühl beiträgt, dass wir in turbulenten Zeiten leben.
Von Hannah Sell, Generalsekretärin der Socialist Party in England und Wales
Obwohl es in der Gesellschaft unterschiedliche Ansichten über die Königin und die Monarchie insgesamt gibt, war sie durchwegs das beliebteste Mitglied der königlichen Familie. So ergab eine YouGov-Umfrage im Mai dieses Jahres, dass 82 % der Befragten der Meinung waren, sie leiste gute oder sehr gute Arbeit. Für viele stand sie “über” der Politik und erfüllte eifrig “ihre Pflicht” – selbst die lästige Pflicht, sich nur zwei Tage vor ihrem Tod mit Boris Johnson und Liz Truss zu treffen. Während des Lockdowns wurde der Kontrast zwischen ihrem Social Distancing – sie saß bei der Beerdigung ihres Mannes allein – und Johnsons endlosen Partys in der Downing Street weithin beachtet.
Die herrschende Klasse Großbritanniens ermutigt die Nation jedoch nicht zur Trauer, nur weil sie eine relativ populäre Figur war, sondern weil sie darauf bedacht ist, dass die Institution der Monarchie erhalten bleibt. Das zweiwöchige Programm offizieller Zeremonien im Vorfeld ihrer Beerdigung, die flächendeckende Berichterstattung in den Medien, der Aufmarsch kapitalistischer Politiker*innen, die ihr und ihrem ältesten Sohn, dem jetzigen König Charles III, Tribut zollen – all das soll die Monarchie stärken, in der Hoffnung, dass Charles nun die gleiche Rolle spielen kann, die sie 70 Jahre lang gespielt hat.
Während die Monarchie gewöhnlich als harmloses Überbleibsel aus einem früheren Zeitalter betrachtet wird, ist sie in Wirklichkeit immer noch Teil der kapitalistischen Staatsmaschinerie, die letztlich die Interessen des Kapitalismus verteidigt. Im Gegensatz zu der landläufigen Meinung, die Königin stehe über der Politik, zeigt der derzeitige Pomp und die Zeremonie, wie viele “Reserve”-Mächte die Monarchie hat. Die Königin traf sich wöchentlich mit dem Premierminister und dem Chef des Außenministeriums. Alle Regierungsmitglieder mussten von ihr gebilligt werden, ebenso wie die Gesetzgebung. Sie war befugt, Regierungen aufzulösen, Wahlen auszurufen und sogar das Kriegsrecht zu verhängen. Im Jahr 2019 wandte sich Johnson an die Königin, um das Parlament auszusetzen.
Eines der deutlichsten Beispiele für die Anwendung der “Reservemacht” der Königin war in Australien im November 1975. Der Generalgouverneur, der Vertreter der Königin, setzte den gewählten Labour-Premierminister Gough Whitlam ab. Whitlam war durch den Druck der Arbeiter*innenklasse und sozialer Bewegungen dazu gedrängt worden, grundlegende Reformen durchzuführen, darunter eine kostenlose Hochschulbildung, eine allgemeine Gesundheitsversorgung und gleiche Bezahlung für Frauen. Doch als sich die Wirtschaftskrise ausweitete, verlangten die Kapitalist*innen Kürzungen. Aus Angst vor der Macht einer Massenbewegung, die ihn zu weiteren Schritten drängte, forderten sie auch die Absetzung Whitlams. Der Generalgouverneur, der im Namen der Königin handelte, fügte sich.
Als Jeremy Corbyn zum Vorsitzenden der Labour-Partei in Großbritannien gewählt wurde, war die Reaktion der hochrangigen Militärs bezeichnend. General Sir Nicholas Houghton, der damalige Chef des Verteidigungsstabs, sagte, er sei “beunruhigt”, wenn Corbyns Ansichten in die Tat umgesetzt würden, während Michael Clarke von der Denkfabrik Royal United Services Institute argumentierte, dass “die Streitkräfte nicht der Regierung gehören, sondern dem Monarchen”.
Die Thron-Übergabe
Nun sind alle Befugnisse, die zuvor die Königin innehatte, auf Charles übergegangen. Dies geschah durch den völlig ungewählten “Übergaberat”, der sich aus 718 aktuellen und pensionierten Politiker*innen, Beamt*innen, Richter*innen, Mitgliedern des Klerus und des Königshauses zusammensetzt.
Letztendlich hängt jedoch die Fähigkeit der Monarchie, ihre Rolle als Reservewaffe zur Verteidigung des kapitalistischen Systems zu spielen, von der gesellschaftlichen Unterstützung für die Königsfamilie ab. Die Kapitalist*innenklasse ist ernsthaft besorgt, dass Charles nicht die gleiche Popularität haben wird, die die Königin behalten hat. Die Monarchie hat regelmäßig Schaden genommen, zuletzt durch die Episode um Harry und Meghan und den Skandal um Prinz Andrew, aber viele Menschen, insbesondere aus der älteren Generation, haben die Königin von der Verantwortung für die Handlungen der anderen Royals entlastet.
Während das Vertrauen der Öffentlichkeit in andere kapitalistische Institutionen – darunter Politiker*innen, Medien und die Polizei – stark gesunken ist, hat die Monarchie weniger Schaden genommen. Wie die Financial Times in ihrem Nachruf schrieb, war die Monarchie am Ende ihrer Regentschaft “eine der wenigen Institutionen des öffentlichen Lebens, die noch in der Lage ist, die Massen anzusprechen”. Der Eindruck, dass sie über der Politik stand, wurde sorgfältig kultiviert; ihre Intervention, in der sie die Wähler*innen beim schottischen Referendum 2014 aufforderte, vor der Stimmabgabe “sehr sorgfältig nachzudenken”, war eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen sie sich öffentlich zu aktuellen politischen Ereignissen äußerte. Damals wollte der britische Kapitalismus verzweifelt das Auseinanderbrechen des britischen Staates verhindern, und wie der damalige Premierminister Cameron inzwischen enthüllt hat, wurde sie gebeten, ihre Ansichten darzulegen. Ihre einzige Bemerkung hat zweifellos eine Rolle beim Referendum gespielt.
Die Kapitalist*innenklasse hat kein Vertrauen in Charles, dass er ihre Interessen in Zukunft so effektiv vertreten wird. Es ist klar, dass der Tod der Königin den Prozess beschleunigen wird, in dem die “Dominion”-Länder den britischen Monarchen als ihr Staatsoberhaupt absetzen, da sie ihn zu Recht als Erbe der kolonialen und imperialistischen Ausbeutung betrachten. Im Juni dieses Jahres sprachen sich 55 % der Jamaikaner*innen dafür aus, dass ihr Land eine Republik werden sollte.
Aber auch in Großbritannien ist die Autorität der Monarchie nun bedroht. Wie der Kolumnist des Guardian, Martin Kettle, es ausdrückte, war die Königin eine “äußerst wirksame einigende Kraft in einer Nation, die sich zusehends selbst auseinanderreißt. Mit ihrem Tod wird diese Kraft wegfallen, und ihre Erb*innen können nicht davon ausgehen, dass sie sie wiederherstellen können.
Zu Beginn dieses Jahres glaubten nur 32 % der Brit*innen, dass Charles ein guter König sein würde, während ebenso viele davon überzeugt waren, dass er es nicht sein würde. Was jetzt stattfindet, ist eine konzertierte Kampagne, um Unterstützung für seine Regentschaft aufzubauen und eine Stimmung der “nationalen Einheit” hinter dem neuen König zu schaffen.
Momentan werden einige Menschen von dem “Pomp und den Zeremonien” der nächsten zwei Wochen begeistert sein, auch weil sie eine kurze Ablenkung von all den Problemen der Teuerungskrise darstellen. Es besteht jedoch keinerlei Aussicht auf eine länger anhaltende Stimmung der nationalen Einigkeit. Es ist für die meisten Menschen zu offensichtlich, dass die Interessen der Mehrheit, die unter dem stärksten Rückgang des Lebensstandards seit dem Beginn der Regentschaft der Königin leidet, nicht mit denen der winzigen superreichen Elite an der Spitze übereinstimmen. Zu dieser Elite gehört natürlich auch die königliche Familie. Im Zuge der Thronfolge hat König Charles nun die Aufsicht über das Immobilienportfolio des Crown Estate im Wert von 15,6 Milliarden Pfund, während sein ältester Sohn William das 1,05 Milliarden Pfund schwere Vermögen des Herzogtums Cornwall geerbt hat.
Truss’ Regierung
Die neue Premierministerin Liz Truss, die von nur 81.000 Tories gewählt wurde und von weniger als einem Drittel der Abgeordneten ihrer Partei unterstützt wird, ist jedoch verzweifelt um jede Hilfe bemüht, die sie bekommen kann, und versucht, ein wenig Popularität zu gewinnen, indem sie den neuen König auf seiner Reise durch das Land begleitet. Jeder positive Effekt wird äußerst begrenzt und kurz sein, und es könnte sogar nach hinten losgehen, wenn es als zynisches Manöver angesehen wird. Auch Truss’ Ankündigung einer Energiepreisobergrenze von 2.500 Pfund, die vom Tod der Königin überschattet wurde, wird ihr keinen nachhaltigen Aufschwung in den Umfragen bescheren. Ein Tory-Grande soll gesagt haben, dies würde sie bis Weihnachten retten – kein gutes Zeichen!
Die Preisobergrenze stellt eine staatliche Intervention von größerem Ausmaß dar als jede einzelne Pandemiemaßnahme. Es war eine gigantische Kehrtwende von Truss; ein Zeichen dafür, wie sehr sie von den Ereignissen gebeutelt wird. Natürlich wird die Erleichterung darüber groß sein, dass die Rechnungen nicht noch viel höher steigen werden, aber der derzeitige astronomische Preis wird immer noch dazu führen, dass 1,3 Millionen Menschen mehr unter die Armutsgrenze gedrückt werden. Gleichzeitig befürworten sogar 74 % der Tory-Wähler*innen eine Sondersteuer für die Energiekonzerne, und dennoch weigert sie sich, auch nur einen Penny der prognostizierten Zusatzgewinne in Höhe von 170 Mrd. Pfund abzunehmen, die diese aufgrund der derzeitigen hohen Preise erzielen werden.
Die seriösesten Teile der Kapitalist*innenklasse befürchten, dass Truss’ strikte Verteidigung der Ungleichheit und ihre Unterstützung für Steuersenkungen, die in erster Linie den Reichsten zu Gute kommen, die wachsende Streikwelle dramatisch weiter anheizen könnte. Sie befürchten auch, dass dies die sich verschärfende Wirtschaftskrise Großbritanniens verschlimmern könnte, da die Märkte beginnen, gegen den britischen Kapitalismus zu wetten. Letzte Woche erreichte das Pfund Sterling den niedrigsten Stand seit 37 Jahren. Dass die Königin nicht mehr auf dem Thron sitzt, wird ihre Probleme nur noch vergrößern.
Starmer und Labour
Die Kapitalist*innenklasse hat jedoch einen Vorteil, um diesen Stürmen zu trotzen. Sie hat keine politische Opposition im Parlament. Der Labour-Vorsitzende Sir Keir Starmer hat den Vorstoß zur nationalen Einheit angeführt und in seiner Rede zum Gedenken an die Königin erklärt, dass das ganze Land und alle Politiker*innen “an einem Strang ziehen” müssen und dass das Land am besten dasteht, “wenn wir uns über das Belanglose, das Triviale, das Alltägliche erheben, wenn wir uns auf die Dinge konzentrieren, die uns vereinen, und nicht auf die, die uns trennen.”
Was soll das heißen? Es gibt keine gemeinsamen Interessen zwischen den Amazon-Beschäftigten, die Sitzstreiks organisieren, nachdem ihnen eine Lohnerhöhung von 35 Pence pro Stunde angeboten wurde, und Bezos, dem CEO von Amazon, dem viertreichsten Mann der Welt. Es sollte auch keine gemeinsamen Interessen geben zwischen einem Labour-Politiker, der eine Partei führt, die von den Gewerkschaften gegründet wurde, damit sie sich für die Interessen der Arbeiter*innenklasse einsetzt, und einer ultrarechten Tory-Premierministerin. Das dringende Bedürfnis der britischen Arbeitnehmer*innen nach einer Lohnerhöhung, um weiterhin die täglichen “Kleinigkeiten” wie die Ernährung der Familie und die Beheizung der Wohnung erledigen zu können, ist nicht kleinlich.
Starmers Aufruf zur nationalen Einheit ist eine Bestätigung, wenn es denn einer bedurft hätte, dass Labour unter seiner Führung nicht für die Interessen der Arbeiter*innenklasse eintritt, sondern, wie schon unter Blair, zuverlässig für die kapitalistische Elite handelt.
Daraus ergibt sich wiederum die Notwendigkeit für die Arbeiter*innenbewegung, mit dem Aufbau einer eigenen Partei mit einem sozialistischen Programm zu beginnen. Die Socialist Party argumentiert, dass eine solche Partei die Abschaffung der Monarchie und des House of Lords fordern sollte, um undemokratische Institutionen zu beseitigen, die von der Kapitalist*innenklasse benutzt würden, um zu versuchen, eine sozialistische Regierung zu sabotieren.
Gewerkschaftliche Aktionen
Die ersten Schritte zum Aufbau einer solchen Partei sind dringend notwendig und werden zunehmend diskutiert werden, vor allem unter den Hunderttausenden von Arbeiter*innen, die ohne jegliche Unterstützung durch die Labour-Führung streiken. Die unmittelbarste Aufgabe besteht jedoch darin, dafür zu kämpfen, dass der Arbeitskampf gegen die Lebenshaltungskosten weitergeführt wird, auch mit koordinierten Aktionen. Die Gewerkschaften dürfen sich nicht in eine falsche Vorstellung von nationaler Einheit zurückziehen, wie es zu Beginn der Pandemie der Fall war.
Als die Nachricht vom Tod der Königin bekannt wurde, sagten die Führungen von RMT und CWU die für die folgenden Tage geplanten Streiks sofort ab. Die Entscheidung, einen Streiktag zu verschieben, anstatt einen Teil der Gewerkschaftsmitglieder unnötig zu verärgern und den Streik möglicherweise zu schwächen, ist legitim. Solange jedoch keines der Probleme, die die RMT- und CWU-Mitglieder zum Streik gezwungen haben, gelöst ist, müssen die nächsten Termine für Streiks dringend festgelegt und vorbereitet werden. Die CWU bei Royal Mail hat derzeit für den 30. September und den 1. Oktober Aktionen geplant.
Darüber hinaus hat die Führung der Gewerkschaftsbewegung jedoch beschlossen, den TUC-Kongress zu verschieben, der ein Kriegsrat hätte sein sollen, bei dem Delegierte aus der gesamten Arbeitnehmer*innenbewegung zusammenkommen, um zu erörtern, wie der Kampf eskaliert werden kann. Der Druck von unten hat dafür gesorgt, dass auf der Tagesordnung des TUC-Kongresses – der nun auf Oktober oder November verschoben wurde – sechs Anträge stehen, in denen zur Koordinierung der Streiks aufgerufen wird. Ein weiteres Thema, das auf dem Kongress eine Rolle gespielt hätte, war der Aufruf, einen massiven Streikfonds einzurichten, um die Gewerkschaften an vorderster Front, wie die RMT und die CWU, zu unterstützen. Es besteht kein Zweifel daran, dass der rechte Flügel der TUC-Führung erleichtert wäre, wenn der Tod der Königin bedeuten würde, dass sie es vermeiden könnten, jemals darüber zu debattieren, wie diese Entschließungen in sinnvolle Maßnahmen umgesetzt werden können.
Die führenden Vertreter*innen der Linken sollten jedoch darauf bestehen, dass der Kongress so bald wie möglich wieder einberufen wird, sollten aber nicht darauf warten, sondern bereits jetzt damit beginnen, in einer “Koalition der Willigen” koordinierte Maßnahmen zu ergreifen. Eine Entscheidung, die der TUC bereits getroffen hat, ist die Einberufung einer Protestkundgebung beim Parlament am Mittwoch, den 19. Oktober. Wenn sich die Gewerkschaften, bei denen es bereits Urabstimmungen gibt, koordinieren und öffentlich dazu aufrufen, könnte dies zu einer massiven Demonstration der Beschäftigten auf das Parlament in der Wochenmitte führen, um Truss eine deutliche Warnung zukommen zu lassen.
Eine solche Demonstration sollte um ein Forderungsprogramm herum organisiert werden, das breite Schichten von Arbeitnehmer*innen und jungen Menschen ansprechen könnte. Im Mittelpunkt stünde der Widerstand gegen die gewerkschaftsfeindlichen Gesetze, aber auch Lohnerhöhungen über der Inflation für alle, ein Mindestlohn von 15 Pfund pro Stunde, die Verstaatlichung der Energieunternehmen sowie existenzsichernde Renten und Sozialleistungen. Zweifellos würde ein solcher Ansatz dazu beitragen, die Millionen von Menschen, die derzeit auf die Gewerkschaften schauen, zur aktiven Teilnahme zu bewegen, und wäre ein wichtiger Schritt, mit dem die Arbeiter*innenklasse ihre Stärke und Entschlossenheit demonstrieren würde, sich in der neuen “karolingischen” (weil ja King Charles III.) Ära der kapitalistischen Krise zu wehren.