Gaspreisbremse: Zu wenig, zu spät

Unzureichendes Maßnahmenpaket geht an der Not der Mehrheit vorbei

Mit Spannung wurde der Zwischenbericht der „ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme“ (kurz: Energiekommission) zur Gaspreisbremse erwartet. In diesem 22-köpfigen Gremium beraten Vertreter*innen der (Energie-)Industrie, Forschung und Wissenschaft sowie der Gewerkschaften und Verbände über Maßnahmen gegen die Preisexplosion bei der Energieversorgung.

Von René Arnsburg

Neben der Professorin Veronika Grimm sind Siegfried Russwurm (Bundesverband der Industrie) und Michael Vassiliadis (IG BCE) die Vorsitzenden der Kommission. Ins Auge fällt da bereits: Wenn Unternehmen und Beschäftigtenvertreter*innen an einem Tisch sitzen, werden die Arbeiter*innen und Armen den Kürzeren ziehen. Das war bereits bei früheren Kommissionen mit ähnlicher Zusammensetzung so. Die Energiekommission wird bis Ende Oktober weiter arbeiten und einen Abschlussbericht erstellen. Alle Maßnahmen sind Vorschläge an die Bundesregierung, die sie noch mit entsprechenden Verordnungen und Gesetzen umsetzen muss.

Was wurde beschlossen?

In der ersten Stufe wird Privathaushalten, die direkt Gas beziehen, ihre Abschlagzahlung im Dezember 2022 erlassen. Maßgeblich für alle Maßnahmen ist der Verbrauch, der der Abschlagszahlung im September 2022 zugrunde gelegt wird. Viele Verträge werden nach Jahresverbrauch abgerechnet, woraus sich ein durchschnittlicher monatlicher Verbrauch und die Abschlagszahlung ergibt. Wie die Regelung für Haushalte aussieht, deren Jahresrechnung nach September kommt und die möglicherweise einen höheren Verbrauch hatten, ist aus dem Zwischenbericht nicht ersichtlich. Wer mit seinen Zahlungen im Rückstand ist, ist ebenfalls nicht zur Aussetzung des Dezember-Abschlags berechtigt. Für Häuser, die per Fernwärme versorgt werden, sollen die Zahlungen für Vermieter*innen ausgesetzt werden, die diese Vergünstigung dann von der monatlichen Betriebskostenzahlung abziehen sollen. Statt der Endverbraucher*innen wird der Staat direkt die Zahlung der Abschläge an die Energieversorger vornehmen. Wie reibungslos diese Maßnahme umgesetzt wird und welche Tricks sich Immobilienkonzerne einfallen lassen oder einfach „vergessen“ den Abschlag von der Miete abzuziehen, bleibt abzuwarten. Klar ist schon jetzt: Es ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, der die Preissteigerungen weder spürbar abfedert, geschweige denn ausgleicht. Dieses „Weihnachtsgeld“ ist eher ein kleines Konjunkturpaket für den Handel. Das Weihnachtsgeschäft ist die umsatzstärkste Zeit im Jahr und angesichts der zunehmenden Verarmung ist mit starken Umsatzeinbußen zu rechnen. Das Kalkül dürfte sein, dass die Menschen den eingesparten Abschlag woanders ausgeben. Das dürfte aufgehen, denn Rücklagen haben immer weniger Haushalte. Jeder Euro, der verdient oder eingespart wird, wird ausgegeben, weil es nicht anders geht. Nicht zuletzt muss der bezuschusste Dezember-Abschlag bei der Einkommenssteuererklärung als geldwerter Vorteil angegeben werden und ist damit je nach sonstigem Einkommen steuerpflichtig.

In einer zweiten Stufe soll ab März 2022 ein wirklicher Preisdeckel eingeführt werden. Bis zu 80 Prozent des Verbrauchs, der dem Abschlag im September 2022 zugrunde liegt, sollen auf einen Preis von 12 Cent pro KWh Gas begrenzt werden. Alles, was über diesem Verbrauch liegt, wird zum Marktpreis abgerechnet, der aktuell bei über 28 Cent pro KWh liegt. Zum Vergleich: 2021 lag er bei durchschnittlich 6,8 Cent, die Preiskappung ist dementsprechend fast eine Verdoppelung zum Vorjahr. Besonders zynisch ist der angedachte „Sparanreiz“ durch die Begrenzung auf vier Fünftel des Verbrauchs. Gerade diejenigen, die am ärmsten sind, haben ohnehin schon gespart, wo es nur geht. Sie werden jetzt bestraft, weil sie nicht mehr sparen können. Reiche Haushalte profitieren von der Deckelung und bekommen dadurch noch den Mehrverbrauch subventioniert. Was sie für die achtzig Prozent Grundverbrauch sparen, können sie locker für die zwanzig Prozent aufbringen, die zum Marktpreis bezahlt werden müssen. Für mit Fernwärme versorgte Haushalte soll analog dazu eine Begrenzung des Preises auf 9,5 Cent – was in etwa dem aktuellen Stand entspricht – für das gleiche Volumen festgelegt werden.

Die gesundheitlichen Folgen, die kalte, feuchte und potentiell schimmlige Wohnungen haben können, sind bekannt. Wenn einzelne Mietparteien in einem Haus die Wohnung zu sehr abkühlen lassen, müssen umliegende Wohnungen stärker beheizt werden, um die Temperatur zu halten. Dieser Sparzwang ist nicht nur unsozial, sondern irrational. Die Differenz zu den zwölf Cent werden vom Staat und das restliche Fünftel von Verbraucher*innen zum Marktpreis bezahlt. Ist das eine Einladung an Energiekonzerne, die Preise noch mal künftig nach oben zu treiben? Jede Wette! Staatliche Subventionen wie die Tankprämie und die Mehrwertsteuersenkung wurden direkt in Extraprofite umgesetzt, während die Kosten dafür in absehbarer Zeit von der Mehrheit getragen werden.

Obergrenzen sind wichtig, aber nicht genug

Eine Preisobergrenze ist eine dringende Notmaßnahme, um die Mehrheit der Bevölkerung vor den schlimmsten Auswirkungen der Inflation zu schützen. Die Preissteigerung an sich wird damit allenfalls verlangsamt oder verdeckt, jedoch nicht aufgehalten. Fällt der Deckel, ist mit großen Preissprüngen zu rechnen. Eine nachhaltige Lösung bleibt nur die Enteignung der Energiekonzerne und deren Überführung in öffentliches Eigentum unter Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung und eine Ausschaltung der Profitlogik und Marktmechanismen.

Die Kommission drängt darauf, das WohngeldPLUS zum 1. Januar 2023 umzusetzen. Über zwei Millionen Menschen wären zum zusätzlichen Bezug eines Heizkostenzuschusses berechtigt. Das Genehmigungsverfahren für Wohngeld ist für Behörden und Antragsteller*innen aufwändig. Richtigerweise wird die Personalaufstockung der Wohngeldämter gefordert. Eine Vereinfachung des Verfahrens, das von einer kompletten Durchleuchtung und Maßregelung Bedürftiger absieht, wäre dringend geboten. Wann das neue Wohngeld eingeführt wird, ist weiterhin unklar. Ein dauerhaftes Verbot von Stromsperren, Abklemmen der Heizung und Kündigung der Wohnung bei Zahlungsrückstand wären ebenfalls dringend notwendige Maßnahmen.

Konzerne zuerst

Eine Preisbremse wurde ebenfalls für industrielle Abnehmer beschlossen. Ab einem Verbrauch von 1,5 Millionen kWh/a, was 24.000 bis 25.000 Unternehmen betrifft, gilt ab dem 1. Januar 2023 ein Preis von sieben Cent pro kWh für bis zu siebzig Prozent des Verbrauchs aus 2021. Wer sich über den geringeren Preis wundert: Es ist schon lange so, dass gewerbliche Abnehmer*innen deutlich weniger für Strom und Energie zahlen, als Privathaushalte. Warum die Industrie bereits ab dem 1.1. subventioniert wird? An dieser Stelle haben die Unternehmerverbände ihre Interessen klar durchgesetzt.

Die Energiekosten sind momentan die Preistreiber in der Produktion und der Hauptfaktor für die Inflation der Verbraucher*innenpreise. Wird eine Deckelung dazu führen, dass die Inflation auf das Vorjahresniveau absinkt? Auch damit ist nicht zu rechnen. Gerade im Zusammenspiel mit der Subvention der privaten Energiekosten, werden Unternehmen der Warenproduktion versuchen, die Preise so lange wie möglich hochzuhalten, bzw. so wenig wie möglich abzusenken. Das, was Verbraucher*innen an einer Stelle sparen, sollen sie an anderer Stelle ruhig ausgeben. Sinkende Produktionskosten und hohe Preise bedeuten wieder erkleckliche Extragewinne.

Wer soll das bezahlen?

Die Energiekommission rühmt sich damit, statt den von der Bundesregierung Anfang Oktober zugesagten 200 Milliarden Euro nur etwa neunzig Milliarden für ihre Gaspreisbremse zu veranschlagen. Doch das werden nicht die letzten staatlichen Ausgaben in dieser Krise sein. Die Einnahmen der Energiekonzerne werden durch die Subvention garantiert, die Produktionsbetriebe werden bezuschusst. Gerade diese Konzerne haben während der letzten Jahre (nicht zuletzt aufgrund der Pandemie) Rekordgewinne eingefahren, die so nicht nur nicht angetastet, sondern noch gesichert werden. Zwar soll das alles aus einem Sondervermögen finanziert werden, aber auch dies sind Ausgaben, die den Staatshaushalt belasten. Ob die Schuldenbremse hier greift oder nicht – das Geld muss wieder rein geholt werden, entweder durch Ausgabenkürzungen des öffentlichen Haushaltes oder Einnahmesteigerung durch höhere Steuern und Gebühren für staatliche Leistungen. Kurz: Die arbeitende und arme Mehrheit wird auf die eine oder andere Weise zu Kasse gebeten.

Proteste

Machen wir uns nichts vor: Die Verunsicherung wächst mit jedem Tag. Alle wünschen sich etwas mehr Sicherheit und wollen durchatmen. Viele warten gerade ab, ob und in welchem Maße die Gaspreisbremse wirkt, viele hoffen, dass es nicht so schlimm wird, wie befürchtet. Für viele kommen die realen Steigerungen der Energiekosten erst noch. Es gibt einen gewissen Gewöhnungseffekt an die Nachrichten über die ständig steigenden Preise. Einzig der Kontostand gewöhnt sich nicht daran, denn die Löhne steigen nicht und es bleibt immer weniger zum Leben. Die Maßnahmen, wenn sie denn in der Form beschlossen werden, mögen eine aufschiebende Wirkung für größere Proteste haben. Der Kampf gegen die Auswirkungen der Krise kann jedoch nicht verschoben werden. Mit jedem Tag werden Arbeiter*innen, Rentner*innen, Jugendliche, Erwerbslose, Selbstständige u.v.m. feststellen, dass verspätete und halbgare Maßnahmen nicht zum Überleben reichen. Kurzfristig können internationale Ereignisse, das Platzen einer Blase an den Finanzmärkten die Krise beschleunigen. Auch wenn die Proteste bisher noch keinen Massencharakter haben und der Herbst noch nicht heiß ist, kann sich das jederzeit ändern und ein heißer Winter oder/und Frühling sind in der Situation angelegt. Die Tarifrunde im öffentlichen Dienst zu Beginn des nächsten Jahres bietet die Chance, eine Dynamik entfalten, die über mögliche Streiks der Beschäftigten breitere Proteste auslöst – wenn die Gewerkschaftsführung einen ernsthaften Kampf zur Durchsetzung der Forderungen organisiert. Die Frage, wo das Geld herkommen soll für den Inflationsausgleich stellt sich da unmittelbar. Wenn die Gewerkschaften ihre Mitarbeit in solchen Expert*innenkommissionen und in der Konzertierten Aktion beenden und ihre Kraft auf die Mobilisierung von Protesten und Streiks konzentrieren, werden größere Proteste möglich sein. Der Kampf für eine wirkliche Deckelung der Preise, für die Enteignung der Konzerne, für eine demokratische Wirtschaftsplanung im Interesse der Mehrheit hört nicht auf, sondern geht in die nächste Runde.

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