Bericht von der Bezirkskonferenz von ver.di Berlin
Am 12. November fand die Bezirkskonferenz von ver.di Berlin statt. Knapp achtzig Delegierte repräsentierten die etwa 110.000 Gewerkschaftsmitglieder der Stadt. Damit ist ver.di mit Abstand die größte Mitgliedsgewerkschaft des DGB in Berlin.
Die einmal alle vier Jahre stattfindenden Organisationswahlen, in deren Rahmen die Konferenz durchgeführt wurde, ziehen Bilanz über die Arbeit von ver.di und legen den Grundstein für die nächsten Jahre.
Von Teilnehmer*innen der Konferenz
In vielen Beiträgen wurde auf Preissteigerungen und Krise hingewiesen und die Notwendigkeit betont, über die kommenden Tarifrunden bei der Post und im öffentlichen Dienst einen Kampf gegen die Auswirkungen auf die Lohnabhängigen zu kämpfen. Leider gab es keine Vorschläge, wie dieser Kampf konkret vorbereitet, geführt und gewonnen werden kann. Mitglieder der Sozialistischen Organisation Solidarität – Sol, die auch in der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) aktiv sind und als Delegierte ihrer Fachbereiche an der Veranstaltung teilnahmen, machten sich stark für eine Verbindung der Tarifrunden mit den politischen Bewegungen, weil die Frage, wie man die Vermögen der Reichen für notwendige Reallohnerhöhungen einsetzt, nicht über eine Tarifforderung zu klären ist.
Nach dem Grußwort der DGB-Vorsitzenden in Berlin und Brandenburg betonte René Arnsburg (Sol-Mitglied und Fachbereichsvorstand A) die Notwendigkeit, eine gewerkschaftsübergreifende Solidaritätskampagne vor allem für die Tarifrunde im öffentlichen Dienst ins Leben zu rufen. Die große strategische Bedeutung dieser Tarifrunde wurde von vielen geteilt, es fielen Sätze wie „das ist für ver.di eine Überlebensfrage,“ die die Haltung einiger Kolleg:innen des Bereiches verdeutlichen.
Die Landesleiterin Andrea Kühnemann, verantwortlich für die Betreuung des öffentlichen Dienstes, sagte: „Wir müssen in den Erzwingungsstreik gehen und diese Stadt lahmlegen“. Leider hat sich der DGB nicht an der bundesweiten Mobilisierung von ver.di und der GEW am 22.10. beteiligt und auf der Bundesebene auf die unzureichenden Entlastungspakete der Bundesregierung gesetzt, statt den Unmut der Kolleg:innen auf die Straße zu bringen. An der Tarifrunde sind wichtige landeseigene Betriebe wie die Stadtreinigung, die Klinken Vivantes, Charité, die Wasserbetriebe das Jüdische Krankenhaus und viele andere beteiligt.
Auftritt Franziska Giffey
Umso befremdlicher war es für viele Delegierte, dass gerade Franziska Giffey zu einem Grußwort auf die Konferenz eingeladen wurde, die als Regierende Bürgermeisterin gleichzeitig die öffentlichen Arbeitgeber repräsentiert. Damit ist sie die Gegnerin in der kommenden Auseinandersetzung und die Auswirkungen der Politik der SPD, die in Berlin seit Jahrzehnten (mit)regiert sind der Mehrheit der Armen und Beschäftigten in der Stadt wohlbekannt.
Eine Reihe von Kolleg*innen organisierte eine Protestaktion mit Schildern, auf denen „TVöD für alle“, „Deutsche Wohnen und Co. enteignen – Volksentscheid umsetzen“, „Löhne rauf – Mieten runter“ und andere Forderungen standen. Franziska Giffey war sichtlich aufgebracht und wies auf die Errungenschaften der SPD in der Landesregierung hin – ein Paradies, könnte man meinen, wenn man die Realität des Lebens in dieser Stadt nicht jeden Tag vor Augen hätte.
Die Umsetzung des Volkentscheids zur Enteignung der großen Immobilienkonzerne, den auch ver.di aktiv unterstützt, werde weiterhin geprüft, so Giffey. Doch im von ihr mitformulierten Leitantrag an den Landesparteitag der SPD, der am selben Tag stattfand, ist davon kein Wort zu lesen. Zurecht wurde die Politik ihrer Partei in Reden kritisiert.
Ein Antrag an die Tagesordnung, nach ihrem Grußwort eine Aussprache durchzuführen, um auf ihre leeren Versprechungen einzugehen, wurde nicht behandelt, da sie bereits vor dem Beschluss der Tagesordnung redete und direkt danach den Raum verließ. Es ist jedoch geplant, in der ersten Sitzung des neu gewählten Bezirksvorstands die Bürgermeisterin sowie die Antragssteller:innen einzuladen, um die Diskussion über die Politik in der Stadt zu führen. Die Diskussion über die Forderungen, die gegenüber dem Berliner Senat aufgestellt werden, sollten jedoch nicht nur auf internen Gremiensitzungen, sondern von der gesamten Mitgliedschaft des Bezirks diskutiert werden. Es sollte darum gehen, Vorschläge zu erarbeiten, wie der Kampf gegen die unsoziale Politik in Berlin organisiert werden kann, der über die Tarifrunden hinausgeht.
Der Protest auf der Konferenz war wichtig zu zeigen, dass es Kolleg*innen gibt, die mit dem Schulterschluss zwischen SPD-geführten Regierung und Gewerkschaften nicht einverstanden sind. Sie wollen, dass ihre Gewerkschaft eine von pro-kapitalistischen Regierungen wie dem Berliner Senat unabhängige Vertretung ihrer Mitglieder und der Beschäftigten insgesamt ist. Auf der nächsthöheren Ebene, der Konferenz des Landesbezirks Berlin-Brandenburg im Februar 2023, wird ein politischer Leitantrag aus dem Landesbezirksfachbereich A vorliegen, der die offenen Fragen gewerkschaftlicher Gegenwehr bis hin zu politischen Streik auf die Tagesordnung bringt.
Die Bezirkskonferenz entsandte unter anderen René Arnsburg als Delegierten zum ver.di-Bundeskongress im September 2023 und schlug ihn auch für die Mitgliedschaft im neuen Landesbezirksvorstand vor, der im Februar gewählt wird.
Im Vorlauf des Kongress und insbesondere angesichts der sich verschärfenden Krise und der anstehenden Tarifrunden schlägt die VKG eine stärkere Vernetzung von Kolleg*innen in den Betrieben und Gewerkschaftsstrukturen vor, die eine konsequente Gewerkschaftspolitik im Interesse der Beschäftigten und eine Abkehr von der Sozialpartnerschaft mit den Unternehmen wollen. Nicht zuletzt bedarf es für die anstehenden Auseinandersetzungen eine wirkliche Vorbereitung zur Durchsetzung der Forderungen und eine Demokratisierung der Arbeitskämpfe. Die Entscheidung über Streiks und Verhandlungsergebnisse müssen über Streik- und Streikdelegiertenversammlungen in die Hände der Kolleg*innen selbst gelegt werden.