Arbeiter*innenklasse und politische Partei

Welche Rolle spielt DIE LINKE noch?

Was haben CDU/CSU, FDP, SPD, Grüne und AfD gemeinsam? Sie stellen das kapitalistische Profitsystem und das Privateigentum an Banken und Konzernen nicht in Frage und verteidigen es in letzter Instanz. Damit haben die Kapitalist*innen viele Parteien, die ihre Interessen vertreten. Den Lohnabhängigen fehlt eine solche Partei.

Von Sascha Staničić

In der Geschichte gab es Arbeiter*innenparteien, die Hunderttausende und Millionen organisierten. Sie kämpften für die Interessen der Lohnabhängigen, zum Beispiel für Arbeitsschutz, Achtstunden-Tag und das Wahlrecht. Ende des 19. Jahrhunderts war das in Deutschland die SPD. Als deren Führung im Ersten Weltkrieg die Interessen der Arbeiter*innenklasse verriet, bildete sich die Kommunistische Partei, die zur Massenpartei wurde, aber stalinistisch degenerierte.

Bürgerliche Führung

Die SPD war bis in die 1980er Jahre hinein eine Arbeiter*innenpartei mit bürgerlicher Führung. Das bedeutet, dass sie einen Massenanhang unter Lohnabhängigen hatte und ihre Mitgliederbasis zu einem großen Teil aus solchen bestand, ihre Führung aber fest in der kapitalistischen Gesellschaft verwurzelt war und diese nicht mehr überwinden wollte. Sie vertrat reformistische Politik, stand also für Verbesserungen für die Arbeiter*innenklasse im Rahmen des Kapitalismus und sprach in Sonntagsreden von der Überwindung desselben. Trotz dieser Begrenztheit war sie für viele ein Forum der Debatte darüber, wie die Interessen der Lohnabhängigen politisch durchzusetzen sind und war im täglichen Klassenkampf ein Faktor, der Angriffe der Kapitalist*innen und ihrer Regierungen auf die Errungenschaften der Arbeiter*innenbewegung abbremsen konnte, auch wenn sie im Falle von Regierungsbeteiligungen auch Verschlechterungen durchsetzte. Damals ging es für Marxist*innen darum, im Rahmen der existierenden Arbeiter*innenbewegung für eine marxistische Politik zu kämpfen. 

Seit spätestens Anfang der 1990er Jahre ist die SPD vollständig verbügerlicht und hat ihre aktive Massenbasis unter Arbeiter*innen verloren. Das hat ihre bürgerliche Führung von der Leine gelassen: Agenda 2010 und deutsche Kriegsbeteiligung unter SPD-geführter Regierung war die Folge. Die Arbeiter*innenklasse hatte nicht einmal mehr eine reformistische Vertretung. 

PDS, WASG und DIE LINKE

Seit Mitte der 1990er Jahre sind wir deshalb für die Bildung einer neuen Arbeiter*innenpartei mit sozialistischem Programm eingetreten. Die PDS war zwar eine linke Partei, die im Parlament vertreten war, aber aufgrund ihrer stalinistischen Vergangenheit und gleichzeitig der systemkonformen Politik ihrer Führung in Regierungskoalitionen mit der SPD auf Landesebene, waren wir überzeugt, dass sie keinen aktiven Massenanhang unter Arbeiter*innen entwickeln wird und kein Werkzeug für eine sozialistische Veränderung der Gesellschaft werden wird. Das hat sich bestätigt. 2004 wurde die WASG (Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit) von Gewerkschafter*innen, SPD- und PDS-Abtrünnigen und Aktiven aus sozialen Bewegungen gegründet. Obwohl die WASG keinen sozialistischen Anspruch hatte, haben wir uns von Beginn an am Aufbau dieser neuen Partei beteiligt, weil sie die Klasseninteressen von Lohnabhängigen zum Ausdruck brachte und sich gegen Regierungsbeteiligungen mit SPD (und Grünen) aussprach. Wir sahen darin einen Ansatz zu einer neuen Arbeiter*innenpartei, die eine Massenbasis erlangen könnte. Die Fusion von WASG und PDS zur LINKEN hat in die neue Partei viele der schlechten Eigenschaften der PDS gebracht, sie war, und ist es zum Teil auch heute noch, aber trotzdem – mehr im Westen als im Osten – ein Ansatzpunkt für kämpferische Aktive aus Gewerkschaften und Bewegungen eine politische Vertretung zu bilden und ebenso ein Forum für Debatten über Gesellschaftsveränderung. Tausende traten neu in die Partei ein mit großen Hoffnungen, eine starke bundesweite Linke zu schaffen, die nicht vor dem Druck des Kapitals einknickt.

Enttäuschte Hoffnungen

Diese Hoffnungen wurden enttäuscht. DIE LINKE konnte ihre inneren Widersprüche nicht auflösen. Sie ist in Teilen bewegungs- und klassenkampforientiert und Forum für Debatte über Sozialismus und in anderen – einflussreicheren – Teilen systemkonforme Regierungspartei, die den Kapitalismus mit pro-kapitalistischen Parteien zusammen verwaltet und im Zweifel auch Verschlechterungen für die Arbeiter*innenklasse mit beschließt. Dieser Teil wurde in den letzten Jahren stärker, während die Partei sich gleichzeitig an den Kontroversen mit Sahra Wagenknecht und ihren Unterstützer*innen zerlegt. Die Parteilinke ist zersplittert und teilweise in prinzipienlosen Bündnissen mit Kräften der Parteirechten verfangen. Immer mehr treten mittlerweile aus und bei den letzten Bundestagswahlen erreichte sie nicht einmal mehr fünf Prozent. Die Abspaltung des Wagenknecht-Flügels scheint sicher, doch diese wird kein Schritt nach links sein. 

Neuer Anlauf nötig

All das weist darauf hin, dass es in der Entwicklung der Partei eine qualitative Veränderung zum Negativen gegeben hat und sie nicht mehr, wie in der Vergangenheit, als der wichtigste Ansatzpunkt für eine neue Arbeiter*innenpartei betrachtet werden kann. Ob DIE LINKE ihre derzeitige Krise überlebt oder, wie die italienische Rifondazione Comunista, von der Bildfläche verschwinden wird, ist offen. Mangels einer starken linken Alternative zu ihr, bleibt sie auch ein Betätigungsfeld für Sozialist*innen und werden wir zu ihrer Wahl aufrufen. Aber wir gehen davon aus, dass sich eine massenbasierte politische Interessenvertretung der Arbeiter*innenklasse in der Zukunft neu bilden und aus verschiedenen Quellen (Gewerkschaften, soziale Bewegungen, kommunalpolitische linke Initiativen etc) speisen wird. DIE LINKE und eine mögliche Wagenknecht-Partei können zu diesen verschiedenen Quellen gehören, sicher ist das jedoch nicht. Es ist aber sicher, dass ein solch neuer Anlauf erfolgversprechender sein wird, je stärker marxistische Kräfte sein werden. Deshalb gilt es umso mehr, die Sol als eine solche marxistische Kraft aufzubauen.

Sascha Staničić ist Bundessprecher der Sol und Mitglied des Länderrats der Antikapitalistischen Linken (AKL).