„Genug ist Genug“: Wie weiter?

Protestieren, Organisieren und auf Tarifrunden vorbereiten

Der bevorstehende Winter löst bei den meisten Menschen Angstschauer aus, denn die Strom- und Gasrechnungen werden erwartend groß ausfallen. Für Neukunden hat sich der Preis für Gas fast verdoppelt im Vergleich zum Vorjahr und Energieexperten gehen davon aus, dass die Preise in kommender Zeit hoch bleiben werden. In einigen Städten haben sich bereits Bündnisse gegen Preissteigerungen gegründet, viele unter dem Banner von „Genug ist Genug“. Auch wenn sich diese Initiative auf die britische Kampagne „Enough is Enough“ bezieht, ist die Ausgangslage doch eine andere. „Genug ist Genug“ in Deutschland kommt aus dem Umfeld des linken „Jacobin“-Magazins und existierte zuerst nur im Netz. Inzwischen gibt es in einigen Orten lokale Ableger von „Genug ist Genug“. Mit diesem Artikel wollen wir unsere Vorschläge erläutern, wie ein bundesweites Bündnis aufgebaut werden kann, das demokratisch strukturiert ist und als Ausgangspunkt für einen breiten und kämpferischen Protest fungieren kann.

von Max Klinkner und Caspar Loettgers, aktiv bei „Genug ist Genug“ in Mainz

„Enough is Enough“ wurde inmitten einer Streikwelle gegründet. In ganz Großbritannien streiken seit einigen Monaten immer wieder Eisenbahner*innen, Hafenarbeiter*innen, Angestellte bei der Post und den Universitäten und Arbeiter*innen in zahlreichen anderen Sektoren. Die Streiks zeigten ein Ausmaß, dass in Großbritannien seit 30 Jahren nicht mehr in der Form gesehen wurde. „Enough is Enough“ fand deshalb Zulauf, weil es anknüpfte an diese  Streikwelle und Menschen anzog, die von dem rechten Kurswechsel der Labour Partei enttäuscht waren. Es bleibt noch abzusehen, ob die Führung von „Enough is Enough“ es tatsächlich schafft (und gewillt ist) diese Dynamik zu nutzen, um eine breite soziale Massenbewegung aufzubauen. Dennoch befinden sie sich in einer qualitativ anderen Situation.

Im Gegensatz zu Großbritannien gibt es in Deutschland noch keine Streikwelle mit breiter Unterstützung in der Bevölkerung. Auch deshalb kann man nicht erwarten, dass „Genug ist Genug“ im gleichen Maße Menschen anzieht. Dennoch ist es positiv, dass es jetzt einige Ansatzpunkte gibt, um aktiv zu werden. Die voranschreitende Inflation und der Winter können viele Menschen zur Erkenntnis führen, dass sich nur etwas verändert, wenn man selber aktiv wird – auch wenn dies vermutlich nicht auf einen Schlag geschehen wird. 

Umso wichtiger ist es sich jetzt zu organisieren für ein heißes Frühjahr – „Genug ist Genug“ kann hierbei wichtige Rolle spielen. Wenn jetzt in möglichst vielen Städten mit dem Aufbau von Bündnissen begonnen wird, kann das ein Ausgangspunkt für Proteste sein, dem sich die Menschen anschließen können. Außerdem können Bewegungen auf der Straße auch eine Inspiration für bisher inaktive Teile der Bevölkerung sein, sich selbst zu beteiligen. 

Protest auf der Straße

Was „Genug ist Genug“ schnell geschafft hat, ist eine gewisse Internetpräsenz aufzubauen. Schon nach wenigen Monaten folgen über 29.000 Profile ihrem Instagram-Account. „Genug ist Genug“ versucht dieses Potenzial nun auch auf die Straße zu bringen. Das ist richtig, aber stellt auch die Frage, wie dies am besten gelingen kann.

Für eine erfolgreiche Kampagne, die größere Proteste organisieren kann, braucht es funktionierende Bündnisse in den Orten mit regelmäßigen Aktionen. Der Fokus liegt aktuell auf Rallys, einem ebenfalls aus England übernommenem Konzept, bei dem verschiedene Redebeiträge bei einer Art Saal-Kundgebung gehalten werden. Die  ersten Rallys in Berlin und Dresden zogen Menschen im dreistelligen Bereich an und erzeugten eine kämpferische Stimmung unter den Teilnehmer*innen. Über Rallys kann ein Gefühl der Gemeinschaft erzeugt werden, womit das Gefühl man müsse die Krise alleine bewältigen überwunden werden kann. 

Wie darüber hinaus konkret Druck aufgebaut werden kann, ist sicherlich von Ort zu Ort unterschiedlich. Das kann beinhalten, regelmäßige Proteste zu organisieren, die als Anlaufpunkt für Menschen dienen können, um aktiv zu werden. Bislang haben Proteste dieser Art nirgendwo größeren Zulauf bekommen, dennoch kann es eine Möglichkeit sich in der Stadt einen Namen zu machen. Genau so brauch es aber Strukturen und Treffen, denen man sich aktiv anschließen und einbringen kann. Das sollte unabhängig davon sein, ob man schon politisch organisiert ist oder nicht. Um das zu erreichen, ist es wichtig zu diskutieren, wie man am besten Menschen außerhalb der bekannten linken Kreise erreicht und mit unorganisierten Menschen aus der Arbeiter*innenklasse in Kontakt kommt. 

Zuletzt können auch Aktionen gegen konkrete Angriffe geplant werden. Wenn Unis zum Beispiel ihre Räumlichkeiten schließen, um die Energiekosten auf den Student*innen abzuwälzen, können Protestkundgebung bis hin zu Besetzungen organisiert werden. Ein Fokus kann gerade dann Sinn ergeben, wenn regelmäßige Proteste zu wenig Zulauf bekommen.

Einer der wichtigste Ansätze im Kampf gegen die Preissteigerungen werden unweigerlich die aktuellen und bevorstehenden Tarifverhandlungen sein. Allein von der Tarifrunde im öffentlichen Dienst sind 2,3 Millionen Beschäftigte betroffen. Aber auch zahlreich andere Tarifrunden stehen an, wie bei der Bahn und bei der Post. All diese Auseinandersetzungen bieten nicht nur die Chance, Reallohnerhöhungen für Millionen zu erkämpfen, sondern auch eine ideale Plattform mit Menschen ins Gespräch zu kommen und den Widerstand gegen die Preissteigerungen aufzubauen. Um diese Tarifrunden möglichst effektiv zu unterstützen, wäre es wichtig, wenn jetzt schon damit begonnen wird Kontakt zu Kolleg*innen in betroffenen Betrieben aufzubauen. In Mainz fand beispielsweise ein erstes Treffen zwischen Aktivist*innen von „Genug ist Genug“ und Vertrauensleuten der Entsorgungsbetriebe statt, um zu diskutieren, wie das lokale Bündnis die Kolleg*innen am besten unterstützen kann. Sobald es zu den ersten Warnstreiks kommt, sollten Aktionen geplant werden, um eine breite gesellschaftlich Unterstützung für die Streikenden aufzubauen. Beispielsweise könnten Solidaritätsdemos (am besten in Kooperation mit anderen DGB-Gewerkschaften) organisiert werden oder Streiklokale besucht werden. 

Bis die Tarifrunden wirklich anlaufen, wird es noch eine Weile dauern. Bis dahin wäre es wichtig, trotzdem schon auf der Straße präsent zu sein und Menschen ein Angebot zu machen aktiv zu werden, auch wenn diese nicht von einer Tarifrunde betroffen sind.  

Demokratische Strukturen

Damit lokale Bündnisse zu einem Anlaufpunkt für Menschen werden und auch bleiben, braucht es demokratische Strukturen auf allen Ebenen. Bislang gibt es diese Strukturen auf Bundesebene nicht. Viel mehr entsteht der Eindruck, dass lokale Initiativen sich den Forderungen von „Genug ist Genug“ anschließen sollen, ohne auf die bundesweite Kampagne Einfluss nehmen zu können. Wir sehen dies als eklatanten Fehler, der behoben werden muss. Um eine funktionierende bundesweite Kampagne  aufzubauen, braucht es Strukturen, die von unten her aufgebaut werden, statt einen kleinen Kreis, der Beschlüsse nach unten weiter gibt. Dies gilt auch in den einzelnen Orten. Hier sollten regelmäßige Treffen stattfinden, auf denen Menschen sich einbringen, Forderungen diskutieren können und Aktionen vorbereitet und ausgewertet werden können. Oft ist es sinnvoll noch einen kleineren Kreis an Aktiven zu wählen, die als Koordinierungskreis praktische organisatorische Aufgaben übernehmen. Diese sollten  demokratisch gewählt werden und auch abgewählt werden können. Ähnliche Vorschläge werden auch in dem bundesweiten Leitfaden für „Genug ist Genug“ Ortsgruppen gemacht. Nur wird nicht klar betont, dass sogenannte „Kernteams“ eben jederzeit wähl- und abwählbar sein sollten. (https://www.wirsagengenug.de/material/)

Die Art und Weise wie „Enough is Enough“ in Großbrintannien strukturiert ist, sollte dabei nicht als Vorbild gelten. Die Führung von von „Enough is Enough“ ist leider immer noch total intransparent und nicht gewählt worden . 

Aktivenkonferenz

Schon länger wird von den Initiator*innen eine Aktionskonferenz in Aussicht gestellt, allerdings gibt es bisher keine genauen Infos. Eine solche Konferenz könnte ein wichtiger Meilenstein in dem Aufbau von „Genug ist Genug“ und damit dem allgemeinen Protest gegen die Teuerung sein. Durch das Zusammenbringen von Aktiven aus ganz Deutschland könnten erste Erfahrungen ausgetauscht werden und eine breite Diskussion angestoßen werden – über die konkreten Forderungen und wie die Proteste am besten weiter aufgebaut werden könnten. Gleichzeitig könnte eine demokratische Gründung von unten angegangen werden, in dem Strukturen festgelegt werden und ein bundesweiter Koordinierungsrat gewählt wird. Hierzu wäre es wichtig, so schnell wie möglich einen genauen Termin bekannt zugeben und dann möglichst viele Menschen einzuladen an dem Gründungsprozess teilzunehmen. Auch andere Sozialbündnisse sollten eingeladen werden, sich „Genug ist Genug“ dort anzuschließen. Bei den Protesten gegen die Hartzgesetze war eine Aktivenkonferenz in Frankfurt Ausgang für die erste bundesweite Demonstration gegen die Angriffspläne von Schröder in Berlin an der 100 000 Menschen teilnahmen.

Widerstand zusammenführen

Bisher haben sich vor allem in Westdeutschland Bündnisse von „Genug ist Genug“ gegründet. Im Osten hingegen dominierten in den letzten Wochen leider verstärkt rechte Kräfte wie die „Freien Sachsen“ bei den Protestangebote. Durch rechte Hetze und Panikmache verbessert sich natürlich nichts für die arbeitende Bevölkerung. Dies muss man deutlich machen und erklären, warum es  einen gemeinsamen Kampf von allen Teilen der arbeitenden und armen Bevölkerung unabhängig von Nationalität, Religion etc. braucht. Man muss dabei aber auch deutlich machen, dass man diesen Kampf für Verbesserungen ernst meint. Diese Aufgabe  muss ernst genommen werden, wenn auch im Osten der Republik progressive Proteste aufgebaut werden und vor allem den Rechten das Wasser abgegraben werden soll. 

Grüne Jugend

Auf Bundesebene und in einzelnen lokalen Bündnissen hat sich die Grüne Jugend „Genug ist Genug“ angeschlossen bzw. ihre Unterstützung erklärt. Dies hat zurecht Kritik nach sich gezogen. Warum sollte ausgerechnet die Parteijugend der Partei, die momentan in der Regierung sitzt und das Wirtschaftsministerium führt, eine zuverlässige Partnerin im Kampf gegen die Krise sein? Wir wollen niemandem verbieten die Forderungen von „Genug ist Genug“ zu unterstützen, aber warnen davor auf Kräfte wie die Grüne Jugend zu orientieren. Immer wieder hat in der Vergangenheit die Anbindung an pro-kapitalistische (Regierungs-)Parteien und Kräfte dazu geführt, dass Bündnisse und Bewegungen in Bahnen geraten, welche Protesten die Dynamik raubt und nicht zu den nötigen sozialen Verbesserungen führen, weil sie besonders darauf bedacht sind, nicht den Herrschenden gefährlich zu werden. Die Grüne Jugend ist trotz der Politik ihrer Mutterpartei augenscheinlich nicht bereit, dafür zu kämpfen, dass die Partei die Regierung verlässt. Noch stellt sie die Verbindung zu einer so durch und durch pro-kapitalistischen Partei wie den Grünen in Frage. Zudem sollte man nicht unterschätzen, dass es in bestimmten Teilen der Arbeiter*innenklasse ein großes Misstrauen gegen die Grünen gibt. Aus all diesen Gründen sollte man solchen Organisationen und ihren Vertreter*innen nicht vertrauen und ihnen keine besondere Plattform innerhalb der Kampagne bieten. 

In England sorgte die Teilnahme von Labour-Abgeordneten bereits dafür, dass sich kämpferische Gewerkschaften wie Unite, die 1,2 Millionen Mitglieder repräsentiert, bisher nicht „Enough is Enough“ anschlossen. Viele befürchten zu Recht, dass einige Labour-Abgeordnete bei „Enough is Enough“ ihr eigenes  Image aufpolieren wollen und dass die Kampagne von einzelnen Gewerkschaftsführer*innen genutzt wird, um Unterstützung für Labour bei den Streikenden aufzubauen. Die Situation ist, wie weiter oben bereits erläutert wurde, nicht vergleichbar mit der in Deutschland. Dennoch zeigt es, was passieren kann, wenn man auf bürgerliche Parteien orientiert – man läuft unter anderem Gefahr, die breite (größtenteils noch unorganisierte) Arbeiter*innenklasse zu verlieren.

Gewerkschaften in die Offensive

Im Kampf für reale Lohnerhöhungen tragen die Gewerkschaften eine besondere Verantwortung. Man sollte aber auch nicht vergessen, dass viele lokale Bündnisse entstanden sind, weil die Gewerkschaftsführung lieber die Füße stillgehalten haben. Dabei wäre es gerade die Aufgabe der Gewerkschaften, den Kampf gegen die momentanen Preissteigerungen anzuführen. Die kommenden Tarifrunden bei der Post und im öffentlichen Dienst können der Ausgangspunkt für größere Kämpfe der Arbeiter*innenklasse sein. Deshalb wäre es nötig, dass die Gewerkschaften sie durch eine gesellschaftspolitische Kampagne begleiten und Solidarität zwischen verschiedenen Beschäftigten organisieren. Ob sie diese Aufgabe annehmen und ihr gerecht werden, ist offen. „Genug ist Genug“ kann aber ebenfalls einen Beitrag dazu leisten. Die lokalen Bündnisse von „Genug ist Genug“ sollten auch die Streikposten und Kolleg*innen aufsuchen und ihre Solidarität ausdrücken. Außerdem sollten die Kolleg*innen für Kundgebungen und Rallys angefragt werden, um über ihre Kämpfe zu berichten. 

In machen Orten sind Einzelgewerkschaften bereits Teil von Bündnissen, doch in der Breite hält der DGB noch die Füße still. Dies kann sich nur Ändern wenn Druck von unten gemacht wird. Lokale Initiativen von „Genug ist Genug“ sollten versuchen Kontakt zu örtlichen Betriebsräten, Vertrauensleute und anderen Gewerkschaftsstrukturen aufzunehmen, um zu diskutieren, wie gemeinsame Proteste organisiert werden können und die kommenden Tarifrunden unterstützt werden können. Aktive Gewerkschafter*innen sollten in ihren Gewerkschaften Druck machen, dass diese zu Protesten aufrufen. 

Systemfrage stellen  

Über die Ursachen der Inflation wird es unterschiedliche Analysen geben. Diese sollen eine gemeinsame Aktion nicht ausschließen, müssen aber diskutiert werden, um nachhaltige Antworten auf die aktuelle Krise zu geben. In den bürgerlichen Medien wird meistens der Krieg in der Ukraine als stärkster Faktor für die Preissteigerungen benannt. Manche Menschen glauben deshalb auch, dass es nach einem Ende des Krieges wieder zu einer Normalisierung kommen könnte. Einerseits ist dieses leider bisher noch nicht abzusehen, gleichzeitig ist die Krise deutlich tiefer. Wirtschaftliche Krisen sind ein fester Bestandteil des kapitalistischen Systems, die in den letzten Jahren durch Pandemie, Klimazerstörung und Krieg noch vertieft wurden. Eine Lösung für die arbeitende und arme Bevölkerung kann nur bestehen, wenn dies auch benannt wird und die Forderungen über die engen Grenzen des Kapitalismus hinausgehen. Innerhalb des Bündnis muss es daher auch Platz für eine Diskussion über die systematischen Ursachen der Inflation und Krise geben – und über Alternativen zu diesem System. Als Sol haben wir ein ausführliches Programm gegen die Preissteigerungen, die Energiekrise aufgestellt und zeigen darin auch einen Übergang hin zu einer sozialistischen Demokratie auf. Mit diesen Ideen werden wir uns auch in die Debatten bei „Genug ist Genug“ einbringen.

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