Kollektive Gegenwehr von Mieter*innen wird immer wichtiger“

Roland Hägele

Interview mit Ursel Beck zur Frage, warum Nebenkostenvorauszahlungen nicht einfach gezahlt werden sollten und wie sich Mieter*innen zur Wehr setzen können.

Ursel Beck ist Mitglied des Sol-Bundesvorstands und aktiv in den Mieter*innen*inneninitiativen Stuttgart.

Die Nebenkostenabrechnung für 2021 sind verschickt. Bekommen die Mieter*innen*innen bereits höhere Kosten bei der Energie zu spüren?

Die VONOVIA hat bei Abrechnungen, die im Sommer rausgingen die Heizkostenvorauszahlungen um zwanzig Prozent erhöht, die städtische Wohnungsgesellschaft SWSG hat bereits seit Juli alle Vorauszahlungen um sechzig Prozent erhöht, obwohl der Geschäftsführer nach Verhängung des Energieembargos gegen Russland im März gegenüber der Presse erklärt hat, dass die SWSG in 2022 aufgrund von langfristigen Lieferverträgen gar keine Preiserhöhung bei der Energie habe. Bei Abrechnungen, die bei der VONOVIA im November rausgegangen sind, wurden die Heizkostenvorauszahlungen dann sogar vervierfacht.

Was bedeutet das in Euro jeden Monat?

Bei der SWSG sind das monatliche Erhöhungen der Warmmiete von bis zu 176 Euro. Bei der Mieter*innenversammlung der VONOVIA – Mieter*inneninitiative Anfang Dezember hatte ein Mieter*innen eine Abrechnung mit einer Erhöhung der Heizkostenvorauszahlung um 346 Euro dabei. Die neue monatliche Vorauszahlung für die Heizung wurde ab 1.1.2023 auf 463 Euro festgesetzt. Die Warmmiete für eine 73,5 Quadratmeter-Wohnung sollte sich dadurch von 844,52 Euro auf 1190,52 Euro erhöhen. Das sind mehr als 16 Euro Warmmiete pro Quadratmeter.

Was ist die Antwort der Mieter*inneninitiative?

Wir erklären den Mieter*innen über Rundmails, Mieter*innenversammlungen und Beratungsterminen, dass sie diese Erhöhungen nicht bezahlen müssen und auch nicht bezahlen sollten und stellen Musterbriefe zur Verfügung.

Ist ein solcher Boykott dieser Erhöhungen rechtens?

Ja. Das ist er. Weil die Wohnungsgesellschaften keine genauen Zahlen über ihre Preissteigerungen beim Energiebezug nachweisen. Das wäre die Voraussetzung für eine rechtmäßige Erhöhung, wobei natürlich der von der Bundesregierung geleistete Dezemberabschlag und die Heruntersubventionierung der Energiepreise auf 12 Cent pro kwh beim Gas und 9,5 Cent bei der Fernwärme ab 1. Januar 2023 für achtzig Prozent des Verbrauchs aus dem Vorjahr mit eingerechnet werden müsste. Diese Gelder landen ja nicht bei den Mieter*innen, sondern bei den Vermietern und müssen erst mit den Abrechnungen für 2022 und 2023 verrechnet werden. Nicht nur die SWSG hatte 2022 Preisgarantie. Die meisten größeren Wohnungsgesellschaften haben längerfristige Lieferverträge. Welchen Grund gab es dann dafür ab September 2022 die Vorauszahlungen zu erhöhen? Im besten Fall holen sich die Wohnungsgesellschaften einen kostenlosen Kredit bei den Mieter*innen. Im schlimmsten Fall bereiten sie einen Betrug zu Lasten der Mieter*innen und zugunsten ihrer Gewinne vor.

Wie kann denn überhaupt garantiert werden, dass alle staatlichen Gelder zur Entlastung der Energierechnungen bei den Mieter*innen ankommen.

Das ist eine gute Frage. Meiner Meinung nach wird der Profitmacherei Tür und Tor geöffnet. Einmal weil die Energiekonzerne die Preise weiter nach oben treiben können. Der Staat bezahlt ihnen ja die Differenz zwischen Deckel und ihren selbstgemachten Preisen. Und für alles was über achtzig Prozent des Energieverbrauchs des Vorjahres hinausgeht, bezahlen die Mieter*innen diese extrem hohen Preise. Es ist kein Zufall, dass mit der Verkündung dieser Deckel die Preise gleich mal einen Sprung nach oben gemacht haben und die Regierung im Dezember eine äußerst zahme und wahrscheinlich leicht zu umgehende Regelung zur Verhinderung dieser sogenannten „Mitnahmeeffekte“ beschlossen hat. Aber auch die Wohnungskonzerne haben Möglichkeiten, die staatlichen Gelder zum Teil auf Ihren Konten zu belassen. VONOVIA, LEG und andere Wohnungskonzerne haben eigene Energieversorgungsunternehmen und haben ein Monopol bei ihren Häusern mit Zentralheizung. Das ermöglicht auch eine Monopolpreispolitik. Die bundesweite VONOVIA-Mieter*innenvernetzung fordert seit langem, dass die VONOVIA nicht nur die Rechnungen und Verträge mit ihrem eigenen Energieunternehmen, sondern auch mit dessen Lieferanten offen legen muss. Heizkostenabrechnungen sind sehr kompliziert und sehr komplex. Die staatlichen Subventionen, die an die Vermieter*innen gehen, eröffnet weitere Möglichkeit zuungunsten der Mieter*innen falsch abzurechnen und dadurch die Profite zu erhöhen.

Wie ist die Resonanz auf Euren Aufruf die Erhöhung der Heizkostenvorauszahlung nicht zu bezahlen?

Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt Mieter*innen, die diese monatlichen Erhöhungen gar nicht bezahlen können. Sie sind froh, dass wir Ihnen die Sicherheit geben, dass sie das auch nicht tun müssen. Andere sind froh, dass sie mal Nein sagen können zu der ständigen Abzocke. Es gibt aber auch eine Schicht die Angst hat, dass ihnen die Wohnung gekündigt wird, wenn sie nicht bezahlen. Diese Angst konnten wir denjenigen nehmen, die an Mieterversammlungen teilgenommen haben. Weil wir mit unseren Mitteln nur einen Teil der Mieter*innen erreichen, werden die meisten, die jetzt eine Erhöhung bekommen, wohl bezahlen. Da stellt sich natürlich die Frage, wie es ihnen in ein paar Monaten geht. Sparen sie sich das Geld beim Essen ab oder haben sie bald Mietschulden und eine Kündigung. In jedem Fall spitzt sich die Auseinandersetzung ums Wohnen zu, weil auch die Grundmieten in den Großstädten weiter steigen werden, noch relativ günstige Wohnungen abgerissen und keine neuen für Gering- und Normalverdiener*innen, Familien und Rentner*innen gebaut werden.

Wie reagieren die Wohnungsgesellschaften, wenn Mieter*innen die Erhöhung der Vorauszahlung verweigern?

Die VONOVIA akzeptiert sofort wenn Mieter*innen die Erhöhung des Abschlags ablehnen. Sie wissen, dass sie rechtlich keine Chance haben. Gleichzeitig hat sie bei den Abrechnungen, die im November rausgingen mit Horrorzahlen mit Bezug auf den teuren Grundversorgertarif, der bei der VONOVIA überhaupt keine Rolle spielt, versucht den Mieter*innen Angst einzujagen vor hohen Nachzahlungen. Die städtische Wohnungsgesellschaft hat Mieter*innen zunächst mit mietrechtlichen Konsequenzen gedroht und Mieter*innen mit Einzugsermächtigung trotz schriftlicher Ablehnung der Erhöhung das Geld einfach abgebucht. Nach unserem Protest haben sie das eingestellt. Im Gemeinderat hat der SWSG-Geschäftsführer behauptet, das seien Fehler der MitarbeiterInnen gewesen. Das halte ich für ausgeschlossen.

Der SWSG-Geschäftsführer hat uns bei einer Gemeinderatssitzung auch vorgeworden, wir würden Öl ins Feuer gießen. Er hat auch davon gesprochen, dass die SWSG den Unmut der Mieter*innen abbekommt und uns dafür verantwortlich gemacht. Dabei ist es natürlich die profitorientierte Geschäftspolitik, die die Mieter*innen aufbringt. Die Mieter*inneninitiativen geben dem nur einen organisierten Ausdruck.

Du sagst das Thema war auch im Gemeinderat

Ja. Die Mieter*inneninitiative hatte der linken Fraktionsgemeinschaft vorgeschlagen, dass sie einen Antrag im Gemeinderat stellt, dass der Gemeinderat die SWSG anweist, die sechzigprozentige Erhöhung der Heizkostenvorauszahlung zurückzunehmen (Antrag siehe hier: https://diefraktion-stuttgart.de/2022/11/11/ruecknahme-der-erhoehung-von-den-heizkostenvorauszahlung-bei-der-swsg/ ).

Dieser Antrag wurde am 9.12. im Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen behandelt oder besser gesagt, abgehandelt. Die Mieter*inneninitiative und DIE LINKE Stuttgart hatte vor dem Sitzungssaal eine Lobby organisiert. Für den Antrag stimmten nur die beiden Gemeinderäte von DIE LINKE. Ein SPD-Gemeinderat und einer von einer kleineren lokalen Fraktion (PULS) enthielten sich. Alle anderen Gemeinderäte von SPD, Grünen, CDU, FDP, Freie Wähler und AFD stimmten gegen den Antrag. Sind also für die 60%ige Erhöhung. Auf die Aussage unserer linken Stadträtin, Johanna Tiarks, dass viele Mieter*innen diese monatliche Erhöhung gar nicht bezahlen können, antwortete der CDU-Finanzbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzende der SWSG, Thomas Fuhrmann, dass die Mieter*innen dann zur Schuldenberatung gehen könnten. Und der SWSG-Geschäftsführer verteidigte die Erhöhung mit der Aussagen, man wolle die Mieter*innen vor hohen Nachzahlungen schützen. Welch ein Zynismus!

Also bleibt es bei der Erhöhung?

Nein. Interessanterweise hat die SWSG-Geschäftsführung der Mieter*inneninitiative auf einen Brief an die Geschäftsführung und den Aufsichtsrat vom 16. September mit einem Brief geantwortet, der am Tag vor der Gemeinderatssitzung bei uns ankam. Darin redet sich die SWSG-Geschäftsführung mit dem Argument, dass die Entlastungspakete der Regierung zum Zeitpunkt der „Vorauszahlungsanpassung noch nicht bindend bekannt“ war, raus. Sie sagen auch, dass jede Vertragspartei nach einer Abrechnung ein Anpassung der Vorauszahlung vornehmen kann. Das ist das verklausulierte Eingeständnis, dass die Mieter*innen das Recht haben die Erhöhung abzulehnen. In den Abrechnungen, die an die Mieter*innen rausgegangen sind, wurde den Mieter*innen aber nicht mitgeteilt, dass sie dieses Recht haben. Da wurde mehr oder weniger gesagt, weil die Energiepreise steigen, erhöhen wir die Heizkostenvorauszahlung um sechzig Prozent. Basta. Außerdem wird in dem Brief an uns angekündigt, dass sie die Heizkostenreduktion durch die gedeckelten Preise „in entsprechend angepasste Heizkostenvorauszahlungen überführen“ werden. Wir sind gespannt wann das flächendeckend passiert. Mit Briefdatum vom 6.12. erhielt eine ganze Wohnsiedlung mit mehr als 400 Wohnungen und Gasheizung eine korrigierte Abrechnung. Die erhöhten Abschläge ab September wurden zurückgenommen und der Abschlag ab Februar zwar erhöht, aber um 85 Euro weniger als ursprünglich. Außerdem wurde angekündigt, dass überall dort, wo es noch keine Wärmemengenzähler gibt, alle betroffenen Mieter*innen automatisch eine Rückerstattung von fünfzehn Prozent der Heiz- und Warmwasserkosten für 2020 und 2021 erhalten.

Was hat es mit diesen Wärmemengenzählern auf sich?

Diese Zähler zur Trennung des Heizenergieverbrauchs für Heizung und Warmwasser bei Zentralheizungen sind seit 2014 vorgeschrieben. In vielen Häusern sind sie aber immer noch nicht installiert, weil die Investitionskosten dafür nicht auf die Miete umgelegt werden können. Also wurde weiter nach einer Formel der Heizkostenverordnung getrennt. Dazu gab es dann einige Gerichtsverfahren und 2022 ein BGH-Urteil wonach die Mieter*innen bei fehlenden Wärmemengenzählern 15% der gesamten Kosten für Heizung und Warmwasser des Abrechnungsjahrs zurückerstattet bekommen müssen. Wir haben bei Mieterversammlungen und über einen Flyer darüber informiert und auch einen Musterbrief zur Verfügung gestellt. In einer großen Wohnsiedlung haben wir eine Unterschriftensammlung für die Rückerstattung organisiert. Daraufhin wurde allen Mieter*innen, auch denjenigen, die nicht unterschrieben hatten die 15% Rückerstattung gut geschrieben. Auf unserer website haben wir den Flyer, Musterbrief und die Gerichtsurteile veröffentlicht (siehe hier: https://mieterinitiativen-stuttgart.de/2022/08/02/fehlender-waermemengenzaehler-Mieter*innen-duerfen-15-der-heiz-und-warmwasserkosten-kuerzen/ ).

Und das Ergebnis ist, dass durch diese Kampagne sehr viele Mieter*innen der SWSG und der VONOVIA Geld zurückerstattet bekommen. Je nach Größe der Wohnung sind das bis zu mehreren hundert Euro.

Konnte sich die Mieter*inneninitiative durch diese Kampagnen weiter aufbauen?

Wir bekommen keinen Massenzulauf. Aber wir bekommen immer mehr Mails. Immer wenn wir Flyer verteilt haben, steigt der Besuch auf unserer Website an. Immer mehr Mieter*innen beteiligen sich am Verteilen von Flyern, oder beim Sammeln von Unterschriften oder bei Mieterberatungen. Wir konnten unseren Vorstand durch neue Aktive erweitern. Wir ermutigen auch Hausgemeinschaften oder Prüfgemeinschaften zu bilden, um sich gemeinsam zu wehren. Das ist vor allem auch bei Nebenkostenabrechnungen sehr effektiv. Denn die Abrechnung erfolgt ja in der Regel über mehrere Häuser mit gleichen Kosten, die dann nur über die unterschiedlichen Quadratmeterzahlen der Wohnungen verteilt werden. Im Anschluss an Mieterversammlungen in Wohnsiedlungen bilden sich oft spontan WhatsApp-Gruppen. Kollektive Gegenwehr von Mieter*innen wird immer wichtiger. Aber sie fällt nicht vom Himmel. Richtig heftig wird es ja wahrscheinlich wenn die nächsten Nebenkosten im Herbst 2023 kommen. Und in vielen Fällen wird es zwischendrin auch noch eine Erhöhung der Grundmiete geben. Der ab 2023 geltende Miet(erhöhungs)spiegel für Stuttgart gibt eine Erhöhung der Mieten um 6,8 Prozent her.

Welche Rolle spielen politische Fragen in der Mieter*inneninitiative?

Sie werden immer wichtiger. Die Menschen spüren ja, dass sie Opfer sind der Wohnungs- und Energiepolitik, dass sie überall abgezockt werden und sie verallgemeinern das. „Es geht nur noch um Profit“. Das bekommen wir ganz oft zu hören. Als Sozialistin ist es mir wichtig immer wieder zu erklären, dass dieser Kleinkrieg, den wir gegen die Wohnungskonzerne und die politisch Verantwortlichen führen, ein Ende haben muss. Dass sich was an den Strukturen und Machtverhältnissen ändern muss, Energie- und Wohnungskonzerne in Gemeineigentum überführt und unter Beteiligung der Mieter*innen und in deren Interesse verwaltet und kontrolliert werden müssen und mit Wohnungen und Energie kein Profit gemacht werden darf. Dafür gibt es breite Unterstützung, wenn auch keine Vorstellung, wie man da hin kommen kann. Niemand hat Verständnis dafür, dass Wohnungsgesellschaften falsche Abrechnungen verschicken dürfen, die dann von den Mieter*innen mit großem Aufwand nur teilweise korrigiert und Gelder zurückgeholt werden können. Dass die Mieter*innen Kontrolle brauchen über das was in den von Ihnen bewohnen Häusern abläuft, wird immer offensichtlicher. Da kriegen die Mieter*innen z.B. Schreiben von ihren Vermieter*innen, dass sie Energie sparen sollen, gleichzeitig wird die Forderung von Mieter*innen, dass die Heizungen in Hauseingängen und Treppenhäusern abgeschaltet werden, einfach ignoriert. Zu Recht ärgern sich die Mieter*innen dann daürber, dass sie für verschwendete Heizenergie bezahlen sollen. Wenn wir erklären, dass die Mieter*innen, die Energiekrise nicht verursacht haben und deshalb auch nicht dafür bezahlen sollen und die Wohnungsgesellschaften erstens mitverantwortlich sind für die Abhängigkeit von fossilen Energien und Energieverschwendung und außerdem genug Profit machen, um die gestiegen Kosten selbst zu tragen, dann findet auch das Zustimmung. Nicht zuletzt gibt es auch eine generelle Offenheit für die Idee eines Mietzahlungsboykotts wenn Miete und Energie unbezahlbar werden.

Stellungnahme der Mieter*inneninitiativen Stuttgart zur Energiekrise:

https://mieterinitiativen-stuttgart.de/wp-content/uploads/sites/24/2022/09/Stellungnahme-Energiekrise1.pdf

Sozialistisches Programm der Sol gegen Wohnungsnot und Mietenwahnsinn:

https://manifest-buecher.de/produkt/mieten/

Infos zum Thema Nebenkostenabrechnung und Vorauszahlungen:

Print Friendly, PDF & Email