Solidarität mit den Klimaaktivist*innen!

Die Razzien gegen die Letzte Generation sind ein Angriff auf die gesamte Linke

Bundesweit wurden elf Wohnungen von Mitgliedern der Letzten Generation von der Polizei durchsucht. Dies stellt eine neue Eskalationsstufe in der staatlichen Repression gegen die Klimabewegung dar. Es ist ein Angriff nicht nur auf die Letzte Generation, sondern auf jegliche Form linken Protests, der scharf verurteilt werden muss.

von Marc Hausdorf, Senftenberg

Seit Wochen läuft eine unter anderem vom Axel-Springer-Verlag inszenierte Kampagne gegen die Aktivist*innen der Letzten Generation in den deutschen Medien. Von einer Radikalisierung der Klimabewegung, ja gar von „Ökoterrorismus“ ist die Rede. Das ist angesichts der friedlichen Proteste der Letzten Generation pure Hetze, die nichts mit der Realität zu tun hat.

Von der CDU kam oft der Ruf nach einem harten Durchgreifen des Staates. Was bisher nur mediale Hetze war, wurde jetzt mit den Razzien gegen Aktivist*innen der Letzten Generation Realität. Mancherorts haben die Polizist*innen gewaltsam Türen eingetreten, um die Wohnungen von Klimaaktivist*innen zu durchsuchen und persönliche Gegenstände, wie Handys und Laptops, zu konfiszieren. Fünf Betroffene wurden außerdem in Gewahrsam genommen.

Veranlasst wurden die Hausdurchsuchungen von der Staatsanwaltschaft Neuruppin. Es ist vor allem eine Reaktion auf die Aktionen bei der Ölraffinerie Schwedt, wo Mitglieder der Letzten Generation wiederholt die Schieber für die Ölversorgung abgedreht hatten, um gegen die andauernde Nutzung fossiler Energien zu protestieren. Die Staatsanwaltschaft wirft der Letzten Generation „Störung öffentlicher Betriebe“ sowie „Bildung und Unterstützung krimineller Vereinigungen“ vor. Würde die Gruppe tatsächlich als kriminelle Vereinigung eingestuft, dann wäre Mitgliedschaft in ihr und sogar Werbung für sie strafbar.

Politische Repression unter Vorwand

Die „Bildung krimineller Vereinigungen“ fällt unter den §129 des Strafgesetzbuchs, unter Linken auch bekannt als „Schnüffelparagraph“. Formal richtet er sich gegen Vereinigungen, deren hauptsächliches Ziel das Verüben von Straftaten ist. Tatsächlich hat er in der Bundesrepublik eine lange Geschichte als willkürlich einsetzbares Instrument der Repression gegen linke Bewegungen. Zwar wurden linke Organisationen selten tatsächlich als kriminelle Vereinigungen eingestuft, und auch bei der Letzten Generation ist fraglich, ob die Staatsanwaltschaft Neuruppin mit ihrer Anklage Erfolg haben wird. Der bloße Verdacht aber gibt dem Staat Handhabe, linke Organisationen einzuschüchtern und in ihrer Tätigkeit nachhaltig zu behindern.

Auch diesmal ist es offensichtlich das Ziel, jegliche Form von Protest gegen das System, der über den Rahmen des bürgerlichen Rechtsstaates hinausgeht, zu delegitimieren und im Keim zu ersticken. Die Verurteilung der vermeintlichen Radikalität der Letzten Generation, die sich an ihrer Bereitschaft zu Straftaten zeige, klingt im Tenor durch den gesamten politischen Mainstream. Während WELT, Bild, CDU und AfD die volle Härte des Staates gegen die Letzte Generation fordern, geben Politiker*innen von SPD und Grünen oft zumindest Lippenbekenntnisse der Solidarität mit den Aktivist*innen ab. Man halte deren Ziele für richtig und bewundernswert, aber die Methoden für falsch. Unser Rechtsstaat biete schließlich genug Möglichkeiten, um konstruktiv für Klimaschutz zu kämpfen. Nur DIE LINKE hat sich solidarisch an die Seite der Letzten Generation gestellt und das staatliche Vorgehen kritisiert.

Gesetzestreue kann kein Selbstzweck sein

Nun ist es den Aktiven der Letzten Generation aber nicht zu verdenken, dass sie zu dem Schluss gekommen sind, dass die bisherigen Proteste nicht wirksam genug waren – Unmengen von Petitionen, Demonstrationen und Fridays For Future-Schüler*innenstreiks haben nicht dazu geführt, dass wir dem Ende des Klimawandels auch nur einen Schritt nähergekommen wären. Ein Klimagipfel nach dem anderen ist in den letzten Jahrzehnten mit schönen Worten und Deklarationen vergangen, ohne dass die kapitalistischen Regierungen der Welt wirkungsvolle Maßnahmen ergriffen hätten.

Deshalb hat die Letzte Generation Recht mit der Schlussfolgerung, dass mehr geschehen muss. Sie hat auch grundsätzlich Recht damit, dass sich Protestbewegungen nicht sklavisch an geltende Gesetze halten dürfen. Das Gesetz ist kein über der Gesellschaft stehendes Gut, was all ihren Mitgliedern gleichermaßen dient. In einem bürgerlichen Staat ist es in erster Linie Mittel zur Durchsetzung der bürgerlichen Klassenherrschaft, aber auch Ergebnis von Klassenkämpfen. Das Streikrecht und das allgemeine Wahlrecht, zwei der wichtigsten Instrumente, mit denen wir heute Forderungen im legalen Rahmen durchsetzen können, wurden einst gegen den Widerstand und mit dem Brechen bestehender Gesetze erkämpft.

Für eine sozialistische Klimabewegung

Doch so radikal, wie die Letzte Generation erscheint, ist sie gar nicht (siehe auch Artikel hier). Letztlich versucht sie nur mit spektakulären Aktionsformen Aufmerksamkeit zu erregen, an die Regierenden zu appellieren und relativ bescheidene Ziele, wie ein Tempolimit auf Autobahnen, durchzusetzen. Ihre Aktionen sind eher Ausdruck von Verzweiflung als einer wirkungsvollen Strategie zur Beendigung des Klimawandels.

Allen voran fehlt ihr – wie der Klimabewegung im Allgemeinen – ein Klassenstandpunkt. Nicht „wir“ zerstören das Klima, sondern die kleine, parasitäre Klasse der Besitzenden, die vom anhaltenden Klimawandel profitiert und von seinen Folgen am wenigsten betroffen sein wird. Es ist das kapitalistische Profitsystem, das zu Umweltzerstörung führt und dessen Logik wirkungsvolle Maßnahmen zum Schutz des Planeten verhindert. Deshalb ist eine Strategie nötig, die diese Ursache des Klimawandels in den Fokus rückt.

Dazu ist der avantgardistische Kurs der Letzten Generation, der mittels möglichst öffentlichkeitswirksamer Aktionen die Gesellschaft „wachrütteln“ und so ein Einlenken der Regierung erzwingen möchte, nicht geeignet. Wachgerüttelt werden muss heutzutage niemand mehr. Die Realität der Klimakrise ist den allermeisten Menschen bewusst. Was fehlt ist das Bewusstsein, dass diese Krise nur kollektiv von der Masse der Arbeitenden überwunden werden kann. Es braucht sowohl einen Kurswechsel großer Teile der Umweltbewegung hin zur Arbeiter*innenklasse, als auch der Gewerkschaften hin zum Kampf gegen den Klimawandel.

Massenmobilisierung statt individuellem Aktionismus

Mit einer kleinen politischen Gruppierung den Rest der Bevölkerung zu provozieren kann dabei nur kontraproduktiv sein. Zwar ist es unvermeidlich, im Kampf für die Arbeiter*innenklasse auch mal unbequem zu sein und andere Arbeiter*innen zu stören. Klassisches Beispiel hierfür sind Streiks bei Bahn- oder Flugverkehr. Allerdings wird bei Letzteren ein großer Teil der Beschäftigten in einem Unternehmen mobilisiert, um in erster Linie dem Unternehmen selbst zu schaden und ihm so Konzessionen abzuringen. Straßenblockaden im morgendlichen Pendelverkehr treffen hingegen ganz überwiegend die Falschen. Kein Wunder also, dass das Verständnis in der Bevölkerung geringer ist als bei streikenden Lokführer*innen.

Und solche Aktionen sind geradezu ein Geschenk an die Herrschenden, das Gespenst der rücksichtslosen Gefährdung von Menschenleben an die Wand zu malen, weil angeblich Rettungswagen nicht durchkommen oder Flugzeuge nicht landen können. Angesichts der vielen Toten, die dem auf den Autoverkehr ausgerichteten Verkehrssystem Jahr für Jahr zum Opfer fallen, ist das ein geradezu heuchlerischer Vorwurf. Dennoch sollte sich jede Organisation überlegen, ob die Propagandakampagne und die etwaigen Repressionen, die ihre Aktionen nach sich ziehen, durch ihre Erfolgsaussichten aufgewogen werden. Marxist*innen wenden sich deshalb seit jeher gegen individuelle Akte der Sabotage und plädieren für die Stärkung des Klassenbewusstseins und Massenmobilisierungen der Arbeiter*innenklasse.

Stattdessen müsste die Masse der Arbeiter*innenklasse für den gemeinsamen Kampf gewonnen werden, indem sie nicht als Teil des Problems, sondern als Teil der Lösung verstanden werden und Forderungen aufgestellt werden, die deutlich machen, dass eine Rettung der Umwelt kein Widerspruch zu sicheren Arbeitsplätzen und einem auskömmlichen Lebensstandard sein muss – wenn man bereit ist, über die Grenzen des Kapitalismus hinauszugehen. Dazu muss die Wirtschaftsweise grundsätzlich verändert, die Banken und Konzerne in öffentliches Eigentum überführt und die Produktion nicht nach Profitstreben, sondern nach den Bedürfnissen von Mensch und Umwelt organisiert werden. Die einzige Kraft in der Gesellschaft, die dies erreichen kann, ist die Arbeiter*innenklasse.

Bei aller Kritik an der Politik und Taktik der Letzten Generation bleibt aber festzuhalten, dass sich alle Linken solidarisch mit Aktivist*innen zeigen sollten, die im Kampf für eine bessere Zukunft staatlichen Repressionen ausgesetzt sind. Die Razzien sind ein deutliches Zeichen nicht nur an die Letzte Generation, sondern an alle, die sich für eine bessere Welt einsetzen. Für alle Linken sollte deshalb gelten, was die Letzte Generation angekündigt hat: Nach den Durchsuchungen weiterzukämpfen.

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