Brasilien: Anhänger*innen Bolsonaros stürmen den Kongress

Foto: Fabio Rodrigues Pozzebom/Agência Brasil/Wikimedia Commons

Für massenhafte Gegenmobilisierungen und den Aufbau einer sozialistischen Alternative!

Nur wenige Tage nach der Vereidigung von Luiz Inácio Lula da Silva als neuer Präsident Brasiliens  – nach seinem knappen Sieg über den rechtsextremen Amtsinhaber Jair Bolsonaro – ist Brasilien in eine anhaltende politische und soziale Krise geraten.

Von Tony Saunois, Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale (CWI)

Tausende von Anhänger*innen Bolsonaros marschierten in der Hauptstadt Brasilia auf und stürmten den Kongress, den Präsidentenpalast und den Obersten Gerichtshof. Eine Zeit lang übernahmen sie die Kontrolle über diese Machtzentren, allerdings ohne einen klaren Plan oder ein klares Ziel. Nach wenigen Stunden wurden sie aus diesen Einrichtungen vertrieben.

Diese Entwicklung ist ein Hinweis auf die Kämpfe, die in Brasilien vor uns liegen. Die Wahlniederlage Bolsonaros bedeutet, wie das CWI gewarnt hat, weder sein Ende noch das der starken rechtsextremen Kräfte, einschließlich faschistischer Elemente, die seine Bewegung umfassen.

Lula hat die Wahl mit einem denkbar knappen Vorsprung gewonnen. Die Rechte ist der größte Block im Kongress. Einundzwanzig von siebenundzwanzig Gouversämter sind in den Händen der Rechten. Nur im Nordosten des Landes konnte Lula eine klare Mehrheit erringen. Obwohl Bolsonaro das Land verlassen hat und sich derzeit in Florida aufhält, hat er, wie sein Kumpel Donald Trump, seine Wahlniederlage nie eingestanden. Seine Anhänger*innen haben nach der Wahl im ganzen Land Straßenblockaden errichtet. Lager von Bolsonaros Anhänger*innen wurden vor Militärkasernen errichtet. Sie forderten, dass die Armee eingreift und einen Militärputsch durchführt; eine Forderung, die von denen aufgegriffen wurde, die Regierungsgebäude stürmten.

Diese dramatischen Ereignisse sind ein Vorgeschmack auf die Turbulenzen, die unter der Regierung Lula bevorstehen. Der Kampf gegen die extreme Rechte in Brasilien ist noch lange nicht vorbei. Bolsonaros Familie ist wegen ihrer Nähe zu den Milizen von Rio de Janeiro als “familícia” bekannt. Dabei handelt es sich um bewaffnete Banden, die seit langem immer engere Beziehungen zur Polizei und zu den Streitkräften unterhalten, die vor allem im Zusammenhang mit dem Verkauf von Drogen entstanden sind. Unter Bolsonaro wurden die Milizen gestärkt. Er förderte auch die Bildung von CACs (kollektive Schützen- und Jägergruppen) und erleichterte den Waffenverkauf an sie – an Gruppen von “Schützen, Jägern und Sammlern”. Rund 700.000 sind in solchen Gruppen organisiert – mehr als in den Streitkräften (360.000) oder der Polizei (406.000). Die meisten sind Anhänger*innen von Bolsonaro.

Lula, der von den Bolsonaro-Anhänger*innen gehasst wird, hat eine Koalition aus der PT (Arbeiterpartei), linken Parteien sowie Teilen der herrschenden Klasse und bürgerlichen Parteien zusammengestellt. Seine Regierung ist gespalten und heterogen. Obwohl sie einige Reformen versprochen hat, hält sie an der kapitalistischen Ordnung fest. Lula hat versprochen, sich darauf zu konzentrieren, “ausländische Investitionen anzuziehen”, insbesondere Direktinvestitionen.

Gegen den Widerstand der herrschenden Klasse hat er argumentiert, seine Regierung werde Petrobras, die staatliche Ölgesellschaft, und die nationale Entwicklungsbank als Motoren des Wirtschaftswachstums nutzen. Es ist sicher, dass sich in der neuen Regierung schnell Spaltungen auftun werden. Die Rechte könnte diese Maßnahmen blockieren. Der PT schlägt nach wie vor Misstrauen entgegen und ist mit massiven Korruptionsskandalen behaftet.

In dem Versuch, seine Zuverlässigkeit für den Kapitalismus zu beweisen, hat Lula als Reaktion auf diese Krise die demonstrierenden Anhänger*innen Bolsonaros als “faschistisch” bezeichnet und ihnen mit einer Strafverfolgung gedroht. Gleichzeitig hat er dem Militär in Brasilia freie Hand gelassen und zur Ruhe aufgerufen. Dem Militär, das viele Verbindungen zu Bolsonaro und der Rechten hat, kann man nicht trauen. Anstatt zu Massenprotesten und zur Mobilisierung der Arbeiter*innenklasse, der Armen und der Masse der Bevölkerung aufzurufen, haben Lula und die PT einfach zur Ruhe aufgerufen! Sie wollen nicht, dass die Massen auf die Straße gehen.

Massive Ungleichheit

Brasilien ist mit massiver sozialer Ungleichheit und Polarisierung konfrontiert. Schätzungsweise 33 Millionen Menschen leiden an Hunger und 125 Millionen sind in unterschiedlichem Maße von Ernährungsunsicherheit betroffen. In der ersten Amtszeit von Lula, als die Rohstoffpreise massiv stiegen, gab es einen gewissen Spielraum für Reformen und Zugeständnisse. Heute ist dieser Spielraum vor dem Hintergrund eines weltweiten Wirtschaftsabschwungs und einer für 2023 drohenden Rezession weitaus geringer.

Die Notwendigkeit, eine sozialistische Massenalternative aufzubauen, ist dringender denn je. Leider hat die PSOL (Partei für Sozialismus und Freiheit) fälschlicherweise dafür gestimmt, dass ihre Mitglieder der Lula-Regierung beitreten, anstatt sich der extremen Rechten entgegenzustellen und eine unabhängige sozialistische Alternative für die Arbeiter*innenklasse aufzubauen. Leider wird sie nun in einer kapitalistischen Regierung gefangen sein. Dies wird die Zukunft dieser Partei bedrohen.

In Brasilien stehen explosive Kämpfe bevor, wie diese Ereignisse bereits gezeigt haben. Die Notwendigkeit, eine massenhafte sozialistische Alternative zur Konfrontation mit der extremen Rechten wieder aufzubauen, ist dringender denn je. Das ist der Weg nach vorn, nicht Kompromisse und Bündnisse mit der herrschenden Klasse und dem Kapitalismus.

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