Internationale Solidarität gegen Macron und die Rentenreform

Bericht von der Großdemonstration in Nancy am 31. Januar

Der 31. Januar war in Frankreich erneut ein großer Streiktag gegen die von Macrons Regierung geplante Rentenreform, die das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 erhöhen will. Insgesamt waren bei den Massenprotesten über eine Million Menschen im ganzen Land auf der Straße und der Kampf bringt alle Gewerkschaften zusammen. Doch hinzu zur geplanten Rentenreform kommen generell niedrige Löhne, hohe Inflation, hohe Energie – und Lebensmittelpreise sowie eine Verschlechterung von Arbeitsbedingungen gerade auch im öffentlichen Sektor. Genoss*innen der Sol Ortsgruppe Mainz kamen am 31. nach Nancy um an der dortigen Großdemo teilzunehmen und die Genoss*innen von Gauche Revolutionnaire* zu unterstützen

Von Chiara Stenger und Jasper Proske, Mainz

Die von den Gewerkschaften organisierte Demonstration in Nancy war mit bis zu 22.000 Teilnehmer*innen umso beeindruckender, da es sich nur um eine von unzähligen Demos und Großdemos im gesamten Land handelte, die in den anderen Departmenthauptstädten ähnlich groß ausgefallen sind.

Die Stimmung war sehr gut, es wurden Sprechchöre und Arbeiter*innenlieder gesungen und der Demonstrationszug schien kein Ende zu nehmen. Viele trugen Schilder und Transparente wie „Nein zur Reform“ oder mit Forderungen zur Erhöhungen der Löhne und Renten und gegen Macron. Beispielsweise hatte die Gewerkschaft CGT, die auf der Demo in Nancy am stärksten vertreten war, große Transparente u.a. mit der Forderung nach einer Rente mit 60 für alle, einer 32 Stunden Woche und 15 Euro Mindestlohn. Die Flugblätter von Gauche Révolutionnaire (die deutsche Übersetzung dokumentieren wir am Ende dieses Berichts), die wir verteilten, kamen gut an und wurden uns zeitweise fast aus den Händen gerissen. In Gesprächen zeigte sich die Wut der Menschen, sowie die Sorge vor der Erhöhung des Renteneintrittsalters. Insgesamt verteilten wir um die 1500 Exemplare. Gerade die Frage, wie es nach der Mobilisierung vom 31. Januar weitergehen soll wurde in denGauche Révolutionnaire-Flugblättern thematisiert. Diese Problemstellung ist jetzt von zentraler Bedeutung, da die Regierung Frankreichs fest auf der Rentenreform beharrt und entschlossen scheint, diese um jeden Preis durchzusetzen.

Dies war auch Thema auf der studentischen Vollversammlung die morgens vor der Großdemonstration an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität in Nancy stattfand. Neben Studierenden waren dort aber vor allem viele Beschäftigte unterschiedlicher Sektoren sowie verschiedene Gewerkschaften und politische Gruppen vertreten, um zu diskutieren wie der Protest gegen die Rentenreform erfolgreich geführt und gewonnen werden kann. Nach einer Auswertung bisheriger Aktionen wurde die Wichtigkeit betont, in „strategisch besonders wichtigen“ Branchen wie bei der Bahn oder im Energiesektor zu streiken und die Streiks dort zu unterstützen, um Druck auf die Regierung auszuüben. Diskutiert wurde auch, wie man die einzelnen Bereiche besser koordinieren und die Absprachen zwischen den verschiedenen Gewerkschaften und Berufen verbessern kann. Es wurde das Problem benannt, dass zwischen den großen Streiktagen und den Massendemonstrationen mit großer Beteiligung, zu wenige Streiks, Proteste und Aktionen stattfinden und bei solchen kleineren Protesten die Beteiligung nicht gut sei. Die Frage der Organisierung einer längerfristigen Gegenwehr war bei der Versammlung somit zentral.

Thematisiert wurde auch, dass gerade junge Menschen bei den Protesten noch wenig vertreten sind. Das liegt, so einige Redner*innen, besonders daran, dass für die Jugend das Rentenalter noch weit entfernt scheint. Dies fiel auch auf der Demonstration auf, wo das Durchschnittsalter eher hoch war. Auch deshalb haben wir zusätzlich ein Flugblatt verteilt, dass sich dezidiert an Jugendliche und junge Erwachsene richtet und eine Perspektive zur Verbindung der Kämpfe aufzeigt. Es ist wichtig nun den Kampf für gute Studienbedingungen, eine kostenlose Ausbildung, die Möglichkeit zur freien Studienwahl sowie für gute Arbeitsplätze mit einem Nettoeinkommen von mindestens 1600 Euro mit dem Protest gegen die Rentenreform zu verbinden.

Auf der Versammlung hatten wir außerdem die Möglichkeit ein Grußwort zur Solidarität mit den Protesten und Streiks zu halten. Dabei haben wir auch von den Protesten gegen die Preissteigerungen in Deutschland wie von Genug ist genug Mainz berichtet und betont, dass die Kämpfe in Frankreich, Deutschland und international zusammengehören. Wir werden als Sol weiterhin solidarisch an der Seite der Arbeiter*innen und der Jugend stehen und die Kämpfe unterstützen, wo wir können.

Es ist nun wichtig, die Streiks auszuweiten und auch zwischen den großen Generalstreiktagen zu streiken. Beispielsweise in der chemischen Industrie, aber auch bei der Bahn, im Bildungssektor oder an den Häfen ist die Bereitschaft dazu schon da.

Dazu braucht es einen gemeinsamen Kampf von Arbeiter*innen aller Sektoren aber auch Jugendlichen und den Gewerkschaften, nicht nur gegen die Rentenreform sondern auch gegen die Politik der Regierung, gegen Macron und gegen das kapitalistische System, das uns keine lebenswerte Zukunft bieten kann. Weder in Nancy noch in Mainz oder anderswo.

*Französische Sektion des Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale, Schwesterorganisation der Sol.

Hier dokumentieren wir die deutsche Übersetzung des Flyers von Gauche Révolutionnaire, den wir am 31. Januar verteilt haben:

Lasst uns den Streik in den Betrieben nach der Mobilisierung vom 31. Januar intensivieren!

Für einen Massenstreik gegen die Politik von Macron und die Kapitalist*innen !

Die nationalen Führungen der Gewerkschaften müssen ab sofort die Kräfte in den in den Betrieben und öffentlichen Einrichtungen zu einem solchen Massenstreik aufrufen, denn die Ablehnung der Rentenreform steigt massiv an – in der Bevölkerung im Allgemeinen und in der Arbeiterklasse im Besonderen. Und das trotz der verzweifelten Bemühungen der Minister*innen, uns zu belügen, uns Schuldgefühle einzureden oder uns zu drohen!

Die einzigen Unterstützer, die Macron noch hat sind die Reichsten, die Kapitalist*innen, die (großen) Bosse jene Parteien, die klar die Interessen der Bourgeoisie vertreten.

Trotz dieser ganz klaren mehrheitlichen Ablehnung lässt die Regierung eine vermeintliche Standfestigkeit erkennen, indem sie behauptet dass die Verschiebung des Rentenalters oder die Erhöhung der Anzahl der Rentenjahre nicht verhandelbar sind – das ist gut so! Wir hatten nicht vor, über irgendetwas zu verhandeln. Wir fordern die volle Rücknahme der Reform, Schluss mit der Debatte über eine Erhöhung des Renteneintrittsalters! Angesichts unserer Wut sind Macron und seine kapitalistischen Freund*innen nervös, wir müssen sie in die Knie zwingen!

Lasst uns für unsere lebensnotwendigen Forderungen kämpfen!

Die Frage der Rentenreform ist derzeit der Hauptantrieb des Kampfes. Sie eint alle Gewerkschaften gegen diese Maßnahme. Das hat einen positiven Effekt auf die Mobilisierung und es ist der Funke, der das Pulverfass, auf dem die Regierung sitzt, in Brand setzen kann.

Aber auch bei anderen Themen häufen sich seit Wochen und Monaten die Kämpfe: niedrige Löhne, Inflation, explodierende Energie- und Lebensmittelkosten, schlechte Arbeitsbedingungen, Prekarität, Zusammenbruch des öffentlichen Dienstes (Krankenhäuser, Bildung etc.)

Wir sind alle wütend. Wir müssen uns organisieren und kämpfen! Die Arbeitnehmer*innen müssen die Herausforderung annehmen an der Spitze des Kampfes zu stehen und damit die Situation im Interesse aller zu verbessern! Die Kraft der gegenwärtigen Mobilisierung drückt die angesammelte Wut und das Streben nach einer Einheit der Arbeiter*innenklasse aus.

Wir müssen eine Verbindung herstellen zwischen dem Kampf gegen die Rentenreform von Macron und unseren Forderungen nach einem besseren Leben, wir müssen unseren Bossen und der Regierung gegenübertreten, um die Erfüllung der unmittelbaren Bedürfnisse der Arbeitnehmer*innen in Form von echten Lohnerhöhungen und Preisstopps sowie Masseneinstellungen sowohl im öffentlichen Dienst als auch im privaten Sektor.

Den Kampf demokratisch organisieren!

All dies müssen wir gemeinsam am Arbeitsplatz, mit unseren Kolleg*innen diskutieren, aber auch den Kampf aufbauen. Wir müssen überall Generalversammlungen organisieren, um all diese Forderungen zu diskutieren. Die Gewerkschaften bestimmter Sektoren haben bereits ihre Bereitschaft zu mehrtägigen Streiks (bspw. im Chemie-Sektor) aber auch zu unbefristeten Streiks (Energiesektor, bei der Bahn, an den Häfen sowie im Bildungsbereich) für Anfang Februar angekündigt. Dies muss bei Streikkomitees offen diskutiert werden.

Wir müssen sofort Kundgebungen vor öffentlichen Betrieben und Einrichtungen organisieren, um sichtbar zu sein und den Streik in der Bevölkerung bekannt zu machen. Wir müssen Diskussionen mit den Beschäftigten anderer Unternehmen und öffentlicher Einrichtungen führen, und sie dabei unterstützen, sich zu organisieren und sich zu beteiligen. Wir müssen uns selbst organisieren, so dass jede*r kämpfende Arbeiter*in den Streik aktiv mitgestaltet.

Für eine Arbeiter*innenregierung im Dienst der Bevölkerung!

Wir brauchen eine Einheitsfront der Arbeiter*innenklasse und der Jugend, und derer Organisationen, Gewerkschaften und Parteien, die wirklich auf der Seite der Arbeiter*innen stehen. Eine solche Massenbewegung wird unweigerlich die Frage der Macht aufwerfen: wer regiert die Gesellschaft und in wessen Interesse?

Macron und seine gesamte Clique, die Politik im Dienst der kleinen Anzahl an Kapitalist*innen machen, müssen aus dem Dienst und allen Institutionen entlassen und durch eine Regierung der Arbeiter*innen und der Organisationen der Arbeiter*innenbewegung ersetzt werden. Diese Arbeiter*innenregierung muss den Kapitalist*innen die Kontrolle über die Wirtschaft entziehen, indem sie die wichtigsten Sektoren verstaatlicht.

Die demokratische Kontrolle und Verwaltung der Arbeiter*innen wird ermöglichen, die Bedürfnisse aller zu befriedigen und nicht mehr die Profite einiger weniger. Lasst uns gegen die kapitalistische Logik und für den Sozialismus kämpfen!

Diese Forderungen schlägt Gauche Révolutionnaire für die Diskussion vor:

– sofortige Lohnerhöhungen, die mindestens die Erhöhung der Preise ausgleichen müssen, für alle sofort mindestens 300 Euro mehr

– keine Einkommen unter 1600 Euro netto

– massive Preissenkungen und dann Einfrieren der Preise auf einem niedrigen Niveau

– massive Investitionen für eine wirklich gute öffentliche Daseinsvorsorge (in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Verkehr etc.)

– Volle Rente mit maximal 60 Jahren, ggf. schon mit 55 Jahren und somit spätestens nach 37,5 Jahren

– Enteignung der Kapitalist*innen, Schaffung von öffentlichen Monopolen unter der Kontrolle und Verwaltung der Lohnabhängigen in den wichtigsten Wirtschaftssektoren (Energie, Verkehr, Vertrieb, Lebensmittel, Finanzen usw.) nach unseren Bedürfnissen

Für eine neue Arbeiterpartei für den Sozialismus!

Die Stimme der Arbeiter*innen, der Jugendlichen und der Unterdrückten ist kaum hörbar unter all den Politiker*innen, die auf die eine oder andere Weise das kapitalistische System und dessen Gesetze der Profitlogik verteidigen. Wir Arbeiter*innen brauchen eine eigene Partei, um unser Lager zu organisieren und zu vereinen, um darüber zu diskutieren, wie man diese Ausbeutergesellschaft beenden und durch eine demokratische sozialistischen Gesellschaft ersetzt kann. Dies würde den aktuellen Kämpfen eine echte politische Perspektive geben.

Gauche Révolutionnaire diskutiert die Notwendigkeit einer solchen Partei mit den Arbeitern*innen, insbesondere in den Gewerkschaften, sowie mit rebellischen, antikapitalistischen Aktivist*innen.