Kampfloser Arbeitsplatz-Abbau bei Ford

Gewerkschaft hätte mit Gegenwehr mehr erreichen können

Nahezu lautlos hat der Ford-Konzern an seinen Standorten in Köln und Aachen die Zustimmung des IG Metall-geführten Betriebsrates zum Abbau von 2300 Arbeitsplätzen bis Ende 2025 erhalten. Die Arbeitnehmervertreter*innen verkaufen das als Erfolg, da drei Wochen vorher noch von 3200 Stellenstreichungen die Rede war. Es soll keine betriebsbedingten Kündigungen geben, der Abbau erfolgt durch Vorruhestandsregelungen und Nichbesetzung der Stellen von ausscheidenden Mitarbeiter*innen.

Von Johannes Bauer, Köln

Harte Verhandlungen über insgesamt sechzig Stunden seien geführt worden, um diesen angeblichen Kompromiss zu schließen. Das kann man glauben. Man kann aber auch glauben, dass Ford genau das erreicht hat, was von Anfang an geplant war und diese angebliche Rücknahme von von 900 Stellen-Streichungen nur das Trostpflaster ist, das der Arbeitnehmer*innenseite helfen soll, ihr Gesicht zu wahren.

Automobilindustrie im Umbruch

Hinter der defensiven Haltung der Gewerkschaftsführung steckt die wirtschaftliche Situation des Automobilmarktes und ihre politische Logik des Co-Managements. Die Branche hat seit langem strukturelle Überkapazitäten aufgebaut. Während die deutschen Automarken jedoch weiterhin hohe Umsatzrenditen einfahren und einen Gewinn vor Steuern (EBIT) um neun Prozent realisieren können, dümpelt Ford bei sechs Prozent oder sogar darunter. In diesem Bereich ist die Refinanzierung erforderlicher Investitionen, wie sie beispielsweise für die anstehende Umstellung der Antriebe auf Elektrotechnik erforderlich werden, auf dem Kapitalmarkt nicht mehr wirtschaftlich. Die Marke Ford steckt weltweit in der Krise.

Marktlogik durchbrechen – gewerkschaftliche Kampfkraft nutzen

Wenn man die Gesetze der Marktwirtschaft zum Leitfaden für gewerkschaftliches Handeln macht, gibt es immer Gründe, den Willen der Konzerne kampflos umzusetzen. Doch der Handlungsrahmen der Gewerkschaften sollte weiter gesteckt sein. Die IG Metall, bis heute die größte Einzelgewerkschaft der Welt, muss sich nicht daran beteiligen, Konzern gegen Konzern, Standort gegen Standort auszuspielen. Im 21. Jahrhundert ist der Weltmarkt mit seiner Arbeitsteilung und den globalen Lieferketten keine abstrakte Vokabel mehr. In Echtzeit kann jeder Mensch heute verfolgen, dass weltweit alle Akteur*innen vor den selben Herausforderungen stehen. Der engstirnige Blick auf einen Hersteller oder einen Standort ist zu keiner Zeit angebracht gewesen, heute ist er absurd. Diese Erkenntnis hat dazu geführt, dass sich die Arbeiter*innen bereits seit dem 19. Jahrhundert international organisiert haben.

Opel Bochum als Beispiel

Nur eine Autostunde von Köln entfernt befand sich bis 2014 das Opel-Werk in Bochum. 52 Jahre lang wurden dort Autos produziert. Opel gehörte damals zum amerikanischen Konzern General Motors (GM). Auf die Ankündigung, an seinen deutschen Standorten 10.000 Stellen abzubauen und das Werk Bochum zu schließen reagierte die Belegschaft mit einem wilden Streik. Nach nur drei Tagen standen aufgrund dieses Streiks die Bänder bei Opel in Rüsselsheim und im polnischen Werk Gliwice still. Die Belegschaft erkämpfte sich mit breiter Unterstützung durch die Bevölkerung zehn Jahre Standortsicherung und verlangsamten Stellenabbau. Es wäre noch mehr drin gewesen, wenn die IG Metall den Streik aufgegriffen und auf die anderen Werke des Konzerns und andere Hersteller ausgedehnt hätte. Auch in anderen Ländern können die Arbeiter*innen lesen und schreiben und verstehen, wie durch technischen Fortschritt die Produktivität kontinuierlich steigt. Durch Stellenabbau werden die Beschäftigten um ihren Anteil am Fortschritt betrogen, der beispielsweise in verkürzter Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich bestehen könnte.

Krise der Automobilindustrie und des Kapitalismus

Der Kapitalismus steckt aktuell in einer seiner schwersten Krisen, vielleicht am Beginn der schwersten Krise aller Zeiten. Die Party nach dem Zusammenbruch des Stalinismus ist vorbei und das kapitalistische Prinzip ist in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens nicht in der Lage, die anstehenden Aufgaben in einer Weise zu lösen, die Wohlstand und Sicherheit für die Mehrheit der Menschen sichert. Das Corona-Virus fordert bis heute Millionen von Todesopfern, weil es keine Gesundheitspolitik gibt, die das Leben der Bevölkerung in den Mittelpunkt stellt. Selbst in den reichsten Ländern ist die Versorgung der Bevölkerung mit unbelasteten Lebensmitteln nicht sicher gestellt, nicht zu reden vom nackten Hunger, unter dem in Asien, Afrika, Südamerika und auch wieder in Nordamerika und Europa Millionen Menschen leiden. Das Weltklima ist aus dem Gleichgewicht geraten und das Artensterben der Tier- und Pflanzenwelt löst Prozesse aus, deren Folgen noch nicht absehbar sind. Kriege und ein neues Wettrüsten als Vorbereitung weiterer Kriege nehmen zu.

Gewerkschaften müssen kämpfen

Gewerkschaften sind primär Interessenvertretungen der Beschäftigten, diese Interessen können aber nicht nur im betrieblichen und tariflichen Rahmen durchgesetzt werden, deshalb haben Gewerkschaften auch einen gesamtgesellschaftlichen politischen Anspruch. Ohne die Organisationen der Arbeiter*innenklasse hätte es wichtige Errungenschaften wie Sozialversicherungen, Zugang zu Bildung, Kündigungsschutz und steigenden Lebensstandard für breite Teile der Lohnabhängigen in den Industrienationen in der Vergangenheit nicht gegeben. Um die anstehenden Probleme weltweit zu lösen, ist die Menschheit auf die Organisationen der Arbeiter*innenklasse angewiesen. Die Gewerkschaften in Deutschland haben hier eine besondere Verantwortung, die sich aus ihrer Geschichte, der Erfahrung von Krieg und Faschismus, sowie aus der führenden Rolle Deutschlands als wirtschaftlich starker Nation ergibt. Dieser Verantwortung werden ihre Führungen derzeit nicht gerecht. Der Aufbau kämpferischer Vernetzungen von Kolleginnen und Kollegen an der Basis und in den Gremien ist deshalb dringend nötig, um einen Kurswechsel durchzusetzen.