Siedler-Randale gegen Palästinenser*innen

Vereinigter Kampf der Arbeiter*innenklasse notwendig

In der Nacht des 26. Februar randalierten 400 israelische Siedler in der palästinensischen Stadt Hawara im Westjordanland, fackelten Häuser und Autos ab, töteten eine palästinensische Person und verletzten 280 weitere. Die Siedler durften mehrere Stunden lang randalieren bis sie von der israelischen Armee geräumt wurden. Nur acht Randalierer wurden kurzzeitig festgenommen und dann ohne Anklage entlassen.

von Amnon Cohen

Dieses Pogrom wurde organisiert, um die Ermordung von zwei Siedlern zu rächen, die früher an diesem Tag erschossen wurden, als sie durch die Stadt fuhren. Die Wut der Siedler wurde jedoch verschärft durch die Vereinbarung der Netanjahu-Regierung, den Siedlungsausbau für vier Monate auszusetzen, welche bei dem Gipfeltreffen in Akaba getroffen wurde auf Druck des US-Kapitalismus, der die Spannungen im Interesse seiner eigenen strategischen Interessen deeskalieren wollte.

Zvika Fogel, Mitglied der Koalition Netanjahus und Vorsitzender des nationalen Sicherheitsausschusses der Knesset, sagte: “Ich will, dass Hawara stillgelegt und verbrannt wird, das ist der einzige Weg, um Abschreckung zu bewirken.” Auch der stellvertretende Bürgermeister des Regionalrats von Samaria (der nur Siedler*innen vertritt) forderte in einem Tweet, dass Hawara von der Landkarte getilgt werden solle: “Kein Gerede mehr über die Einstellung des Siedlungsausbaus. Wir müssen die Abschreckung sofort erwiedern, ohne Gnade”, sagte er. Sein Tweet wurde von Finanzminister Bezalel Smotrich “geliked” – der auch als stellvertretender Verteidigungsminister dient und speziell für das Westjordanland zuständig ist.

Ultra-Nationalist*innen

Smotrich vertritt ebenso wie der Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, den politischen Flügel der ultranationalistischen Siedler*innenbewegung, die das Pogrom in Hawara durchgeführt hat. Diese semifaschistischen Siedler*innengruppen wurden fortlaufend von aufeinanderfolgenden israelischen Regierungen bewaffnet und gefördert als bewaffnete Hilfstruppen, die die Palästinenser*innen terrorisieren und unterwerfen können, indem sie eklatant illegale Repressionsmaßnahmen – Morde, Landnahme usw. – durchführen, ohne dass der israelische Staat an diesen Aktionen direkt beteiligt ist.

Mitglieder solcher Gruppen haben bereits 1994 das Massaker in der Ibrahimi-Moschee verübt und im darauffolgenden Jahr den israelischen Premierminister Rabin ermordet. Der Zerfall der Unterstützung für die traditionellen kapitalistischen Parteien, zusammen mit zunehmender Polarisierung, hat ein Vakuum geschaffen, in dem diese Elemente nun vierzehn Sitze in der Knesset (israelisches Parlament) errungen haben.

Netanjahu ist für den Fortbestand seiner Koalition auf sie angewiesen. Andererseits will er die Kapitalist*innenklasse, die sich gegen ihn mobilisiert, nicht vergrämen. Sie befürchten zu Recht, dass Netanjahus Regierung die israelische und die palästinensische Gesellschaft provozieren und in den Abgrund eines bewaffneten Konflikts stürzen wird, der die Profite der Kapitalist*innen untergraben und ihre Investitionen zunichte machen wird. So wird Netanjahu in entgegengesetzte Richtungen gezogen und zu einem Zick-Zack-Kurs gezwungen. Stunden nach der Verkündung des Gipfels von Akaba brach Netanjahu die Vereinbarung und kündigte an, dass der Siedlungsausbau nicht eingestellt werden würde.

Die Kapitalist*innen haben Milliarden von Schekel ins Ausland umgeleitet, wodurch der Wert der Währung auf den niedrigsten Stand seit drei Jahren gefallen ist. Sie drohen mit umfangreichem Investitionsabbau. Zehn Tech-Unternehmen mit einem Wert von über 1 Milliarde Dollar planen, ihre Betriebe ins Ausland zu verlagern.

Teile des israelischen Staates stellen sich gegen die Regierung Netanjahus. Der Kommandant der israelischen Polizei in Jerusalem verweigerte Ben-Gvir den Befehl, den Abriss palästinensischer Häuser in Ostjerusalem zu beschleunigen. Eine Reihe ehemaliger Gouverneure der israelischen Zentralbank haben in einem offenen Brief erklärt, dass die “Reformen” der Regierung die Wirtschaft in den Abgrund reißen werden.

Kürzlich behauptete Netanjahus Sohn in einem Tweet, dass der Shabak – der berüchtigte israelische Geheimdienst, der für die Folter von Gefangenen und brutale Unterdrückungsmaßnahmen gegen die Palästinenser*innen bekannt ist – einen Putsch gegen seinen Vater plane. Er sagte, dass die Leiter des Geheimdienstes vor Gericht gestellt und für viele Jahre ins Gefängnis geworfen werden sollten. Dieses Tweet wurde schnell wieder gelöscht, aber es offenbart die Spaltung und den Aufruhr innerhalb der herrschenden israelischen Kapitalist*innenklasse.

Das Pogrom in Hawara zeigt, dass weder die israelische Armee noch die Palästinensische Autonomiebehörde die Palästinenser*innen vor den Randalen der Siedler schützen können. Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) ist durch jahrzehntelange Inhaftierung und Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung, oft auf Geheiß des israelischen Geheimdienstes, geschwächt.

Die PA hat die Kontrolle über die nördlichen Städte Jenin und Nablus verloren, wo sie von der lokalen bewaffneten Miliz der “Höhle der Löwen” verdrängt wurde. Die neue ultrarechte israelische Regierung untergräbt die PA noch weiter, indem sie ihr die Geldmittel entzieht, Zahlungen an sie zurückhält und sie mit Verachtung behandelt. Die Eiferer in der israelischen Regierung sind dabei, den prekär konstruierten Apparat zu zerstören, mit dem die israelischen Regierungen bisher das Westjordanland kontrolliert haben.

Das israelische Militär ist vor kurzem in die Hochburg der “Höhle der Löwen” in Nablus eingebrochen. Dabei wurden elf Palästinenser, darunter vier Zivilisten, getötet und über einhundert verletzt. Die Höhle der Löwen hat durch ihren Mut, sich dem israelischen Militär entgegenzustellen, die Unterstützung der Palästinenser*innen gewonnen.

Sie hat Angriffe gegen Siedler*innen und das Militär verübt, aber das Pogrom zeigt, dass sie keine Strategie zur Verteidigung der palästinensischen Bevölkerung hat. Letztlich können sich die palästinensischen Massen nur durch die eigene massenhafte Mobilisierung selbst verteidigen, indem sie die demokratischen Traditionen der ersten Intifada wiederbeleben, aber ausgerüstet mit einem sozialistischen Programm, einschließlich eines Klassenappells an die israelische Arbeiterklasse, und mit bewaffneter Selbstverteidigung unter der demokratischen Kontrolle der Masse der Bevölkerung.

Die israelische Gesellschaft in der Krise

Die israelische Gesellschaft ist von einer Krise erschüttert. Zehn- und mittlerweile Hunderttausende von Israelis demonstrieren jede Woche gegen die Zerstückelung des Obersten Gerichts durch die Regierung. Aber was die Massen auf die Straße treibt, sind nicht verfassungsrechtliche Einzelheiten, sondern der Widerstand gegen das, was sie befürchten, nämlich die Verwandlung Israels in eine despotische theokratische Diktatur und gegen eine Regierung von Fanatiker*innen, die einen Bürgerkrieg zu provozieren drohen, der die Gesellschaft verschlingen wird.

Doch die Protestbewegung ist klassenübergreifend. Sie wird von kapitalistischen Politiker*innen wie Jair Lapid und Armeegenerälen wie Bugi Yaalon angeführt, die für die jahrzehntelange brutale Repression gegen die Palästinenser verantwortlich sind. Die Regierung von Jair Lapid, der bis Dezember 2022 als israelischer Ministerpräsident diente, hatte keine Lösung für den Konflikt. Sie setzte die Unterdrückung der Palästinenser*innen fort und gleichzeitig schaffte es nicht, das Problem der steigenden Lebenshaltungskosten der israelischen Arbeiter*innen zu lösen. Da es nicht in der Lage war, diese Probleme zu lösen, brach die Lapid-Regierung nach nur 18 Monaten zusammen und ebnete den Weg für die derzeitige uktrarechte Regierung.

Die Führung von Lapid und den Kapitalist*innen und ihr Programm, das elitäre und rassistische Oberste Gericht zu verteidigen, ist für die meisten Leute aus der israelischen Arbeiterklasse wenig attraktiv, abgesehen von den Tech-Arbeitern in Tel Aviv, die eine relativ komfortable Existenz genießen. Die Führung der Protestbewegung hat kein anderes Programm als die Rückkehr zum Status quo, der vor dem Januar bestand – Apartheid in den Autonomiegebieten und ein zusammenbrechender Lebensstandard für die Massen in Israel selbst.

Die Führung der Protestbewegung hat sie mit israelischen Flaggen überschwemmt und eine Fabrik zur Herstellung von Zehntausenden von Flaggen eingerichtet. Ihr Ziel ist es, den Patriotismus der Bewegung zu beweisen. Aber das Meer von israelischen Flaggen – das Symbol der israelischen Vorherrschaft und der Unterdrückung der Palästinenser*innen – schließt die Palästinenser*innen, die am meisten unter dem Programm der neuen Regierung leiden, praktisch von der Protestbewegung gegen diese Regierung aus. Die Bewegung darf sich nicht den kapitalistischen Politiker*innen unterwerfen, deren einzige Sorge darin besteht, dass die neue Regierung ihren Profiten schaden wird.

Die israelischen Erzieher*innen und Grundschullehrer*innen streiken gegen die Verschlechterung ihres Lebensstandards. Palästinensische Lehrer*innen im Westjordanland streiken seit drei Wochen, weil die ihnen versprochene Lohnerhöhung von fünfzehn Prozent nicht ausgezahlt wurde.

Das Hawara-Pogrom stellt eine gefährliche Eskalation der Situation dar und beschleunigt den Abstieg in den Abgrund des Bürgerkriegs. Keine der kapitalistischen Kräfte kann diesen Abstieg in ein großes Blutvergießen aufhalten, weil sie selbst die Wurzel des Problems sind. In den palästinensischen und israelischen Gebieten muss die Arbeiter*innenklasse dringend ihre Autorität in dem Kampf behaupten.

Es bedarf eines Kampfes gegen die Regierung und für den Aufbau einer unabhängigen Partei und Bewegung der Arbeiter*innenklasse, die sich gegen das kapitalistische israelische Regime stellt. Eine Partei der Arbeiter*innenklasse, die die Rechte aller Völker in der Region verteidigt, ist unentbehrlich. Das CWI tritt für die demokratischen Rechte der palästinensischen und israelischen Völker ein und stellt sich gegen die Unterdrückung aller Völker.

Wir unterstützen den Kampf gegen die brutale Unterdrückung des palästinensischen Volkes und die Verteidigung seines Rechts auf Selbstbestimmung um einen unabhängigen palästinensischen Staat zu errichten, sowie die Verteidigung der Rechte der Völker Israels auf einen eigenen Staat. Um dies zu erreichen, ist ein gemeinsamer Kampf für den Aufbau einer demokratischen, freiwilligen sozialistischen Konföderation in der Region notwendig.

Nur durch einen solchen Kampf kann die sich zunehmend zuspitzende Katastrophe vorgebeugt werden, und nur so können demokratische Rechte und ein menschenwürdiger Lebensstandard für alle Menschen in der Region erreicht werden.