Israel-Gaza-Krieg: Mahnwache in Aachen

Viel Sympathie und Offenheit für Protest gegen Israels Angriff auf Gaza

Am Samstag versammelten sich etwa 100 Menschen, viele davon aus der palästinensischen Gemeinde, vor dem Aachener Hauptbahnhof. Die Aachener Ortsgruppe der Sol hatte dort zur Mahnwache gegen den Israel-Gaza-Krieg aufgerufen.

Von Christian Walter, Aachen

Parallel liefen große pro-palästinensische Demonstrationen in vielen Städten. In Düsseldorf beispielsweise waren 7000 Menschen auf der Straße, auch aus Aachen waren viele dabei. Wir von der Aachener Sol hatten uns aber entschieden, in Aachen zu bleiben und eine Mahnwache durchzuführen. Wir wollten dadurch mit Passant*innen ins Gespräch kommen und austesten, ob die ständige Behauptung von Medien und großen Parteien verfängt, wonach palästinensische Demonstrationen die Hamas unterstützen würden und antisemitisch seien und wonach sich Israel nur verteidigen würde. Auch wollten wir die Aachener Bevölkerung zu unserem SozialismusTag am kommenden Samstag einladen, wo wir kurzfristig das reichhaltige Programm noch ergänzt haben: Um 12:30 Uhr gibt es jetzt zusätzlich einen Vortrag mit anschließender Diskussion unter dem Titel „Krieg in Nahost: Gibt es eine Perspektive für ein Ende von Besatzung, Unterdrückung und Gewalt?“.

Aufgrund dieser Überlegungen hatten wir auch keine große Mobilisierung zur Mahnwache druchgeführt – nur je ein Posting bei Instagram und Facebook veröffentlicht und ein paar Kontakte eingeladen. Und die haben es offenbar weitergegeben und eine Mobilisierungskette in Bewegung gesetzt. So kam es, dass statt der erwarteten und angemeldeten zehn Menschen zehnmal so viele kamen. Viele von ihnen hatten palästinensische Fahnen mitgebracht oder Plakate, auf denen in auf das Leid der Bevölkerung in Gaza aufmerksam gemacht wurde.

Wir hatten zusätzlich zu Infotischen, Flugblättern und Plakaten auch ein Megafon mitgebracht, für den Fall der Fälle, dass doch mehr Menschen kommen sollten oder es Störversuche geben könnte. Und das war gut, denn aufgrund der deutlich größeren Teilnahme haben wir den Charakter kurzerhand geändert und aus der Mahnwache eine Kundgebung gemacht. Reden hatte zwar niemand vorbereitet, aber das störte gar nicht, denn auch ohne Reden vorbereitet zu haben war das Mitteilungsbedürfnis sehr groß.

Zu Beginn verlas ein Mitglied der Aachener Sol eine Stellungnahme, in der die jüngste Eskalation im Zusammenhang mit der andauernden Unterdrückung und Entrechtung der palästinensischen Bevölkerung erklärt, der Zusammenhang mit kapitalistischer Ausbeutung und unser sozialistischer Lösungsvorschlag erklärt wird. Danach luden wir zum offenen Mikro ein, also alle, die etwas beitragen wollten, waren eingeladen, das zu tun. Das traf ein Bedürfnis: Insgesamt wurden 13 Redebeiträge gehalten.

Die Redebeiträge waren teils nur schwer auszuhalten, so eindrücklich und emotional wurde das Leid geschildert. Viele der Anwesenden haben Angehörige im Gaza-Streifen und sorgen sich um deren Leib und Leben. Besonders schlimm ist es geworden seitdem es kaum noch Strom gibt und die Kontakt-Möglichkeiten weitgehend abgebrochen sind. Eine Mutter rief zum Frieden auf, weil keine Mutter ihre Kinder im Krieg sehen wolle. Eine Teilnehmerin berichtete, dass an ihrer Uni alle pro-palästinensischen Kommentare entfernt werden. Ein Redner berichtete von ähnlichem in Medien, wo trotz allen Neutralitätsgeboten nur eine Seite gezeigt werde. Viele regten sich über doppelte Standards auf – beispielsweise gäbe es einen weltweiten Aufschrei, wenn Russland ähnlich verfahren würde wie Israel. Gleichzeitig machte niemand, anders als es gerne von bürgerlichen Politiker*innen oder den großen Medien dargestellt wird, „die Juden“ verantwortlich, im Gegenteil. Mehrere Redner*innen erklärten, dass sie sich einen Nahen Osten wünschten, wo Menschen unterschiedlicher Religion und Herkunft friedlich zusammen leben könnten.

Im Fokus stand aber natürlich die dauerhafte Bombardierung Gazas und der wohl kurz bevorstehende Einmarsch der israelischen Armee. Tausende Menschen, darunter hunderte Kinder, sind durch die Bomben der israelischen Regierungen schon getötet worden. Millionen Einwohner*innen sind bereits in dem kleinen Gaza-Streifen auf der Flucht, die Lage ist dramatisch: Es fehlt an Lebensmitteln, Trinkwasser, Medikamenten, Energie. Wegen des Treibstoffmangels fehlt es auch an Strom. Es gibt mittlerweile Videos, die verzweifelte Ärzt*innen zeigen, die versuchen komplizierte Operationen mit dem Licht einer Handy-Taschenlampe durchzuführen. Dass nach sehr viel Druck endlich zwanzig LKWs mit Hilfsgütern in den Gaza-Streifen gelassen wurden ist da nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Im Zusammenhang mit der Vertreibung der Bevölkerung Gazas, aber auch der Siedlungspolitik im Westjordanland warnten mehrere Redner*innen vor einem Genozid.

Zum Abschluss der Mahnwache hielt ein anderes Mitglied der Aachener Sol noch eine Rede auf Grundlage unseres neuesten Flugblatts. Darin zeigte sie sowohl einen Weg zur sofortigen Deeskalation auf: Die israelischen Angriffe in Gaza und dem Westjordanland müssen gestoppt werden, alle Geiseln und politischen Gefangenen auf beiden Seiten freigelassen werden, die Blockade Gazas und die israelische Siedlungspolitik beendet werden. Sie ging aber auch auf die Repression gegen palästina-solidarische Proteste in Deutschland ein, die das Ausmaß einer Hexenjagd angenommen haben, womit die Linie der Regierung, palästina-solidarische Aktivitäten in die Nähe des Antisemitismus zu rücken und bedingungslos jedes Verbrechen des israelischen Staates mitzutragen, legitimiert werden soll. Sie forderte das Recht auf Protest gegen die israelische Besatzung und den Krieg und protestierte gegen die Einschränkung demokratischer Rechte für Palästinenser*innen, forderte die Rücknahme von Verboten pro-palästinensischer Symbole und Slogans und sprach sich gegen Waffenlieferungen an Israel aus. Während bürgerliche Politiker*innen in Deutschland am laufenden Band etwas von dem Recht auf Selbstverteidigung Israels erzählen, scheint es dieses Recht für die palästinensische Bevölkerung nicht zu geben. Die Sol-Genossin hingegen forderte eben dieses Recht, machte aber auch Vorschläge, wie es im Interesse der Bevölkerung umgesetzt werden und die Hamas oder ähnliche Gruppen, die zur Eskalation beitragen, schwächen könnte: So sollten demokratisch organisierte, lokale Verteidigungsausschüsse gebildet werden, wo alle Menschen mitwirken können sollten, unabhängig ihrer Herkunft oder Religion. Sie plädierte für einen palästinensischen Massenkampf für ihre Befreiung, der notwendigerweise unter ihrer eigenen demokratischen Kontrolle stattfinden muss. Sie rief auf zum Aufbau unabhängiger Massenparteien in Palästina und Israel, die sich nicht als Feinde ansehen dürfen, sondern genossenschaftliche Verbindungen pflegen sollten. Und sie schlug einen unabhängigen, sozialistischen palästinensischen Staat und ebenso ein sozialistisches Israel vor, mit zwei Hauptstädten in Jerusalem / al-Quds. In diesen Staaten muss es garantierte Rechte für alle Minderheiten geben, und sie sollten Teil einer sozialistischen Staatengemeinschaft des Nahen Ostens sein. In einem solchen Gebilde, in dem alle Minderheitenrechte respektiert werden und mit der Überwindung des Kapitalismus auch die wirtschaftlichen Interessen für Unterdrückung und Ausbeutung verschwunden sind könnten die Wunden, der Rassismus, der Hass endlich verheilen, anstatt diese ständig zu vertiefen.

Mehrere Medien waren vor Ort. Sie berichteten tatsächlich recht wahrheitsgemäß (abgesehen von der absurd niedrigen Teilnehmer*innenzahl von vierzig in der Aachener Zeitung). Vor allem im Artikel der Aachener Zeitung kam gut rüber, dass es eben keine pro-Hamas-Kundgebung war, dass es keine antisemitischen Äußerungen gab und neben der israelischen Aggressionen auch der Terror der Hamas abgelehnt wurde. Besonders viel Applaus bekamen – neben Aufrufen gegen den Krieg und für ein freies Palästina – folgende Äußerungen: „Palästina-Solidarität ist nicht antisemitisch!“ und „Die Bevölkerung Gazas ist nicht die Hamas!“.

Es gab nur einen Passanten, der im Gespräch mit Sol-Mitgliedern zwar unsere Haltung vom länderübergreifenden Klassenkampf unterstützte, aber absurderweise den Teilnehmer*innen mit erkennbar arabischer Migrationsgeschichte Antisemitismus unterstellte. Ansonsten gab es von Passant*innen viel Zuspruch. Wir können feststellen: Die seit zwei Wochen andauernde Hetze von Parteien und Medien wirkt nicht so stark, wie man hätte befürchten können. Inhaltliche Störversuche gab es nicht, nur ein paar sichtlich alkoholisierte Menschen fanden das Geschehen und das Megafon spannend, größere Störungen gab es von ihnen aber auch nicht.

Nach der Kundgebung kamen noch viele Teilnehmer*innen auf uns zu und bedankten sich für die Initiative. Mehrere trugen sich auf unsere Kontakt-Listen ein und wollen mit uns in Kontakt bleiben. Wir konnten viele Flugblätter verteilen, sowohl unsere thematischen Stellungnahmen als auch Einladungen zum SozialismusTag. Dass wir das Programm um eine Diskussion zum Thema der Mahnwache ergänzt haben wurde sehr positiv aufgenommen, viele haben angekündigt, daran teilnehmen zu wollen.

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