Schwarz-Rote Koalition zittert sich durch Bürgermeisterwahl
Berlin bekommt eine schwarz-rote Regierung und damit zum ersten Mal seit über zwanzig Jahren einen CDU-Bürgermeister.Doch schon dessen Wahl wurde zur Zitterpartie. Erst im dritten Urnengang wurde Kai Wegner mit 86 Stimmen zum Bürgermeister gewählt, davor scheitert er zwei Mal am nötigen Quorum von 80 Stimmen. Da solche Wahlen geheim ablaufen, kann man weder nachvollziehen, welche Abgeordneten von SPD und/oder CDU Wegners Amtsstart in die Länge zogen, noch kann man wissen, ob die neue Koalition tatsächlich auf Stimmen der AfD im dritten Wahlgang angewiesen war. Doch dass diese Frage überhaupt gestellt werden kann, zeigt, dass diese Regierung von Beginn an von Instabilität und internen Auseinandersetzungen gekennzeichnet ist.
von Tom Hoffmann, Berlin
Zur Erinnerung: Im Februar wurde die Berliner CDU stärkste Kraft beider Berliner Wiederholungswahl und profitierte von der großen Enttäuschung der Berliner*innen mit der rot-grün-roten Koalition. Insbesondere die SPD, aber auch Grüne und LINKE verloren, weil sie bei den vielen sozialen Problemen in der Stadt nichts grundlegend zum Besseren verändert haben. Nur 53 Stimmen lag die SPD am Ende vor den Grünen. Ob es nun am Hick-Hack um Senatsposten, der Sorge vor einem neuen Wahldesaster nach einer nächsten konfliktgeprägten Legislaturperiode, dem sicher von Teilen des Kapitals bestehenden Drucks Richtung CDU oder einer Mischung aus alle dem lag: Die SPD-Führung machte kurzerhand die Wende zur Union und ging mit Kai Wegner in Koalitionsverhandlungen.
Hintergründe des Wahldebakels
Eine äußerst knappe Mehrheit von 54 Prozent der Berliner SPD hatte dann den Wag dafür in einem Mitgliederentscheid frei gemacht. Das zeigt, wie zerstritten die Partei ist und dass die Führung um Franziska Giffey und Raed Saleh keine starke Position innehat. Es gibt Teile in der Partei, die lieber in die Opposition gegangen wären oder mit Grünen und LINKEN weiterregiert hätten. Auch wenn es politische Unterschiede zwischen zum Beispiel den Jusos und Franziska Giffey gibt, hat das aber nichts mit einer Infragestellung des grundlegenden pro-kapitalistischen Programms der SPD zu tun. Stattdessen wird die Zerstrittenheit der SPD genährt von der anhaltenden Krise der Partei, der Sorge vor einem weiteren Abstieg auf der Wahlebene und sicherlich auch machtpolitischem Kalkül von solchen Kräften, die die Führung in Zukunft gern selbst übernehmen würden. Doch auch in der CDU gibt es Kräfte, die mit Wegner unzufrieden sind und wo sich der ein oder andere Karrierewunsch im neuen Senat nicht erfüllt hat.
Das war der Hintergrund für das Wahldebakel am Donnerstag. Die AfD konnte das nutzen, um nahezulegen, dass die Regierung auf ihre Stimmen angewiesen sei. Ob das so war, wird man nie erfahren. Dabei hat die AfD aber bewiesen, dass sie entgegen ihres Auftretens keine wirkliche Opposition gegen die etablierten Parteien darstellt.
Die meisten Berliner*innen dürften diese Episode zurecht mit Kopfschütteln quittiert haben – setzt es doch den Eindruck fort, dass in dieser Stadt wirklich gar nichts richtig funktioniert. Während Abgeordnete im Parlament Zeit für ihre Machtspielchen haben, wird die Wohnungskrise immer schlimmer, fehlt es an Schul- und Kitaplätzen, saugt die Inflation der einfachen Bevölkerung das Geld aus der Tasche usw. Der neue Senat wird daran nichts grundlegend ändern – nicht nur weil er vom ersten Tag an seine Schwäche gezeigt hat, sondern auch weil er keine Politik für die arbeitende Bevölkerung sondern in erster Linie für Berliner Großunternehmer*innen und das Kapital machen wird. Das zeigt sich auch im Koalitionsvertrag.
Koalitionsvertrag
Bevor man den nun von beiden Parteien beschlossenen Koalitionsvertrag bewertet, eins vorne weg: Koalitionsverträge und Regierungspolitik sind meist zwei sehr unterschiedliche Dinge. Papier ist geduldig – gerade wenn es um soziale Versprechen geht, die es aus den Wahlprogrammen von pro-kapitalistischen Parteien doch noch irgendwie ins Regierungspapier schaffen mussten. Der schwarz-rote Koalitionsvertrag wird da keine Ausnahme bilden. Und: Sie stehen wie immer im Kapitalismus unter dem Vorbehalt, dass nicht eine nächste Krise wieder zu Ausgabenkürzungen und Angriffen führen wird. Das Potenzial für solch eine Krise ist nicht zu unterschätzen.
CDU und SPD schreiben sich einige solcher sozialen Maßnahmen in den Vertrag, die auch dafür sorgen sollten, ihn der SPD-Basis verkaufen zu können. Das 29-Euro-Ticket bzw. 9-Euro-Ticket für Sozialhilfeempfänger*innen soll nun doch beibehalten werden. Ein bis zu 10-Milliarden-Euro-Sondervermögen soll es für den Klimaschutz geben (wobei sie bei den konkreten Maßnahmen mit Vorschlägen sparen). Die Tochterunternehmen von Vivantes und Charité sollen „schnellstmöglich“ wiedereingegliedert werden (andere Tochterunternehmen landeseigener Betriebe fallen dagegen unter den Tisch). Schwarz-Rot will außerdem innerhalb von fünf Jahren die Vergütung der Landesbeschäftigten auf Bundesgrundniveau anheben. Was erstmal gut klingt, könnte faktisch zum Ausscheiden Berlins aus der Tarifgemeinschaft der Länder und damit zu einer weiteren Aufspaltung der Belegschaften im Öffentlichen Dienst führen.So richtig es ist, dass die Löhne der Beschäftigten steigen, so wenig sollte man sich Illusionen machen, dass es CDU und SPD darum ginge. Es ist ja immerhin so, dass diese Parteien auch in anderen Landesregierungen sitzen und sich dementsprechend im Rahmen der TdL dafür einsetzen könnten. Es ist eher zu befürchten, dass es darum geht, den starken Berliner Teil aus der Tarifgemeinschaft rauszulösen.Der Berliner DGB, dessen Führung viel zu positiv auf die Koalitionsvertragsentwürfe reagiert hat, sollte sich nicht nur deshalb zurückhalten, dieser Regierung seine Unterstützung anzubieten.
Andererseits vermeidet es Schwarz-Rot bei polarisierenden Fragen konkret zu werden. Zur Randbebauung des Tempelhofer Feldes soll es erst mal nur eine Debatte geben. Bei der Frage des 17. Bauabschnitts der A100 delegieren sie die Verantwortung an die Ampel-Regierung. Oder sie wiederholen Ziele, die schon vergangene Senate aufgestellt und immer wieder gerissen haben und an die sowieso niemand mehr glaubt – wie das Neubauziel von 20.000 neuen Wohnungen pro Jahr.
Volksentscheid soll begraben werden
Der von über einer Million Berliner*innen unterstützte Volksentscheid zur Enteignung der großen Immobilienkonzerne soll weiter auf die lange Bank geschoben werden, in der Hoffnung ihn später zu beerdigen. Ein „Vergesellschaftungsrahmengesetz“ (also keine direkte Umsetzung des eindeutigen politischen Willens) soll bei einem positiven Votum der vom letzten Senat eingesetzten Expert*innenkommission erarbeitet werden. Dieses tritt auch erst zwei Jahre nach seiner Verkündung in Kraft, also vermutlich frühestens in der nächsten Legislatur.In der Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ wird deshalb über einen erneuten Volksentscheid diskutiert, diesmal in Form eines Gesetzesvolksentscheides, der einer verbindlichen Abstimmung gleichkäme. Aber es ist fraglich, ob ein solcher zweiter Volksentscheid dieselbe Mobilisierungswirkung hätte und wieder zu einem Erfolg führen würde. Mietaktivist*innen müssen sich außerdem fragen, ob der damit weiter einhergehende Fokus auf die parlamentarische Ebene wirklich der sinnvollste ist, um das eigentliche Ziel zu erreichen – den weiteren Aufbau der Mieter*innenbewegung. Zumal zu befürchten ist, dass auch ein zweiter Gesetzesvolksentscheid von bürgerlichen Gerichten kassiert wird. Es braucht viel eher eine Diskussion darüber, wie man die Selbstorganisierung und den Widerstand von Mieter*innen angesichts drohender Horrornachzahlungen wieder aufbauen und stärken kann.
Aufrüstung des Staates
Gleichzeitig will Schwarz-Rot die Polizei massiv aufrüsten. Es soll mehr Personal, Videoüberwachung und Taser geben. „Verhaltensbezogene Kontrollen aufgrund kriminalistischer und polizeilicher Erfahrungswerte (…) bleiben zulässig“ – ein Code für Racial Profiling von Menschen, die nicht bio-deutsch aussehen. Das Versammlungsgesetz soll verschärft und mehr Abschiebungen durchgesetzt werden. Zwar sprechen sich beide Parteien für einen Kampf gegen Islamfeindlichkeit aus. Gleichzeitig wird mit Falko Liecke von der CDU Neukölln einer Staatssekretär für Jugend, der schon in der Vergangenheit mit rassistischen Ausfällen auf sich aufmerksam gemacht hat. Gerade die CDU hatte mit dem Thema „Innere Sicherheit“ und der rassistisch aufgeladenen Debatte über die Ausschreitungen an Silvester Stimmen im Wahlkampf reingeholt. Sie stützen sich damit auch auf Ängste, die es in Teilen der Bevölkerung vor einer immer unsicher werdenden Stadt gibt. Doch die Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag werden nicht zu mehr Sicherheit führen, vor allem weil die sozialen Ursachen von Kriminalität und Unsicherheit durch ihre pro-kapitalistische Politik nicht beseitigt werden. Schwarz-Rot wird die wachsende Wohnungsnot, die Kinder- und Jugendarmut, Lehrer*innen und Erzieher*innenmangel, usw. nicht in den Griff bekommen, weil sie unter anderem nicht die dafür nötigen finanziellen Mittel bereitstellen werden. Das ginge nur mit einem Wechsel hin zu sozialistischer und kämpferischer Politik, die sich mit dem Kapital und den Sparregeln der Schuldenbremse anlegt, wie wir es an anderer Stelle formuliert haben.
LINKE
Leider gibt es im Abgeordnetenhaus keine politische Kraft, die solch einen Politikwechsel vertritt und leider gilt das auch für die Partei DIE LINKE. In den letzten Wochen ist die Parteiführung nur mit Versuchen in Erscheinung zu treten, die SPD für eine rot-grün-rote Koalition zurückzugewinnen. Zur Wahrheit gehört skandalöserweise auch, dass die LINKE-Führung zum Beispiel dazu bereit war, die konkrete Umsetzung des Volksentscheides zur Enteignung der Immobilienkonzerne weiter mit hinauszuzögern und sich mit SPD und Grünen in Sondierungsgesprächen auf ein solches Rahmengesetz geeinigt hatte, welches sich nun CDU und SPD auch vornehmen. Das schlechte Wahlergebnis wurde in der LINKEN nicht selbstkritisch bilanziert, wie es für eine linke Partei, welche immer weniger Menschen davon überzeugen kann, dass sie einen grundsätzlichen Unterschied macht, nötig gewesen wäre. Ob ihr das in der Opposition wieder mehr gelingt, ist unter dem Kurs der aktuellen Parteiführung mehr als fraglich – zumal die Krise der Bundespartei längst nicht vorbei ist und eine Spaltung immer wahrscheinlicher wird. Damit lässt das Versagen der LINKEN leider auch Raum dafür, dass sich sozialer Unmut wieder mehr auf der Rechten ausdrückt. Auch wenn die AfD bei den letzten Wahlen keine größeren Gewinne einfahren konnte, bleibt sie eine Gefahr und sind ihre Wahlergebnisse in einigen abgehängten Gegenden am stärksten. Diese Gefahr wird umso größer, je mehr eine schwarz-rote Regierung mit einer restriktiveren Innenpolitik vorlegt, eine ökonomische Krise ausbricht und wieder mehr Sündenböcke für soziale Probleme gesucht werden oder wieder mehr Geflüchtete in der Stadt Unterschlupf suchen, es aber nicht die nötigen Investitionen in Wohnraum, Infrastruktur usw. gibt.
Wenn die letzten Jahre eines deutlich gemacht haben dann, dass sich die Bedingungen für Widerstand und Klassenkämpfe sehr schnell verändern können. Wegners schlechter Start deutet auf die Spannungen in der neuen Koalition und ihren Parteien und die Sorge vor einem weiteren Abstieg hin. Dass dieser Senat bis 2026 durchhält, ist keine ausgemachte Sache. Gerade eine neue Wirtschaftskrise, deren Eintreten eine Frage der Zeit zu sein scheint, könnte für den neuen Senat auch schon vor der nächsten Wahl zu Problemen führen oder Angriffe auf den Lebensstandard nötig machen. Klar ist: Schwarz-Rot wird aber schon ab Tag 1 Politik in allererster Linie für die Berliner Unternehmer*innen und Reichen machen. Das heißt, es wird genug Anlässe und Gelegenheiten geben, um Widerstand aufzubauen. Die Sol wird sich dazu mit Vorschlägen und sozialistischen Forderungen einbringen.