Egal wer im Berliner Rathaus sitzt – Streiks und Gegenwehr von unten nötig

Stellungnahme der Sol-Berlin zur Wahl am 12. Februar

In Berlin werden die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) wiederholt. Doch an den politischen Verhältnissen wird sich dadurch nichts verbessern – eher im Gegenteil.

Als im September 2021 in Berlin gewählt wurde, herrschten in vielen Wahllokalen chaotische Zustände. Zeitweise mussten Wahllokale wegen fehlender Wahlzettel geschlossen werden. Woanders kam es zu stundenlangen Wartezeiten. Bis nach 18 Uhr wurde gewählt. Die Mängel waren so gravierend, dass eine komplette Wahlwiederholung angeordnet wurde. Bis alle Einsprüche geprüft wurden und das Landesverfassungsgericht die Neuwahl ausrief, sind jetzt fast eineinhalb Jahre vergangen.

Bilanz des Senats

Etwas mehr als ein Jahr hat der Rot-Grün-Rote Senat in Berlin regiert. Und alle diejenigen, die innerhalb der LINKEN gegen den Koalitionsvertrag gekämpft haben (Artikel dazu: https://solidaritaet.info/2021/12/3453/), können sich bestätigt fühlen. Während alle versuchen, sich das 29-Euro-Ticket als große Errungenschaft auf die Fahne zu schreiben, fällt die Bilanz insgesamt negativ aus: Dutzende Schulen wehren sich gegen die Kürzungen ihrer Sanierungen und fehlende Mittel. Wie zu erwarten war, wurde begonnen, die Kosten der Pandemie einzusparen. Laut Finanzverwaltung sind nur Gelder für jeweils eine von vier baufälligen Schulen vorhanden. Der Personalmangel ist eklatant: Seit diesem Schuljahr sind 97 Prozent Ausstattung die neue Norm. (105 Prozent sind mindestens notwendig, damit nicht zu viel Unterricht ausfällt.) Kitaplätze sind vielerorts schwer zu finden. Die Wohnungskrise der wachsenden Stadt ist akuter denn je. Allein die unzureichenden Neubauziele des Senats sind in weiter Ferne – von spürbar mehr bezahlbarem Wohnraum ganz zu schweigen. Vor der Wahl 2021 sollte der gescheiterte Berliner Mietendeckel zumindest bei den öffentlichen Wohnungen eingehalten werden. Nach der Wahl wurden Mieterhöhungen erlaubt und durchgesetzt. Jetzt werben sie erneut mit einem Mietenstopp im Rahmen des Berliner Entlastungspakets. Sie werden jedoch nur befristet sein.

Der runde Tisch mit der Immobilienwirtschaft hatte, wie zu erwarten, auch gar keine belastbaren Ergebnisse gebracht. Doch auch in anderen Bereichen bekommt man das Bild einer krisengeplagten Stadt, deren öffentliche Daseinsvorsorge im besten Fall auf Kante genäht ist. Im Gesundheitsbereich geht es mit den wenigen, durch Kämpfe der Beschäftigten erzwungenen Verbesserungen nur langsam voran. An den landeseigenen Kliniken wird der Tarifvertrag Entlastung laut der Gewerkschaft immer noch nicht zufriedenstellend umgesetzt. Der RS-Virus hat die Zustände bei Kinderärzten und Kinderintensiveinrichtungen gnadenlos offengelegt. Die Berichte über die Zustände im Rettungsdienst vor dem Jahreswechsel sind immer noch besorgniserregend und sind spätestens seit den Protesten der Berliner Feuerwehr unter dem Motto „Berlin brennt“ seit Jahren bekannt. Egal ob Bildung, Wohnen oder Gesundheit: Die drängendsten Probleme werden nicht gelöst, sondern verschlechtern sich in Zeiten von Inflation und Krise weiter.

Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co. Enteignen

Was am 12. Februar nicht erneut zur Wahl steht, ist der Volksentscheid zur Enteignung der Immobilienkonzerne. Da kein Einspruch gegen ihn eingelegt wurde, ist die Entscheidung gültig. Die Gegner*innen hatten vermutlich befürchtet, dass ein erneutes klares Zeichen für Enteignung von einer Wahlwiederholung ausgehen könnte. Schon vor eineinhalb Jahren hatten 59,1 Prozent bzw. über eine Million Menschen für die Enteignung gestimmt.

Doch noch immer wird dieser Volksentscheid nicht umgesetzt. Die SPD hat darauf bestanden, dass die Inhalte in einer so genannten Expertenkommission beraten werden, statt sie umzusetzen. DIE LINKE hat sich dem mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages unterworfen. Und obwohl ihre Forderungen nach Transparenz und Besetzung nicht angenommen wurden, hatte auch die Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ Vertreter*innen entsendet. Die Sol war der Meinung, dass es keine Kommission braucht, die diskutiert, ob die demokratische Entscheidung von über einer Millionen Menschen legitim war, sondern hat davor gewarnt, dass damit die Umsetzung verzögert werden soll. Deshalb waren wir gegen eine Beteiligung von LINKE und Mietaktivist*innen. Statt die Bühne effektiv nutzen zu können, musste die DWE-Initiative erleben, wie ihnen das Wort im Mund umgedreht und sie der Lüge bezichtigt wurde. Die Zeitungen behaupteten zum Beispiel, die Initiative würde nun selbst zugeben, dass man die Mieten durch Enteignung nicht absenken könne – dabei hat die Initiative dargelegt, dass überhöhte Mieten gesenkt und schon niedrige Mieten eingefroren werden können.

Pünktlich vor der Wahl wurde ein Zwischenbericht veröffentlicht, der die Enteignung grundsätzlich für juristisch möglich hält. Das ist positiv. Die politische Debatte über Enteignungen geht damit weiter und es wird in dem Bericht erklärt, dass auch eine Entschädigung unter Verkehrswert der Immobilien möglich ist. Aber es ist auch Vorsicht geboten. Die Gegner*innen der Enteignung machen in dem Bericht deutlich, dass sie bei der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme und durch das Fehlen eines Enteignungsparagrafen in der Landesverfassung Einfallstore sehen, die Enteignung zu verunmöglichen. Auf ein weiteres Hinhalten sollte sich die Bewegung nicht einlassen, sondern weiterhin für die Umsetzung des Volksentscheides mobilisieren.

Perspektive

Der Ausgang der Wahl ist weiterhin völlig offen.Die SPD versucht, das befristete 29-Euro-Ticket auszuschlachten. Gleichzeitig macht die amtierende Bürgermeisterin Franziska Giffey deutlich, dass sie trotz des grundsätzlich positiven Votums der Expert*innenkommission von einer Umsetzung des Enteignungsvolksentscheids nichts wissen will.Als Alternative zur SPD und aufgrund der täglich offensichtlichen Klimafolgen suchen mehr Menschen Hoffnung bei den Grünen, die stärkste Kraft werden könnten und damit Giffey aus dem Roten Rathaus drängen. Doch das würde nichts grundsätzlich verändern. Gerade die Grünen haben sich für die Privatisierung der S-Bahn stark gemacht, setzen in der Senatsverwaltungen für Finanzen die Kürzungen um und haben keine wirklichen Antworten auf die Klimakatastrophe.

Bundesweit ist die Zustimmung zur Ampel im freien Fall und das könnte sich auch in den Berliner Wahlen ausdrücken. Möglich wäre dadurch eine Stärkung der CDU, die stärker als die jetzige Regierung auf unsoziale Maßnahmen setzen könnte und leichter den Volksentscheid ignorieren. Wie sie in ihrem Umgang mit den Ausschreitungen der Silvesternacht gezeigt hat, würde sie das mit einer gehörigen Portion Rassismus garnieren. Einem CDU-geführten Senat müsste vom ersten Tag an, entschlossener Widerstand entgegengesetzt werden.

Die AfD könnte von sinkender Wahlbeteiligung profitieren, wenn sie es schafft, ihre Anhänger*innen zu mobilisieren. Aufgrund des Fehlens einer wirklichen Alternative könnte sie mit ihren Slogans gegen Preissteigerung und ihrer Haltung zu Russland auf Stimmenfang gehen.

DIE LINKE Berlin konnte 2021 aufgrund ihres klaren Bekenntnis zur Enteignung größere Verluste vermeiden. Doch aufgrund ihrer Regierungspolitik und der Krise der Gesamtpartei wird sie vermutlich an Stimmen verlieren. Insgesamt werden viele, die noch vor eineinhalb Jahren lange vor dem Wahllokal gewartet haben, diesmal fern bleiben und die Wahlbeteiligung könnte ein Rekordtief erreichen.

Doch auch in wenigen Tagen vor der Wahl kann sich noch vieles ändern. Die umfassende multiple Krise des Kapitalismus, seiner bürgerlichen Institutionen und Parteien hat eine politische Instabilität geschaffen, wie sie die heutigen Generationen noch nicht erlebt haben.

Aufgaben

Egal welche Regierung auf die jetzige folgen wird: Es wird nicht besser werden. Die „Zeitenwende“ ist keine Wende zum Besseren. Jede zukünftige Regierung wird mit den verschiedenen Auswirkungen der kapitalistischen Krise konfrontiert sein. In diesen Zeiten werden weitere Angriffe drohen. Nur massenhafter und gewerkschaftlich gestützter Widerstand kann die Folgen der Preiskrise bekämpfen, günstigen Wohnraum erreichen, die nötige Entlastung im Gesundheitswesen durchsetzen und sich für mehr Investitionen in Bildung und Rettungsdienste einsetzen.

Der Tarifvertrag Entlastung in den landeseigenen Krankenhäusern wurde nur durch entschlossenen und wochenlangen Streik durchgesetzt. Der Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ ist von der Mietenbewegung getragen worden. Und die skandalöse Verweigerungshaltung des Senats, mit den streikenden Lehrer*innen über ihre Entlastungsforderungen zu verhandeln, beweist erneut:Es ist nötiger denn je Widerstand aufzubauen und sich zu organisieren.

Wichtiger Ansatzpunkt dafür sind die anstehenden Tarifrunden im Öffentlichen Dienst, Bahn und anderen Bereichen. Die Sol schlägt dafür gewerkschaftliche Aktionskonferenzen vor, auf denen eine Kampfstrategie beraten werden kann, wie der Widerstand gegen Kürzungen und Preissteigerungen erfolgreich sein kann.

Und DIE LINKE?

Der Zustand der LINKEN ist bundesweit und in Berlin besorgniserregend. (Genauere Analyse zur bundesweiten Situation hier: https://solidaritaet.info/2022/12/arbeiterinnenklasse-und-politische-partei/) Die Parteilinke ist zersplittert und formuliert bis auf die AKL keine grundsätzliche Kritik mehr an der Regierungsbeteiligung der LINKEN in Berlin, Bremen , Mecklenburg-Vorpommern oder Thüringen. Die Abspaltung von Wagenknecht und ihren Unterstützer*innen scheint sicher, wird aber kein Schritt nach links sein.

Der Spagat, gleichzeitig Bewegungspartei und Regierungspartei mit SPD und Grünen zu sein, hat in Berlin nicht geklappt und DIE LINKE wird von vielen nicht als Alternative zu den etablierten Parteien gesehen.Eine linke Partei, die ihrem sozialistischen Anspruch gerecht würde, würde erstens erklären, warum die wenigen (und oft zeitlich eng befristeten) positiven Maßnahmen, wie vergünstigte ÖPNV-Tickets, nicht ausreichen, um angesichts der Inflation den Verfall des Lebensstandards der arbeitenden Bevölkerung aufzuhalten. Sie müsste zweitens erkennen, dass sie sich nicht länger mit Parteien wie SPD und Grüne gemein machen kann, die die „kapitalistischen Sachzwänge“ akzeptieren und schon jetzt zu Kürzungen an den Schulen oder der weiteren Verzögerung der Enteignung der Immobilienkonzerne bereit sind. Sie müsste davor warnen, dass die Zeiten „rauer“ werden und in den nächsten Jahren noch mehr Angriffe und Kürzungen anstehen, wenn man diese Sachzwänge akzeptiert. Sie müsste deshalb drittens argumentieren, warum sie diese Regierungsbeteiligung nicht fortsetzt, sondern von der Oppositionsbank aus die sozialen Bewegungen und Lohnabhängigen der Stadt unterstützen wird.

In der Partei und unter vielen Aktivist*innen könnte sich angesichts der aktuellen Umfragen die nachvollziehbare Sorge breitmachen, dass es „noch schlimmer“ kommen könnte, wenn die CDU den Bürgermeister stellt – und man deshalb im Zweifel die Regierung mit der SPD und den Grünen fortsetzen sollte, um das zu verhindern. Doch eine sozialistische Partei dürfte sich von der „kleineren Übel-Logik“ nicht erpressen lassen. Erstens, weil ein kleines Übel trotzdem ein Übel ist und DIE LINKE in Zukunft noch weniger als politische Alternative gesehen wird, wenn sie diesen Weg weiter beschreitet. Zweitens, weil es vor allem eine Waffe in der Hand von Giffey und Co. wäre, von der LINKEN Zugeständnisse zu erpressen. Die Partei sollte in diesem Fall anbieten, eine CDU-geführte Regierung zu verhindern und einer anderen Bürgermeisterin ins Amt zu helfen. Aber nicht innerhalb einer Koalition, sondern kritisch und mit dem Versprechen, nur Maßnahmen mitzutragen, die für die Maße der Bevölkerung positiv sind und alle anderen abzulehnen. Als wirkliche Oppositionspartei könnte sie mithelfen, Bewegungen gegen die unsoziale Politik aufzubauen und mit sozialistischen Forderungen deutlich machen, wie die eigentlich nötige politische Kehrtwende in der Stadt aussehen muss. Das würde beinhalten:

  • Einführung eines kostenlosen ÖPNV
  • Beschlagnahmung von spekulativem leerstehendem Wohnraum
  • Sofortige Umsetzung des Volksentscheides zur Enteignung von Immobilienkonzernen unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung – Mietsenkungen und Deckelung der Mieten auf Kostenmiete
  • Beschleunigter Bau von bezahlbaren, kommunalen Wohnungen
  • Einführung der 35-Stundenwoche bei vollem Lohn- und Personalausgleich im öffentlichen Dienst als Einstieg in weitere Arbeitszeitverkürzung
  • Einführung einer automatischen Anpassung der Löhne im öffentlichen Dienst an die Inflation
  • Erhöhung des Landesvergabemindestlohns auf 15 Euro pro Stunde
  • Rekommunalisierung outgesourcter Bereiche und massiver Stellenaufbau in Krankenhäusern, Verkehrsbetrieben sowie allen Bereichen der Daseinsvorsorge unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch demokratisch gewählte Räte von Beschäftigten, Nutzer*innen, Gewerkschaften und Landesvertreter*innen
  • Unternehmen, die mit Entlassungen oder Kürzungen drohen, in Landeseigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung zu überführen
  • das Nutzen aller Möglichkeiten von Besteuerung der Reichen und Gewinne durch die Stadt
  • Massive Investitionen in Infrastruktur, Gesundheit und Soziales
  • Abschaffung aller Gebühren und Kosten im Bildungswesen, Aufsetzen eines Programms zur vollständigen Deckung offener Stellen in den Schulen
  • Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission zum rechten Terror und der Verstrickung von Teilen der Behörden unter Beteiligung von antirassistischen Organisationen, Migrant*innenverbänden und Gewerkschaften

Das würde auch deutlich machen, was der grundsätzliche Unterschied zwischen der LINKEN und den pro-kapitalistischen Parteien ist. Gleichzeitig ist uns völlig bewusst, dass die jetzige Führung der Berliner LINKEN trotz radikaler Wahlkampfslogans von solch einem Kurs weit entfernt ist.

Noch immer sehen viele Aktivist*innen und ein relevanter Teil der Bevölkerung in der LINKEN die beste Wahloption im Vergleich zu allen anderen Parteien und einzelne Abgeordnete halten immer wieder kämpferische Reden bzw. sind Teil sozialer Bewegungen. Auch die Sol Berlin spricht sich dafür aus, DIE LINKE zu wählen, weil das am ehesten als Signal für Enteignungen und soziale Politik gesehen wird und es keine andere politische Alternative bei dieser Wahl gibt.Gleichzeitig können wir alle verstehen, für die das aus Enttäuschung über Ausrichtung und Politik der LINKEN keine Option ist.

Sol-Mitglieder sind aktiv in der LINKEN, weil wir in der Partei über Jahre den wichtigsten Ansatzpunkt für den Aufbau einer neuen Massenpartei der Arbeiter*innenklasse gesehen haben. Es braucht eine solche Partei, weil sonst soziale Bewegungen und Druck von der Straße zwangsläufig Gefahr laufen, dass ihre Forderungen nicht oder nicht vollständig umgesetzt werden und/oder Selbstorganisation wieder zurückgehen kann. Die Erfahrung mit dem DWE-Volksentscheid bestätigt das. Leider ist DIE LINKE heute in einer tiefen Krise und nicht mehr der wichtigste Ansatzpunkt. Ihre Zukunft sieht aktuell düster aus. Doch die Notwendigkeit, eine sozialistische Arbeiter*innenpartei aufzubauen, bleibt bestehen. So eine neue Partei wird sich aus verschiedenen Quellen (Gewerkschaften, soziale Bewegungen) speisen und wir werden alle gesellschaftlich relevanten Ansätze in diese Richtung unterstützen.

Wir werden auch nach der Wahl gegen pro-kapitalistische Politik auf die Straße gehen – egal, wer an der Regierung ist und sie mitverantwortet. Denn wählen allein reicht nicht. Mit der Sol bauen wir eine marxistische Kraft, die auf die Misere des Kapitalismus grundsätzliche Antworten bietet und für eine sozialistische Demokratie kämpft. Für dieses Ziel sind wir regelmäßig aktiv, in den Streiks für Entlastung, der Mietenbewegung, Gewerkschaften und Bündnissen. Wir verbinden den Kampf für eine sozialistische Gesellschaft mit dem konkreten Widerstand für Verbesserungen im Hier und Jetzt. Wenn du der täglichen Unsicherheit und Krise auch etwas entgegensetzen willst, dann schließ’ dich uns an.

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