Dreitägiger Warnstreik der Berliner GEW zeigt enorme Wut und Entschlossenheit
Nach den Streikwellen im öffentlichen Dienst und der Post gingen die Streiks der Lehrkräfte in Berlin in die nächste Runde. Die GEW rief am 06. Juni zu dezentralen Streiks in allen Bezirken Berlins und am 07. und 08. Juni zu zwei zentralen Streikveranstaltungen auf. Mitglieder der Sol unterstützten die Streiks, kamen mit den streikenden Lehrkräften ins Gespräch und hielten darüber hinaus einen Redebeitrag bei der Streikversammlung im Mauerpark.
von Lars Becker (Abiturient) und Tim Brandes (Lehramtsstudent), Berlin
Anlass der Streiks sind die miserablen Zustände an den Berliner Schulen, die sich jedoch ebenso deutschlandweit aufzeigen. Der Senat und die Regierungen der Länder schauen zu, wie Lehrerinnen und Lehrer angesichts steigender Klassengrößen und wachsender Anforderungen zunehmend erschöpfen, erkranken und/oder den Spaß am Beruf verlieren. Umfragen des DGB zufolge meinen über 70 Prozent der Lehrkräfte, dass ihre Arbeitsbelastung in den letzten Jahren zugenommen hat. Die hohe Anzahl von Unterrichtsstunden, die Vorbereitung von Unterrichtsmaterialien, das Korrekturlesen und die Betreuung der Schüler*innen stellen enorme Anforderungen dar, die unter anderem das Risiko für Burnout, Depressionen und weitere (psychosomatische) Krankheiten erhöhen.
Gerade deswegen fordert die GEW seit 2021 einen “Tarifvertrag Gesundheitsschutz”, in welchem die maximale Anzahl der Schüler*innen pro Klasse und Kurs (je nach Jahrgang und Schulart) festgeschrieben wird.
Die Masse der streikenden Lehrkräfte am 07. und 08. Juni war durchaus beträchtlich. Allerdings berichteten viele Teilnehmer*innen davon, dass es im eigenen Lehrkollegium nur zu einer geringen bzw. wegen der dreitägigen Dauer ungebündelten Streikbeteiligung kam, wenn Lehrkräfte nur an vereinzelten Tagen am Streik teilgenommen haben. Das läge zum einen am Verantwortungsgefühl gegenüber den Schüler*innen und zum anderen am Fehlen einer Perspektive, wie die Forderungen angesichts eines gravierenden Lehrkräftemangels erreicht werden können.
Enorme Wut und Entschlossenheit
Nichtsdestotrotz zeigte sich eine hohe Entschlossenheit unter den Streikenden, die Streiks weiterzuführen. Denn fordern und bitten tun die Kolleg*innen schon seit Jahren erfolglos. So hielt ein älterer Gewerkschafter einen Redebeitrag, in welchem er beispielsweise an den Metallarbeiterstreik 1956/57 erinnerte. Damals wurde 114 Tage lang die Arbeit niedergelegt, um letztlich erfolgreich die Forderung nach sechswöchiger Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durchzusetzen. Das hatte natürlich eine andere Dimension als der aktuelle Streik der Berliner GEW. Zudem streiken aktuell weniger Kolleg*innen als in den Lohnrunden. Dennoch sind die Wut und die Motivation enorm. Das spiegelt sich zum einen in der Zunahme von aktiven Betriebsgruppen und GEW-Strukturen wider. Aber zum anderen auch am selbständigen Aktiv werden der Kolleg*innen während des Streiks: Die Streik-Cafés waren gut besucht, Kolleg*innen haben Unterstützung für streikschwache Schulen organisiert und so neue Streikposten aufgebaut. Auch haben Kolleg*innen Zeitungen und Radios angerufen, um die Notwendigkeit der Streiks zu erklären, weil in den bürgerlichen Medien fast ausschließlich negativ über die Streiks berichtet wurde. Die Wut zeigte sich auch in der Verbitterung und im Vertrauensverlust gegenüber Politiker*innen ehemaliger Regierungs- und jetzt Oppositionsparteien. Eine Sprecherin der Grünen konnte faktisch ihre Rede nicht halten, weil sie fortwährend durch wütende Rufe aus dem Publikum unterbrochen wurde. Schließlich waren sie in Berlin lange genug im Senat und stellten im rot-grün-roten Senat den Finanzsenator, der sich bis zuletzt weigerte, überhaupt Tarifverhandlungen mit der GEW aufzunehmen. Schließlich sind sie auch Teil der jetzigen Bundesregierung, die auch nichts unternimmt.
Das erklärt wohl auch die Offenheit gegenüber anti-kapitalistischen und teils auch zu sozialistischen Ansätzen, was sich in Gesprächen, in der Zustimmung zum Redebeitrag eines Genossen der Sol und an einem guten Zeitungsverkauf widerspiegelte. So konnten wir am letzten Tag alle mitgebrachten Ausgaben der „Solidarität – Sozialistische Zeitung“ verkaufen.
Kontroverse Debatte über das weitere Vorgehen
Im Rahmen der Streikversammlung am Donnerstag brachte die junge GEW Vorschläge ein. Sie machten Vorschläge, wie der Kampf geführt und wie die demokratische Einbeziehung der Kolleg*innen ermöglicht werden kann. Die junge GEW verteilte vorab Flyer mit ihren Vorschlägen, die als Grundlage für die Diskussion dienen sollten. Diese Vorschläge sollten von Verhandlungsführer*innen und Tarifkommission beraten werden und als mögliche Eckpunkte für einen Kampagneplan fungieren.
So schlagen sie vor, einen fünftägigen Warnstreik nach den Sommerferien durchzuführen. In diesem Streik sollen durch Streikversammlungen an den Schulen, dem Durchführen von Veranstaltungen, Besuche von weniger stark organisierten Schulen und weitere Vorschlägen die Kolleg*innen einbezogen werden, um einen unbefristeten Streik vorzubereiten. Höhepunkt davon soll eine berlinweite Streikversammlung sein, zu der neben den betroffenen Kolleg*innen auch die Landesschüler*innen- und Elternvertretungen, weitere Bildungsinitiativen aber auch die Berliner Krankenhausbewegung eingeladen werden.
Diese Versammlung soll letztlich die weitere Strategie für die Tarifkommission verbindlich abstimmen. Außerdem fordern sie die Einbeziehung der Erzieher*innen in den Streik, da diese momentan teilweise als Streikbrecher*innen genutzt werden.
In der Diskussion wurde berichtet, dass das Vorgehen der Tarifkommission teilweise intransparent ist. Andererseits gäbe es wenig Rückberichte und auch wenig Möglichkeiten, mit den Mitgliedern der Tarifkommission zu sprechen, weil diese sich wohl teilweise nicht an den Streikcafés beteiligt hätten.
Die Forderung, dass die Kolleg*innen mitbestimmen sollten, wie der Kampf geführt wird, hat sehr viel Applaus bekommen. Als von einem Mitglied der jungen GEW ein Stimmungsbild eingeholt wurde, war eine sehr deutliche Mehrheit für die Vorschläge. Mitglieder der Tarifkommission meldeten sich in der Diskussion zu Wort, um das bisherige Vorgehen der ”Strategie des langem Atems” zu verteidigen und verwiesen darauf, wie kompliziert so ein Streik sei und dass man auch in geschlossener Runde mal diskutieren müsse, was jedoch wenig Applaus hervorbrachte.
Seit 2021 gibt es immer wieder einzelne, befristete Streiks der GEW, aber noch immer gibt es nicht einmal Verhandlungsbereitschaft von Seiten der Politik. Es ist völlig verständlich, dass sich den Kolleg*innen immer stärker die Frage stellt, wie sie ihre Forderungen eigentlich durchsetzen sollen und wie man dafür mehr Kolleg*innen gewinnen und die nötige Kampfkraft aufbauen kann. Die Vorschläge der jungen GEW beinhalten aus unserer Sicht viele richtige Ideen. Längere Streiks würden den Druck erhöhen – müssten aber auch genutzt werden, um in organisierter Art und Weise mehr Kolleg*innen von den Forderungen und dem Mittel Streik zu überzeugen. Die Vorschläge der jungen GEW sollten – auch nach der großen Zustimmung bei der Streikversammlung – nicht unter den Tisch fallen, sondern von der Tarifkommission und einer nächsten Mitglieder- bzw. Streikversammlung weiter diskutiert und in einen Kampagneplan gegossen werden.
Doch wie Tim Brandes, Mitglied der Sol und Lehramtsstudierender an der FU, in seinem Redebeitrag erklärte: Personalmangel, Arbeitsstress und fehlende finanzielle Mittel sind keine Probleme, die nur Lehrkräfte betreffen. Die Beschäftigten in den Krankenhäusern kämpfen in Berlin schon seit 2011 für ausreichend Personal, während auch in Ämtern und Post von Unterbesetzung und Arbeitshetze berichtet wird. So streikten dieses Jahr sowohl Post, öffentlicher Dienst, Eisenbahner*innen und nun auch die Lehrkräfte. Doch kämpften alle zu unterschiedlichen Zeitpunkten, obwohl diese Kämpfe eigentlich zusammengehören.
Es braucht deshalb auch eine gesellschaftspolitische Kampagne, angeführt durch die Gewerkschaften, für mehr Personal und eine ausreichende Finanzierung der öffentlichen Daseinsvorsorge. Eine solche Kampagne müsste auch aufzeigen, dass genug Geld da ist: bei den Reichen, die während der Pandemie ihren obszönen Reichtum nochmal auf über sechs Billionen Euro (das sind 6.000 Milliarden Euro!) gesteigert haben. Aber auch muss die Grundlage der gesellschaftlichen Probleme benannt werden: denn ein kapitalistisches System, in dem Profitzwang und Konkurrenz die Grundlage bilden, kann nicht sozial gerecht sein.
Mitglieder der Sol sind deswegen in der Vernetzung kämpferische Gewerkschaften (VKG) aktiv. Dort wollen wir uns mit kritischen Kolleg*innen für die demokratische Einbeziehung und die volle Nutzung der Kampfkraft der Kolleg*innen durch die Gewerkschaften einsetzen. Als Sol wollen wir dabei das Übel an der Wurzel packen und den Kapitalismus überwinden. Deshalb setzen wir uns für eine sozialistische Demokratie ein: eine Gesellschaft, in der die Bedürfnisse der Menschen im Mittelpunkt stehen, der gesellschaftlich erarbeitete Reichtum in diesem Sinne eingesetzt und nicht nur das Bildungssystem sondern auch die Banken, Konzerne und öffentliche Daseinsvorsorge demokratisch kontrolliert und verwaltet wird. In einer solchen Gesellschaft würde genügend Geld für hochwertige und nachhaltige Bildung durch gut ausgebildetes und ausreichend vorhandenes Lehrpersonal zur Verfügung gestellt werden. Denn eine gute Bildung liegt im Interesse von uns allen, als Schüler*innen, Lehrer*innen oder (zukünftige) Eltern.
Von daher: Lasst uns gemeinsam für eine sozialistische Demokratie kämpfen!