Tarifkonflikt bei der Bahn ohne Ende?

Statt Schlichtung: Urabstimmung über Erzwingungsstreik jetzt einleiten!

Seit Ende Februar 2023 führt die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) mit fünfzig Eisenbahn- und Verkehrsunternehmen (EVU) zähe Tarifverhandlungen. Zwei Warnstreiks hatten nicht gereicht, um die berechtigten Forderungen der Beschäftigten der Verkehrsbranche nach 12 Prozent mehr Gehalt, aber mindestens 650 Euro bei einer Tarifvertragslaufzeit von 12 Monaten durchzusetzen. Statt die angekündigte Urabstimmung nun zügig umzusetzen, lässt sich die EVG-Führung auf ein Schlichtungsverfahren ein, das erfahrungsgemäß nur den Arbeitgebern hilft. 

von Ronald Luther, EVG-Mitglied in Berlin

Stattdessen gab die EVG-Führung am 20. Juni bekannt, sich mit der privaten Transdev-Gruppe, nach der Deutschen Bahn AG (DB) das größte EVU in Deutschland, auf einen Tarifvertrag (TV) geeinigt zu haben. Die Lohnerhöhung soll insgesamt 420 Euro bei einer Laufzeit des Tarifvertrages von 21 Monaten betragen! Nachwuchskräfte erhalten 220 Euro mehr im Monat. Zusätzlich wird eine Inflationsausgleichsprämie von bis zu 1400 Euro ausgezahlt. Weiterhin sollen die Zulagen um insgesamt zehn Prozent angehoben und der Nachtarbeitszeitraum von zwanzig bis sechs Uhr ausgedehnt werden. Die Lohnerhöhung erfolgt dabei nicht auf einen Schlag und rückwirkend ab dem Zeitpunkt des Ablaufs des alten TV. Stattdessen steigen die Entgelte in zwei Schritten erst ab dem 01. November 2023 um 290 Euro und ab dem 01. August 2024 um weitere 130 Euro. Nachwuchskräfte erhalten analog 150 Euro und 70 Euro. Ähnliche Abschlüsse erreichte die EVG inzwischen bei weiteren privaten EVU. Damit liegen die Ergebnisse weit entfernt von den ursprünglichen Forderungen der EVG, die angesichts der drastisch steigenden Inflation und der Gehaltsverluste infolge der letzten Tarifrunde von den EVG-Mitgliedern breit unterstützt werden. 

Faule Kompromisse

Dessen ungeachtet forderte die stellvertretende Vorsitzende der EVG, Cosima Ingenschay, die DB auf, dem Beispiel zu folgen: “Hier macht die Branche deutlich, was nötig ist, um die Leistungen der Beschäftigten auch finanziell zu honorieren. Daran sollte sich die DB AG ein Beispiel nehmen.” Deutlich wird mit dieser Aussage, dass die EVG bei der DB einen ähnlichen Tarifabschluss wie bei Transdev erreichen möchte. Denn anders als die EVG-Führung ursprünglich erwartet hatte, verlaufen die Tarifverhandlungen bei der DB am zähesten. Statt aber nach zwei erfolgreichen Warnstreiks und dem abgesagten Warnstreik Mitte Mai einen unbefristeten Streik einzuleiten, hatten sich die beiden EVG-Vorsitzenden zu intransparenten Hinterzimmergesprächen mit dem DB-Vorstand getroffen. Dort wurde eine neue Verhandlungsrunde vereinbart. 

Einige Tage vor dem Tarifabschluss bei Transdev, am 16. Juni, gab die EVG bekannt, dass sie gemeinsam mit der DB die Tarifverhandlungen vertagt haben: “Wir haben – Stand heute – mühsam einen Kompromiss ausgearbeitet und unser Ziel vorangetrieben, dass in der Tarifrunde soziale Benachteiligungen verhindert werden. Insgesamt haben wir eine Vielzahl an Forderungen besprochen. Diskutiert wurden unter anderem der Bereich Busse und die Dienstleistungen.” Diese Erklärung lässt vermuten, dass die EVG-Führung prinzipiell bereit war, den Tarifvertrag mit der DB zu unterzeichnen. Nachdem bei Transdev am 20. Juni allerdings ein besserer Abschluss erreicht wurde als bei der DB, hat die Zentrale Tarifkommission (Tk) am 21. Juni die Tarifverhandlungen mit der DB für gescheitert erklärt. Einen Tag später beschloss der EVG-Bundesvorstand die Einleitung einer Urabstimmung aller EVG-Mitglieder bei der Deutschen Bahn AG (DB) über unbefristete Streiks. Denn es sei nicht zu akzeptieren, dass die DB in einem ersten Schritt nur 200 Euro ab Dezember 2023 zahlen wollte. Als unannehmbar wurde auch das Beharren der DB auf eine Tarifvertragslaufzeit von 27 Monaten bezeichnet. Laut DB lag der EVG ein 16-seitiger Tarifvertrag zur Unterzeichnung vor, über dessen Inhalt aber die EVG-Mitglieder nicht weiter informiert wurden!

Verschlechterungen für Beschäftigte

Allerdings wurde in dem Zusammenhang bekannt, dass die EVG-Verhandler*innen der DB angeboten hatten, Verschlechterungen bei den Beschäftigten der Busgesellschaft, der Dienstleister der DB und der DB Cargo zu akzeptieren. Während der Tarifverhandlungen hatte die DB gefordert, die Folgen des hohen Konkurrenzdrucks und der damit einhergehenden angespannten wirtschaftlichen Situation in den Bereichen auf die Beschäftigten abzuwälzen. So sollten die Bereiche Busse, die Dienstleister der DB und die DB Cargo aus der Tarifrunde ausgeklammert werden mit dem Ziel, hier schlechtere Tarifergebnisse durchzusetzen. Um das zu verhindern stimmte die EVG-Tk nun zu, dass die Busfahrer*innen eine Stunde mehr arbeiten sollen. Die Beschäftigten in den Werkstätten und der Instandhaltung hingegen würden zukünftig die Waschzeiten nach der Arbeitszeit mit Geld ausgeglichen und die Dienstkleidungsträger*innen die Umkleidezeit außerhalb der Arbeitszeit pauschal bezahlt bekommen. Bei DB Cargo wiederum sollten freiwillige Modelle zur Flexibilisierung eingeführt werden. Mit diesen Zugeständnissen wären die Slogans der EVG in der Tarifrunde “Gemeinsam geht mehr” und “Gemeinsam bleibt gemeinsam” leere Versprechen!

Schlichtung statt Streik?

Mit der Erklärung des Scheiterns der Tarifverhandlungen wurde seitens der EVG-Führung verkündet, damit seien auch alle Verschlechterungen wie für die Busfahrer*innen erst mal hinfällig: “Da die Verhandlungen nun aber für gescheitert erklärt wurden, sind die Kompromisse vorerst vom Tisch.” Sie dürfen bei nächsten Verhandlungen gar nicht wieder auf den Tisch kommen.  Und diese Verhandlungen sind schneller da als gedacht. Nur eine Woche später stimmte der EVG-Bundesvorstand dem Vorschlag der DB zu, eine Schlichtung einzuleiten. Bis zum Ende der Schlichtung sind Warnstreiks als Druckmittel der Beschäftigten damit nicht mehr zu erwarten. Auch die Urabstimmung wird verschoben! Denn erst wenn das Ergebnis der Schlichtung vorliegt, soll eine Urabstimmung eingeleitet werden, in der die EVG-Mitglieder bei der DB darüber abstimmen, ob sie dem Ergebnis zustimmen oder einen unbefristeten Streik möchten. Dazu erklärt die EVG-Führung: “Wir haben einen guten demokratischen Prozess aufgesetzt, der unsere Mitglieder eng einbindet.” Dieser “demokratische Prozess” sieht dann so aus, dass 75 Prozent der an der Urabstimmung Teilnehmenden für den unbefristeten Streik stimmen müssen. Nicht grundlos vermuten viele EVG-Mitglieder, dass sie hier über den Tisch gezogen werden sollen. Denn es ist erfahrungsgemäß immer schwer eine 75-prozentige Zustimmung für einen Streik zu finden, den die Führung gar nicht führen will.

Streik statt Schlichtung!

Statt in einer Schlichtung den Tarifabschluss bei Transdev auf die DB zu übertragen sollte die EVG wie ursprünglich angekündigt eine unmittelbare Urabstimmung aller EVG-Mitglieder durchführen. Zum einen bei Transdev und den anderen Unternehmen, wo es eine Einigung gibt, über diese Einigung. ZUm anderen bei der DB über einen unbefristeten Erzwingungsstreik zur Durchsetzung der ursprünglichen Forderungen nach 12 Prozent Lohnerhöhung, aber mindestens 650 Euro bei einer Tarifvertragslaufzeit von 12 Monaten einleiten. Die Unterzeichnung der Tarifverträge bei Transdev und allen anderen EVU muss sofort gestoppt werden! Weiterhin ist völlige Transparenz über die bisherigen Ergebnisse der Verhandlungen mit allen EVU notwendig! Während der Urabstimmung sind mehrtägige Warnstreiks möglich und notwendig. Gleichzeitig sollte die Zeit der Urabstimmung genutzt werden, um bisher Versäumtes wie die Mobilisierung und Vernetzung der Beschäftigten verschiedener Bahnbetriebe nachzuholen. Schnellstmöglich sollten Betriebsversammlungen einberufen werden, um Streikkomitees zu bilden und Delegierte für Streikdelegiertenkonferenzen auf allen Ebenen zu wählen. 

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