„Die hohen Erwartungen wurden enttäuscht“

Interview mit dem Eisenbahner Jonas Grampp über das Ergebnis der Urabstimmung bei der EVG

Jonas Grampp ist Mitglied der EVG-Ortsjugendleitung Berlin und der Gesamtjugendvertretung der DB Netz AG*. Er ist auch Mitglied der Sol und aktiv in der Bahnvernetzung (einem Kreis von kämpferischen Gewerkschafter*innen aus EVG und GDL, die der VKG – Vernetzung für kämpferische Gewerklschaften nah stehen). Für die Solidarität sprach mit ihm Sascha Staničić.

Bei der Urabstimmung haben fast 48 Prozent gegen eine Annahme gestimmt. Wie erklärst Du diese hohe Zahl?

Die Kolleginnen und Kollegen sind mit hohen Erwartungen in die Tarifrunde gestartet. Unter dem Motto “Gemeinsam geht mehr” wollte die EVG für rund fünfzig Betriebe ein deutliches Lohnplus erkämpfen. Dafür wurden Forderungen wie “650 Euro mehr für Alle” oder “Mietkostenzuschuss für Nachwuchskräfte ohne Anrechnung der Pendelzeit” aufgestellt. Nach der Nullrunde in der letzten Tarifrunde waren die Mitglieder jetzt voller Tatendrang – und wurden mit dem vorliegenden Schlichtungsergebnis stark enttäuscht.

Was sind aus deiner Sicht die Hauptprobleme bei dem Abschluss?

Die Schlichtungsvereinbarung bzw. der Tarifabschluss hat drei wesentliche Probleme: zu lange kein Geld und davon zu wenig, eine zu lange Laufzeit, sowie Reallohnverlust für einen Teil der Kolleg*innen.

Dass die erste Lohnerhöhung auf die Basistabelle erst im Dezember erfolgt, ist eine Frechheit für viele Kolleg*innen. Zehn Monate nach Beginn der Laufzeit ist das einfach zu spät, insbesondere rückblickend auf die vergangenen Monate der Inflation.

Auch die Laufzeit ist mit 25 Monaten zu lang. Corona und der Krieg in der Ukraine haben uns gezeigt, wie schnell sich alles ändern kann. Dafür können wir uns nun bis März 2025 nicht mehr wappnen.

Der Abschluss kommt vor allem den Kolleginnen und Kollegen zugute, die unter anderem bei Services und Sicherheit arbeiten. Durch die Aufhebung der Regionalisierung der Tarifverträge kommt es hier tatsächlich zu einem deutlichen Lohnplus. Genauso bei den Kolleg*innen, die zum Beispiel als Fahrdienstleiter*in in der 307 eingruppiert sind. Aber innerhalb der Tarifgruppen ist der Anstieg so ungleich verteilt – so, dass es für manche, auch Kolleg*innen mit geringem Einkommen, Reallohnverlust gibt. Um das zu verhindern, hatten wir ja einen entsprechend hohen Sockelbetrag gefordert.

War denn Deiner Meinung nach mehr drin in dieser Tarifrunde?

Das ist immer schwer zu sagen. Aber wenn man nicht ernsthaft kämpft, kann man auch nicht herausfinden, ob mehr erreichbar gewesen wäre. Und viele Kolleg*innen hätten lieber einen harten Kampf gekämpft, auch wenn das Ergebnis das gleiche gewesen wäre. Aber solange sich der Vorstand ein deutliches Lohnplus genehmigen kann (Richard Lutz erhielt im Jahr 2022 2,24 Millionen Euro als Vergütung) ist genug Geld da – erst recht für den arbeitenden Teil.

Es gab große Warnstreiks und eine Aktivierung von Kolleg*innen. Wie ist jetzt die Stimmung und was bedeutet das für die weitere Entwicklung der EVG?

Der Aktivismus innerhalb der EVG ist nach dem Vergleich in Frankfurt und der damit einhergehenden Absage des dritten Warnstreiks langsam aber stetig zum Erliegen gekommen. Die Frustration über unzureichenden Informationsfluss ist entsprechend gestiegen.

Es kommt aber jetzt darauf an die Gewerkschaft von innen zu ändern, aktiv zu werden und Verbesserungen zu erkämpfen.

Was sollten Kollegen, die mit dem Abschluss und der Politik der EVG Führung unzufrieden sind, jetzt machen?

Meldet euch bei eurer Betriebsgruppe oder Ortsjugend. Zwingt sie in die Aktivität, macht euch laut und setzt Euch für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik ein. Jetzt ist der beste Zeitpunkt für Veränderungen innerhalb der Gewerkschaft. Dazu ist auch eine Vernetzung kritischer Kolleginnen und Kollegen sinnvoll. Die Bahnvernetzung bietet dazu ein Angebot.