Marxismus und Gewerkschaften

Vorwort der Veröffentlichung im Manifest-Verlag (Auszug)

Gerade jetzt braucht es starke Organisationen der Arbeiter*innenklasse, auch in Form von Gewerkschaften, um sich kollektiv zur Wehr setzen zu können. Und gerade jetzt ist es drängender denn je, über die bestehenden Verhältnisse hinauszublicken und grundlegende Alternativen zur kapitalistischen Misere aufzuzeigen.

von Angelika Teweleit

Wenn Gewerkschaften Streiks organisieren, und als kämpfende Organisation gesehen werden, dann steigen auch die Mitgliederzahlen – so zeigt die Erfahrung (nicht zuletzt im Streikfrühling 2023). Genauso haben die Gewerkschaften über Jahrzehnte Mitglieder verloren, weil sie wenige Kämpfe geführt haben. Aktivenstrukturen in den Betrieben sind über Jahrzehnte zusammen geschmolzen. Die Führungen der Gewerkschaften haben eine Politik betrieben, die nicht in der Lage war, die neoliberalen Angriffe zurückzuschlagen. Sie haben nicht einmal versucht, ernsthaft zu kämpfen. Deshalb liegt die Ausdünnung der Gewerkschaften und ihre Schwächung vor allem in der Verantwortung ihrer Führungen.

Sozialpartnerschaft

Die Führungen der Gewerkschaften haben sich im Kapitalismus eingerichtet und sich dem Konzept der Sozialpartnerschaft verschrieben. Allerdings bedeutet das inzwischen nicht mehr, Reformen für die Arbeiter*innenklasse zu erreichen. Stattdessen wird gegenüber den Beschäftigten deutlich gemacht, dass die Zeiten schlecht sind und der Wohlstand gefährdet sei, wenn man keine Rücksicht auf die Lage der Unternehmen nehme und zu hohe Erwartungen hege. 

Offen vertreten die Führungen der Gewerkschaften – insbesondere in den exportorientierten Industriebereichen – die Politik einer Verteidigung des „Standorts Deutschland“ gegen internationale Konkurrenz. Das bedeutet die Akzeptanz von Lohnverzicht zur Rettung von Arbeitsplätzen, wenn Unternehmen mit Verlagerung in Länder drohen, wo billiger produziert werden kann. 

Immer wieder hat die Erfahrung aber gezeigt, dass diese Logik für die Arbeiter*innenklasse nicht aufgeht, und trotz Lohnverzichts Arbeitsplätze gestrichen werden. Stattdessen kommt es zu einer Abwärtsspirale von Löhnen und Arbeitsbedingungen. Das ist Folge der Akzeptanz der Konkurrenz der Arbeiter*innen in den jeweiligen Standorten – international und national. Stattdessen sollte standort- und länderübergreifende Gegenwehr organisiert werden. Angesichts der fehlenden organisierten Opposition in den Gewerkschaften hat sich diese Logik in vielen Köpfen von Beschäftigten jedoch festgesetzt. Doch in den kommenden Jahren werden viele Beschäftigte mit der Frage der Verteidigung ihrer Arbeitsplätze und Lebensgrundlagen mit aller Härte konfrontiert werden und dabei wird auch diese Logik in Frage gestellt werden, weil sie sich als unbrauchbar erweisen wird.

Öffentliche Daseinsvorsorge

Nicht nur in der Industrie, auch im öffentlichen Dienst gab es ein Credo des Maßhaltens, wenn auch die Gewerkschaften in diesen Bereichen (insbesondere ver.di) in einigen Fragen etwas kritischere Haltungen gegenüber Auswüchsen des Neoliberalismus eingenommen haben. Doch auch hier muss konstatiert werden, dass mit dem Einsetzen der Privatisierungswelle in den 1990er Jahren bis heute keine wirkliche Gegenwehr gegen Privatisierungen organisiert wurde. Ebenso haben Spitzenfunktionär*innen immer wieder auf die klammen öffentlichen Haushalte verwiesen, um moderate Lohnabschlüsse in den in öffentlicher Hand verbliebenen Bereichen zu begründen. In den letzten Jahren erleben wir so beispielsweise den schreienden Widerspruch, dass trotz Pandemie und offenkundigem Personalmangel in den Krankenhäusern keine Kehrtwende eingeläutet wird, um massiv in ein bedarfsgerechtes Gesundheitswesen frei von Profitorientierung zu investieren und die Berufe finanziell aufzuwerten. Die Aufgabe wäre, breite gewerkschaftliche Kampagnen für massive Investitionen in das Gesundheitswesen, die Bildung, Soziales und einen Umstieg auf öffentlichen Verkehr zu führen und ein Ende von Profitlogik in all diesen Bereichen.   

Streikrecht verteidigen und ausbauen

Vertreter*innen der Kapitalist*innenklasse in CDU und Arbeitgeber*innenverbänden fordern immer wieder eine Einschränkung des Streikrechts, insbesondere für die Beschäftigten der kritischen Infrastruktur. 

Das Streikrecht in der Bundesrepublik ist ohnehin kein umfassendes, sondern ein beschränktes Recht. Es basiert nicht auf klaren gesetzlichen Regeln, sondern auf dem Grundgesetzartikel 9, Absatz 3, von dem abgeleitet wird, dass das Streikrecht nur in Tarifauseinandersetzungen besteht. Durch Gerichtsentscheidungen ist so eine Rechtspraxis entstanden, die vorsieht, dass nur Gewerkschaften im Rahmen von Tarifverhandlungen zum Streik aufrufen dürfen. Viele Arbeitsrechtler*innen sehen darin jedoch einen Widerspruch zum Grundrecht auf Streik und zu internationalen Abkommen und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Deshalb sollten die Gewerkschaften zum Beispiel die Behauptung, politische Streiks seien verboten, zurückweisen und ein Recht auf politischen Streik (wie es bisher die Gewerkschaften ver.di, GEW und IG BAU auch tun) explizit einfordern.

Jeder Angriff darauf muss zurückgewiesen werden und gleichzeitig der Kampf für ein umfassendes Streikrecht, dass auch Streiks zum Beispiel gegen Betriebsschließungen und für politische Ziele explizit legalisiert, geführt werden (nebenbei bemerkt müsste dazu auch die Rücknahme des Tarifeinheitsgesetzes gehören, dem die EVG und andere Gewerkschaften leider zugestimmt haben). Dazu sollten alle Gewerkschaften eine Kampagne starten und auch die Partei DIE LINKE sollte dazu aktiv werden. Der Kampf ums Streikrecht muss aber auch beinhalten, sich dieses massenhaft zu nehmen.  Das Recht auf Streik, so begrenzt es ist, wurde von unseren Vorfahren in der Arbeiter*innenbewegung dadurch erkämpft, dass sie streikten. Anders wird es auch in Zukunft nicht möglich sein. Das bedarf jedoch einer klaren Strategie der Gewerkschaften und den Aufbau breiter Unterstützung für solche Aktionen in der gesamten Arbeiter*innenklasse.

Tarifpolitik

Die Tarifbindung ging in den letzten Jahren massiv zurück. Es muss eine der wichtigsten Prioritäten für die Gewerkschaften sein, diese Entwicklung durch die Erkämpfung von Tarifverträgen in immer mehr Unternehmen wieder umzukehren. Dabei kann jedoch auch der politische Kampf für eine schnellere Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen eine wichtige Rolle spielen.

Immer mehr stehen Beschäftigte in prekären Beschäftigungsverhältnissen mit dem Rücken zur Wand, was zu einer Zunahme von Auseinandersetzungen um die Anerkennung von Tarifverträgen führt. Gleichzeitig hat auch in den tarifgebundenen Bereichen die Attraktivität der Gewerkschaften über die letzten Jahrzehnte Schaden genommen. Jahrelanger Verzicht und Tarifrunden, die oft ritualisiert abliefen, haben dazu geführt, dass Interesse und Begeisterung für die Gewerkschaften erheblich gelitten haben. Nach einigen besonders enttäuschenden Tarifergebnissen kam es sogar zu Austrittswellen. Das aber bedeutet nicht, dass es immer so weiter geht.

Größte Interessenverbände der Arbeiter*innenklasse

Die DGB-Gewerkschaften haben in den letzten Jahrzehnten Mitglieder verloren. Mit der kapitalistischen Wiedervereinigung wuchs die Zahl auf knapp zwölf Millionen Mitglieder, allerdings sank sie dann aufgrund der explodierenden Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland relativ schnell wieder auf knapp acht Millionen 1999, und betrug 2021 nur noch 5,7 Millionen. Dennoch bleiben die Gewerkschaften die größten Interessenverbände der Arbeiter*innenklasse. In Zeiten, wie wir sie gerade erleben, kann es aufgrund der objektiven Verhältnisse zu einem Mitgliederzuwachs kommen, wie es bereits in einigen Ländern zu beobachten ist. Das ist besonders dann der Fall, wenn sie als kämpfende Organisationen wahrgenommen werden, wie die  Eintritte von Zehntausenden in ver.di während der Warnstreikwelle 2023 zeigten. Der Druck von unten kann zunehmen und dazu führen, dass es zu größeren Kämpfen und Streikbewegungen, auch in den großen Tarifauseinandersetzungen, kommt. In einigen Bereichen hat es auch beispielhafte Kämpfe auf lokaler Ebene gegeben. Besonders sichtbar wurde dies in Streiks für Entlastung und bessere Personalausstattung in Krankenhäusern. Auch in Betrieben ohne Tarifvertrag nahmen Auseinandersetzungen zu und sind so neue prekäre Schichten der Arbeiter*innenklasse in gewerkschaftliche Auseinandersetzungen getreten. 

Die sozialpartnerschaftliche Ausrichtung hat die letzten Jahrzehnte gewerkschaftlicher Politik wesentlich bestimmt. Das alles hatte Auswirkungen auf das Bewusstsein in großen Teilen der Arbeiter*innenklasse.  Vorstellungen, dass Zugeständnisse nötig seien oder dass maximal die Hälfte von Tarifforderungen durchsetzbar seien, haben sich im Bewusstsein vieler Beschäftigter verfestigt. Doch die Krise des Systems verschärft die Lage der Lohnabhängigen und die alten sozialpartnerschaftlichen Rezepte funktionieren nicht mehr. Lohnerhöhungen werden immer schneller von der Inflation aufgefressen. Früher oder später werden auch in Deutschland größere Angriffe auf die gesamte Arbeiter*innenklasse kommen. Die Diskussionen um Verschlechterungen bei Krankenkassenleistungen, weiterer Erhöhung des Renteneinstiegsalters oder um Einschränkungen des Streikrechts sind Hinweise darauf. Auf solche Angriffe muss mit entschlossener und breiter Mobilisierung und politischem Streik geantwortet werden. Das werden die jetzigen Gewerkschaftsführungen nicht organisieren, es sei denn der Druck von der Basis wird so groß, dass sie nicht anders können. 

Bürokratie

Die Politik der Sozialpartnerschaft wird durch große bürokratische Apparate durchgesetzt. Der hauptamtliche Apparat führt ein Eigenleben und hat Eigeninteressen, die wesentlich im Erhalt der materiellen Privilegien, der sozialen Stellung und der Karrierechancen, die der Apparat bietet, bestehen. 

Natürlich sind die Privilegien unterschiedlich ausgeprägt. Auch ist die Bürokratie kein homogener Block. Jedoch ist die Verschmelzung der Spitzen der Gewerkschaftsbürokratie, die Integration von Spitzenfunktionär*innen, aber auch Betriebsratsfürst*innen in das kapitalistische System heute sicher weiter fortgeschritten denn je. 

Andererseits gibt es Gewerkschaftsapparate nur, wenn es entsprechend zahlende Mitglieder gibt. Daher ist auch eine bürokratische Führung der Gewerkschaften gezwungen, die Erwartungen der Mitglieder zu berücksichtigen und kann nicht gänzlich darauf verzichten zu mobilisieren. Je größer die Erwartungshaltung und der Druck von unten, umso mehr ist die Gewerkschaftsführung gezwungen, Kampfmaßnahmen wie Streiks dennoch zu organisieren. Die Gewerkschaftsbürokratie steht also von Seiten der Regierung und des Kapitals unter Druck, Kompromisse einzugehen, aber auch von ihrer Basis, Kämpfe zu organisieren. Allerdings werden solche Kämpfe in der Regel dann doch nicht konsequent zu Ende geführt und stattdessen Aktionen zum Dampfablassen durchgeführt. Häufig wird ein zu geringer Organisationsgrad oder fehlende Kampfbereitschaft der Basis als Grund angeführt, warum konsequente Streiks nicht möglich seien. 

Natürlich gibt es nicht das einfache Schema der streikwilligen Basis und der bremserischen Führung. Doch auch die Vorbereitung und Durchführung von Streiks hängt von der Entschlossenheit der Führung ab. 

In der jetzigen Epoche des krisenhaften Kapitalismus und der Zunahme kriegerischer Auseinandersetzungen bis hin zu direkten Konfrontationen unter imperialistischen Mächten stehen wir vor großen Herausforderungen. Heute wie damals muss deshalb, neben der bedeutenden Aufgabe des Wiederaufbaus von Gewerkschaften, auch der Kampf um eine Ausrichtung jenseits von Sozialpartnerschaft und Klassenkollaboration dringend und systematisch geführt werden. 

Organizing

Aufgrund der Schwächung von gewerkschaftlichen Strukturen und Mitgliederschwund haben seit einigen Jahren die Gewerkschaftsführungen selbst Organizing-Projekte angestoßen. Auch in linken Zusammenhängen wird das Organizing als Schlüssel zum Wiederaufbau der Gewerkschaften diskutiert. Viele Projekte beschäftigen sich damit. Teilweise wird der Eindruck vermittelt, als könne man mit einfachen Handgriffen – losgelöst vom Inhalt und nur aufgrund von bestimmten Organisationsmethoden – zu gewerkschaftlichen Erfolgen kommen. Das ist ein Trugschluss. Es ist wichtig, dass Projekte und Methoden des Organizing nicht losgelöst von einer konsequenten und kämpferischen Ausrichtung und der Politik der Gewerkschaften gesehen werden. Erstens zeigen alle Erfahrungen, sowohl international als auch in Deutschland, dass die Mitgliederzahlen dann in die Höhe gehen, wenn die Gewerkschaften kämpferisch auftreten und wenn konkret Streiks geführt werden. Und natürlich steht und fällt jeder Erfolg bei der Mitgliedergewinnung auch mit dem eigentlichen Erfolg im Arbeitskampf. Sind die neu gewonnenen Mitglieder enttäuscht vom Ergebnis, wenden sie sich oftmals wieder von der Gewerkschaft ab. Deshalb geht – neben dem wichtigen (Wieder-)aufbau von gewerkschaftlichen Strukturen in Betrieben kein Weg daran vorbei, auch innerhalb der Gewerkschaften einen Kampf um die politische Ausrichtung zu führen. Auch die Organizing-Methoden an sich müssen kritisch analysiert werden. 

Gerade die viel diskutierten Vorschläge der US-amerikanischen Organizerin Jane McAlevy beinhalten viele hilfreiche und gute Methoden, aber auch die Gefahr der Verabsolutierung mancher Methoden, die nicht auf jede Situation anwendbar sind, wie die Betonung auf die Notwendigkeit einer mehrheitlichen gewerkschaftlichen Organisierung in einem Betrieb, um streiken zu können, die Bedeutung so genannter „Strukturtests“ oder das Konzept der „organischen Führungsperson“, das außer Acht lässt, wie schnell sich Aktivist*innen in Kämpfen Respekt und Autorität in einer Belegschaft aufbauen können. Vor allem aber lässt McAleveys Organizing-Konzeption den nötigen politischen Kampf gegen die in das kapitalistische System integrierte Gewerkschaftsbürokratie außen vor und wirft nicht systematisch die Notwendigkeit des Aufbaus klassenkämpferischer Oppositionsströmungen in den Gewerkschaften auf. 

Politisierung

Gewerkschaften sind ein wesentliches Instrument zur Organisierung von Arbeiter*innen. Sie sollten auch politische Themen aufgreifen und sich positionieren. So gehört zum Beispiel zum Kampf gegen das marode Gesundheitswesen ein Programm zur Rekommunalisierung von Krankenhäusern, der Abschaffung des Fallpauschalensystems, und für ein flächendeckendes, kostenloses, öffentliches Gesundheitswesen für alle, demokratisch kontrolliert und verwaltet durch die arbeitende Bevölkerung. Der Kampf gegen Einschränkungen politischer Rechte einschließlich des Streikrechts ist ebenso ein politischer Kampf: Ein harter Abwehrkampf bei Angriffen darauf kann nur mit einer breiten öffentlichkeitswirksamen Kampagne sowie der Anwendung des politischen Streiks gewonnen werden. Die Gewerkschaften müssten sich konsequent gegen Kriegspolitik und Aufrüstung positionieren. Denn eine Unterstützung kriegerischer Ziele des eigenen Kapitalismus bedeutet, die Interessen der Arbeiter*innenklasse im eigenen Land sowie international zu verraten. All das macht es nötig, in den Gewerkschaften auch für antikapitalistische und sozialistische Positionen einzutreten.

Für all das sollten sich Sozialist*innen in den Gewerkschaften einsetzen. Dennoch kann der politische Kampf der Arbeiter*innenklasse gegen die Interessen des Kapitals nicht erfolgreich sein ohne eine Massenpartei mit sozialistischem Programm – einer Partei, die bereit ist, sich gegen die Interessen von Banken und Konzernen aufzulehnen und stattdessen eine Politik für die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung durchzusetzen. Eine solche Partei muss sich aus den fortgeschrittenen Teilen der Arbeiter*innenklasse und Jugend zusammensetzen – also auch zu einem großen Teil aus gewerkschaftlich Aktiven. Mit zunehmenden Klassenkämpfen werden Diskussionen und neue Ansätze dafür entstehen. Die Auseinandersetzung mit den Debatten über Syndikalismus und seine verschiedenen Ausformungen, wie sie in einigen Texten in dieser Sammlung zu finden sind, sind auch für heutige Debatten wichtig. 

Kämpferische Strömung in den Gewerkschaften aufbauen

Um einen kämpferischen Kurs durchzusetzen, ist es nötig, Kolleg*innen und Aktive bewusst zu sammeln, zu vernetzen und zu organisieren. Die Sol setzt sich für den Aufbau einer organisierten innergewerkschaftlichen Opposition ein. Eine solche Organisierung sollte auf klaren programmatischen Grundlagen erfolgen, die sich zunächst auf die Elemente einer kämpferischen Gewerkschaftspolitik fokussieren: Nein zum Co-Management, Nein zur Standortsicherungs-Logik, für konsequenten Kampf um die Verteidigung der Interessen der Kolleg*innen; demokratische Gewerkschaften, in denen die Mitglieder zu jedem Zeitpunkt die Kontrolle haben, auch und gerade über Arbeitskämpfe und Verhandlungen. Daraus leiten sich verschiedene Forderungen ab. Ein wichtiger Zweck einer Opposition in den Gewerkschaften ist, für die aktuellen Tarifauseinandersetzungen, Abwehrkämpfe und soziale Proteste Strategievorschläge zu erarbeiten, und diese überall da, wo es möglich ist, einzubringen. Damit einhergehend sollte auch ein Kampf um Mehrheiten in den leitenden Gremien der Gewerkschaften geführt werden. In Großbritannien ist es beispielsweise gelungen, auf Grundlage von innergewerkschaftlichen Zusammenschlüssen („Broad Lefts“ – breite Linke) in einzelnen Gewerkschaften linke Mehrheiten auch in nationalen Vorständen zu erlangen. 

Solche Zusammenschlüsse können auch ein Forum für Debatten über antikapitalistische und sozialistische Positionen sein und diese in die Gewerkschaften einbringen. 

Innergewerkschaftliche Demokratie

Zur Frage der innergewerkschaftlichen Demokratie ist ein Programm unabdingbar, um das Ziel von kämpferischen Interessenverbänden der Arbeiter*innen zu erreichen. Dies muss sich einerseits gegen materielle Privilegien und eine abgehobene privilegierte Bürokratie innerhalb der Gewerkschaften (wie auch der Arbeiter*innenbewegung insgesamt) richten.  Dieses beinhaltet unter anderem die jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit aller Funktionär*innen und ihre Rechenschaftspflicht (einschließlich der hauptamtlichen Funktionär*innen) wie auch die Begrenzung von Hauptamtlichen-Gehältern auf einen durchschnittlichen Facharbeiter*innen- bzw. Tariflohn. Zudem sollten die Ressourcen der Gewerkschaften schwerpunktmäßig für den Aufbau von Strukturen sowie Arbeitskämpfe eingesetzt werden und nicht für teure Tagungen mit unnötigen Ausgaben.

Streikdemokratie

Weitere Fragen der innergewerkschaftlichen Demokratie ergeben sich insbesondere hinsichtlich der Organisierung und Leitung von Arbeitskämpfen und Streiks. Es sollten die Kolleg*innen selbst sein, die das Heft in der Hand halten. Dafür müssen sie zu jedem Zeitpunkt ermächtigt werden, über die nächsten Schritte kollektiv zu diskutieren und entscheiden zu können. Das sollte regelmäßige Streikversammlungen beinhalten, bei denen genau über den aktuellen Verhandlungsstand berichtet wird. Die Kolleg*innen müssen in die Lage versetzt werden, sich über die Details eines Angebots wie auch die Kräfteverhältnisse im Arbeitskampf klar zu werden und ausgehend davon Entscheidungen zu treffen, wie der Kampf weitergeführt werden kann oder ob ein Angebot angenommen werden sollte. In den Betrieben und auf örtlicher Ebene sollten Arbeitskampfleitungen demokratisch durch die Streikenden gewählt werden, die ebenso der Rechenschaftspflicht und Abwählbarkeit unterliegen. Zudem sollten auf allen Ebenen Streikdelegiertenkonferenzen durchgeführt werden, um einen Streik auf  lokaler, Landes- oder Bundesebene zu leiten. Diese Streikdelegiertenkonferenzen sollten nicht nur beraten, sondern auch entscheiden können. 

Kämpferische Vernetzung

Die Sol ergreift gemeinsam mit anderen Initiativen für Vernetzungen, um kämpferische Kolleg*innen zusammen zu bringen, Kampfvorschläge einzubringen, was auch als möglicher Hebel für den Aufbau von innergewerkschaftlicher Opposition dienen kann. Wir haben mit anderen gemeinsam die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) und das Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di gegründet, was erste Ansätze für die Entwicklung handlungsfähiger, oppositioneller Strömungen sind.

Mit der aufkommenden Krise werden sich große Kämpfe der Arbeiter*innenklasse entwickeln. Allerdings ist dies kein geradliniger Prozess und es wird gleichzeitig auch Rückschläge und Niederlagen geben, wie auch Phasen von erneuter Passivität, die dann aber wieder von neuen Anläufen gefolgt werden. 

Rolle von Marxist*innen

Die Aufgabe von Marxist*innen liegt darin, eine aktive Rolle in sich entwickelnden Kämpfen zu spielen, die Organisationen der Arbeiter*innenklasse inklusive Gewerkschaften zu stärken und aufzubauen, gleichzeitig sowohl ein Aktionsprogramm als auch ein politisches Programm anzubieten und Ansätze für eine klassenkämpferische Vernetzung und Organisierung voranzutreiben. Mit Aktionsprogrammen und Vorschlägen für eine Kampfstrategie kann aufgezeigt werden, wie Kämpfe gegen Verschlechterungen oder für Verbesserungen zum Erfolg geführt werden können. 

In allen konkreten Kämpfen ist es wichtig, die Notwendigkeit der Abschaffung des Kapitalismus und einer sozialistischen Perspektive im Blick zu behalten. Denn im Rahmen des Kapitalismus ist jeder Erfolg, jede Reform nicht von Dauer. Wir sind in ein Zeitalter eingetreten, in dem die Überwindung des Kapitalismus zur Schicksalsfrage für die gesamte Menschheit geworden ist. Eine grundlegende Veränderung der Wirtschaft und Gesellschaft, weg von der Ausrichtung auf Profite und der Herrschaft von Konzernen, Banken und einer kleinen Minderheit von Milliardär*innen hin zu einer demokratisch geplanten Wirtschaft im Interesse der Masse der arbeitenden Bevölkerung, auf Grundlage einer auf Räten basierenden Demokratie, in der sich alle mit ihrer Meinung, ihren Fähigkeiten einbringen können, ist nötig und möglich. 

Das Buch umfasst 357 Seiten und ist für 14,90 Euro im deutschsprachigen Buchhandel und unter https://manifest-buecher.de/produkt/marxismus-und-gewerkschaften/ erhältlich.

Print Friendly, PDF & Email