Prigoschins Tod verschärft Spannungen in Russland

Nur die Arbeiter*innenklasse kann einen Ausweg aufzeigen

Der Tod des russischen Warlords Jewgeni Prigoschin und anderer Führer der Wagner-Gruppe bei einem Flugzeugabsturz hat die Spannungen innerhalb des Regimes von Wladimir Putin und des russischen Staates verschärft.

von Niall Mulholland, Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale

Bislang ist die Ursache des Flugzeugabsturzes unklar. Der US-Geheimdienst hat erklärt, dass der Absturz nicht durch Flakbeschuss vom Boden verursacht wurde, wie es zuerst im Westen hieß, und behauptet, dass möglicherweise eine Bombe an Bord des Flugzeugs die Ursache war.

Der russische Präsident Wladimir Putin hat jegliche Verantwortung für den Tod von Prigoschin und den anderen Insassen des Flugzeugs zurückgewiesen.

Während Prigoschin der wichtigste Geldbeschaffer und das öffentliche Gesicht der Wagner-Gruppe war, war ihr wichtigster militärischer Organisator der Wagner-Gründer Dmitry Utkin, ein Neonazi-Sympathisant, der SS-Tätowierungen auf den Schultern trug. Auch er kam bei dem Flugzeugabsturz ums Leben.

Putin gilt vielen als Hauptverdächtiger, der den rivalisierenden Fraktionen innerhalb der herrschenden kapitalistischen Elite eine “Botschaft” sendet, dass er die Kontrolle hat, nachdem er sich an Prigoschin für seinen bewaffneten Aufstand in diesem Sommer gerächt hat. Trotzdem könnte der Flugzeugabsturz auf die Aktionen anderer Teile des Staates zurückzuführen sein, ohne dass Putin davon wusste.

Krise im Kreml?

An Feinden mangelte es Prigoschin gewiss nicht. Vor allem das russische Oberkommando war verärgert über Prigoschins zahlreiche verbale Tiraden gegen ihr Fehlverhalten im Ukraine-Krieg, der mit einem gescheiterten Angriffsversuch auf Kiew begann. Und der durch die Wagner-Truppen herbei geführte Tod Dutzender russischer Soldaten beim Aufstand im Sommer dieses Jahres war in manchen Militärkreisen ein unverzeihliches Ereignis, das nach Rache verlangte.

Einige Kommentatoren in Russland und anderswo haben spekuliert, dass “Dritte” für den Tod Prigoschins verantwortlich sein könnten, darunter sogar westliche Staaten.

Unabhängig von der Wahrheit hat der Tod von Prigoschin und von Schlüsselfiguren seiner Wagner-Gruppe das Gefühl einer internen Krise innerhalb der Putin-Regierung und des Militärs verstärkt. Kurzfristig könnte Putins Position jedoch durch Prigoschins Tod gestärkt worden sein. So gesehen hat Putin den verschiedenen Fraktionen im Staat und im Militär die klare Botschaft übermittelt, dass er bereit ist, mit tödlicher Entschlossenheit zu handeln, um seine Herrschaft und die Führung des Krieges in der Ukraine durchzusetzen, und dass er keinen “Verrat” dulden wird.

Noch am Tag des Flugzeugabsturzes wurde bekannt, dass General Sergej Surowikin seinen Posten als Chef der Luftwaffe verloren hat. General Surowikin, der bekanntlich gute Beziehungen zu Prigoschin unterhielt, war mehrere Monate lang für die russische Invasion in der Ukraine zuständig, wurde aber seit der Wagner-Meuterei im Juni nicht mehr gesehen.

Prigoschins Karriere

Prigoschin war eine Schlüsselfigur im Ukraine-Krieg, nachdem seine paramilitärische Wagner-Truppe eine führende Rolle in einigen der Kämpfe gespielt hatte, darunter ein monatelanger Kampf um die Stadt Bachmut. Nach einem kriminellen Leben in seiner Jugend in Sankt Petersburg, wo er in den 1990er Jahren wegen Raubüberfällen im Gefängnis saß, baute er ein Lebensmittelunternehmen auf und pflegte Beziehungen zum Bürgermeister der Stadt und späteren russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Wie Putin war auch Prigoschin ein Produkt der Auflösung der ehemaligen Sowjetunion und der Einführung einer Form des Gangsterkapitalismus. Prigoschin wurde nicht nur durch sein Catering-Geschäft sehr reich, sondern auch durch die Bereitstellung von Militärkräften für die Putin-Regierung – eine Verbindung, die der Kreml bis zum Ausbruch des Krieges in der Ukraine offiziell bestritt.

Prigoschins Wagner-Gruppe hat sich auch in den Konflikten in Libyen, Syrien und anderen Teilen des Nahen Ostens und Afrikas eingemischt und als inoffizielle Kraft für den Kreml agiert.

Oftmals rechtfertigte Prigoschin die Operationen der Wagner-Gruppe mit populistischer, “antikolonialistischer” Rhetorik. Während die Brutalität der Wagner-Gruppe von westlichen Politikern und einem Großteil der Massenmedien häufig benannt wird, wird das enorme Wachstum der “militärischen Dienstleister” im Westen eher verschwiegen. Diese “privatisierten Streitkräfte” wurden von den westlichen Besatzern im Irak und in Afghanistan eingesetzt und sind seitdem in anderen Konfliktgebieten auf der ganzen Welt zu finden.

Rebellion und Folgen

Prigoschin und Putin hatten sich vor zwei Monaten spektakulär zerstritten, als Wagner eine Revolte gegen die russischen Militärgeneräle und de facto gegen die Putin-Regierung inszenierte.Pläne, die Wagner-Gruppe mit den regulären russischen Streitkräften zu verschmelzen, schienen der Auslöser für die Rebellion zu sein.

Prigoschin hatte mit seiner Privatarmee, die sich aus ehemaligen regulären russischen Soldaten, Söldnern und freigelassenen Gefangenen zusammensetzt, im Ukraine-Konflikt eine nützliche Rolle für Putin gespielt. Prigoschins zunehmend kriegerische verbale Attacken gegen die Inkompetenz und Korruption der russischen Armeeführung führten jedoch dazu, dass Wagner in eine direktere Kontrolle durch die Armee gebracht wurde. Prigoschins kurzlebige Revolte war eine Demütigung für Putin und machte einige der Schwächen des Staates und des Militärs deutlich. Die Wagner-Truppen konnten weitgehend ungehindert über ein großes Gebiet marschieren.

Nach der Intervention des belarusischen Präsidenten Lukaschenko wurde zwischen Prigoschin und Putin eine Vereinbarung getroffen, wonach die Wagner-Gruppe ihre Angriffe einstellen und sich weitgehend nach Georgien zurückziehen sollte. Prigoschin reiste jedoch weiterhin in seinem Privatjet durch Russland und besuchte auch Afrika, um die Interessen der Wagner-Gruppe zu fördern. Prigoschins Verbindungen zu mehreren Diktaturen in Afrika und der Zugang zu wertvollen Mineralien bereicherten ihn und seine Gefolgsleute weiter. Sie erwiesen sich auch als sehr lukrativer Kanal für den russischen Staat und die russische Wirtschaft und halfen, die Auswirkungen der Wirtschaftssanktionen des Westens zu überwinden, die nach dem Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine verhängt worden waren.

Das schamlose Vorgehen Prigoschins könnte sich jedoch für Putin oder Teile des russischen Staates und Militärs als zu provokant erwiesen haben.Der belarusische Präsident Lukaschenko erklärte, er habe sowohl Prigoschin als auch Utkin “kategorisch gewarnt”, dass sie in Gefahr seien.Unabhängig davon, ob Putin hinter der Ermordung von Prigoschin steckt oder nicht, fügt der Flugzeugabsturz den Problemen des Kremls eine neue Wendung hinzu. Der Ukraine-Konflikt ist in der Donbass-Region festgefahren, wo die ukrainischen Streitkräfte mit Unterstützung der Nato bislang erfolglos versuchen, die russischen Verteidigungsanlagen zu durchbrechen.Die Zahl der Todesopfer auf beiden Seiten geht Berichten zufolge in die Zehntausende.

Ihrer Galionsfigur und einige ihrer wichtigsten Mitarbeiter beraubt, könnte der Kreml versuchen, die Wagner-Truppen fest in die russische Armee zu integrieren. Außerdem könnte die Gruppe bei ihren Einsätzen in Teilen Afrikas unter direkteres russisches Militärkommando kommen.

Putin unterzeichnete am vergangenen Wochenende einen Erlass, in dem er alle Mitglieder von Streitkräften wie Wagner aufforderte, Russland die Treue zu schwören, was ein formeller Eid ist, den reguläre Soldaten ablegen.

Ob die Angehörigen der Wagner-Truppen versuchen werden, sich solchen Maßnahmen zu widersetzen, bleibt abzuwarten, ebenso wie die Folgen in den afrikanischen Staaten, in denen sie operieren.

Bewegung und Partei der Arbeiter*innenklasse nötig

Die Arbeiter*innenklasse Russlands hat nichts von dem internen Konflikt innerhalb des russischen Staates und des Militärs zu gewinnen.Während Prigoschin und Putin und alle Oligarchen sich bereichert haben, haben die Massen das tiefe Trauma des so genannten Schocktherapie-Kapitalismus durchgemacht. Dies führte in den 1990er Jahren zu einem dramatischen Einbruch des Lebensstandards und zu einer Reihe von Konflikten und dem langwierigen Krieg in der Ukraine, der von ihnen verlangt, ihre Söhne zu opfern.

Eine Bewegung der Arbeiter*innenklasse ist in Russland dringend notwendig, um sich dem blutigen militärischen Abenteuer und auch der Herrschaft der Oligarchen zu widersetzen. Die russische Arbeiter*innenklasse hat viel mehr mit den Massen in der Ukraine gemeinsam, als sie jemals mit Putin und Verbrechern wie Prigoschin haben wird. Ebenso haben die Arbeiter*innenklasse und die Jugend der Ukraine viel mehr mit ihren russischen Kollegen gemeinsam als mit der rechtsgerichteten Politik von Ministerpräsident Selenskyj und den Interessen der Nato und des westlichen Imperialismus. Das ukrainische Volk und die russischen Massen sind den reaktionären Eliten beider Länder nichts wert.

Nur eine Rückkehr zu den Ideen Lenins und Trotzkis und der Bolschewiki – nicht deren stalinistischer Karikatur – kann einen Ausweg aus Armut und Krieg weisen. Der Aufbau unabhängiger politischer Parteien der Arbeiter*innenklasse mit einem sozialistischen Programm kann den Weg weisen, um Kriege und Ausbeutung in der Region zu beenden, indem mit dem Kapitalismus gebrochen und eine echte Arbeiter*innendemokratie geschaffen wird.