Vor 50 Jahren: Streik bei den Kölner Ford-Werken

Migrantische Kolleg*innen wehrten sich – BILD schreibt vom „Türken-Terror“

In den Jahren von 1969 bis 1973 gab es in Westdeutschland eine Welle spontaner Streiks. Die bürgerliche Presse nannte sie wilde Streiks. Solche Streiks bezeichnen Arbeitsniederlegungen ohne Aufruf durch die Gewerkschaften.

Von Lucie Dussle, Stuttgart

Die Gewerkschaftsführungen passten sich seit Mitte der 50er Jahre immer mehr an die kapitalistischen Verhältnisse an. Siewurden von Interessenvertretungen der Arbeiter*innenklasse, der Gegenmacht zu Kapitalinteressen, zum Ordnungsfaktor für die kapitalistische Gesamtwirtschaft und die Regierung. Zwei Spitzenfunktionäre wechselten offen die Seite und wurden Bundesminister der von 1966 bis 1969 regierenden Großen Koalition von CDU/CSU und SPD. Auf betrieblicher und staatlicher Ebene gab es Co-Management durch Gewerkschaftsfunktionär*innen und Betriebsräte. Die Folge waren äußerst moderate Tarifabschlüsse, Tatenlosigkeit gegenüber den körperlich immer härter werdenden Bedingungen an den Fließbändern und Ignoranz gegenüber den Sorgen und Nöten der Arbeiter*innen, vor allem der schlechter gestellten migrantischen Arbeiter*innen. Obwohl die Beschäftigungszahl in den 50er und 60er Jahren explodierte, gab es Ende der 60er Jahre nur 1,5 Millionen mehr Gewerkschaftsmitglieder als 1951. Der Organisationsgrad war von 39 Prozent im Jahr 1951 auf 29 Prozent im Jahr 1968 gesunken.

Anwerbeabkommen

Gegen Ende der 50er Jahre war die Arbeitslosenzahl annähernd auf Null gesunken. Deshalb wurden im Ausland Arbeitskräfte angeworben. Migrantische Arbeiter*innen sollten als Reservearbeiter*innen das Lohnniveau niedrig halten. Der qualitative Unterschied in der Ausbeutung migrantischer Arbeiter*innen liegt darin, dass sie erst ins Land geholt werden, wenn sie arbeitsfähig sind. So entstehen dem Staat bis dahin keine Kosten für Bildung und Gesundheitsfürsorge. Heute werden ausgebildete Kräfte angeworben, so werden auch noch die Kosten für eine Berufsausbildung gespart.

Spontane Streiks waren vor allem migrantisch und weiblich

In den spontanen Streiks brach sich der Unmut der schlechter gestellten Arbeiter*innen Bahn. Sie spielten eine führende Rolle in den Streiks.Die Hauptforderungen der Streikenden waren Teuerungszulagen und Lohnerhöhungen. Verbesserungen der Arbeitsbedingungen spielten 1973 eine größere Rolle als 1969. So wurde unter anderem eine Verlangsamung der Bandgeschwindigkeit, mehr Urlaub und Abschaffung der „Leichtlohngruppen“ gefordert. Mit den sogenannten, bis zu dreißig Prozent schlechter bezahlten, „Leichtlohngruppen“ wurde in den Betrieben eine offene Diskriminierung von Frauen und migrantischen Arbeiter*innen betrieben und die Belegschaft dadurch gespalten. Seit den 50er Jahren gab es immer wieder Streiks der so genannten „Gastarbeiter*innen“ gegen die Ungleichbehandlung. Die Forderung der Betroffenen nach Abschaffung dieser Lohndiskriminierung führte zunächst nicht zum gewerkschaftlichen Kampf um dies durchzusetzen. Dies geschah erst durch die spontanen Streiks.

Spontane Streiks

Als der Nachkriegsaufschwung mit der Rezession 1966/67 einbrach, sanken die Nettolöhne.1968/69 folgte ein größerer Konjunkturaufschwung. Die Unternehmensgewinne explodierten während die Löhne verzögert und nur langsam stiegen. Die Tarifverträge waren auf 18 Monate abgeschlossen und die Gewerkschaftsführungenwollte sich an die Friedenspflicht halten. Den Arbeiter*innen blieb somit nur die Möglichkeit selbst ihre Interessen mit Arbeitsniederlegungen durchzusetzen. Innerhalb von 18 Tagen legten 140.000 Arbeiter*innen, ohneStreikaufruf durch die Gewerkschaften, in 79 Betrieben die Arbeit nieder. Die Arbeitgeber*innen trauten sich zu dieser Zeit noch nicht mit Polizeigewalt gegen die Arbeiter*innen vorzugehen.

1973 wehrten sich die Streikenden gegen Reallohnverlust durch eine hohe Inflation und zu niedrige Tarifabschlüsse. Kurz nach dem Tarifabschluss wurde schon eine zusätzliche Anhebung der Löhne und ein Teuerungszuschlag gefordert. Ein weiterer wichtiger Grund für die Streiks war das steigende Arbeitstempo der letzten Jahre.

Die Streiks verliefen in mehreren Wellen von Februar bis November 1973. In 335 Betrieben streikten 275.240 Beschäftigte. Erkämpft wurden meist Stundenlohnerhöhungen um bis zu achtzig Pfennig oder Teuerungszulagen von bis zu 500 Mark, höheres Weihnachtsgeld, höhere Zuschläge für Samstags- und Schichtarbeit und bessere Eingruppierungen. Manchmal wurde nur einige Stunden gestreikt, der längste Streik dauerte etwa zehn Tage bei den Mannesmann-Hüttenwerken in Duisburg-Huckingen im Februar/ März 1973. Um nur ein paar Streiks zu nennen: John Deere in Mannheim, Vulkan-Werft in Bremen, Rheinstahl in Brackwerde, Opel-Werke in Bochum, Gutehoffnungshütte in Oberhausen, Hella in Lippstadt und viele andere.

Die Streiks waren meist erfolgreich, wenn eine breite Basis im Werk vorhanden war und Solidaritätsbekundungen aus anderen Werken kamen. Ebenso halfen Aktionen außerhalb der Fabriken die Unterstützung der Bevölkerung zu gewinnen.

So beim Streik bei Kolbenschmidt Pierburg in Neuss. Nach sechs Streiktagen hatten die Arbeiter*innen hier nicht nur eine Lohnerhöhung und die Abschaffung der Niedriglohngruppen, sondern auch die Bezahlung der Streiktage und keine Entlassungen durchgesetzt. Während der Streiktage wurden in Neuss Flugblätter verteilt, die den Streikgrund erklärten und für Solidarität warben. Nach dem brutalen Vorgehen der Polizei gegen migrantische Arbeiter*innen unterstützten, nach anfänglichem Zögern, auch die deutschen Kolleg*innen den Streik. Auch der Betriebsrat stand den Forderungen der Streikenden positiv gegenüber. So erhielten sie die Solidarität der Bevölkerung und die von Belegschaften anderer Fabriken. Deutsche und migrantische Arbeiter*innen ließen sich nicht spalten.

Streik bei Ford in Köln-Niehl

Der bekannteste und bedeutendste spontane Streik 1973 war der Streik bei Ford in Köln. Der Ford-Streik war der erste größere Arbeitskampf, der vor allem von migrantischen Arbeiter*innen geführt wurde. Das Ford-Werk wurde mehrere Tage besetzt. Die Streikenden wählten eine eigene Streikleitung. Der Betriebsrat und die IGM (Industriegewerkschaft Metall) lehnten den Streik ab. Durch Spaltung der Belegschaft schwächten sie den Streik. Allen voran trugen die Medien, vor allem die Bild-Zeitung, zu der Spaltung bei. Sie hetzten mit diffamierenden und rassistischen Berichten gegen die Arbeiter*innen. So konnte der Streik nach mehreren Tagen durch Schlägertruppen niedergeknüppelt werden.

1973 gab es im Werk Köln-Niehl 34.000 Beschäftigte, davon waren 12.000 türkische Arbeiter*innen. Sie arbeiteten zu etwa neunzig Prozent in der Endmontage am Band. Dort gab es die niedrigsten Lohngruppen. Während der gewerkschaftliche Organisationsgrad der türkischen Arbeiter*innen bei neunzig Prozent lag, war er bei den deutschen nur bei fünfzig Prozent.

Im Betriebsrat, mit insgesamt 53 Mitgliedern, gab es fünf nicht-deutsche Arbeiter*innen. Zwei davon waren türkische Arbeiter*innen. Beide hatten keine Freistellung. Obwohl ein türkischer Betriebsratsvertreter, auf einer eigenen Liste, 32,8 Prozent der Stimmen bei der Betriebsratswahl bekommen hatte wurde ihm die Freistellung verweigert. Mit den 32,8 Prozent der Stimmen wären ihm noch weitere zehn Sitze in dem Gremium zugestanden.

Ablauf des Streiks

Der Streik begann am Freitag, den 24.08.1973. Der Anlass war die fristlose Kündigung von 500 türkischen Kollege*innen. Sie waren verspätet aus dem vierwöchigen Jahresurlaub zurückgekommen. Für Ford war das ein willkommener Anlass um Kündigungen auszusprechen, da die Auftragslage sich verschlechtert hatte. In den 70er Jahren dauerte für die meisten die Hin- und Rückfahrt in ihr Heimatland etwa zehn Tage. In der Vergangenheit war deshalb immer wieder die Forderung nach sechs Wochen Urlaub gestellt worden, damit mehr Zeit für die Familie blieb, die sie nur einmal im Jahr besuchen konnten.

Die Ankündigung, die Stellen nicht wieder zu besetzen und die Arbeit auf dieübrigen Beschäftigten zu verteilen, ohne die Produktion zu drosseln, führte dann zur Arbeitsniederlegung. Die Mehrbelastung betraf auch die deutschen Kolleg*innen und am Anfang waren sie am Streik beteiligt. So versammelte sich die gesamte Spätschicht, etwa 8000 Beschäftigte, vor dem Betriebsratsbüro.

Die Forderungen lauteten:

1. Eine Mark mehr pro Stunde für alle

2. Sechs Wochen bezahlter Urlaub

3. Rücknahme der Entlassungen

4. Verringerung des Arbeitstempos

5. Keine Disziplinierungsmaßnahmen gegen Streikende

6. Volle Bezahlung der Streiktage

7. 600 DM Existenzlohn für Lehrlinge

Die Nachtschicht schloss sich zum großen Teil dem Streik an.

Am Montag, den 27.08. waren auch noch die meisten deutschen Kolleg*innen streikbereit.Die Streikenden versammelten sich vor dem Betriebsratsgebäude. Dort wurden die Forderungen nochmals gestellt und eine Streikleitung gewählt. Sie setzte sich aus neun türkischen, zwei italienischen, einem jugoslawischen und zwei deutschen Kolleg*innen zusammen.

Der Betriebsrat führte Verhandlungen mit der Streikleitung um die Handlungshoheit wieder zurück zu bekommen und dann den Streik beenden zu können. Nachdem die Verhandlungen scheiterten, versuchte die Werksleitung die Arbeiter*innen nach Hause zu schicken. Sie ließ auch über Rundfunk und Fernsehen verbreiten, dass bei Ford nicht gearbeitet wird, um zu verhindern, dass weitere Arbeiter*innen auf das Werksgelände kamen. Auch verbreitete sie, dass sie nicht mehr für die Sicherheit der Mitarbeiter*innen garantieren könne. Die Situation sei durch das „verantwortungslose Verhalten einer Gruppe Radikaler“ entstanden. Weiterhin betonte sie, die Arbeitsniederlegung sei ein wilder Streik und das wäre illegal. Durch ein Informationsblatt versuchte sie die Streikenden einzuschüchtern. In diesem stand unter anderem: „Jeder, der sich aktiv an dem wilden Streik beteiligt, kann fristlos entlassen werden, hat keinen Lohnanspruch und kann wegen des dem Betrieb entstehenden Schadens haftbar gemacht werden.“

In dieser Nacht blieben hunderte Arbeiter*innen, hauptsächlich türkische Arbeiter*innen, im Werk. Das Werk wurde de facto besetzt.

Am Dienstag, den 28.08., setzte eine Medien-Hetzkampagne gegen die Streikenden ein. Der Betriebsrat spaltete die Belegschaft weiter mit der Behauptung, die Regie des Streiks würden Radikale führen, die keine Betriebsangehörigen wären. Er stellte sich nicht hinter die Forderungen der Streikenden. Bei einer Kundgebung ließ er die Streikleitung nicht zu Wort kommen. Daraufhin stellte die Streikleitung die Frage, ob die Kolleg*innen sie als ihre Vertretung anerkennen. Die überwältigende Mehrheit antwortete mit „Ja“.

An diesem Tag startete die Geschäftsleitung, mit Hilfe der Polizei, einen Angriff auf die Streikenden. Diese ließ niemanden auf das Werksgelände oder hinaus. So sollte die Spätschicht am Betreten des Werks gehindert werden. Auf die Forderung der Streikleitung, das Tor zu räumen, ging die Polizei nicht ein. Daraufhin hängten die Arbeiter*innen das Tor aus. Die Polizei provozierte die ankommenden Arbeiter*innen mit Beschimpfungen und Rempeleien. In der Presse wurde diese Auseinandersetzung ausgeschlachtet. Sie hetzte gegen die Arbeiter*innen, vor allem gegen jene aus der Türkei. Der Versuch, die Streikleitung an diesem Tag zu verhaften schlug jedoch fehl.

Am Mittwoch, den 29.08., machte die Betriebsleitung ein Kompromissangebot. Sie wollten die Entlassungen prüfen und einen Teuerungszuschlag von 280 DM bezahlen. Dieses Angebot wurde mit großer Mehrheit bei einer Abstimmung von den Arbeiter*innen abgelehnt. Am Abend wurden die Streikenden, vor dem Haupttor, von hundert Deutschen beschimpft. Die Gruppe setzte sich aus Meistern, Angestellten und Schlägertypen zusammen. Einige gelangten aufs Werksgelände. In dieser Nacht war aber die Streikwache mit etwa tausend Arbeiter*innen sehr gut besetzt.

Am Donnerstag, den 30.08., waren noch ungefähr 5000 Beschäftigte aktiv am Streik beteiligt. Sie wurden von einer „Gegendemonstration“, angeblicher Arbeitswilliger, die teilweise mit Knüppeln und Schlagringen ausgerüstet waren, niedergeschlagen. Diese „Gegendemonstration“ bestand aus Meistern und Vorarbeitern, Werkschutzangehörigen, Streikbrechern, Polizist*innen und leitenden Angestellten allen voran der Betriebsratsvorsitzende. Durch diese massive Gewalt wurden die Streikenden überrascht. Die Streikleitung wurde verhaftet. Ein Streikführer wurde später in die Türkei abgeschoben. Über einhundert Arbeiter*innen wurden fristlos gekündigt, weitere 600 wurden unter Druck gesetzt, selbst zu kündigen. Der Betriebsrat legte gegen keine einzige Kündigung Widerspruch ein. Sieben der Gekündigten reichten Klage dagegen ein. Die IGM nahm ihre Verpflichtung, der rechtlichen Vertretung von Mitgliedern, wochenlang nicht wahr.

Spaltung der Belegschaft

Ein Grund für das Scheitern des Streiks war der Erfolg bei der Spaltung der Arbeiter*innen. Ein großer Teil der deutschen Arbeiter*innen hatte kein Verständnis für die speziellen Forderungen der ausländischen Kolleg*innen. So war es einfach für die Unternehmer*innen und der bürgerlichen Presse, die Arbeiter*innen gegeneinander auszuspielen. Sie scheuten auch nicht davor zurück, nationalistische Vorurteile zu schüren und den „arbeitswilligen“, „disziplinierten“ deutschen Arbeiter*innen die von den „radikalen deutschen Studenten aufgehetzten“, „randalierenden“ und „prügelnden“ Migrant*innen gegenüber zustellen. Die gesamte bürgerliche Presse hetzte gegen den angeblichen „Türken-Terror“. Aber es ging noch weiter indem die „arbeitswilligen“ Deutschen indirekt aufgefordert wurden zur „Selbsthilfe“ zugreifen. So war nach dem Angriff auf die Streikenden bei Ford am nächsten Tag in der Bild-Zeitung zu lesen. „Deutsche Arbeiter kämpfen ihre Fabrik frei.“ Wobei die deutschen Arbeiter*innen unversehens zu „Eigentümer*innen“ eines multinationalen Konzerns wurden. In der Frankfurter Rundschau lobte der Ford-Personaldirektor den „vorbildlichen körperlichen Einsatz von Betriebsratsmitgliedern“, die in Zusammenarbeit mit der Polizei und Vertreter*innen der Direktion türkische „Rädelsführer“ durch das Werk gehetzt und festgenommen hatten. Auch die IGM hat die Streikenden als Extremisten, die extra angereist seien, bezeichnet. Die Arbeiter*innen in der Streikleitung wurden als Kriminelle abgestempelt. Auch der Bundeskanzler Willy Brandt (SPD), mit Billigung der SPD-Parteispitze, forderte die Streikenden, während des Streiks, auf „in die Arme der Gewerkschaft zurückzukehren“ und sich an die „Spielregeln des Systems“ zu halten.

Schlussfolgerungen

Die Ende der 60er Jahre begonnene Radikalisierung und Politisierung und die spontanen Streiks Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre haben die Blockade der Gewerkschaftsführungen durchbrochen, die Gewerkschaften von unten verändert und anitkapitalistisches und sozialistisches Bewusstsein geschaffen. In der Folge gab es offensive betriebliche und gewerkschaftliche Kämpfe, die bis zum Streik für die 35-Stunden-Woche 1984 und zu einer Serie von Betriebsbesetzungen bis zum Kampf um das Krupp-Stahlwerk in Rheinhausen 1987 reichte. Aufgrund der von unten durchgesetzten offensiven Tarifpolitik in den 70er Jahren stieg die Lohnquote (Anteil der Löhne der abhängig Beschäftigten am Volkseinkommen) auf ein Nachkriegsrekordniveau von über 75 Prozent im Jahr 1980. In den 70er Jahren wurden Lohnerhöhungen weit über der Inflationsrate erkämpft. Im Rezessionsjahr 1974 lag die Inflation beispielsweise bei sieben Prozent und die IG Metall erkämpfte eine Lohnerhöhung von durchschnittlich 11,6 Prozent, plus zwei Tage mehr Urlaub, plus Erhöhung des 13. Monatsgehalts, plus Erhöhung des Urlaubsgeldes. Die offensive Tarifpolitik, Streiks und die Aktivierung von Belegschaften führte außerdem zu einem Anstieg der Mitgliedszahl im DGB (Deutscher Gewerkschaftsbund). Von 1969 bis 1979 um mehr als 1,3 Millionen auf 7,8 Millionen Mitglieder. Der Organisationsgrad lag bei 34 Prozent (heute 5,6 Millionen Mitglieder und 15,7 Prozent Organisationsgrad des DGB).

In den letzten Jahrzehnten hat es in Deutschland einen Rückgang an betrieblichen und gewerkschaftlichen Kämpfen gegeben. Aufgrund der kapitalistischen Restauration in Ostdeutschland wurde das politische Bewusstsein der Arbeiter*innenklasse und auch das Klassenbewusstsein zurückgeworfen. Die Mitgliedszahlen in den Gewerkschaften sind zurückgegangen. Noch mehr der gewerkschaftliche Aktivititätsgrad und die betrieblichen und gewerkschaftlichen Strukturen. Die Gewerkschaftsführungen betreiben auf Kosten der Arbeiter*innenklasse Sozialpartnerschaft. Tarifabschlüsse blieben 2022/23 meist unterhalb der Inflationsrate, die Beteiligung der Gewerkschaftsführungen an der Konzertierten Aktion mit der Ampel-Regierung, die kampflose Verlagerung von Betrieben in Billiglohnländer sind nur einige Beispiele für die prokapitalistische Politik der Gewerkschaftsführungen. Die multiple Krise des Kapitalismus führt jedoch zu immer größeren Gegensätzen und zu einer immer größeren Kluft zwischen arm und reich. So stehen einerseits Profitsteigerungen der Unternehmer*innen dem Reallohnabbau, Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen und Abbau von erkämpften Sozialleistungen gegenüber. Früher oder später wird das den Widerstand der Arbeiter*innenklasse provozieren. Die Streikbeteiligung bei den letzten Tarifrunden hat bereits eine gesteigerte Kampfbereitschaft gezeigt. Der Arbeiter*innenklasse wird wieder ihre Kampfstärke bewusst werden und sie wird aus ihren geschichtlichen Erfahrungen lernen. Dazu gehören auch die spontanen Streiks Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre. Wir halten es für wichtig, in den Gewerkschaften starke kämpferische, antikapitalistische und sozialistische Flügel aufzubauen, die die treibende Kraft bilden für betriebliche und gewerkschaftliche Kämpfe und für die Entwicklung von Klassen- und sozialistischem Bewusstsein in der Arbeiter*innenklasse. Ein erster Schritt in diese Richtung ist die „Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften“ (VKG), gegründet gemeinsam mit anderen linken Kräften 2019 von Mitglieder der Sol. Dazu gehört auch das „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“.

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