Kalifornien gegen Big Oil

Kapitalismus auf der Anklagebank

Eine weitere schwere Niederlage für die Klima-Leugner*innen: Am 16. September legte der Gouverneur von Kalifornien, Gavin Newsom, durch den Staatsanwalt Edward H. Ochoa eine Klageschrift gegen die größten amerikanischen Ölkonzerne vor. Chevron, Shell, BP, Exxon und ConocoPhillips werden angeklagt, über Jahrzehnte ihr Wissen über die Gefahren ihrer Produkte verschwiegen und verschleiert zu haben und damit kaum zu ermessenden Schaden an der Gesundheit der Bevölkerung Kaliforniens, sowie an den natürlichen Ressourcen des Landes verursacht zu haben und in Zukunft weiter zu verursachen. Die Klageschrift führt außerdem aus, dass die Beklagten die Möglichkeiten gehabt hätten, einen anderen Weg zu gehen und Teil einer carbonfreien Energiewirtschaft zu werden. Die Klageschrift liest sich über weite Teile wie ein Text aus der Klima-Gerechtigkeitsbewegung.

Von Johannes Bauer, Köln

Mit der Anklage gegen die größten Ölkonzerne der USA steht das kapitalistische Prinzip selbst unter Anklage. Wir werden täglich, stündlich, minütlich mit der Propaganda bombardiert, es gäbe keine Alternative zur kapitalistischen Marktwirtschaft. Angebot und Nachfrage, Konkurrenz und Konzernherrschaft sind die Eckpunkte der dominierenden Berichterstattung in den Nachrichten und sogar der als Unterhaltung angebotenen Medien in Film, Fernsehen und Druckerzeugnissen. Kapitalismus wird als die natürliche Wirtschaftsweise der Menschheit im Industriezeitalter präsentiert. Nach dem Zusammenbruch des überwiegend planwirtschaftlich gelenkten Ostblocks 1991 hat der Kapitalismus die Deutungshoheit über die Ökonomie der menschlichen Gesellschaft erlangt. Nur die Marxist*innen haben dieser Ideologie die Stirn geboten und den verbrecherischen Charakter des Kapitalismus erklärt. Im Kern unserer Kritik steht die Tatsache, dass der Kapitalismus die Wirtschaft nicht organisiert, um die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, sondern um Profite für die mächtigen Akteur*innen, die Kapitalist*innen, zu generieren. Gesellschaftliche Interessen werden den Interessen der Kapitalist*innen untergeordnet. Angebot und Nachfrage stellen in der kapitalistischen Sichtweise das Regulativ dar, das auf alle politischen Fragen einer Gesellschaft wie ein Schweizer Taschenmesser, ein Universalwerkzeug, scheinbar die richtige Antwort liefert. Diese Propagandalüge wird durch die Anklage des US-Bundesstaates Kalifornien gegen Big Oil von einer wichtigen Institution des Kapitalismus selbst als verbrecherisch bezeichnet. Bis heute versuchen selbst Teile der politischen Linken, insbesondere aber die Kapitalist*innen, die Mehrheit der Verbraucher*innen, die Arbeiter*innenklasse, auf eine Ebene mit den Produzent*innen als gleichberechtigten und gleichverantwortlichen Teil im kapitalistischen Prinzip darzustellen. Tatsächlich ist die Steuerungsmacht der Verbraucher*innen im Kapitalismus aber nur minimal bis nicht vorhanden.

Das Jahr 2023 – Das zitternde Eingeständnis des völligen Versagens des Kapitalismus, das Ende der kapitalistischen Utopie

Seit der Hitzewelle im Juni dieses Jahres auf der Nordhalbkugel der Erde, den Waldbränden in Nordamerika und Europa, den Überschwemmungen durch Starkregen, wurden die Klimaleugner*innen weitgehend mundtot gemacht. Im Tagesrhythmus mussten die Nachrichten von Wetterereignissen berichten, die sich nur noch als Folgen des Klimawandels durch kapitalistisch erzeugte CO2-Emissionen erklären ließen. Alle Hoffnungen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, wurden innerhalb eines Monats vom Tisch gefegt. Mit dieser Tatsache sind die kapitalistischen Institutionen auf politischer und wissenschaftlicher Ebene schlagartig als unfähige Instrumente zur Steuerung der menschlichen Gesellschaft entlarvt. Die Klage des US-Bundesstaates Kalifornien gegen die fünf großen amerikanischen Ölkonzerne trifft zufällig mit dieser für niemanden zu übersehenden Tatsache zusammen. In der 137 Seiten langen Klageschrift listet der Staatsanwalt Edward H. Ochoa detailliert auf, wie die Beklagten über Jahrzehnte ihre Erkenntnisse über die Konsequenzen ihres profitablen Kohlenstoffverkaufs verschleiert haben.

Die seit mehr als fünfzig Jahren verschleierte, beschleunigte Zerstörung der Welt durch die Manipulation des Klimas ist kein Unfall, keine Naturkatastrophe, sondern ein bewusst begangenes kapitalistisches Verbrechen ist. Eine Sichtweise, die die Verursacher*innen der Katastrophe dadurch in Schutz nehmen will, dass diese ja schließlich auf dem selben Planeten leben und die Folgen der Zerstörung selbst mit zu ertragen hätten, ist nicht zulässig. Die Nutznießer*innen des Carbon-Zeitalters, die Eigentümer*innen und Aktionär*innen der Energiekonzerne, verfügen über Privilegien, die sie von den direkten Folgen der Zerstörung abschirmen. Die Sichtweise, dass die Mehrheit der Bevölkerung in den Industrienationen ebenfalls verantwortlich ist, weil sie in Form von Arbeitsplätzen oder dem Konsum von Waren ebenfalls an der kapitalistische Wirtschaft beteiligt sind, ist ebenfalls nicht zulässig. Der einzelne Mensch muss schließlich sein Leben im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kontext bestreiten, den er von den herrschenden Institutionen vorgegeben findet. In der gängigen Lesart der kapitalistischen Weltsicht und Selbstsicht, sind die großen Konzerne herrliche Institutionen, die aus glänzenden Konzernzentralen die Geschicke der Menschen steuern und Wohlstand für die Klugen und Tüchtigen generieren. Die Anklage des Staates Kalifornien gegen Big Oil entlarvt die Konzerne als das was sie tatsächlich sind – ein Kartell von Verbrecher*innen, die aus niedrigsten Motiven der Dynamik des Kapitalismus gefolgt sind und ihre Intelligenz und Kreativität dazu nutzten, ihr Verbrechen zu verschleiern.

Die Carbon-Industrie basiert auf fortgesetztem Rassismus

Zwischen den Energielieferant*innen und den Energieverbraucher*innen bestehen skurrile Beziehungen. Die Bundeszentrale für politische Bildung liefert eine interaktive Grafik auf der der Pro-Kopf-Verbrauch an Primärenergie dargestellt wird. Selbstverständlich kann man dort die wichtigsten Industrienationen einzeln aufrufen und sich den Pro-Kopf-Verbrauch anzeigen lassen. Auf dem afrikanischen Kontinent sind jedoch nur drei Länder abzurufen: Algerien, Ägypten und Südafrika. Die verbleibenden 51 Nationen des Kontinents werden einfach subsummiert und zusammen mit den erwähnten drei Ländern liegt der Verbrauch an Primärenergie auf dem Kontinent an letzter Stelle weltweit mit 0,37 Tonnen pro Jahr und Kopf. Der Pro-Kopf-Verbauch in Kanada liegt bei 9,36 Tonnen pro Jahr, von Norwegen bei 9,18 Tonnen pro Jahr, von Deutschland bei 3,76 Tonnen pro Jahr, von China bei 2,14 Tonnen pro Jahr. Die Arroganz und Ignoranz dieser einfachen Grafik liegt auf der Hand und kann als typisch angesehen werden für die gesamte Klima-Debatte und den Umgang der Kapitalist*innen mit dem globalen Süden allgemein und dem afrikanischen Kontinent im besonderen. Auf der Lieferanten-Seite spielt Afrika eine ganz andere Rolle. Nigeria beispielsweise ist der viertgrößte Exporteur von Erdöl auf der Welt, sieben andere Länder exportieren Erdöl, vier davon unter den Top-20 der Exporteure. Nigeria rangiert auf dem HDI, dem Human-Developement-Index, auf Platz 153, zählt also zu den geringst entwickelten Ländern der Erde. Durch die Klimakatastrophe stehen die Carbon-basierten Energien gerade im Fokus der Wahrnehmung breiter Teile der Gesellschaft, sie sind ein dominierender Teilaspekt der globalen wirtschaftlichen Ungerechtigkeit, die der Kapitalismus organisiert hat. In anderen Rohstoffbereichen sieht es genauso aus. Der globale Süden liefert überproportional mehr Rohstoffe für den Weltmarkt unter schlechtesten Produktionsbedingungen, als er konsumiert. Unter den Folgen der Ausbeutung hat der globale Süden aber überproportional mehr zu leiden. Ein mögliches und wahrscheinliches Szenario für die zu erwartenden Klimaveränderungen sagt voraus, dass die Erwärmung im globalen Norden in absoluten Zahlen zwar höher ausfallen wird, als im globalen Süden, im globalen Süden jedoch die geringeren Temperaturerhöhungen größere Gebiete unbewohnbar machen werden, weil die Temperaturen Werte erreichen, die menschliches Leben ausschließen. Regionen, wo die Menschen jetzt bereits am Limit leben, werden zu Dürre- und Hitzewüsten. Die Maßnahmen, mit denen sich der globale Norden vor den erwarteten Klima-Folgen schützen will, dienen in perverser Weise bereits jetzt als Beschleuniger für erhöhten Energieverbrauch und als Motor für die in der Sackgasse steckende Weltwirtschaft. Im globalen Süden werden die Leben von hunderten Millionen Menschen durch die Klima-Katastrophe verschlechtert und verkürzt werden. Diese Menschen werden zu ungewollter und unwillkommener Migration in ihren Staaten oder zu anderen Staaten gezwungen sein, wodurch sie ihre wirtschaftliche Lebensgrundlage, ihre sozialen Milieus und ihre kulturellen Wurzeln verlieren werden.

Ein historisches Verbrechen – eine historische Zeitenwende

Selbst die Kapitalist*innen räumen ein, dass sie die Welt in eine Phase sich überschneidender Krisen geführt haben. Bei genauerer Betrachtung erweisen sich die einzelnen Krisen, die Wirtschaftskrise, die Energiekrise, die massenhafte Migration, die Kriege, die Gesundheitskrisen, die Bildungskrise und die Armutskrise in jedem Land und weltweit als eine einzige umfassende Krise des kapitalistischen Prinzips. Der Kapitalismus spielte eine fortschrittliche Rolle, als die bürgerlichen Revolutionen vom siebzehnten bis zum neunzehnten Jahrhundert, teilweise Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, den Absolutismus, die Dominanz der Monarchie in Europa abschafften. Aufbauend auf dem ebenfalls verbrecherischen Kolonialismus der Königreiche seit dem sechzehnten Jahrhundert führte das kapitalistische Prinzip in dieser Zeit zu einem weltweiten Austausch von Rohstoffen und weltweiten Absatzmärkten sowie der gezielten Bereitstellung von Arbeitskräften durch Sklaverei. Nachdem der Weltmarkt im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert etabliert war, kam die fortschrittliche Rolle des Kapitalismus zum erliegen, er trat in die Phase des Imperialismus ein. Auf einer endlichen Welt waren keine neuen Märkte zu zu erschließen, keine neuen Kolonien zur Unterwerfung zu finden. Die Nationalstaaten, die mit dem Kapitalismus entstanden waren, traten in Konkurrenz zueinander und begannen, sich durch Kriege gegenseitig zu schwächen, indem sie sich Einflusssphären streitig machten oder sich gegenseitig zu erobern versuchten. Bis heute dauert diese Phase an. Die Ukraine wird gegenwärtig Opfer eines solchen Kampfes um Einflusssphären und Rohstoffe, wobei der Krieg das Gut, um das gekämpft wird, durch die Wahl der Mittel in großem Maße entwertet und zerstört. In der kollektiven Wahrnehmung der meisten Länder der Erde, vielleicht mit Ausnahme Chinas, Südamerikas und der Subsahara-Staaten Afrikas, ist der Zweite Weltkrieg als die größte kapitalistische Katastrophe anerkannt. Der Zweite Weltkrieg forderte mehr als sechzig Millionen Todesopfer und vernichtete Produktionsmittel, Kulturschätze und Naturraum in bis dahin nicht vorstellbarer Weise. Mit der Manipulation des Weltklimas durch die kohlenstoffgebundenen, fossilen Energiekonzerne ist eine Zerstörung der Errungenschaften der menschlichen Zivilisation und der natürlichen Ressourcen eingeleitet worden, die sich noch nicht beziffern lässt, die aber selbst nach den konservativsten Schätzungen alle bisherigen Kriege, Umwelt- und Naturkatastrophen um Größenordnungen übersteigen wird.

Kapitalismus ist nicht alternativlos – Sozialismus muss erkämpft werden

Jeder weitere Tag auf dieser Welt liefert neue Argumente dafür, wie umfassend der Kapitalismus in der Sackgasse gelandet ist. Die Herrschenden werden jedoch nicht kapitulieren. Sie werden nicht vor die Mikrophone treten und ihren Bankrott erklären, die Welt um Entschuldigung bitten. Wir müssen ihnen die Macht über die Ressourcen, das Klima, unsere Schicksale aus den Händen reißen und die wirtschaftlichen Grundlagen der menschlichen Gesellschaft demokratisch und ökologisch organisieren. Die neue Wirtschaftsordnung, der Sozialismus, kann nur errichtet werden, wenn es rechtzeitig gelingt, dem Kapitalismus die Kontrolle über die Welt zu nehmen. Auf der ganzen Welt kämpfen Menschen für das gleiche Ziel, das Ende des Kapitalismus. Um die größte Wirksamkeit im Kampf zu entfalten, muss der Widerstand durch eine weltweite Partei der unterdrückten und ausgebeuteten Menschen organisiert werden. Dafür steht die Sol mit ihren Schwesterorganisationen.