Interview mit einem Kollegen aus dem Einzelhandel in Rostock
Die Tarifrunde im Einzelhandel ist diesmal sehr zäh. Woran das liegt, wie die Stimmung bei den Beschäftigten ist und wie es weitergeht, über all das sprach Torsten Sting von der Rostocker Ortsgruppe der Sol für die „Solidarität“ mit Rene Possehl.
Hallo Rene, erzähl doch zu Beginn ein bisschen von dir. Was machst du beruflich? Wo arbeitest du?
Mein Arbeitsplatz ist seit 1991 im Einzelhandel. Mit einem Anfangsgehalt als Hilfsarbeiter mit 7,77 DM, bei Vollzeit 169 Stunden im Monat, habe ich angefangen. Jetzt werde ich als Verkäufer bezahlt und arbeite noch als einer der wenigen in Vollzeit. Die Coop Schleswig-Holstein verkaufte 1996 unser Plaza Haus an Kaufland, wo ich bis heute in der Getränkeabteilung arbeite. 1996 standen dann erste Betriebsratswahlen ins Haus, an denen ich mich zur Wahl stellte. Seitdem haben wir acht Betriebsratswahlen vorgenommen und ich bin immer wieder rein gewählt worden. Ich habe somit jede Entwicklung im Betrieb mitgestaltet und auch erlebt.
Wie schätzt du die Entwicklung der Arbeitsbedingungen bei euch und allgemein im Einzelhandel ein?
„Die guten Zeiten sind vorbei, jetzt haben wir bessere Zeiten, aber ich wünschte mir und meinen Kolleginnen und Kollegen die guten Zeiten zurück“.
Mit jedem Jahr erleben wir unsere Arbeitsbedingungen ein wenig schlechter, stressiger und wir arbeiten uns kaputt. Mit Corona erlebten wir wie man in der Krise „Kohle“ macht und jetzt können wir monatlich zusehen wie uns Beschäftigte verlassen und dass es kaum jemand lange bei uns aushält. Ja, die Arbeit ist schwer und immer weniger Mitarbeiter müssen mehr Aufgaben erledigen und die „Messlatten“ werden immer höher gelegt. Wir hören immer nur „Umsatz, Umsatz, oh der Umsatz“, aber niemand denkt an unsere täglichen Entbehrungen. Flexible Arbeitszeiten werden versprochen, aber das gilt nicht für den Job, sondern für die Wünsche des Arbeitgebers. Nur einen Samstag im Monat bekommt man frei und es wird alles unternommen, um nur einen zu geben. Dabei werden bei dem einen oder anderen Ausnahmen gemacht, um die „Loyalität“ zum Unternehmen zu sichern. „Zuckerbrot und Peitsche“ sagten wir früher.
Wer ist Eigentümer von Kaufland?
Ein Mann hat das sagen, Herr Schwarz, und sonst niemand. Vorstände werden eingesetzt und abgesetzt, mit Vorständen aus Aktienunternehmen hat das wenig zu tun.
Man investiert in Cloudspeicher, KI, man kauft Groß-Bäckereien, Entsorgungsunternehmen und ist einer der größten Getränkehersteller was bleibt da für die Beschäftigten übrig?
Die Tarifrunde im Einzelhandel zieht sich schon seit einem halben Jahr und ein Ende ist nicht in Sicht. Woran liegt das deiner Meinung nach?
Der Arbeitgeberverband HDE wirft uns Beschäftigten und unserer Gewerkschaft ver.di, eine Blockadehaltung vor. Das ist Unsinn. Mit unseren Forderungen wollen wir ganz einfach die Verluste durch die hohe Inflation ausgleichen. Alles ist deutlich teurer geworden. Viele von den Kolleginnen und Kollegen kommen deswegen immer schwerer über die Runden.
Ich möchte Kaufland nicht als armen Mitstreiter, der das Ganze nicht versteht, herausnehmen, aber die Verhandlungsgremien mit REWE, EDEKA und IKEA tun vor allem Nichts. Der HDI spielt sich als Herrscher der Unternehmen hervor, der denen erlaubt 5,3 Prozent mehr aufs Bruttogehalt maximal zuzulassen.
Anscheinend auch hier massiver „Fachkräftemangel“!
Unsere Forderungen, die von den Mitgliedern mitgetragen werden, wurden eindeutig formuliert: 2,50 Euro auf den Stundenlohn nicht sechs Prozent (aus dem Angebot vom 1.11.2023) auf das Gesamt-Brutto! Auf diese Forderungen wurde nicht einmal eingegangen oder diskutiert
Wie schätzt du die Streik- und Kampfbereitschaft der Kolleginnen und Kollegen ein?
So hoch wie nie im Norden und was ich überall lese auch in jedem anderen Bundesland. Ich bin so stolz auf unsere Streikcrew in Rostock, Schwerin, Neubrandenburg und Wismar. Nicht nur ver.di Mitglieder streiken, auch Nichtmitglieder beteiligen sich und verzichten auf ihren Lohn für diesen Tag. Mein Dank geht besonders an die Streikcrew vom Kaufland in Bentwisch und ich hoffe der eine oder die andere wird sich noch zu uns gesellen und mitkämpfen. Hier geht es ja nicht nur um mich, sondern darum, wie wir in Zukunft im Handel arbeiten und wie wir attraktive Arbeitsplätze schaffen.
Wie geht es deiner Meinung nach weiter?
Wir gehen auf die Straße und streiken weiter, wir reden mit den Beschäftigten wir klären auf, wir geben nicht auf.
Ich persönlich habe meinem Arbeitgeber mitgeteilt, dass ich die 5,3 Prozent nicht annehme, das sollten viel mehr Beschäftigte machen, um auch hier zu protestieren. Kaufland hat zudem angekündigt, eine „Inflationsprämie“ in Höhe von 500 Euro für Vollzeitkräfte zu zahlen und für Teilzeitkräfte anteilig. Sie wollen uns den Wind aus den Segeln nehmen, die Streikbereitschaft soll untergraben werden.
Der HDI schreibt das letzte Angebot von 5,3% seinicht mehr aufrecht zu erhalten, wenn es keine schnellen Fortschritte gibt bei den Verhandlungen. Der HDI droht also ggf. die freiwillig gezahlten bisherigen 5,3% von den Beschäftigten zurückzufordern. Wenn das kein Angebot ist zu streiken, wenn nicht jetzt, wann dann, wenn nicht hier wo sollen wir hinkommen!
Was können Kolleginnen und Kollegen, die nicht in eurer Branche arbeiten, machen, um euch zu unterstützen?
Wir wünschen uns mehr Unterstützung, der Einzelhandel und der Großhandel sind gerade in Verhandlungen, zusammen können wir mehr erreichen und versuchen es auch schon. Aber auch branchenübergreifend wären unterstützende Ideen und Hilfen wichtig. Eigentlich können uns viel mehr Menschen unterstützen. Kunden sehen wir auch gerne an unserer Seite. Bisher fanden das alle gut, was wir machen, einfach mal am Streiktag nicht einzukaufen wäre auch ein Signal.