Gewerkschaften müssen Kampagne für Reichensteuern und Ende der Schuldenbremse starten
Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Nachtragshaushalt 2021 hat die Bundesregierung in eine tiefe Krise gestürzt. Potenziell geht es dabei nicht nur um die vom Gericht verhandelten sechzig Milliarden Euro, sondern um viele Milliarden mehr, die in den Haushalten von Bund und Ländern in Sonderfonds an der Schuldenbremse vorbei als Kredite aufgenommen wurden. Das gibt denjenigen Kräften im Bürgertum Rückenwind, die die Axt an die sozialen Sicherungssysteme legen wollen. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz fordert schon die Kindergrundsicherung und die Erhöhung des Bürgergelds wieder zu kassieren. Die FDP macht deutlich, dass sie für eine Aufhebung oder auch nur Lockerung der Schuldenbremse und für Steuererhöhungen für die Reichen und Konzerne nicht zu haben ist.
Von Sascha Staničić, Sol-Bundessprecher
Das kann eine völlig neue Situation eröffnen, die nicht nur das Überleben der Ampel-Koalition in Frage stellen kann, sondern massive Angriffe auf soziale Errungenschaften der Arbeiter*innenklasse einläuten kann. Darauf müssen sich die Gewerkschaften, die Partei Die Linke und alle Kräfte, die den Anspruch haben, die Interessen der abhängig Beschäftigten und sozial Benachteiligten zu verteidigen jetzt vorbereiten.
Unabhängig davon, ob es der Ampel-Koalition gelingen wird mit fiskalpolitischen Tricks, zum Beispiel der Ausrufung einer neuen Notlage, die Kuh unmittelbar vom Eis zu bekommen, sollte klar sein, dass dieser Beschluss der Bundesverfassungsgerichts und die seitdem einsetzende Debatte ein Wetterleuchten für die Zukunft ist. Olaf Scholz und Christian Lindner hatten schon vor dem Urteil die Rückkehr zur „haushaltspolitischen Normalität“ angekündigt und damit Kürzungen gemeint, die ja auch beim derzeit verhandelten Bundeshaushalt in einem Ausmaß von circa dreißig Milliarden Euro schon begonnen werden. Nun droht aber eine qualitative Steigerung solcher Kürzungsmaßnahmen.
Gewerkschaften, Die Linke, Sozialverbände und andere soziale Bewegungen dürfen aber nicht darauf warten, bis die Regierenden die Axt schwingen, sondern müssen sofort in Aktion treten und den Herrschenden ein klares Signal senden: gegen jeden Versuch bei sozialen und Arbeiter*innenrechten zu kürzen, wird es massiven Widerstand von Millionen geben!
Kampagne starten
Unmittelbar sollte eine Kampagne ins Leben gerufen werden für eine massive Erhöhung der Steuern auf Gewinne und Vermögen der Banken, Konzerne und Superreichen und für eine Aufhebung der Schuldenbremse. Die damit zu mobilisierenden Milliarden könnten für die dringend nötigen Investitionen in Bildung, Gesundheit, Verkehr, Klimaschutz etc. eingesetzt werden. Die Gewerkschaften könnten selbst die nötigen Bedarfe ermitteln und einen Plan für ein massives öffentliches Investitionsprogramm auf Kosten des Kapitals und der Super-Reichen aufstellen, welches als Grundlage für eine gesellschaftliche Kampagne und Mobilisierungen dient.
Dazu sollten Betriebsversammlungen und gewerkschaftliche Veranstaltungen durchgeführt werden und lokale Bündnisse gebildet werden. Eine bundesweite Aktionskonferenz könnte eine Strategie für betriebliche und lokale Aktionen diskutieren, die in einer bundesweiten Großdemonstration münden sollte. Sollte die Bundesregierung unmittelbare Kürzungen ankündigen, sollte sofort zu Protesten aufgerufen werden.
Denn eins ist klar: mit dem Verfassungsgerichtsurteil hat der Bundestagswahlkampf begonnen und die Wahrscheinlichkeit ist gestiegen, dass es zu vorgezogenen Neuwahlen kommen wird. Darauf muss sich die Arbeiter*innenklasse vorbereiten, um zu verhindern, dass eine nächste Regierung den Klassenkrieg von oben auf die Spitze treiben wird.