Vom Missbrauch einer antifaschistischen und antimilitaristischen Parole
Unter der Formel „Nie wieder ist jetzt“ sollen die Menschen in Deutschland auf die deutsche Staatsdoktrin der bedingungslosen Verteidigung des israelischen Staates und der Unterstützung dessen Krieges gegen die Bevölkerung in Gaza eingeschworen werden. In den politischen Wortschatz trat die Anapher „Nie wieder“ im Jahre 1959 ein. Am 1. September des Jahres fand die erste Demonstration der Gewerkschaften zum Antikriegstag unter der Parole „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“ statt. Seitdem wird alljährlich am Jahrestag des Überfalls Nazi-Deutschlands auf Polen unter diesem Motto gegen Krieg, Militarismus und Faschismus protestiert.
von Johannes Bauer, Köln
In die zweite Hälfte der fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts fiel die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland, die Gründung der Bundeswehr und die Aufnahme der BRD in die NATO. Im Zusammenhang mit diesen Fragen wurde die Ausstattung der Bundeswehr mit Atomwaffen diskutiert.
Die Verwendung der Parole „Nie wieder ist jetzt“, um damit letztlich auch den Krieg Israels gegen Gaza zu legitimieren, kommt einem Missbrauch gleich – denn diese Parole wurde von Linken aus der deutschen Geschichte abgeleitet und gegen genau die militaristische Politik entwickelt, die von der in Teilen rechtsextremen Regierung Israels betrieben wird und die zentraler Teil der Eskalationsspirale vor dem 7. Oktober war.
“Krieg für den Frieden”?
Die paradoxen Aussagen der Militaristen, „Krieg für den Frieden“, „Waffen gegen das Töten“ sollen um eine gestohlene Botschaft ergänzt werden. „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“ kann nicht eindeutiger sein. Mit der Anspielung auf diese Formel Werbung für einen brutalen, ungerechten Krieg zu machen, ist verwerflich. Innenministerin Nancy Faeser, die dieser Tage prominent mit „Nie wieder ist jetzt“ in die Diskussion um den Krieg gegen die Palästinenser*innen eingreift, zerstört eine weitere Verbindung der ehemaligen Arbeiter*innenpartei mit der Epoche, in der die SPD die Verteilungsspielräume des Kapitalismus im Interesse der Arbeiter*innenklasse nutzen konnte und sich Verbindungen zur Friedensbewegung leistete. Sie steht damit aber auch in der Tradition von SPD-Führer*innen, die seit der Zustimmung zu den Kriegskrediten 1914 immer wieder vermeintlich „progressive“ Begründungen für Aktionen des deutschen Militarismus anführen, um diese zu unterstützen.
„Nie wieder ist jetzt“ geht einher mit Aussagen israelischer Politiker, die die Hamas mit den Nazis gleichsetzen und Gaza mit Nazi-Deutschland. Nun gibt es keinen Grund, den terroristischen Angriff der Hamas vom 7. Oktober zu rechtfertigen oder diese arbeiter*innen- und frauenfeindliche Organisation, die in Gaza seit 2017 diktatorisch herrscht in irgendeiner Form zu unterstützen. Der rechte politische Islam ist eine reaktionäre politische Bewegung, der die Religion zur Manipulation von Muslimen und Muslimas und zur Erreichung machtpolitischer Ziele missbraucht.
Hamas
Es ist auch keine Frage, dass die Ideologie der Hamas zumindest antisemitische Elemente hat. Aber die Hamas sind keine Nazis. Dabei geht es nicht um Verharmlosung, sondern um eine richtige Analyse. Das Programm der Hamas ist es den Staat Israel, der als Besatzungsmacht betrachtet wird, zu vernichten, nicht aber alle Jüdinnen und Juden weltweit. Der Angriff vom 7. Oktober war brutal und richtete sich auch gegen hunderte israelisch-jüdische Zivilist*innen. Laut einigen Berichten, war es der tödlichste Tag für Jüdinnen und Juden seit dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust. Das zu verurteilen, steht aber nicht im Widerspruch dazu, die gewaltigen Unterschiede zwischen Hamas und dem Nazi-Regime, sowie zum Holocaust anzuerkennen. Der Hamas-Angriff folgte dem klaren politischen Kalkül, die Annäherung arabischer Staaten mit Israel zu torpedieren und die Sache der Palästinenser*innen wieder auf die politische Tagesordnung zu setzen, wie Hamas-Führer seitdem erklärt haben. Das Interesse der Hamas-Führer liegt dabei natürlich in der Aufrechterhaltung ihrer eigenen Machtposition in Gaza.
Die Singularität des Holocaust ergibt sich aus seinem Ausmaß und seiner industriellen Durchführung, aber auch aus dem Vernichtungswahn des Hitler-Regimes, welches keiner rationalen Logik folgte und mit der Massenvernichtung zum Beispiel die eigene Kriegspolitik untergrub. „Nie wieder ist jetzt“ und Hamas-Nazi-Vergleiche relativieren – ob gewollt oder ungewollt – die Einzigartigkeit des Holocaust, der industriellen Vernichtung der Jüdinnen und Juden, durch Nazi-Deutschland und auch die Verantwortung der herrschenden Klasse Deutschlands, welche den Faschist*innen den Weg ebnete. Vertreter*innen des israelischen wie des deutschen Staates nutzen das auf zynische Weise, um Unterstützung für den Krieg gegen Gaza zu generieren, welcher nicht nur ein barbarisches Verbrechen an der palästinensischen Bevölkerung ist, sondern auch Israel nicht zu einem sichereren Ort für Jüdinnen und Juden macht. Das ist kein Beitrag zum Kampf gegen Antisemitismus.
Die Herrschenden haben kein Recht, brutale Kriege zu führen bzw. im Falle der deutschen Bundesregierung zu unterstützen und das auch noch als Friedenssicherung zu bezeichnen.
„Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“ hat aktuell eine weitere Bedeutung erlangt. Bis zur Wiedervereinigung 1991, dem Anschluss des DDR-Territoriums an die BRD und der Einverleibung der DDR-Industrie, trat der deutsche Militarismus innenpolitisch verschämt und defensiv auf. Seit der Wiedervereinigung ist Deutschland zur dominierenden Ökonomie Europas geworden und artikuliert außenpolitisch wieder Großmachtansprüche, die an das Kaiserreich erinnern. Einhundert Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr und die von Verteidigungsminister Pistorius formulierte Forderung „Wir müssen kriegstüchtig werden“ sollen dafür die materiellen und propagandistischen Voraussetzungen schaffen. Gleichzeitig sind in vielen Ländern rechte und zum Teil sogar ultra-rechte oder faschistische Parteien auf dem Vormarsch.
Das ist ein Ausdruck der massiven Systemkrise des Kapitalismus. Dieses System bereitet immer wieder den sozialen Nährboden für nationale Konflikte, rassistische Spaltung und rechte politische Kräfte. Zeit, die Parolen des Widerstandes mit Leben zu füllen und den Kampf gegen diese Übel mit dem Kampf für eine sozialistische Alternative zu verbinden. No Pasaran – Sie werden nicht durchkommen!