Blutige Folge von Teile-und-Herrsche-Politik
Die Geschichte von Kriegen, Unterdrückung und Vertreibungen zeigt, dass Rosa Luxemburgs Satz „Sozialismus oder Barbarei“ im Nahen Osten besonders aktuell ist.
von Wolfram Klein, Plochingen bei Stuttgart
Der Zionismus entstand um 1900 als Reaktion auf den anwachsenden Antisemitismus. Er ging von der falschen Vorstellung aus, dass Jüd*innen durch die Gründung eines eigenen Staates antisemitische Vorstellungen entkräften und beseitigen könnten. Tatsächlich bedeutet der Antisemitismus, die Empörung von unter dem Kapitalismus leidenden Menschen auf einen Sündenbock abzulenken. Er hat nichts damit zu tun, wie „die Jüdinnen und Juden sind“ (die natürlich untereinander verschieden sind, wie andere Menschen auch). Deshalb konnte die Gründung eines jüdischen Staats den Antisemitismus nicht wirksam bekämpfen. Nur der Kampf gegen den Kapitalismus kann ihn zurückdrängen und schließlich besiegen.
In Palästina gewährte die britische Besatzungsmacht mit der berühmten Balfour-Deklaration 1917 die jüdische Ansiedlung, während sie den Araber*innen das Selbstbestimmungsrecht nach dem Ersten Weltkrieg verwehrte. Durch die Teile-und-Herrsche-Politik nahm die arabische Bevölkerung die Neuankömmlinge als Projekt zur Festigung kolonialer Herrschaft wahr. Ein arabischer Aufstand dagegen wurde in den 1930er Jahren niedergeschlagen.
Gründung Israels und Nakba
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das bisherige britische „Mandatsgebiet“ Palästina geteilt. Es kam zu einem Krieg mit den arabischen Nachbarländern und der Flucht bzw. Vertreibung eines Großteils der arabischen Bevölkerung aus dem neu entstandenen Staat Israel, von den Palästinenser*innen als Nakba („Katastrophe“) bezeichnet. Der Gazastreifen und das Westjordanland wurden von Ägypten bzw. Jordanien besetzt.
Marxist*innen haben damals die Vertreibung der Palästinenser*innen und die Gründung Israels abgelehnt – auch weil das für die Jüd*innen zu einer „blutigen Falle“ werden würde. Aber inzwischen ist in Israel längst eine eigene Nation, mit eigener Sprache, Kultur und Klassen(kämpfen) entstanden. Marxist*innen verteidigen daher das Recht der israelischen Bevölkerung auf einen eigenen Staat ebenso wie das der Palästinenser*innen und anderer Völker.
Kriege und Besatzung
1956, 1967 und 1973 gab es Kriege zwischen Israel und den arabischen Nachbarländern. Im Krieg 1956 war Israel mit dem britischen und französischen Imperialismus verbündet, die vergeblich mit Gewalt versuchten, die Verstaatlichung des Suezkanals durch die nationalistische ägyptische Regierung unter Nasser zu verhindern.
Der Juni- oder Sechstagekrieg 1967 endete mit der Besetzung des Westjordanlandes, der Golanhöhen, des Gazastreifens und der Sinai-Halbinsel durch Israel. Der Ostteil Jerusalems wurde annektiert, die Golanhöhen faktisch auch, in den übrigen besetzten Gebieten wurden Siedlungen gebaut.
Im „Jom-Kippur-Krieg“ 1973 erlitt Israel anfangs militärische Niederlagen. Er bedeutete einen Prestigeverlust für die „Arbeitspartei“, die Partei der aus der zionistischen Bewegung kommenden, aus Europa stammenden bürgerlichen Elite, die bis dahin das Land fast unangefochten dominiert hatte. 1977 gewann der rechte Likudblock erstmals die Wahlen. 1982 besetzte die israelische Armee den Süden Libanons bis hin zur Hauptstadt Beirut und vertrieb die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) von dort. Die PLO war 1964 gegründet worden und hatte versucht, erst vom Westjordanland, nach 1967 vom Libanon aus, militärische Nadelstiche gegen Israel zu machen. Das wurde jetzt unmöglich. Dafür trug die Besatzung dazu bei, die winzige Hisbollah zur Massenkraft im Libanon zu machen. In Israel führte der Krieg und besonders das mit Unterstützung Israels von reaktionären christlichen Milizen verübte Massaker in den palästinenischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila zu einer großen Protestbewegung.
Intifada und Oslo-Abkommen
Im Dezember 1987 begann ein spontaner Massenaufstand („Intifada“) in den besetzten Gebieten. Jugendliche griffen die israelischen Besatzungstruppen mit Steinwürfen an, es gab immer wieder Generalstreiks. Es entstanden selbstorganisierte Kampfstrukturen von unten, auch linke Organisationen hatten einen Einfluss. Der israelische Staat reagierte brutal, unter anderem mit dem gezielten Brechen von Armen und Beinen. Zugleich begünstigte er die damals entstehende reaktionäre Hamas, der anfangs der Kampf gegen fortschrittliche Ideen in der palästinensischen Bevölkerung wichtiger war als der gegen Israel.
Das Oslo-Abkommen mit der PLO sollte den Konflikt „befrieden“. Israel räumte den Gazastreifen und Teile des Westjordanlands. Die Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung wurde an den „Subunternehmer“ Palästinenserbehörde „outgesourced“. Wirkliche Unabhängigkeit war das nicht – und durch fortschreitende israelische Siedlungen wurde das Abkommen untergraben. Große Teile der israelischen Bevölkerung missverstanden das Abkommen aber als einen aufrichtigen Friedensschritt und schlossen daraus, dass es nicht zu Frieden führte, dass die Palästinenser*innen zu Frieden nicht willig oder fähig seien. Auf der palästinensischen Seite bekam die Hamas als Gegnerin des Oslo-Abkommens Zulauf.
2000 begann die „zweite Intifada“, die sich von der ersten grundlegend unterschied. Jetzt stand nicht mehr Massenkampf gegen die Besatzung, sondern Terror gegen israelische Zivilist*innen im Mittelpunkt. Während die erste Intifada den Palästinenser*innen teilweise auch in Israel Sympathien brachte, hatte die zweite die gegenteilige Wirkung. Heute kontrolliert die Hamas den Gaza-Streifen (unter israelischer Blockade), die Fatah das Westjordanland.
Die Geschichte zeigt: weder in Israel noch in Palästina dürfen die Massen kapitalistischen Politiker*innen, regionalen Machthabern oder den imperialistischen Staaten vertrauen. Solange es Kapitalismus gibt, wird eine wirkliche Verständigung der Bevölkerungen durch Unterdrückung und „Teile und Herrsche“ behindert.