Ägypten: Sieg für al-Sisi bei Scheinwahlen

Foto: Jim Mattis, CC BY 2.0, Wikimedia Commons, https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Egypt%E2%80%99s_President_Abdul_Fattah_al-Sisi_20170405.jpg

Das Regime ist trotz scheinbarer Stärke in Wirklichkeit geschwächt

Bei den völlig vorhersehbaren Präsidentschaftswahlen in Ägypten gewann von Abdel Fattah al-Sisi, der seit 2014 Präsident ist. Von der Bekanntgabe des Wahltermins (mehrere Monate früher als vorgesehen) bis zur Verkündung des Ergebnisses bestand nie ein Zweifel am Ausgang der Wahl.

Von David Johnson, Socialist Party England und Wales

Und das trotz der sich verschärfenden wirtschaftlichen Probleme: 71 Prozent Inflation bei Lebensmitteln und Getränken im Oktober, sinkender Lebensstandard, unter dem Millionen Menschen bereits schwer leiden, chronisch unterfinanzierte öffentliche Dienstleistungen und häufige Stromausfälle. Kriege jenseits der ägyptischen Grenzen im Gazastreifen und im Sudan (in Libyen scheint ein Ausbruch nicht weit entfernt) tragen zur instabilen Lage bei.

Sisi erhielt 89,6 Prozent der Stimmen, aber die drei anderen unauffälligen Kandidaten wurden sorgfältig ausgewählt, um den Anschein eines Wettstreits zu erwecken, ohne glaubwürdige Herausforderer zu sein oder ein radikal anderes Programm anzubieten.

Zahme “Gegner“

Der wohlhabende Geschäftsmann Hazem Omar führt die Republikanische Volkspartei an und erhielt 4,5 Prozent. Er war zuvor in der Regierung als Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Beziehungen tätig und hat Sisi in den letzten zehn Jahren nicht öffentlich widersprochen.

Farid Zahran von der Sozialdemokratischen Partei Ägyptens erhielt vier Prozent. Auch er gilt als Sisi und den Sicherheitsdiensten nahestehend. Der erste Premierminister nach dem Militärputsch von 2013, der den Präsidenten der Muslimbruderschaft, Morsi, stürzte, war Mitglied dieser Partei.

Abdel Sanad Yamama von der alteingesessenen Wafd-Partei, die Sisi bei seiner letzten Wahl unterstützt hat, erhielt 1,9 Prozent.

Potenziell populärere Kandidaten wurden vor und während der Nominierungsphase behindert. Im September wurde ein prominenter Sisi-Kritiker, der Zeitungsverleger Hisham Kassem, zu zwei dreimonatigen Haftstrafen verurteilt. Ihm wurde “Verleumdung” eines ehemaligen Ministers sowie “Missachtung” eines Polizeibeamten vorgeworfen, als er im August festgenommen wurde. Er galt als möglicher Kandidat der Freien Strömung, einer Drei-Parteien-Koalition, die für eine wirtschaftliche “Liberalisierung” eintritt.

Gameela Ismail, die einzige Frau, die ihr Interesse an einer Kandidatur bekundete, erhielt nicht die Unterstützung ihrer Dostour-Partei (die 2012 vom ehemaligen Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde, Mohamed El-Baradei, als “breite nicht-ideologische Partei” gegründet wurde).

Nur ein Kandidat bot ein deutlich anderes Programm als Sisi. Das war Ahmed el-Tantawi, der auf Facebook zwei Millionen Anhänger hat. Der ehemalige Parlamentsabgeordnete der nasseristischen Partei Karama (Würde) wurde von einigen unterstützt, die im Kampf gegen den diktatorischen Ex-Präsidenten Hosni Mubarak aktiv gewesen waren.

“Die Behörden fürchten die Kampagne”, sagte ein Unterstützer, “weil sie auf einer Basisbewegung beruht, die von Tausenden von jungen Menschen, Arbeiter*innen, Studierenden, Rentner*innen und Personen unterstützt wird, die früher unpolitisch waren, jetzt aber erkannt haben, dass ihre Lebensgrundlage gefährdet ist, wenn sie nicht vortreten.”1

Trotz seiner Facebook-Anhängerschaft war Tantawi jedoch nicht in der Lage, die erforderlichen 25.000 Nominierungsunterschriften in 15 Gouvernements zu sammeln. Die Formulare wurden in Regierungsbüros aufbewahrt, wo Beamt*innen und regierungsnahe Schläger viele daran hinderten, zu unterschreiben. Dutzende seiner Unterstützer*innen wurden verhaftet und Wahlkampfveranstaltungen wurden blockiert. Sein Telefon wurde mehrfach gehackt, wobei staatliche Kräfte als wahrscheinliche Quelle vermutet wurden.

Staatlich gelenkter „Wahlkampf“

Während des Wahlkampfs hielt Sisi keine öffentlichen Versammlungen, Debatten oder Fernsehinterviews ab. Seine einzige öffentliche Rede war eine inszenierte Veranstaltung im Kairoer Stadion mit dem Titel “Es lebe Ägypten, eine Solidaritätsbekundung mit Palästina”. Er wurde von einer Ehrengarde aus Hunderten von Freiwilligen begrüßt, die für Hilfslieferungen nach Gaza mobilisiert worden waren. Im Hintergrund waren Reihen von geparkten Lastwagen zu sehen, die mit den Hilfsgütern beladen waren.

Nach einem staatlich organisierten Protest aus Solidarität mit Palästina am 20. Oktober, bei dem Hunderte von Demonstrant*innen Parolen gegen Sisi skandierten, wurden keine weiteren Proteste zu Palästina mehr zugelassen. Obwohl sich Sisi als Vermittler bei der Freilassung palästinensischer Gefangener für israelische Geiseln präsentiert, hält sein Regime schätzungsweise 60.000 politische Gefangene in überfüllten Gefängnissen fest. Im Rechtsstaatlichkeitsindex des World Justice Project rangiert Ägypten auf Platz 136 von 142 Ländern.

Die strenge Kontrolle der Medien – sowohl der öffentlichen als auch der privaten – durch die Regierung schränkt die Berichterstattung und die Kontrolle über Sisis Handlungen ein. Reporter ohne Grenzen stuft Ägypten hinsichtlich der Pressefreiheit auf Platz 166 von 180 Ländern ein.

Im Jahr 2012, der ersten Präsidentschaftswahl nach dem Sturz Mubaraks, lag die Wahlbeteiligung bei 52 Prozent. Im Jahr 2018, als Sisi einem einzigen “Gegner” gegenüberstand, der in Wirklichkeit ein Anhänger von ihm war, lag die Wahlbeteiligung bei 41 Prozent. Dieses Mal soll die Wahlbeteiligung 66,8 Prozent betragen haben. In einigen Gebieten erhielten die Wähler*innen Lebensmittelpakete (obwohl Sisi vor dem Wahltag sagte: “Wenn der Preis für den Fortschritt und den Wohlstand der Nation darin besteht, dass wir hungern und dursten, dann lasst uns nicht essen und trinken.”).

Künftige Bedrohungen für Sisi nehmen zu

“Ich werde nicht wählen, weil ich dieses Land satt habe”, sagte ein 27-jähriger Taxifahrer. “Wenn sie eine richtige Wahl abhalten, werde ich wählen gehen.”2 Dennoch ist es möglich, dass die Gaza-Krise zu einer Angst vor einem Übergreifen der Instabilität auf Ägypten geführt hat, was Sisis Wahlergebnis begünstigt haben könnte.

Außerdem haben die USA, die EU und die Golfstaaten mehr Angst vor Instabilität in der gesamten Region, was Sisis Einfluss bei ihnen vorerst stärkt.

Der Bau der neuen Hauptstadt in der Wüste hat bisher 58 Milliarden US-Dollar gekostet. Die Auslandsverschuldung hat sich bis Ende Juni 2023 auf fast 165 Milliarden US-Dollar erhöht, gegenüber etwa 46 Milliarden US-Dollar bei der offiziellen Machtübernahme durch Sisi im Jahr 2014. Im Jahr 2024 sind Schuldentilgungen in Höhe von 42 Milliarden US-Dollar fällig.

Sisis Wahlsieg wird seine Position nicht stärken, um Kürzungen der Lebensmittel- und Treibstoffsubventionen oder weitere Privatisierungen durchzusetzen, wie sie der Internationale Währungsfonds als Bedingung für einen weiteren Kredit gefordert hat. Wohlhabende Golfstaaten, die der ägyptischen Wirtschaft in den letzten Jahren wiederholt aus der Patsche geholfen haben, verlangen nun als Gegenleistung für weitere Gelder die Beteiligung an ägyptischen Unternehmen. Viele dieser Unternehmen befinden sich im Besitz des ägyptischen Militärs, das damit seinen pensionierten Offizieren ein gutes Einkommen verschafft.

Im Dezember 2010 gewann die Partei von Hosni Mubarak bei den Parlamentswahlen 83 Prozent der Sitze. Nur sechs Wochen später begannen Demonstrationen, die seine 31-jährige Herrschaft innerhalb von 18 Tagen beenden sollten.

Sisis Verfassungsänderung von 2019 ermöglichte es ihm, für eine dritte Amtszeit als Präsident zu kandidieren, für sechs statt vier Jahre. Aber er wird nicht verhindern können, dass sich in Zukunft Massenkämpfe gegen die Armut und Unterdrückung entwickeln, die seine Amtszeit geprägt haben.

Es werden nicht seine handverlesenen “Gegner” bei dieser Wahl sein, die diesen Kampf führen werden. Um die Macht zu erringen, müssen die Arbeiter*innen und Jugendlichen ihre eigene unabhängige Partei aufbauen und sie mit einem Programm für sozialistischen Wandel und echte Arbeiter*innendemokratie ausstatten und an die Arbeiter*innen in der ganzen Region appellieren, den gleichen Weg zu gehen.

1 Middle East Eye 05.10.23

2 Reuters 12.12.23