Türkei: Wie weiter für die Linke?

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Aufbau einer sozialistischen Arbeiter*innenpartei im Kampf gegen Erdoğan nötig

Der Wahlsieg des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan bei den Wahlen im Mai 2023, bei denen er das pro-kapitalistische Oppositionsbündnis besiegte, kam für viele, die Erdoğan inmitten einer historischen Lebenshaltungskostenkrise unbedingt loswerden wollten, überraschend.

von Berkay Kartav, Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale (CWI)i

Nach den Wahlen kehrte Erdoğan von seiner unorthodoxen Sicht ab, dass niedrigere Zinsen die Inflation eindämmen würden. Das und die Ernennung des zuverlässigeren Mehmet Şimşek zum Finanzminister und sowie von Hafize Gaye Erkan zur neuen Gouverneurin der Zentralbank, signalisierten in den Augen der Investor*innen eine Rückkehr zu einem stabilen Wirtschaftsprogramm, zumindest was die Wirtschaftsführung betrifft.

Doch die dem türkischen Kapitalismus zugrunde liegende Krise, in einer Zeit höchst unbeständiger internationaler politischer und wirtschaftlicher Verhältnisse, zeigt trotz des geringen Wachstums nach den Wahlen keine Anzeichen einer Erholung. Dies wird eine Regierung sein, die wild entschlossen sein wird, die Arbeiter*innenklasse für die Fehler ihres Systems bezahlen zu lassen.

Der Sieg Erdoğans signalisiert also keineswegs die Rückkehr zu einem stabilen Gleichgewicht, sondern den Beginn einer neuen explosiven Periode mit Möglichkeiten für die Linke, politisch zu intervenieren, sozialistische Ideen zu verbreiten und die Arbeiter*innenklasse politisch zu rüsten. Die Frage des Aufbaus einer massenhaften politischen Vertretung für die Arbeiter*innenklasse mit einem sozialistischen Programm sowie das Schmieden einer revolutionären Massenpartei stellt sich daher in dieser Zeit in aller Schärfe.

Trotz günstiger objektiver Bedingungen hat das Scheitern des wichtigsten Oppositionsblocks unter Führung der kemalistischen Republikanischen Volkspartei (CHP) – die eine Koalition aus pro-kapitalistischen Parteien, einschließlich der Rechtsextremen, zusammengebracht hat – zu der Frage geführt, wie Erdoğan und seine Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung besiegt werden können. Noch wichtiger ist, dass diese Wahlniederlage die Arbeiter*innenbewegung und insbesondere die Jugend zu Diskussionen darüber anregen sollte, welches Programm und welche Strategie für eine Gesellschaft, die ihren Wünschen entspricht, erforderlich ist.

Klar ist, dass die weit verbreitete Wut in der Gesellschaft angesichts einer historischen Lebenshaltungskostenkrise selbst unter denjenigen, die vielleicht Erdoğan oder andere rechte Parteien gewählt haben, nicht abebben wird.

In Meinungsumfragen wird regelmäßig festgestellt, dass für rund siebzig Prozent der in der Türkei lebenden Menschen diese Lebenshaltungskostenkrise nach wie vor das wichtigste Thema ist. Auch wenn die offizielle Inflationsrate im November 2023 bei knapp über 61 Prozent liegt, ist die tatsächliche Inflation, die die einfache Bevölkerung zu spüren bekommt, viel höher. Es wird mit einer Inflation von über 120 Prozent gerechnet. Nach den Wahlen hat die Regierung schwindelerregende Erhöhungen der Mehrwertsteuer und der Treibstoffsteuer angekündigt, die das Leid der einfachen Arbeiter*innen in der Türkei nur noch verschlimmern werden.

Arbeiter*innenpartei der Türkei (TIP)

Angesichts der politischen Möglichkeiten in der kommenden Periode müssen Schritte unternommen werden, um die Organisationen der Arbeiter*innenklasse wieder aufzubauen und eine sozialistische Massenalternative zu Erdoğans krisenhaftem Regime zu schaffen.

Der Wahlerfolg der neu gegründeten Arbeiter*innenpartei der Türkei und der Enthusiasmus, den sie bei einer bestimmten Schicht, insbesondere bei der Jugend, ausgelöst hat, sind ein Hinweis darauf, dass der Boden für die Schaffung einer massenhaften politischen Vertretung für die Arbeiter*innenklasse bereitet ist.

Die TIP wurde erst 2017 von der Kommunistischen Volkspartei (HTKP) gegründet, einer Gruppe, die sich (nach der Gezi-Park-Bewegung 2013) aufgrund politischer und organisatorischer Differenzen von der ‚stalinistischen‘ Kommunistischen Partei der Türkei (TKP) abspaltete.

Bei den Parlamentswahlen 2018 konnte die TIP aufgrund von undemokratischen Gesetzen nicht zu den Wahlen antreten. Stattdessen schloss sie einen Wahlpakt mit der pro-kurdischen Demokratischen Volkspartei (HDP), der es dem Vorsitzenden der TIP, Erkan Baş, und einem weiteren führenden Mitglied, Barış Atay, ermöglichte, bei den Wahlen auf den Listen der HDP zu kandidieren. Nach den Wahlen traten sie aus der HDP aus und gründeten ihre eigene Fraktion im Parlament. Später traten Ahmet Şık von der HDP und Sera Kadıgil von der CHP zur TIP über, so dass die TIP nun insgesamt vier Abgeordnete im Parlament hat.

Während dieser Zeit nutzten die TIP-Vertreter*innen, insbesondere Erkan Baş, ihre Position im Parlament, um mit feurigen Reden die Stimme der einfachen Leute zu erheben. In diesen Jahren gewann die TIP an Popularität und schaffte es, eine Schicht junger Menschen anzuziehen, die auf der Suche nach einer sozialistischen Alternative sind. Es gelang ihr, das Vakuum, das auf der Linken bestand, teilweise zu füllen.

Bei der Erläuterung ihrer Wahlstrategie für die Wahlen im Jahr 2023 schrieb der TIP-Vorsitzende, dass sie eine Stimme für die Arbeiter*innen sein wollen und dass sie Arbeiter*innen, Bürgerinitiativen, Studierende und LGBTQ+-Aktivist*innen ermutigen wollen, bei den kommenden Wahlen zu kandidieren, auch wenn sie nicht Mitglied der TIP sind.

Bei den Parlamentswahlen im Mai 2023 bildeten sie zusammen mit der HDP das Bündnis für Arbeit und Freiheit. Dieses Bündnis erhielt insgesamt 5.744.004 Stimmen und hat nun 65 Abgeordnete im türkischen Parlament (von 600). Die TIP erhielt fast eine Million Stimmen (1,73 Prozent) und schaffte es, vier Abgeordnete zu stellen, auch wenn sie nicht überall antrat, um die HDP-Stimmen in den Randgebieten nicht zu beschneiden.

Ein weiteres linkes Wahlbündnis, die Vereinigten Kräfte der Sozialisten, das sich aus der Kommunistischen Partei der Türkei (TKP) und der Linkspartei (SOL) sowie mehreren anderen Gruppierungen zusammensetzt, erhielt 159.405 Stimmen und konnte keine Sitze erringen.

Programmatisch geht die TIP über das Programm neuer linkspopulistischer Formationen wie Corbyn in Großbritannien oder Syriza in Griechenland hinaus. Das offizielle Programm besagt:

“Die Voraussetzung für den Sozialismus ist die Machtergreifung durch eine Revolution, die von der Arbeiter*innenklasse unter der Führung der Partei und unter Beteiligung der verschiedenen Teile der Gesellschaft durchgeführt wird. Auf diese politische Revolution folgt eine soziale Revolution, die die Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und die Umgestaltung aller gesellschaftlichen Verhältnisse, beginnend mit den Produktionsverhältnissen, gewährleistet. Der Sozialismus ist die Übergangsphase zwischen der kapitalistischen Gesellschaft und der klassenlosen Gesellschaft, die mit der politischen Revolution beginnt und mit der sozialen Revolution fortgesetzt wird. In dieser Phase ist es das Hauptziel der Arbeiter*innenklasse, durch die Zerschlagung der kapitalistischen Staatsmaschinerie und die Unterdrückung der konterrevolutionären Kräfte, deren Absicht es ist, die Lohnsklaverei aufrechtzuerhalten, die sozialistische Demokratie aufzubauen, den Aufbau des Sozialismus voranzutreiben und für die Weltrevolution zu kämpfen, die das vollständige Verschwinden der Klassengesellschaften sicherstellen wird.”1

Auch wenn im Wahlkampf eine abgeschwächte Version dieses Programms präsentiert wurde, wurden in der TIP sozialistische Forderungen wie die Wiederverstaatlichung und die Notwendigkeit der Einführung einer Planwirtschaft erhoben.

Es war zwar notwendig, ein sozialistisches Programm vorzulegen, doch das reicht nicht aus, um eine breite Basis in der Arbeiter*innenklasse aufzubauen. Die TIP sollte qualitative Schritte unternehmen, um in den Arbeiter*innenvierteln Wurzeln zu schlagen. Dort, wo sie dies erreicht hat, ist ihr das ausgesprochen gut gelungen. In Defne, einem der Gebiete, die von dem verheerenden Erdbeben vor einigen Monaten schwer betroffen waren, erreichte sie mit 28 Prozent der Stimmen den zweiten Platz.

In einer Zeit, in der es enorme Angriffe auf die Arbeiter*innenklasse und junge Menschen gibt, hat die TIP das Potenzial, eine vereinte Massenbewegung der Arbeiter*innenklasse anzuführen, um für “Brot und Butter”-Themen zu kämpfen und eine sozialistische Alternative anzubieten. Sie kann zum Beispiel Massenflugblattaktionen organisieren und zusammen mit den Gewerkschaften im ganzen Land Kundgebungen über die Lebenskostenkrise veranstalten und einen Ausweg aus der Krise anbieten.

Eine Stimme für Kemal und eine Stimme für die TIP

Der größte strategische Fehler der TIP bei den letzten Wahlen war die unkritische Unterstützung des Präsidentschaftskandidaten der Nationalen Allianz, Kemal Kılıçdaroğlu. Ihr offizieller Slogan während des Wahlkampfes lautete “eine Stimme für Kemal und eine Stimme für die TIP” und spiegelte die damalige Stimmung in der Gesellschaft wider.

Verständlicherweise wünschten sich viele Arbeiter*innen und junge Menschen, dass Erdoğan in der ersten Runde ausscheidet. Im Gegensatz zu anderen rechtsgerichteten Kandidaten, die die CHP in der Vergangenheit aufgestellt hat, wie Ekmeleddin İhsanoğlu, wurde Kılıçdaroğlu als akzeptabler Kandidat angesehen, da er sich selbst als Sozialdemokrat betrachtet und einer unterdrückten islamischen Religionsgemeinschaft, dem Alevitentum, angehört.

Die Nationale Allianz vertritt jedoch die Interessen des Großkapitals und bot keinerlei Politik an, die die Probleme der Arbeiter*innenklasse oder der Jugend lindern würden. Sie befürwortete Privatisierungen und neoliberale Angriffe auf die Arbeiter*innenklasse und die Armen, auch wenn sie dies nicht ausdrücklich sagte. Außerdem war die Nationale Allianz eine Koalition aus rechten und rechtsextremen Gruppen.

Nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen versprach Kemal Kılıçdaroğlu in einem verzweifelten Versuch, die zweite Runde zu gewinnen, alle Migrant*innen abzuschieben. An dem Tag, an dem er dies ankündigte, verstärkte die TIP ihre Kampagne, um Kemal Kılıçdaroğlu zu wählen, um Erdoğan loszuwerden.

Marxist*innen sollten nicht davor zurückschrecken, manchmal in der Minderheit zu sein. Hätte die TIP für die Aufstellung eines eigenen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen in der ersten Runde gekämpft oder zumindest darüber diskutiert, hätte sie die Möglichkeit gehabt, eine sozialistische Alternative sowohl zu Erdoğan als auch zur Nationalen Allianz zu präsentieren. Selbst wenn sie nur bescheidene Stimmanteile erhalten hätte, wäre damit ein Zeichen für die Zukunft gesetzt worden.

Organisation der Arbeiter*innenklasse

Die Bildung einer Einheitsfront von Arbeiter*innen und sozialistischen Organisationen ist von entscheidender Bedeutung, insbesondere in dieser Zeit, in der das Klassenbewusstsein und der Organisationsgrad niedrig sind. Der Militärputsch 1980, während der Klassenkampf in der Türkei auf seinem Höhepunkt war, der eine Militärpolizeidiktatur errichtete und die Gewerkschaften, einige politische Parteien und das Streikrecht verbot, war ein massiver Rückschlag für die Arbeiter*innenbewegung. Tausende von Aktivist*innen der Arbeiter*innenklasse wurden inhaftiert und gefoltert.

Vor dem Putsch war die sozialistische Bewegung in der Türkei auf dem Vormarsch. Es gab militante Massengewerkschaften, die Streiks und Massenkundgebungen organisierten. Zwölf militante Gewerkschaften hatten 1961 sogar eine politische Massenpartei gegründet, die Arbeiterpartei der Türkei (nicht zu verwechseln mit der heutigen TIP), die 1965 15 Abgeordnete stellte.

Gegen Ende der 1980er Jahre nahmen die Streiks zu, was zeigte, dass die Linke wieder an Stärke gewann. In dieser Zeit kam es zu den so genannten “Frühjahrsprotesten”, zu denen auch ein großartiger Marsch von rund 100.000 Bergarbeiter*innen und ihren Familien von Zonguldak, einer Bergbaustadt in der Nordtürkei, in die Hauptstadt Ankara gegen die Privatisierung und die Schließung von Zechen gehörte.

Doch der Zusammenbruch des Stalinismus in Verbindung mit dem Rückschlag nach dem Militärputsch von 1980 warfen das Bewusstsein und die Organisierung der Arbeiter*innenklasse zurück, nicht nur in der Türkei, sondern weltweit. Selbst die fortschrittlichsten Schichten der Arbeiter*innenklasse waren infolgedessen verwirrt.

Seitdem sind die Kämpfe auf niedrigem Niveau, und die einst mächtigen sozialistischen Gruppen wurden an den Rand gedrängt. Militante Gewerkschaftsverbände, wie der Revolutionäre Gewerkschaftsbund (DISK), wurden zunehmend bürokratisch und gingen nach rechts.

Vor diesem Hintergrund sind die Erfolge der TIP bei den letzten Wahlen, nicht nur in Bezug auf die Zahl der erhaltenen Stimmen, sondern auch in Bezug auf die Verbreitung sozialistischer Ideen, zu begrüßen und sollten als ein Schritt nach vorn betrachtet werden.

Von ein paar tausend Mitgliedern ist ihre Mitgliederzahl inzwischen auf etwa 40.000 angestiegen, und sie wächst weiter. Die Führung der TIP ist sich darüber im Klaren, dass dieser Anstieg der Mitgliederzahlen Probleme für eine “revolutionäre” Organisation mit sich bringt, und sie betont die Notwendigkeit, Kader aufzubauen, den Rahmen einer revolutionären Partei zu schaffen und zu definieren, was ein Mitglied ist.

Es ist von entscheidender Bedeutung, eine breite Formation der Arbeiter*innenklasse aufzubauen, aber es ist auch von ebenso großer Bedeutung, eine revolutionäre Massenpartei mit Wurzeln in der Arbeiter*innenklasse aufzubauen, die ein sozialistisches Programm und eine Strategie zur Überwindung des Kapitalismus anbietet. Wenn die TIP den Anspruch erhebt, eine solche Partei zu werden, dann muss sie sich im Laufe des Kampfes bewähren.

Aber auch wenn die TIP mit ihrem linksradikalen Programm fast eine Million Stimmen erhalten hat, ist sie eher ein Wahlphänomen. Wenn sie keine Maßnahmen ergreift, um ihr Ansehen in der organisierten Arbeiter*innenklasse auszubauen, könnten auch ihre Stimmen bei den nächsten Wahlen wegbrechen. Es reicht nicht aus, den Sozialismus zu predigen oder eine “revolutionäre” Rhetorik zu pflegen. Sie müssen konkrete Forderungen formulieren, ausgehend vom allgemeinen Bewusstsein der Arbeiter*innenklasse, über eine Reihe von Übergangsforderungen, die mit der Notwendigkeit einer sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft verbunden sind.

Einheitsfront

In dieser Hinsicht ist es in der Periode nach dem Zusammenbruch des Stalinismus mit einem niedrigen Bewusstseins- und Organisationsgrad der Arbeiter*innenklasse von entscheidender Bedeutung, eine Einheitsfront mit Arbeiter*innenorganisationen und Gewerkschaften aufzubauen, einen kollektiven gemeinsamen Kampf gegen Erdoğans Regime zu führen und einen sozialistischen Weg aus der Krise anzubieten.

Wie bereits erwähnt, gab es bei den letzten Wahlen zwei linke Bündnisse. Die TIP bildete eine Koalition mit der pro-kurdischen HDP und der Partei der Arbeit (EMEP) als Teil der Allianz für Arbeit und Freiheit. Aus taktischer Sicht konnte die TIP durch dieses Bündnis zwar Sitze im Parlament gewinnen, indem sie die antidemokratische Sieben-Prozent-Hürde für den Erhalt von Sitzen überwand, doch dies wirft Fragen darüber auf, wie das Bündnis aussehen sollte.

Das Bündnis für Arbeit und Freiheit muss politisch und organisatorisch gestärkt und erweitert werden, um zu einem Anziehungspunkt für Arbeiter*innen und junge Menschen zu werden, die gegen die Krise der Lebenshaltungskosten und gegen Erdoğans Regime kämpfen wollen.

Die heftigen Angriffe des Regimes auf die demokratischen Rechte des kurdischen Volkes, einschließlich der Inhaftierung vieler führender Aktivist*innen, haben die Organisationsfähigkeit der HDP stark geschwächt.

Aber auch programmatisch hat die HDP gelitten, als sie weiter nach rechts rückte. Sie passte sich der “Identitätspolitik” an, anstatt an alle Teile der Arbeiter*innenklasse in der Türkei zu appellieren. Sie ließ viele ihrer einstigen Klassenforderungen fallen.

Dass es der HDP bei den letzten Wahlen nicht gelang, ihre soziale Basis zu begeistern, spiegelte sich im Rückgang der Wähler*innenunterstützung wider. Gleichzeitig haben einige sektiererische Aussagen, wie z. B. Äußerungen führender Persönlichkeiten, die dazu aufforderten, nicht für die TIP zu stimmen, dem Ansehen der HDP weiter geschadet.

Trotz aller programmatischen Beschränkungen der HDP wird sie von der kurdischen Bevölkerung immer noch weitgehend als ihre eigene Partei angesehen. Solidarität mit der HDP gegen staatliche Unterdrückung und Rassismus und der Kampf für die demokratischen und nationalen Rechte des kurdischen Volkes werden in dieser Zeit von entscheidender Bedeutung sein. Jede Formation von Arbeiter*innen oder Sozialist*innen, die sich nicht für die demokratischen und nationalen Rechte der Kurd*innen und anderer unterdrückter Minderheiten einsetzt, wird nicht in der Lage sein, ihr Vertrauen zu gewinnen.

Während die HDP (jetzt umbenannt in Partei für Gleichheit und Demokratie der Völker) zu einer Einheitsfront mit Arbeiter*innenorganisationen und sozialistischen Gruppen eingeladen werden sollte, sollte ein solches Bündnis auf klaren Klassenprinzipien beruhen und die Interessen der Arbeiter*innenklasse durch ein sozialistisches Programm verteidigen. Das Bündnis sollte sich für die Rechte von Frauen und unterdrückten Minderheiten einsetzen, was ein wesentlicher Bestandteil des Kampfes für sozialistische Veränderungen ist.

Die TIP, die Kommunistische Partei, die Linkspartei, die Arbeiter*innenpartei (EMEP) und andere sozialistische Gruppen, die Tausende von Mitgliedern bestehend aus kämpferischen Arbeiter*innen und Jugendlichen haben, könnten gemeinsam für die Verteidigung der Interessen der Arbeiter*innenklasse und die Verbreitung sozialistischer Ideen kämpfen. Aber ein Bündnis – eine Koalition der Willigen – sollte nicht einfach nur ein Zusammenschluss verschiedener Gruppen sein. Es sollte föderal und wirklich demokratisch sein, um die aktive Beteiligung der Masse der Arbeiter*innenklasse zu maximieren.

Ein solches Bündnis, das es den teilnehmenden Organisationen ermöglicht, weiterhin ihre Unabhängigkeit zu bewahren, könnte ein Anziehungspunkt für Arbeiter*innen und Jugendliche sein, die sich gegen das brutale Regime Erdoğans wehren wollen. Durch die Beteiligung an einem solchen Bündnis könnte die TIP möglicherweise politisch aktivere Teile der Arbeiter*innenklasse und Jugend erreichen und sie sowohl durch Taten als auch durch Diskussionen und Debatten für ihre Organisation gewinnen.

Sicherlich werden die bevorstehenden Kommunalwahlen im März 2024 eine wichtige Gelegenheit für die Linke sein, sozialistische Ideen vorzubringen und sogar Positionen zu gewinnen. Aber dies sollte Teil einer umfassenderen Strategie sein, um die beste Wahlstrategie aufzubauen, um eine sozialistische Alternative sowohl zu Erdoğans AKP als auch zu anderen pro-kapitalistischen Parteien, einschließlich der CHP, anzubieten.

Kämpfen für den Sozialismus

Erdoğans Regime und in der Folge der türkische Kapitalismus befinden sich in einer katastrophalen Lage und sind mit einer Vielzahl von Krisen konfrontiert. In einer Zeit, in der sich die kapitalistische Rivalität weltweit verschärft, wird die Regierung instabil sein.

Es gibt keinen Grund, warum sich Massenkämpfe, wie in Sri Lanka, nicht auch in der Türkei entwickeln sollten. Arbeiter*innenorganisationen wie auch sozialistische Gruppen müssen bereit sein, das gesamte Potenzial der Arbeiter*innenklasse zu mobilisieren, nicht nur um Erdoğan und seine Partei zu besiegen, sondern um für einen sozialistischen Wandel zu kämpfen.

Trotz der relativen Ruhe und der Demoralisierung breiter Schichten der Gesellschaft nach den Wahlen gibt es sicherlich das Potenzial für die Entwicklung spontaner Bewegungen sowie für Fabrikbesetzungen und Massenstreiks.

Der jüngste Kampf der Textilarbeiter*innen von Ozak in Urfa um die Anerkennung der Gewerkschaft zeigt einen Weg nach vorn. Die skandalösen staatlichen Repressionen gegen diese Gruppe von Arbeiter*innen, darunter viele Frauen, haben der Stimmung keinen Abbruch getan. Weitere Arbeitskämpfe, und zwar in weit größerem Umfang, stehen auf der Tagesordnung. Genau das ist, was Erdoğans Regime und die Bosse am meisten fürchten.

Gleichzeitig ist klar, dass der Organisationsgrad und das Bewusstsein noch immer niedrig sind. Der Wiederaufbau der Organisationen der Arbeiter*innenklasse, einschließlich der Gewerkschaften und einer massenhaften politischen Stimme für Arbeiter*innen und Jugendliche, die mit einem sozialistischen Programm ausgestattet ist, ist eine wichtige Notwendigkeit.

Aber neben dem Kampf für eine solche Partei muss auch eine revolutionäre Massenpartei entstehen, die einen Weg nach vorn und ein revolutionäres sozialistisches Programm mit der Perspektive des Sturzes des Kapitalismus anbieten kann. Forderungen wie die Nichtbegleichung von Schulden und andere sozialistische Maßnahmen, einschließlich der Verstaatlichung der führenden Wirtschaftszweige unter Arbeiter*innenkontrolle und -verwaltung, werden von entscheidender Bedeutung sein, um ein Programm aufzustellen, das die verschiedenen Schichten der Arbeiter*innenklasse vereinen kann. Die Schriften der großen revolutionären Denker*innen – vor allem Karl Marx, Friedrich Engels, Lenin und Trotzki – werden beim Aufbau einer revolutionären Massenpartei, die in der Lage ist, diese Mammutaufgaben zu bewältigen, von entscheidender Bedeutung sein.

1 https://tip.org.tr/en/party-programme/

i Übersetzung des Artikels „Turkey: Building a socialist voice for the working class to resist Erdogan“, https://www.socialistworld.net/2023/12/13/turkey-building-a-socialist-voice-for-the-working-class-to-resist-erdogan/

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