“Wie Europa Afrika unterentwickelte”

Bafta Sarbo (rechts) auf einer Veranstaltung der Sol in Berlin

Bafta Sarbo über die Neuübersetzung von Walter Rodneys Klassiker

Im November 2023 ist das Buch „Wie Europa Afrika unterentwickelte“ von Walter Rodney in neuer deutscher Übersetzung beim Berliner Manifest Verlag erschienen. Du hast neben anderen einen Beitrag zu dem Buch geschrieben. Warum bringt man es ein halbes Jahrhundert nach der deutschen Erstveröffentlichung erneut heraus?

Die neue Übersetzung war schon lange überfällig, aber ich denke auch, dass, um in Deutschland wirklich rezipiert zu werden, es etwas Zeit gebraucht hat. In Deutschland gibt es gerade wieder ein Momentum, um über Kapitalismus zu sprechen, und zwar in seiner globalen Dimension. Klasse war lange eine Kategorie, die kaum jemand in den Mund genommen hat. Aber auch die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte läuft vor allem auf kultureller Ebene. Dass der Kolonialismus zwar formal beendet wurde, aber Abhängigkeiten auf globaler Ebene noch existieren, wurde immer offensichtlicher. Imperialismus zeigt sich gerade an sehr unterschiedlichen Teilen der Welt, aber auch das Auflehnen der Bevölkerungen der Länder Afrikas, aber auch Asiens und Lateinamerikas dagegen. Da gibt es gerade in Europa und Deutschland speziell viele Wissenslücken, um das überhaupt einzuordnen. 

Warum gibt es eine neue Übersetzung des Textes?

Die alte Übersetzung war in vielerlei Hinsicht nicht ausreichend. Abschnitte waren nicht akkurat, also mit dem entsprechenden marxistischen Vokabular übersetzt, aber auch der Titel macht die Verzerrung der alten Übersetzung sehr offensichtlich. Entwicklung und Unterentwicklung sind bei Rodney ein Verhältnis, bei dem das eine das andere bedingt. Beim alten Titel „Afrika. Die Geschichte einer Unterentwicklung“ gibt es plötzlich kein Europa, das zur afrikanischen Unterentwicklung in Beziehung steht. Es wirkt fast so, als ob Unterentwicklung in Afrika ganz allein passiert wäre, ohne das Zutun Europas.

Seitdem das Buch verfasst wurde, haben viele Autor*innen über die Frage der Unterentwicklung Afrikas geschrieben. Warum legt man gerade ein Buch von Walter Rodney neu auf?

Es ist gewissermaßen das Standardwerk, um das man nicht rumkommt. Die Art wie Rodney Entwicklung einerseits in seiner allgemein menschlichen Form und spezifisch im Kapitalismus unterscheidet und beschreibt, ist eine wichtige Grundlage, Unterentwicklung überhaupt richtig einzuordnen.

Worum geht es in deinem Beitrag?

Um die Entwicklung des Marxismus in Rodneys Leben und Wirken. Er politisierte sich früh marxistisch, aber man kann auch beobachten, wie er sich theoretisch entwickelt von den 60er Jahren im Kontext der Black Power Bewegung, über die Unterstützung staatssozialistischer Projekte bis hin zu seinem Tod 1980, wo er einen sehr konkreten Fokus auf die Aktivität der Arbeiterklasse setzte.

Warum sollten sich Leser*innen in Deutschland mit der Geschichte der Unterentwicklung Afrikas beschäftigen?

Obwohl Deutschland seine Kolonien früh aberkannt wurde, hatte Deutschland einen signifikanten Anteil an der Unterentwicklung Afrikas Diese wird auch heute noch mit imperialistischen Mitteln durch die EU, die Afrika als Absatzmarkt nutzt, aber auch durch Verschuldung aufrechterhalten. Um diese anhaltende Ausbeutung zu verstehen, braucht es die geschichtlichen Grundlagen.

Der vor einem guten Jahr erschienene Band „Die Diversität der Ausbeutung“, unter anderem mit Texten und unter der Herausgeberinnenschaft von Dir, hat eine große Aufmerksamkeit bekommen und viel Diskussion angestoßen. Was erwartest du in Bezug auf dieses Buch?

In unserem Buch wurde Rodney ja auch ein paar Mal zitiert und ich wurde ein paar Mal auf ihn angesprochen. Ich habe zwar immer wieder auf seine Texte verwiesen, aber auch die alte Übersetzung gab es nur noch antiquarisch, und vielen Menschen fällt es nachvollziehbarerweise schwer, akademische Texte auf Englisch zu lesen. Ein Anliegen unseres Sammelbandes war es auch, Debatten über Rassismus und Antirassismus für ein deutschsprachiges Publikum zugänglich zu machen. Ich denke, diese Neuübersetzung wird das auch nochmal leisten können in Bezug auf Fragen von Kolonialgeschichte, Entwicklungspolitik und Imperialismus.