Berlin: Kürzungen trotz „Rekordhaushalt“

Jetzt den Widerstand gegen den Sozialkahlschlag vorbereiten

Noch bevor die Kürzungen im Bundeshaushalt infolge des Karlsruher Urteils beschlossen sind, lässt der schwarz-rote Berliner Senat Stadt und Bezirke Milliarden sparen. Die Folgen sind klar: Die wenigen sozialen und kulturellen Angebote, die es überhaupt noch gibt, sind ebenso in Gefahr wie z.B. Schulreinigung und -wachschutz. Und auch der Zerfall der öffentlichen Infrastruktur wie BVG und Krankenhäuser geht weiter, weil nicht im nötigen Umfang investiert wird. So kann es nicht weiter gehen! Doch wie können die Kürzungen abgewendet werden und was ist die Alternative?

von Tim Brandes, Berlin

Der schwarz-rote Senat hat mit 39,3 Milliarden Euro im kommenden und 40,5 Milliarden Euro im Jahr 2025 einen Rekordhaushalt aufgestellt. Ein Grund zum Feiern? Nein, praktisch frisst die Inflation das meiste wieder auf. Selbst CDU-Bürgermeister Wegner gestand: „Wir haben alles ausgegeben, nur um den Laden am Laufen zu halten“1.

Doch wie das genau laufen soll, weiß man noch nicht. Denn bisher sind vier Milliarden Euro, also rund 5 Prozent, an sogenannten „pauschalen Minderausgaben“ im Doppelhaushalt vorgesehen, die noch keine Gegenfinanzierung haben. Diese sollen aller Voraussicht nach durch Kürzungen der Förderungen im Bereich der freien sozialen Träger innerhalb der Stadt und der Bezirke eingespart werden. 

Zwischen Rekordhaushalt und Sozialkahlschlag

Eine erste Kürzungsmaßnahme gab es schon, indem die sogenannte „Zweckumwidmung“ verboten wurde. Bisher konnten die Bezirke das Geld für unbesetzte Personalstellen für andere Sachausgaben einsetzen. Damit ist nun Schluss. Im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg betrifft das rund 300 unbesetzte Stellen und damit bis zu drei Millionen Euro. Dieses Geld muss nun an anderer Stelle eingespart werden. Auch der Bezirk Neukölln hat die Haushaltssperre verlängert, da für 2024 mit einem Defizit von 10 Millionen Euro gerechnet wird. Das heißt, es dürfen keine neuen Verträge oder Verpflichtungen eingegangen werden. Insbesondere bei der sozialen Infrastruktur, die sich von Vertrag zu Vertrag hangeln, wird es also Schließungen geben. Schon jetzt soll es zur Schließung von drei Jugendfreizeit- und Familieneinrichtungen kommen.2 Und das in einem Bezirk, in dem man nach den Ereignissen von Silvester 2022 eigentlich mehr in die Kinder- und Jugendarbeit investieren wollte.

Auch die Paul Hindemith Schule – eine von 12 öffentlichen Musikschulen in Berlin – bangt um ihre Zukunft. Nicht nur werden die höheren Tarifgehälter der Beschäftigten nicht ausgeglichen. Stattdessen besteht die Gefahr, dass das Budget um bis zu vierzig Prozent gekürzt werden soll. Ob und wie die Schule so überleben soll, ist unsicher. Klar ist jedoch, so oder so wird der Zugang von Schüler*innen, Künstler*innen und einfachen Neuköllner*innen zu kulturellen Angeboten im Kiez weiter eingeschränkt.

Zudem wird der Haushalt nur “ausgeglichen”, weil 4,6 Milliarden Euro Rücklagen aufgebraucht werden. Spätestens beim nächsten Doppelhaushalt ist es also vollkommen offen, wie es weitergeht. Hinzu kommt, dass die landeseigenen Unternehmen Milliardenschulden haben.Schwarz-Rot hat die strengeren Vorgaben für die landeseigenen Wohnungsunternehmen gelockert, sodass diese 130.000 Mieterhöhungen allein in diesem Jahr planen.Und auch die steigenden Zinsen werden immer mehr zum Problem. Schon jetzt geht ein Zehntel des gesamten Haushalts in die Finanzwirtschaft, u.a. zur Schuldentilgung.

Das Schicksal von weiteren fünf Milliarden Euro, die für „Klimaschutzmaßnahmen“ angekündigt waren, ist in Folge des Karlsruher Urteils ungewiss – wobei offen war, wofür das Geld genau eingesetzt werden sollte und der Senat ankündigte, damit auch Polizeistellen und andere öffentliche Gebäude sanieren zu wollen.

Doch angesichts alljährlicher BVG-Sonderfahrpläne, fast täglichem Ausnahmezustand im Rettungsdienst3, maroden Schulen, Pisa-Schocks usw. ist allen Menschen in Berlin klar, dass es massive Investitionen in die öffentliche Infrastruktur braucht. Dazu kommen, dass nach dem Klimaschutzgesetz bis 2045 nach aktuellen Angaben rund zwei Milliarden Euro in den Umbau der Berliner Stromnetze für die Wärme- und Energiewende gebraucht werden.4

Das heißt, auch mit diesem Haushalt wird der schleichende Zusammenbruch der öffentlichen und sozialen Infrastruktur nicht gestoppt, sondern beschleunigt. Und das, noch bevor die Auswirkungen des Karlsruher Urteils voll durchschlagen und Kürzungen im Bundeshaushalt feststehen. Da die wirtschaftlichen Aussichten alles andere als heiter erscheinen, wird das nur der Anfang sein. Eine Fortsetzung der Rezession oder ein größerer Einbruch könnte die Finanzplanung schon vor Ende 2025 zunichte machen.

DIE LINKE: Fiskalische Tricksereien statt sozialistische Politik

DIE LINKE.Berlin, die sich jetzt in der Opposition befindet, spricht sich richtigerweisegrundsätzlich gegen die Kürzungen aus. Sie macht einige gute Vorschläge, wie z.B. die Anhebung der Grunderwerbssteuer sowie eine konsequentere Steuerdurchsetzung. Doch das würde nicht reichen, um die gehandelten Milliardenbeträge einzubringen. Die Lösung der Berliner LINKEN liegt in haushalterischen Tricksereien, wie zum Beispieldie Kreditaufnahmen an die landeseigenen Unternehmen auszulagern oder Transaktionskredite, die ebenso den Haushalt nicht belasten. Damit will sie die Schuldenbremse, welche die Kreditaufnahme des Landes beschränkt, umgehen. Doch das verschiebt das Problem im besten Fall in die Zukunft und beantwortet nicht die Frage, wer für nötige Investitionen bezahlen soll.

Die Aufgabe einer sozialistischen Partei ist nicht, den Kapitalist*innen und ihren Parteien zu erklären, wie sie ihr krisenhaftes System besser managen können, sondernWiderstand gegen Angriffe zu organisieren, um dieses System zu überwinden. Davon ist bei der Berliner LINKEN aber keine Rede. Es ist zu befürchten, dass die Partei sich nur auf die Teilwiederholung der Bundestagswahl konzentriert und nicht die Initiative ergreift, ernsthaften Widerstand in den Bezirken und in der Stadt gegen Sozialkahlschlag zu organisieren. Eine sozialistische Partei müsste aber darauf ihren Schwerpunkt legen und mit dem Ziel verbinden,einen Haushalt nach dem tatsächlichen Bedarf der einfachen Bevölkerung aufzustellen, die Schuldenbremse zurückweisen und für massive Investitionenkämpfen. Diese Mittel müsste man unter anderem vom Bund fordern, Proteste organisieren und erklären, dass das finanzierbar ist.

Denn Geld ist genug da: Eine neue Studie der Hans-Böckler-Stiftung ergab, dass sich allein die Vermögen der deutschen Milliardär*innen auf mindestens 1400 Milliarden Euro belaufen5. Dazu kommen die deutschen Millionär*innen, die zusammen 6000 Milliarden Euro zusammenbringen. Dieser Reichtum basiert auf der Arbeit der Lohnabhängigen.  

Und da müsste man ran. Zum Beispiel durch die Wiedereinführung der Vermögens-und Erhöhung der Erbschafts- und Schenkungssteuer. So werden auf Erbschaften und Schenkungen von Vermögen über 20 Millionen Euro durchschnittlich nur drei Prozent Steuern fällig. [5]

Mit einer einmalige Abgabe von 30 Prozent auf das Geldvermögen von Millionär*innen und Milliardär*innen, könnten kurzfristig etliche Milliarden Euro eingenommen werden. Durch eine Vermögenssteuer von zehn Prozent ab einer Million Euro Vermögen, ein stark progressives Steuersystem und drastisch höhere Steuern auf Unternehmensprofite und Erbschaften könnten auch die laufenden Einnahmen erhöht werden.

Jetzt den Widerstand vorbereiten

Doch natürlich werden die pro-kapitalistischen Parteien, seien es CDU und SPD in Berlin, oder Grüne, SPD und FDP im Bund nicht an die Profite der Reichen, der Banken und Konzerne rangehen, sondern uns die Zeche zahlen lassen. Dagegen gilt es, Widerstand zu organisieren: im Bezirk, in der Stadt undletztlich im ganzen Land.

Linke, Gewerkschaften und soziale Verbände dürfen sich nicht auf Appelle an die Regierung beschränken, sondern müssen selbst mobilisieren. Dabei kann insbesondere der Widerstand durch die Beschäftigten in den Gewerkschaften ein zentraler Hebel im Widerstand sein. Sie haben die potenziell größte Macht und letztlich sind alle Kolleg*innen von den Kürzungen betroffen, sei es durch die katastrophalen Zustände, beispielsweise in Krankenhäusern, Ämtern und Schulen oder durch den Wegfall sozialer und kultureller Angebote in der Nachbarschaft.

Die Gewerkschaftsführungen sind in Berlin wie bundesweit in der Pflicht, den Widerstand gegen Sozialkürzungen vorzubereiten. Doch bisher gibt es keine praktischen Schritte in diese Richtung. Es wäre nötig, dass gewerkschaftliche und betriebliche Aktivist*innen sich vernetzen und eine Strategie ausarbeiten, um bei Bekanntmachung der geplanten Kürzungen schnell betriebliche und gewerkschaftliche Mobilisierungen zu erreichen und entsprechende Beschlüsse in den Gewerkschaften durchzusetzen. Um das vorzubereiten, wäre die Durchführung von Betriebsversammlungen und Vertrauensleute/Betriebs- und Personalrätekonferenzen auf allen Ebenen nötig, um über Forderungen und Vorgehen zu diskutieren und Delegierte zu wählen. Die Gewerkschaften könnten selbst die nötigen Bedarfe ermitteln und einen Plan für ein massives öffentliches Investitionsprogramm auf Kosten des Kapitals und der Super-Reichen aufstellen. Weitere Forderungen könnten beispielsweise die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, sowie ein massiver Personalaufbau im öffentlichen Dienst beinhalten. Gewählte Delegierte könnten in einer berlinweiten Gewerkschaftsversammlung zusammenkommen, um eine Kampagne zu koordinieren. Dabei sollten die Delegierten jederzeit durch die jeweiligen Versammlungen wähl- und abwählbar und diesen diesen rechenschaftspflichtig sein. 

Gleichzeitig sollte versucht werden, den Widerstand auf die bundesweite Ebene zu bringen und sich auf die bevorstehenden Angriffe im Bund vorzubereiten.

Linke, Gewerkschafter*innen, die Betroffenen der Kürzungen, Aktivist*innen aus sozialen Bewegungen etc. sollten jetzt zusammenkommen, um über die Auswirkungen der Kürzungen und möglichen Widerstand dagegen diskutieren. In einem Antikürzungsbündnis könnte über die Situation, über Strategien des Widerstands sowie mögliche politische Forderungen diskutiert werden. Ein erster Schritt könnte eine gemeinsameAufklärungskampagne sein, um die Bevölkerung über den drohenden Sozialkahlschlag aufzuklären. Das sollte mit der Mobilisierung zu ersten Aktionen und Demonstrationen z.B. vor den Bezirksrathäusern oder dem Roten Rathaus, um den aufgestellten Forderungen Ausdruck zu verleihen und Öffentlichkeit herzustellen. Mögliche Forderungen könnten sein:

  1. Rücknahme aller Kürzungen
  2. Massive Investitionen in die öffentliche Infrastruktur
  3. Finanzierung dessen durch eine Vermögensabgabe von 30% für Millionär*innen und Milliardär*innen und die Wiedereinführung der Steuern auf Erbschaft, Schenkungen und Unternehmensgewinne

In Neukölln hätte DIE LINKE.Neukölln, als oppositioneller, sozialistischer Bezirksverband, der durch Kampagnen auf der Straße und im Kiez eine gewisse Verankerung hat, gute Chancen, den Anstoß für eine solche Kampagne im Bezirk zu setzen – gerade vor dem Hintergrund der hunderten Neueintritte. In einem ersten Schritt sollte sie auf die von den Kürzungen Betroffenen in Neukölln, die Kolleg*innen der Musikschule, aber auch die Gewerkschaften zugehen, um gemeinsam über die nötigen Schritte und Proteste zu beraten. Natürlich reicht es nicht, diesen Kampf in Neukölln allein zu führen, aber dort könnte ein Anfang gemacht werden.

Kapitalismus überwinden

Sozialist*innen erklären im Kampf gegen Kürzungen immer auch, dass der Kapitalismus letztlich keinen Alternative zu schlechter Infrastruktur, Kürzungen und Krise bietet. Denn in einer Gesellschaft, die auf Konkurrenz und Profitmache basiert, wird immer versucht werden müssen, bei “unprofitablen” Bereichen zu kürzen. Stattdessen zeigen wir die Alternative einer sozialistischen Demokratie auf, in der nach den Bedürfnissen von Mensch und Natur gewirtschaftet wird, statt für die Tasche weniger reicher Kapitalist*innen und Erben. Eine Gesellschaft, in der die Menschen selbst entscheiden, wie sie arbeiten und leben wollen, anstatt von Profitlogik, abgehobenen Politiker*innen und überbezahlten Managern bestimmt zu werden. In der alle Menschen die besten Sozial,- Kultur-, und Bildungsangebote gemacht werden, die sie brauchen, um sich zu entfalten. Wo Obdachlosigkeit nicht mehr existiert, Suchtkranken geholfen wird und vor allem die sozialen Ursachen für Sucht und Aggressionen ausgemerzt werden können. Das liegt im Interesse aller Beschäftigten und kann nur durch sie erkämpft werden.

1 Berliner Zeitung vom 9. Dezember 2023

2 https://www.gew-berlin.de/aktuelles/detailseite/schulter-an-schulter-gegen-kuerzungen

3 https://www.bz-berlin.de/berlin/rettungswagenmangel-bei-der-feuerwehr

4 Berliner Zeitung vom 9. Dezember 2023

5 https://www.boeckler.de/de/pressemitteilungen-2675-deutsche-milliardenvermogen-superreiche-54381.htm