Bündnis Sahra Wagenknecht gründet Partei: Ist Kapitalismus jetzt doch in Ordnung?
Anlässlich der heutigen Parteigründung von Sahra Wagenknecht und ihren Unterstützer*innen veröffentlichen wir hier die Langfassung eines Artikels aus der Dezember/JanuarAusgabe der „Solidarität“, der sich mit den politischen Grundsatzpositionen des „Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)“ auseinandersetzt, die denen der neuen Partei entsprechen.
In Vorbereitung einer neuen Partei setzte das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) kürzlich sein Gründungsmanifest in die Welt. Möglicherweise wird das Projekt in Zukunft Sammelpunkt oder zumindest Wahlalternative für Viele, die von den etablierten prokapitalistischen Parteien genug haben. Doch bietet das BSW dazu eine Alternative?
Von Katja Sonntag, Sol Hamm
Wirtschaftskrisen, Klimawandel und Umweltzerstörung, Kriege und Armut sind die Komponenten der multiplen Systemkrise des Kapitalismus. Doch von der zerstörerischen Logik dieses Systems ist im Manifest kein Wort zu finden. Kein Wunder, denn stattdessen soll es politisch zurück in Zeiten gehen, in denen nicht Privatisierung und Deregulierung, sondern ein starker Sozialstaat auf der Tagesordnung stand. Das stellt nicht nur nicht den Kapitalismus in Frage, sondern verkennt auch die systemischen Ursachen der Krise, die nicht durch eine andere Wirtschaftspolitik zu beheben sind.
Kosmetische Abhilfe fürs System
So sollen zum Beispiel kleine und mittlere Einkommen steuerlich entlastet, eine Vermögenssteuer erhoben und Steuervermeidung unterbunden werden. Monopole, beispielsweise im Bereich Wohnen oder Gesundheit, sollen gemeinnützig werden. So sehr zu begrüßen wäre, dass die Staatskasse besser gefüllt wäre, um wichtige Investitionen in Infrastruktur wie Bildung, Bus und Bahn zu tätigen, so wenig reichen diese Maßnahmen aus. Vor allem aber würden sich die Kapitalist*innen mit Händen und Füßen dagegen wehren, wenn ihre Profite geschmälert würden. Das allein würde eine Enteignung der Banken und Konzerne und ein anderes Wirtschaftssystem notwendig machen. Denn um im Interesse der großen Mehrheit zu handeln, braucht die Mehrheit wirkliche Entscheidungsmacht in Staat und Wirtschaft – nicht einfach nur die Möglichkeit, alle paar Jahre an einer parlamentarischen Wahl teilzunehmen.
„Fairer“ Wettbewerb
Das Bündnis geht zudem davon aus, dass die Ursache vieler wirtschaftliche Probleme eine Störung des Wettbewerbs durch die politische Einflussnahme von Großunternehmen sei. Natürlich betreiben Banken und Konzerne massiven Lobbyismus, um ihre Interessen durchzusetzen. Die Interessen der Beschäftigten bleiben dabei auf der Strecke. Im Kontext davon scheint es allerdings geradezu verrückt, zu glauben, dass ein „fairer Wettbewerb“ zwischen kleinen und großen Unternehmen zu einer Politik im Sinne der Beschäftigten führen würde. Dennoch sieht das BSW im kleinen Unternehmen und Start-Ups den wesentlichen Motor für Innovation, weshalb diese durch Fonds gegen die Marktriesen gestärkt werden sollen. Die Logik „kleine Unternehmen = gut, große Unternehmen = schlecht“ bricht leider in keinster Weise die kapitalistische Logik der Gewinnmaximierung und all ihren üblen Folgen. Sie ist im Kern auch reaktionär, weil großflächige Arbeitsteilung in vielen Bereichen sehr wohl gesellschaftlichen und auch ökologischen Sinn machen kann.
Klar ist: Dem BSW geht es um den Erhalt des „Wirtschaftsstandorts Deutschland“. Das ist eine nationale Perspektive, die im Widerspruch zum Internationalismus der Arbeiter*innenbewegung steht, der gerade in Zeiten globaler Herausforderungen, wie dem Klimawandel, nötiger denn je ist. Der nationale Blick Wagenknechts setzt sich dann auch in der Migrationspolitik fort, wo sie Positionen vertritt, die rechts von der derzeitigen Regierungskoalition stehen. All das kennen wir von prokapitalistischen Parteien, neben denen sich das Bündnis nun einzureihen scheint. Kein Wunder, dass Wagenknecht nicht einmal eine Koalition mit der CDU ausschließt.
Frieden durch Handel
Das Bündnis setzt auf Abrüstung, was zu befürworten ist, denn die Aufrüstungsspirale führt zu deutlich mehr Zerstörung, Leid und Toten (vor allem auf Seiten der Arbeiter*innenklasse). Außerdem ist dieser Bereich höchst ressourcenintensiv und damit klimaschädlich. Gelder, die dafür ausgegeben werden, fehlen in Krankenhäusern, Bildung und im Verkehrswesen. Mit der Forderung nach einem Sicherheitssystem unter Einbeziehung Russlands, erweckt das BSW allerdings die falsche Hoffnung, dass dauerhafter Frieden im Rahmen des Kapitalismus möglich ist. Leider scheint das BSW zu glauben, dass Kriege durch Handelsbeziehungen vermieden werden könnten. Vielleicht überlegen Regierungen fünf Minuten länger, ob sie ein anderes Land angreifen, wenn es wirtschaftliche Verflechtungen gibt. Ein Krieg wird aber dadurch nicht abgewendet, denn im Zweifel besteht die Möglichkeit auf kostenlose Rohstoffe oder Kontrolle über geostrategisch interessante Gebiete. „Frieden durch Handel“ ist schon deshalb eine absurde These, weil es andauernd Kriege zwischen handeltreibenden Ländern gibt.
Fazit
„Die Menschen in unserem Land haben eine bessere Politik verdient!“ – Stimmt, doch mit Blick darauf, wie sehr das Bündnis die wesentliche Ursache für Ungerechtigkeit, Krieg, Armut – und damit für so viele Sorgen der Arbeiter*innenklasse – ignoriert, wird auch deutlich, dass es keine wirklichen Antworten zu bieten hat. Wer so tut, als ob der Kapitalismus durch das Anlegen eines Halsbandes von einem Tiger in eine stubenreine Hauskatze verwandelt werden kann, führt in die Irre.
Konzerne müssen nicht nur etwas mehr besteuert, sondern auch in Gemeineigentum überführt werden. Es bedarf der demokratischen Kontrolle und Verwaltung durch die Beschäftigten, um nach den Bedürfnissen von Mensch und Umwelt zu wirtschaften statt nach den Profitinteressen einiger weniger. Nur die Macht in den Händen der Arbeiter*innenklasse kann die Antwort sein. Dafür muss sie sich organisieren und kämpfen – und dazu ruft das Bündnis bisher nicht auf. Aber nett, dass man wenigstens für das neue Projekt „Stellvertretung statt selber machen“ spenden darf.