IG Metall muss kämpfen!
Das hat die Geschäftsführung von Bosch schon lange nicht mehr erlebt: 10.000 Beschäftigte aus verschiedenen Standorten der Region haben am 20. März vor der Firmenzentrale auf der Schillerhöhe bei Stuttgart für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze demonstriert.In ihrer Berichterstattung empören sich die Stuttgarter Nachrichten darüber, dass in der Belegschaft auch mit dem Slogan „Sturm auf die Bosch-Bastille“ mobilisiert wurde. Unterstützung bekamen die Boschler von Delegationen von Betriebsräten und Vertrauensleuten von Daimler Untertürkheim und Sindelfingen sowie von Mahle/Behr. Doch auch in Ansbach, Bamberg, Hildesheim, Berlin, Schwäbisch Gmünd, Karlsruhe, Eisenach und anderswo haben sich 15.000 Kolleginnen und Kolleg*innen aus Boschwerken zu Protestaktionen gegen die Abbaupläne versammelt. An über 20 Standorten gab es zeitgleich Protestaktionen.
von Ursel Beck, IGM-Mitglied Stuttgart
Gerlingen bei Stuttgart, wo die Bosch-Zentrale ihren Sitz hat, ist ein kleiner Ort. Der An- und Abtransport von 10.000 Menschen war eine logistische Meisterleistung, weil es dort keinen Platz gibt, an dem so viele Busse halten können. Nach der Kundgebung wurden die Kolleg*innen der verschiedenen Werke (“Feuerbach 1”, “Feuerbach 2”, “Schwieberdingen” etc. nach einander aufgerufen wurden, zu den Bussen zu gehen, die dann der Reihe nach zum Einsteigen zum Haltepunkt gefahren waren. Das Firmenparkhaus war voll und überall im Wald um das Gelände waren Fahrräder an Bäume gekettet.
Weltweit sind 7000 Arbeitsplätze bei Bosch bedroht
Im Januar und Februar hat Bosch kurz hintereinander Pläne für die Vernichtung von insgesamt 5500 Arbeitsplätzen an fünf Standorten in Deutschland und 2800 in der Region Stuttgart. Zusätzlich sollen 40-Stunden-Verträge auf 35-Stunden bei 14 Prozent Gehaltsverlust reduziert werden. Betroffen sind die Entwicklungsabteilungen der Verbrennersparte, der Softwarebereich bei elektronischen Steuergeräten, die Produktion von Elektrowerkzeugen und Hausgeräten.
“Kollegen haben Angst und können nachts nicht mehr schlafen” erklärte der Betriebsratsvorsitzende von Bosch-Feuerbach, Frank Sell. Das Argument für den Abbau sei Wettbewerbsfähigkeit. Dabei habe Bosch 2023 seinen Umsatz auf 92 Milliarden Euro gesteigert und die Rendite betrage fünf Prozent. Das sei Bosch, aber nicht hoch genug. Angestrebt werden sieben Prozent. Und dafür sollen jetzt Bereiche verkauft, Arbeitsplätze ins Ausland verlagert und 10.000 Kolleginnen und Kollegen die Arbeitszeit auf 35 Stunden bei Lohnverlust reduziert werden. Auch Werke im Ausland sind von Arbeitsplatzvernichtung bedroht. Weltweit sind 7000 Arbeitsplätze bedroht, davon 3200 im Bereich der Autozulieferung.
“Verrat am Zukunftstarifvertrag”
Im Juli 2023 hatten Betriebsrat, IG Metall und Bosch-Geschäftsführung eine Zukunftsvereinbarung für die 80.000 Beschäftigten der Mobility-Standorte abgeschlossen. In einer gemeinsamen Presseerklärung von IG Metall Baden Württemberg und Bosch vom 17.7.2023 wurde der Zukunftstarifvertrag mit dem Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen bis 2027 und der Einbeziehung des Betriebsrats in “strategische Themen” und “Standortentscheidungen” als “Meilenstein für die Zusammenarbeit” und als Stärkung der “Sozialpartnerschaft” gefeiert. Bei Bosch zeigt sich aber genauso wie bei Daimler und anderswo, dass der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen keinen Ausschluss von Arbeitsplatzvernichtung bedeutet. Der Betriebsratsvorsitzende Frank Sell gab bei der Kundgebung bekannt, dass in der Mobilitätssparte in den letzten vier Jahren 4000 Arbeitsplätze abgebaut wurden. Wenn der angekündigte Stellenabbau umgesetzt würde, dann bedeute das die Vernichtung von 7000 Arbeitsplätzen in sechs Jahren. Die Vertreterinnen der IG Metall Ortsverwaltung Stuttgart bezeichneten die geplanten Produktionsverlagerungen, den angekündigten Stellenabbau und die Einrichtung einer internen Transfergesellschaft ohne Beteiligung des Betriebsrats und die Weigerung der Bosch-von Verhandlungen als Verrat am Zukunftstarifvertrag und als Kulturbruch bei Bosch.
Verteidigung aller Arbeitsplätze statt weitere Zugeständnisse?
Mit dem Zukunftstarifvertrag wurde der “sozialverträgliche” Arbeitsplatzabbau von tausenden Stellen akzeptiert. Aber es zeigt sich jetzt, dass die restlichen Arbeitsplätze auch nicht gesichert sind. Das was sich an anderen Standorten abgespielt hat, könnte sich wiederholen, wenn die IG Metall den Kampf für die Verteidigung der Arbeitsplätze nicht ernsthaft aufnimmt. In Bremen hat sich die IG Metall 2020 nach Abschluss eines Sozialtarifvertrags über Abfindungen und eine Transfergesellschaft mit der Bosch-Geschäftsleitung auf die Schließung des Werkes und die Vernichtung von 240 Arbeitsplätzen geeinigt. Im württembergischen Bietigheim wurde Ende 2021 ein Bosch-Werk mit 290 Beschäftigten geschlossen. Trotz Kampfbereitschaft der Belegschaft wurde von der IG Metall kein ernsthafter Kampf um den Erhalt des Werks in Bietigheim geführt. Für die Beschäftigten blieben Abfindungen, Wechselprämien und eine Transfergesellschaft. Für das Werk Schwäbisch Gmünd hat der dortige Betriebsrat ein “Standortsicherungspaket” abgeschlossen. Laut dieser Vereinbarung werden von den einst 4700 Arbeitsplätzen bis 2026 insgesamt 1850 Arbeitsplätze “sozialverträglich” über Vorruhestandsregelungen und “freiwillige Aufhebungsverträge” abgebaut.
Gemeinsamen Kampf aller Belegschaften organisieren
Nicht nur bei Bosch sollen Arbeitsplätze vernichtet werden. ZF droht mit der Vernichtung von 12.000 bis 18.000 Arbeitsplätzen in Deutschland. Continental will weltweit 7150 Arbeitsplätze abbauen, davon tausende in Deutschland. Porsche hat Ende 2023 in seinem Werk in Stuttgart 600 befristet Beschäftigte vor die Tür gesetzt. Weitere 700 Befristete bangen um ihren Job. 3000 Beschäftigte aus verschiedenen ZF-Standorten haben im Dezember für ihre Arbeitsplätze mit einem “Marsch der Solidarität” in Friedrichshafen demonstriert. Doch leider hat die IG Metall nun für das ZF-Werk Gelsenkirchen einen Sozialtarifvertrag abgeschlossen, der die Schließung des Werks mit 200 Arbeitsplätzen Ende 2024 akzeptiert. Dies ist eine Warnung an die Belegschaft von Bosch, ZF und allen anderen, die von Arbeitsplatzvernichtung bedroht sind. Es ist notwendig, den Druck aus den Betrieben für einen konsequenten Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze zu führen. Beim letzten “Metallertreff Stuttgart” (lokale Vernetzung kämpferischer Kolleg*innen) wurde diskutiert, dass es notwendig sei, dass die IG Metall Stuttgart eine Aktionskonferenz von Vertrauensleuten, Betriebsräten und interessierten IG Metall-Mitgliedern organisiert, bei der die Ursachen für Arbeitsplatzabbau und notwendige Kampfmaßnahmen diskutiert werden. Die heute bei der Kundgebung von Redner*innen ausgesprochene Drohung, dass es einen zweiten, dritten, vierten und fünften Aktionstag geben wird, sollte umgesetzt werden. Das nächste Mal am besten als gemeinsamer Aktionstag aller von Arbeitsplatzvernichtung betroffenen Belegschaften. Der dritte, vierte und fünfte Aktionstag könnten landes-, bundes- und weltweit erfolgen. Die kämpferische Stimmung der Kundgebungsteilnehmer*innen hat gezeigt, dass die Boschler*innen bereit sind, für ihre Arbeitsplätze zu kämpfen. Weitere Vereinbarungen über „sozialverträglichen“ Arbeitsplatzabbau darf es nicht geben. Denn, wie der Vorsitzende der Gesamtjugendvertretung bei der Kundgebung erklärte, muss es auch für Auszubildende und dual Studierende eine Zukunft bei Bosch geben.
Geschäftsführer entlassen, nicht Beschäftigte
Die Politik müsse für eine zukunftssichere Industrie, Investitionen, neue Produkte und Geschäfte wie Wasserstofftechnologie sorgen, so der Tenor von Betriebsrat und IG Metall-Funktionär*innen bei der heutigen Kundgebung. Aber Technologien sind keine Antwort auf Produktionsverlagerung und Arbeitsplatzvernichtung. Auch die Produktion von E-Autos wird nach Osteuropa verlagert. Das gilt auch für Bosch. Der Konzern baut ein neues Werk für Elektromobilität in Tschechien. Die IG Metall-Bezirksleiterin Barbara Resch sagte in ihrer Rede, dass Kolleg*innen aus der Entwicklung ein neues Produkt entwickelt und dem Bosch-Management vorgestellt hätten. Die Antwort sei gewesen: “Sie haben es noch nicht verstanden. Es geht um Abbau”. Dieses Beispiel zeigt, dass die Geschäftsführer entlassen werden müssen und nicht die Beschäftigten. Nur dann kann sich das Wissen und die Kreativität der Beschäftigten frei von der Profitlogik entfalten und zum Nutzen der Gesellschaft und zur Sicherung von Arbeitsplätzen eingesetzt werden. Wenn schon der Staat für eine zukunftsfähige Industrie sorgen soll, dann ist es nur konsequent wenn Bosch und alle marktbeherrschenden Konzerne und die Banken in Gemeineigentum überführt werden, wie es in Paragraph zwei, Punkt vier der Satzung der IG Metall als Ziel gefordert wird. Dann kann demokratisch in den Belegschaften und der Gesellschaft darüber diskutiert und entschieden werden, welche Technologien und welche Verkehrsmittel gesellschaftlich sinnvoll sind und wie alle Jobs und das Lohnniveau erhalten und erhöht werden kann. Sicher ist, dass die Produktionsanlagen der Auto- und Zulieferindustrie für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, für die Produktion von Schienenfahrzeugen, Bussen und anderen modernen Fahrzeugen gebraucht werden. Bosch begründet den Abbau von 1200 Arbeitsplätzen im Softwarebereich in Schwieberdingen damit, dass sich die Erwartungen an das autonome Fahren nicht erfüllen. Sicher ist aber, dass tausende von Softwarespezialisten sinnvoll beschäftigt werden könnten, zum Beispiel um die Deutsche Bahn mit ihrer Technik aus der Kaiserzeit ins digitale Zeitalter zu katapultieren.
Für eine offensive Tarifrunde
Die Diskussion über die Forderung für die Tarifrunde 2024 für die 3,9 Millionen Beschäftigten in der Metallindustrie hat begonnen. Im Juli beschließen Tarifkommission und Vorstand die Forderung. Ende Oktober endet die Friedenspflicht. Seit Jahren gibt es Reallohnverluste, weil die IG Metall-Führung die Kampfkraft in den letzten Tarifauseinandersetzungen nicht genutzt hat. Die Preise für Mieten, Energie und Lebensmittel laufen den Löhnen weiter davon. Jetzt kommt eine verschärfte Gangart der Unternehmer*innen beim Arbeitsplatzabbau hinzu und gleichzeitig drohen weitere Kürzungen und zusätzliche Belastungen für die abhängig Beschäftigten und sozial Benachteiligten durch die Bundes- und Landesregierungen sowie durch die Kommunen. Auf der anderen Seite haben die 40 DAX-Konzerne 2023 171 Milliarden Gewinn gemacht und schütten einen Rekord von 52,5 Milliarden Euro an ihre Aktionäre aus. Davon entfallen allein 15,5 Milliarden Euro auf Mercedes, BMW und VW. Vor diesem Hintergrund muss die Routine bei Tarifauseinandersetzungen in der IG Metall gebrochen werden. Eine hohe Festgeldforderung, 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich sowie der Kampf gegen Arbeitsplatzvernichtung und gegen staatliche Umverteilungspolitik sollten von Anfang an Bestandteil der innergewerkschaftlichen Diskussion über die Forderungen sein. Bei der Kundgebung heute wurde berichtet, dass aus den Bosch-Werken im Bereich der Ortsverwaltung Stuttgart in den letzten zwei Wochen eintausend Kolleg*innen in die IG Metall eingetreten sind. Weitere dürften heute dazu gekommen sein, denn die IG Metall hat bei der Kundgebung offensiv für einen Eintritt in die IG Metall geworben. Das ermöglicht den Wiederaufbau gewerkschaftlicher Strukturen und Aktivitäten im Betrieb. 40 Jahre nach dem offensiven und erfolgreichen Streik um die 35-Stunden-Woche ist es höchste Zeit, das Potenzial für eine neue gewerkschaftliche Offensive zu nutzen.