David schlägt Goliath
Ob Tennisbälle und Schokotaler auf dem Rasen, ferngesteuerte Autos mit Rauchtöpfen, Fahrradschlösser an Torpfosten – die kreativen Protestformen der verschiedenen deutschen Fanszenen sollte selbst Desinteressierten nicht entgangen sein. Nach einer kontinuierlichen Zuspitzung der Proteste, bei denen mehr und mehr Spiele kurz vor dem Abbruch standen, ertönte am 21. Februar ein Paukenschlag: Die Deutsche Fußball Liga(DFL) zieht die Pläne für einen Investoreneinstieg erstmal zurück.
von Christoph Martin, HSV-Fan und Sol-Mitglied in Mainz
Diese Nachricht sollte bei den meisten Fußballfans in der Republik Ekstase ausgelöst haben. Die Entscheidung wird von DFL-Präsident Hans-Joachim „Aki“ Watzke direkt mit der Eskalation der Fanproteste und der darauf folgenden Verunsicherung der Vereine begründet. Die klare Lehre also:
Protest wirkt…
…wenn er konsequent durchgezogen wird. Die jetzige Niederlage für die DFL-Chefetage ist eine, die über diesen konkreten Kampf hinausgeht; und zwar wegen der Signalwirkung. Die BILD-Zeitung monierte, als Reaktion auf die Entscheidung den Investoreneinstieg abzubrechen, man würde sich nun “erpressbar” machen. In etwas unpolemischerer Sprache: Die Fans können, wenn sie sich zusammentun und gemeinsam kämpfen, den Fussball zu ihren Gunsten beeinflussen. Das genau das jetzt deutschlandweit realisiert wird, ist für die DFL die viel größere Niederlage.
Kapitalismus, Kultur und Klassenkampf
“Das Problem hat viele Namen, heißt aber am Ende Kapitalismus” hieß es mal auf einem Banner der mittlerweile aufgelösten Ultra-Gruppe Poptown Hamburg. Eine der Haupteigenschaften des Kapitalismus ist die Verwertungslogik. Alles, was nicht bei 3 auf dem Baum ist, wird zur Ware gemacht, um aus ihr Profit zu schlagen. Gegebenenfalls wird sogar der ganze Baum zur Ware. Immer wird nach Wegen gesucht, Profite herauszuschlagen. Das zeigt sich beim Fußball, aber auch anderen Kulturbereichen, sehr offen.
Als weltweit beliebteste Sportart mit rund 46 Millionen Fans in Deutschland1 ist das Potential für Profitmacherei gigantisch. Das fällt in der Regel den Fans zu Lasten: Überteuerte Stadiontickets, für viele unbezahlbare Streaming-Monatsabos, zerstückelte Spieltage, Werbung überall – die Liste ist endlos.
Es geht den Investoren nicht darum, den Fußball attraktiver zu machen, sondern mehr mit ihm zu verdienen. Wir haben es also mit einem fundamentalen Interessengegensatz zu tun, an dessen Enden sich zum einen geldgierige Verwalter und reiche Investoren und zum anderen Fußballfans, deren Sport zur Ware gemacht wird, befinden.
Statistisch gesehen ist es auch maßgeblich entscheidend für die Haltung zu den Protesten, welchen Platz man in den Stadien einnimmt. Laut einer Umfrage finden 90 Prozent der Fußballfans, die den Sport auf Stehplätzen verfolgen, den Protest der Fanszenen angemessen. In den VIP-Logen sind es gerade mal 47 Prozent2.
Darum ist ein konsequenter Kampf gegen Investoren im Fußball eben, ob bewusst oder unbewusst, gegen das kapitalistische System gerichtet.
Ultras in die Offensive!
Wer das versteht, dem muss klar sein: Der oben beschriebene Interessenwiderspruch wurde durch diesen Erfolg nicht aus der Welt geschafft. Er zieht sich immer noch durch den Fußball, wie wir ihn kennen. Gleichzeitig muss auch anerkannt werden, dass der bisher geführte Kampf vor allem ein Defensivkampf war, dabei ist der Status Quo, der erfolgreich verteidigt wurde, auch so schon nicht hinnehmbar. Jetzt müsste diskutiert werden, wie man gemeinsam als Fanszene und Fußballbegeistertein die Offensive kommen kann, um für einen besseren Fußball zu kämpfen. Doch dafür braucht es auch ein konkretes Bild davon, was für einen Fußball man will und was für einen Kampf man dafür führen muss.
In unseren Augen müssten solche Proteste ausgeweitet werden. Wie wir im Dezember schrieben: „Fußball-Fans müssen darüber diskutieren, wie sie die demokratische Kontrolle über ihren Sport, ihre Ligen und ihre Vereine erlangen können. Sonst drohen weitere Verschlechterungen, wie sie in anderen Ländern schon zu sehen sind. Wer ‚Fußball für die Massen‘ will, muss aber auch gegen die Ursachen des Ausverkaufs kämpfen. Denn der Kampf gegen die Kommerzialisierung des Sports ist, wenn er konsequent geführt werden soll, ein politischer Kampf gegen den Kapitalismus. Bis Faninitiativen sich nicht diesem Kampf widmen, werden alle unterstützenswerte Versuche leider langfristig keinen Erfolg haben.“3
Dabei würde auch das Zusammengehen mit anderen sozialen Bewegungen und Kämpfen helfen.Eine gegenseitige Orientierung von Gewerkschaftsaktiven, linken Aktivist*innen und Fangruppen aufeinander wäre richtig. Gemeinsam könnte man den Bossen und Konzernen den Kampf ansagen um den Kapitalismus zu überwinden – gesellschaftlich, wie im Sport.
Gemeinsam könnten wir für eine Welt ohne Profitmacherei und mit demokratischer Kontrolle über alle gesellschaftlichen Belange kämpfen. Darunter würde auch der Fußball fallen. In so einer Welt könnte man gemeinsam günstigere Ticketpreise, fanfreundliche Anstoßzeiten, Begrenzung von Spielergehältern und einen Spieltag, der nicht mit Werbung vollgestopft ist, durchsetzen.
Lasst uns also gemeinsam kämpfen für eine Gesellschaft ohne Profit, Investoren und Montagsspiele!
1https://de.statista.com/statistik/daten/studie/171037/umfrage/interesse-an-der-sportart-fussball/#:~:text=Mit%20rund%2046%20Millionen%20Personen,Verein%20der%20deutschen%20Bundesliga%20interessieren.
2https://fanq.com/wp-content/uploads/2024/02/fanq-studie-investoren-im-deutschen-fussball-1.pdf
3 https://solidaritaet.info/2023/12/ihr-fussball-und-unserer/