Warum unser Feminismus sozialistisch ist
Die Krisen des Kapitalismus und die weltweite Ungleichheit nehmen spürbar weiter zu. Besonders betroffen sind in vielen Fällen Frauen. In Deutschland verdienen sie im Schnitt 18 Prozent weniger als Männer, leisten einen Großteil der Pflege- und Sorgearbeit und sind Sexismus und Gewalt ausgesetzt. Was ist nötig, um Sexismus und Unterdrückung zu bekämpfen und inwiefern hängt das mit dem Kampf gegen das kapitalistische System als Ganzes zusammen?
von Chiara Stenger, Berlin
Viele Mädchen und Frauen, aber auch Männer, sind wütend, dass es immer noch keine Gleichstellung gibt und wollen alltäglichen Sexismus oder schlechtere Löhne nicht mehr hinnehmen. Strukturelle Benachteiligung zeigt sich in der größtenteils von Frauen aus der Arbeiter*innenklasse geleisteten unbezahlten Sorge- und Pflegearbeit von Kindern und Angehörigen (während Reiche problemlos Nannys oder Reinigungskräfte anstellen können). Resultat sind neben psychischer und physischer Belastung mehr Teilzeitanstellungen und somit weniger Geld zum Leben bzw. eine größere ökonomische Abhängigkeit von Partner*innen oder der Familie. Das wiederum führt zu einem viel höheren Risiko, im Alter arm zu sein. Deshalb haben klischeehafte Rollenbilder, aber auch Abwertung und Gewalt gegen Frauen weiter eine ökonomische Basis. Allein die offizielle Zahl der Betroffenen häuslicher Gewalt (deren Dunkelziffer deutlich höher liegen dürfte) ist 2022 um 8,5 Prozent gestiegen.
Nötig wäre eine massive Arbeitszeitreduzierung bei vollem Lohn- und Personalausgleich und gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit, damit alle Arbeitenden unabhängig vom Geschlecht ausreichend Zeit für Familie und Kinder haben. Dann gäbe es nicht den aktuellen ökonomischen Druck, dass Frauen als meist Schlechterverdienende die Pflege-, Sorge- und Erziehungsarbeit übernehmen müssen, weil der Lohn der Frau alleine nicht ausreichen würde. All diese Maßnahmen würden auch die schlechtere Lage von Alleinerziehenden beenden, von denen circa ein Drittel armutsgefährdet ist.
Es braucht massive Investitionen in Erziehung, Bildung, Pflege, Gesundheit und Soziales, um die nötige Fürsorge für Kinder, Alte oder Kranke nicht auf Individuen abzuwälzen. So könnte beispielsweise eine Garantie für eine kostenlose und ganztägige Kinderbetreuung gewährleistet werden und Alleinerziehende, Eltern und Familien könnten entlastet werden.
Kapitalismus ist das Problem
Doch dem stehen die Profitinteressen des Kapitals entgegen. Als System, das grundlegend auf Ausbeutung und Spaltung basiert, profitiert der Kapitalismus enorm von Sexismus als Teil einer „Teile und Herrsche“-Politik. Die vor allem von Frauen verrichtete unbezahlte Sorgearbeit und schlechtere Löhne von Frauen erhöhen nicht nur direkt die Profite der Konzerne, sondern erleichtern auch Lohndumping für die Löhne männlicher Arbeiter. Sexistische Vorurteile und Diskriminierung erschweren einen gemeinsam Kampf zum Beispiel für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne und sind damit ziemlich praktisch für die Bosse. Von der ökonomischen Schlechterstellung von Frauen aus der Arbeiter*innenklasse profitieren also nicht wie oft behauptet männliche Arbeiter, sondern die Konzerne und Kapitalist*innen.
Gegen Spaltung und Sexismus
Sozialist*innen kämpfen gegen diese Spaltungsmechanismen, mit und innerhalb der Arbeiter*innenklasse. Nötig sind gemeinsame Kämpfe durch zum Beispiel die Gewerkschaften mit allen Lohnabhängigen, unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung oder Herkunft, für gleiche und höhere Löhne, mehr Personal aber auch gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft. Dadurch können Verbesserungen erkämpft und sexistische Vorurteile abgebaut werden. Damit würden auch andere aktuelle gesellschaftliche Probleme bekämpft werden: So könnten im Gesundheitswesen durch bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne Überbelastung und Personalmangel beendet werden. Gleiches gilt für andere frauendominierte Sektoren, wo die Bedingungen besonders schlecht sind, der Bedarf aber besonders hoch, wie im Bereich der Sozial- und Erziehungsdienste.
Das Geld bei denen holen, die davon profitieren!
Für all das wären massive Investitionen auf Kosten der Banken und Konzerne nötig – durch drastisch höhere Steuern und Abgaben! Klar ist aber, dass diese dagegen Sturm laufen werden und die Regierenden das ohnehin nicht wollen. Im Gegenteil: Die aktuellen Kürzungen des Bundes und in vielen Ländern und Kommunen werden unter anderem soziale Einrichtungen weiter aushöhlen und besonders Frauen treffen. Die Ampel nennt sich „progressiv“, Olaf Scholz bezeichnet sich als einen „intersektionalen Feministen“ und Annalena Baerbock verteidigt vermutlich auch die Bundeswehr-Aufrüstung als eine Form „feministischer Außenpolitik“. Aber diese Politik richtet sich gegen Frauen und die gesamte arbeitende Bevölkerung.
Unser Feminismus ist sozialistisch, weil wir ihn als Teil des Klassenkampfes verstehen und weil der Kapitalismus überwunden werden muss, um wirkliche Gleichstellung zu erreichen. Jede Verbesserung ist im Kapitalismus stetig in Gefahr und es kann keine Gleichstellung in einer auf Proftmaximierung basierenden Gesellschaft geben. Gekürzt wird nie bei den Banken und Konzernen, sondern im Zweifel bei Frauenhäusern oder Jugendeinrichtungen. Auch wenn jede Verbesserung oder Reform den Kampf wert ist, dürfen wir dabei nicht stehen bleiben. Wenn wir wirkliche Gleichstellung wollen, müssen wir die materiellen Grundlagen, die zu Sexismus und Unterdrückung führen, überwinden. In einer demokratisch geplanten Wirtschaft wird es um Bedürfnisse und nicht um Profit gehen. Vollfinanzierte Frauenhäuser, kostenlose Kinderbetreuung, kürzere Arbeitszeiten oder höhere Löhne wären selbstverständlich. Es ist nötig, nicht nur gegen die Symptome von Frauenunterdrückung Widerstand zu leisten, sondern auch gegen die Ursache: das kapitalistische System selbst. Denn die Befreiung der Frau kann nur sozialistisch sein!
Wir fordern:
- Für gemeinsamen Kampf von Lohnabhängigen aller Geschlechter gegen jede Form geschlechtsspezifischer Benachteiligung
- Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit – deutliche Lohnerhöhungen in frauendominierten Berufszweigen
- Gegen jede Form von Diskriminierung! Schluss mit Gewalt gegen Frauen und LGBTQ+-Personen!
- Kampf gegen diskriminierende Frauenbilder in Werbung und Medien
- Für das Recht auf Selbstbestimmung! Kostenlose Verhütungs- und Hygienemittel! Weg mit den Abtreibungsparagraphen 218 und 219!
- Für eine kostenlose und ganztägige Kinderbetreuung vom ersten bis 13. Lebensjahr
- Sofortiger und kostenfreier Zugang zu Schutz und Hilfe – Bereitstellung einer ausreichenden Zahl staatlicher Notfallunterkünfte – flächendeckendes Angebot staatlich finanzierter selbstverwalteter Frauenhäuser
- Milliardeninvestitionen statt Kürzungen! Für kostenlose und flächendeckende Kinderbetreuung, bezahlbaren Wohnraum, ein vollfinanziertes Gesundheits- und Bildungssystem!
- Drastische Besteuerung der Gewinne und Vermögen der Konzerne und Super-Reichen!